Aserbaidschans Präsident kommt nach Wien. Das sagt die Opposition.

Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev wird im Mai Wien besuchen. Das an Erdöl und Gas reiche Land stand vor einem Jahr unter internationaler medialer Beobachtung, als der Eurovision Song Contest in der boomenden Hauptstadt Baku stattfand. Oppositionelle Gruppen und Menschenrechtsaktivist_innen nahmen diese internationale Aufmerksamkeit zum Anlass um auf demokratiepolitische Probleme aufmerksam zu machen. In ihrem Büro zeigten sie Bilder von Deportationen von Hausbewohner_innen, die gewaltsam aus ihren Häusern entfernt wurden, damit die schon zuvor geplante „Crystal Hall“ samt Zufahrtsstraßen rechtzeitig fertig gebaut werden konnte, und veröffentlichten Namen und Fotos von Journalist_innen, Blogger_innen und Aktivist_innen, die sich in Gefangenschaft befanden (und zu einem großen Teil immer noch befinden).

Der Aktivist Rasul Jafarow war Mitbegründer der Bewegung Sing for Democracy, die Sprachrohr der Menschenrechtsbewegung wurde. Von den im Vorjahr teilnehmenden Künstler_innen war es nur die spätere schwedische Siegerin Loreen, die sich für die Arbeit der Opposition interessierte und die Organisationen besuchte.

Anlässlich des Besuchs von Aserbaidschans Staatspräsident Ilham Aliyev in Wien fragten wir, Grüne Wiener Gemeinderätin Monika Vana und Bundesrat Marco Schreuder, Rasul Jafarow nach den aktuellen Problemen seines Landes.

Aserbadschans Präsident Alijew wurde 2012 von der OCCRP (Organized Crime and Corruption Reporting Project) als „korruptester Mann des Jahres 2012“ nominiert. Kannst du uns erzählen warum?

Es ist offenkundig, dass Präsident Alijew und seine Familie zutiefst korrupt sind. So haben Funktionäre, inklusive der Präsident selbst seit er an der Macht ist, keine Einkommenserklärung vorgelegt. Alijew selbst hat 2005 eine Beschlussfassung unterzeichnet, die aber genau das vorschreibt. 2011 haben die Washington Post, und Anfang 2012 der CNBC Materialen veröffentlicht, die belegen, dass der Präsident und seine Familienmitglieder Besitztümer, Häuser, Villen in Dubai und anderen Regionen besitzen. Kahdija Ismayilova, eine der wenigen investigativen Journalist_innen, hat 2012 auch über Großprojekte in Aserbaidschan recherchiert und nachgewiesen, dass Firmen des Präsidenten und seiner Familienmitglieder den „Flag Square“ gebaut haben und Geld aus dem Staatsbudget ausgegeben haben. Die Töchter des Präsidenten sind Eigentümerinnen von Mobilfunkanbietern in Aserbaidschan und Goldadern in Gadabay, einer kleinen Region in Westaserbaidschan. Aufgrund dieser Fakten hat OCCRP Alijew als „korruptesten Mann des Jahres 2012“ nominiert.

Denkst du, dass in Aserbaidschan freie Wahlen und eine demokratische Machtverschiebung möglich sind?

Ich möchte wirklich gern daran glauben, aber es scheint als ob das nicht leicht sein wird. Gesetzliche Änderungen, die Versammlungsfreiheit und NGOs betreffen, Verhaftungen von vielen Kritiker_innen seit Jahresbeginn 2013, ein de facto Verbot Veranstaltungen – sogar in geschlossenen Örtlichkeiten – zu organisieren, Druck auf Journalist_innen und Online-Aktivist_innen zeigt, dass das gegenwärtige Regime einmal mehr plant die Wahlen zu fälschen. Trotz diesen Restriktionen gibt es noch immer einige neue oppositionelle und junge Bewegungen im Land. Das Regime wird von internationalen Organisationen und einigen westliche Staaten kritisiert und die Zivilgesellschaft versucht noch immer aktiv eine wichtige Rolle in der Verbesserung der Situation zu spielen. Also hoffen wir das Beste.
Um demokratische Wahlen zu haben, sollte Ilham Alijew übrigens gar kein Kandidat sein, weil das gegen die Verfassung wäre. Ich glaube, so wie viele unabhängige Jurist_innen und Mitglieder der Republikanischen Alternativen Bewegung, dass – obwohl die Verfassung 2009 verändert wurde und das Verbot, dass eine Person mehr als zwei Mal gewählt werden kann, außer Kraft gesetzt worden ist – Alijew dennoch kein Recht hat zu kandidieren. Und zwar weil er unter den Verfassungsbestimmungen von 2008 gewählt wurde (da die Wahlen 2008 waren), also vor den Änderungen von 2009. Daher können die neuen Regelungen der Verfassung nicht für Ilham Alijew gelten, da diese für neue Kandidat_innen bestimmt sind. Daher habe ich, sollte Alijew Kandidat sein, ernsthafte Bedenken ob der Durchführung von freien und fairen Wahlen.

Wie würdest du die Frauenrechte in Aserbaidschan beschreiben?

Unsere Gesellschaft ist ziemlich konservativ und das beeinflusst die Frauenrechte in Aserbaidschan negativ. Es ist vor allem in den Regionen und ländlichen Gebieten in Aserbaidschan sehr schwierig. In vielen Fällen ist es für Frauen nicht möglich ihre eigenen Lebensentscheidungen zu treffen. Es gibt viele Fälle, in denen 14-, 15-, 16-Jährige bereits verheiratet werden. In diesen Fällen haben sie nicht viele Alternativen hinsichtlich Ausbildung, Arbeit oder die Wahl des Jobs, etc. Gleichzeitig gibt es auch ein anderes Gesicht unserer Gesellschaft, vor allem in der Hauptstadt Baku. Da haben Frauen nicht die oben genannten Probleme. Sie leben ziemlich unabhängig. Als Folge davon gibt es jetzt viele Frauen, die in hohen Positionen in den Ministerien oder im Parlament arbeiten. Wenn wir die Situation vom Standpunkt der generellen Menschenrechte aus analysieren, sollte ich sagen, dass es weder für Männer noch für Frauen einfach ist. Wenn du zum Beispiel die Regierung kritisierst und du eine Frau bist, kannst du sehr leicht ins Visier der Regierung kommen.

Man hört eine Menge über Umweltverschmutzung durch die Öl- und Gasindustrie in Aserbaidschan. Unternimmt die Regierung irgendetwas dagegen? Ist das überhaupt ein Thema für die Opposition und Medien?

Es ist kein Hauptthema der Opposition oder der Medien in Aserbaidschan. Es gibt einige gute NGOs, die sich mit Umweltthemen befassen, aber es reicht nicht aus, um es in der Gesellschaft breit zu thematisieren. Der Grund dafür ist, dass Opposition, Zivilgesellschaft und Medien vor allem an sozio-politischen Belangen beteiligt sind und viele Menschen glauben, dass diese wichtiger als Umweltthemen sind. Einige meinen, dass wir zuerst auf Demokratie und auf „good governance“ im Land fokussieren sollten bevor wir uns den Umweltthemen widmen können. Es ist traurig, aber gleichzeitig Realität. Das Ausmaß der Verschmutzung aufgrund der Öl- und Gasindustrie ist derzeit nicht katastrophal, aber die Regierung sollte mehr dagegen unternehmen. Wir sehen, dass sie von Zeit zu Zeit Bäume pflanzen, und das war’s dann schon.

Aserbaidschan ist bekannt als ein Land, welches sich in ständigem Konflikt mit seinem Nachbarn Armenien befindet. Hat das generelle Auswirkungen auf die Gesellschaft? Kannst du diese Auswirkungen beschreiben?

Es beeinflusst sehr negativ! 20 Prozent des aserbaidschanischen Landes sind von armenischen Truppen okkupiert, etwa eine Million Aserbaidschaner_innen wurden zu Inlandsflüchtlingen. Es ist leicht zu sehen und zu verstehen, dass dieser Konflikt zumindest das Leben dieser Menschen sehr negativ beeinflusst. Ich denke ein anderer negativer Einfluss dieses Konflikts ist, dass das gegenwärtige Regime die Gesellschaft mit dem Konflikt manipuliert.
Wenn die Gesellschaft andere wichtige Themen zur Sprache bringt, reagiert die Regierung als hätten wir nur ein Problem – und zwar den Konflikt mit Armenien: Zuerst müssten wir dieses Problem lösen und dann können wir über andere Themen nachdenken. Bedauerlicherweise beobachte ich diese Rhetorik von Seiten der Regierung seit den letzten zehn Jahren.

In einer internationalen Studie des Pew Research Center, welche in allen Ländern mit muslimischem Bevölkerungsanteil durchgeführt wurde, war Aserbaidschan das Land mit der höchsten Rate zugunsten von Rechtsstaatlichkeit und nur 8 Prozent würden demnach Scharia-Gesetze unterstützen. Glaubst du, dass dieser Befund eine Hoffnung für demokratische Veränderungen ist?

Wir haben immer die Hoffnung auf demokratische Veränderungen, und die Ergebnisse dieser Studie belegen dies wieder. Aserbaidschan hatte eine kurze Phase der Unabhängigkeit zwischen 1918 und 1920, direkt nach dem Ersten Weltkrieg. Wir hatten damals eine demokratische Regierung. Frauen besaßen das Wahlrecht, es gab freie und faire Wahlen und die Gesellschaft war liberal. Und sie blieb bis heute liberal! Ich will damit sagen, dass wir eine Tradition der Demokratie und liberalen Gesellschaft haben und es ist nicht leicht diese zu zerstören. Daher ist das Ergebnis dieser Studie Realität und das gibt uns große Hoffnung für mehr demokratische Veränderungen in der nahen Zukunft.

Welche Gruppen sind die wichtigsten oppositionellen Gruppen in Aserbaidschan?

Die oppositionellen Jugendgruppen sind sehr wichtig für unsere Gesellschaft und unser Land. Ich denke sie werden eine wesentliche Rolle in der Demokratisierung Aserbaidschans spielen. Ich kann NIDA Civic Movement, Azad Genclik (Free Youth Organisation), Musbet Deyishiklik (positive Changes Youth Organization) und junge AktivistInnen ohne Zugehörigkeit erwähnen.
Meiner Meinung nach wächst die Republican Alternative Movement (REAL Movement) und wird zu einer beliebten oppositionellen Gruppe, die sich in naher Zukunft in eine politische Partei umwandeln wird. Die Bewegung ist erst kürzlich 2009 gegründet worden und begann seit den Parlamentswahlen 2010 aktiv zu werden. Präsidentschaftskandidat und Vorsitzender der Bewegung, Ilgar Mammadov, wurde illegal verhaftet weil er nach Ismayilli ging, eine Region in Aserbaidschan wo im Jänner 2013 Unruhen stattfanden. Er interessierte sich für die Probleme der Menschen vor Ort und verfolgte aufmerksam die Situation. Die Regierung beschuldigte ihn die Unruhen in Ismayilli organisiert zu haben. Ilgar Mammadov kritisierte das 2009 durchgeführte Referendum, wodurch es eine Beschränkung  auf eine wählbare Person gab; er kritisierte das Parlament und nannte es Anfang 2013 einen Zoo. REAL Movement ist die wichtigste und aktivste Gruppe, welche die Information verbreitet, dass Ilham Alijew nicht das Recht hat für die kommenden Wahlen zu kandidieren, zumindest aus der rechtlichen Perspektive.
Und ich muss die Azerbaijan Popular Front Party und Musavat Party erwähnen, deren Mitglieder aktiv gegen die Diktatur in Aserbaidschan kämpfen, trotz eines riesigen Drucks des Regimes. Neben dem Druck der Regierung finde ich, dass diese Parteien sehr große politische Fehler gemacht haben, durch welche sie jetzt geschwächt sind.

Wie kann eine Stadt wie Wien, ein Land wie Österreich oder die Europäische Union die Demokratie in Azerbaijan unterstützen?

Ich denke Europa sollte hinter Werten wie Respekt für Menschenrechte, Demokratie, „good governance“ und Transparenz stehen. Vor allem Länder, die Mitglieder der Europäischen Union sind, wie Österreich, sollten bei internationalen Foren mehr über Menschenrechtsprobleme in Aserbaidschan reden, zumal Aserbaidschan ein Mitglied des Europarats und der OSZE ist. Europäische Politiker_innen im Europarat sollten aufmerksamer gegenüber den Menschenrechten in Aserbaidschan sein und die Regierung auffordern die Situation zu verändern und dabei nicht zögerlich agieren. Mir hat die Position der europäischen Medien vor und während des Eurovision Song Contest 2012 sehr gefallen, die bemüht waren, Menschenrechtsthemen aufzugreifen. Theoretisch kann Aserbaidschan diesen Wettbewerb wieder gewinnen und wir werden dasselbe Interesse von Europa erwarten. Aserbaidschan wird Gastgeber der ersten Europäischen Olympischen Spiele sein, was wiederum Aufmerksamkeit nach Aserbaidschan bringen wird. Europa sollte diese Möglichkeit nützen hinsichtlich der Erläuterung der Wichtigkeit von Menschenrechten und Demokratie. Wenn Ilham Alijew nach Europa reist und Treffen mit europäischen PolitikerInnen hat, müssen diese Menschenrechtsthemen aufwerfen und nicht nur über Geschäfte und Energiesicherheit reden.

Politik beim Eurovision Song Contest einst und heute.

Dieses Jahr findet der Eurovision Song Contest 2012 in Baku, der Hauptstadt von Aserbaidschan, statt. Über die dortigen politischen Verhältnisse wird bereits intensiv diskutiert (siehe etwa diesen Beitrag des deutschen Fernsehens).

Ob und wie Politik – abseits von Punkte an „Freunde“ – eine Rolle spielen soll oder darf, ist schon lange Gegenstand vieler emotional geführter Debatten seit es den ESC gibt. In erster Linie soll es um das Völkerverbindende gehen, sagen immer alle einhellig. Das stimmt ja auch. Was aber, wenn ein Beitrag die Politik selbst zum Thema macht? Es war immer schon Tradition auch Politik zu besingen. Oder was, wenn ein Land ein Lied zur Verherrlichung seines Diktators schickt, so wie Belarus 2012 in Düsseldorf?

Blicken wir einmal in die Geschichte des ESC, und erzählen wir einige von vielen Geschichten!

1956 – Kalter Krieg

Als 1956 der erste Eurovision Song Contest in Lugano über die Bühne ging, war Europa fest im Griff des Kalten Krieges, der den Zweiten Weltkrieg ablöste. Das blieb auch in Osteuropa nicht unbemerkt. Der ESC war dort recht erfolgreich – wenn auch illegal. Eine Gegenveranstaltung musste her! Das geschah dann auch: 1961 ging das Sopot Song Festival erstmals on air. Allerdings nie mit dem selben Erfolg.

Der erste Sieg beim ESC 1956 ging an Lys Assia aus der Schweiz mit Refrain. 2012 wollte es die rüstige Dame noch einmal wissen und trat bei der eidgenössischen Vorausscheidung an, konnte aber nicht siegen.

1968 – Spanien, Franco und 2 Jahre Krise

1968 – so besagen es immer mehr Indizien – erkaufte sich das Spanien Francos den Sieg. Die Vorausscheidung war schon politisch genug! Manuel da la Calva schrieb den Song La la la. Allerdings wurde der Song von Joan Manuel Serrat katalanisch vorgetragen und das gefiel dem Franco-Regime gar nicht, aber Serrat wollte es nicht Spanisch singen, obwohl er eine spanische Aufnahme publizierte. Also musste Massiel das Lied singen. Und zwar Spanisch. Juroren und Jurorinnen wurden gekauft, wie das spanische Fernsehen einmal dokumentierte. Und so gewann dieses Liedchen. Cliff Richard – der Topfavorit 1968 – hatte das Nachsehen und konnte mit Congratulations und einem Punkt Abstand nur den 2. Platz belegen. Somit fand der ESC 1969 in Spanien statt. Österreich und andere Länder boykottierten die Diktatur. Dann gewannen dort auch noch 4 Songs gleichzeitig, was dazu führte, dass 1970 kaum noch ein Land am ESC teilnehmen wollte. Der Bewerb stand 2 Jahre lang an der Kippe.

So hätte 1968 der spanische Beitrag eigentlich vorgetragen werden sollen. Das missfiel allerdings dem Franco-Regime. Also musste Massiel ran. Sie gewann nicht ganz ehrlich, wie man heute weiß.

1974 – Revolution in Portugal beim ESC

Eines der bewegendsten Geschichten handelt über den portugiesischen Beitrag 1974. E depois de adeus wurde zur Hymne der Nelkenrevolution 1974. Portugal litt damals unter dem Diktator Marcello Caetano. Paulo de Carvalhos Beitrag landete zwar nur auf dem 14. Platz, aber sein Song war das Startzeichen der Nelkenrevolution, der friedlichen Bewegung der Streitkräfte (MFA) am 24. April 1974. Es war ausgemacht, dass der Marsch auf Lissabon starten soll, wenn das Lied im Radio gespielt wird. Das geschah an diesem Tag um 23 Uhr. Der Rest ist Geschichte, samt Demokratie, EU-Beitritt etc.

Bewegender Zusammenschnitt von Bildern der Nelkenrevolution 1974 eines YouTube-Users mit dem portugiesischen Eurovisionsbeitrag aus dem selben Jahr, der Eurovisionsgeschichte schrieb. Und das trotz Erfolglosigkeit beim Bewerb selbst.

1974 – Italien hat ein Problem

Im selben Jahr hatte Italien ein Problem. Gigliola Cinquetti, Superstar von Deutschland bis Japan und Siegerin 1964, trat mit dem wunderbaren Song Sì an und landete hinter Schwedens Gruppe Abba und ihrem Waterloo auf dem 2. Platz. Blöderweise fand aber in Italien am nächsten Tag ein Referendum statt, in der ein neues Scheidungsrecht zur Abstimmung stand. Die RAI fand Sì (Ja) daher zu manipulativ, zeigte den ESC erst Wochen später in einer Aufzeichnung. Das Referendum endete trotzdem mit einem „Ja“ zum modernen Scheidungsrecht und mir persönlich brachte diese Geschichte einmal einen 300-Euro-Büchergutschein bei der ORF-Sendung Was gibt es Neues?

Ein Songtitel bereitet der RAI Probleme: Gigliola Cinquetti belegte mit Sì hinter Abba den 2. Platz.

1982 – Friedensbewegung, Anti-Atomwaffen-Bewegung und trotzdem Null Punkte

In den 1980-er Jahren war die Friedensbewegung in einer Hochblüte. Das Aufrüsten im Kalten Krieg trieb europaweit Menschen auf die Straße. Sie demonstrierten gegen Pershings und anderen Raketen. Besonders Finnland litt durch die lange Grenze zu Russland darunter. Also sang 1982 ein gewisser Kojo Nuku pomiin (Atombombe) und klagte das atomare Wettrüsten an. Allerdings belohnten die Juries das keineswegs. Nicoles Friedensappelle kamen besser an als eine rockige Anklage: Null Punkte für Finnland.

Das finnische Anti-Atombomben-Engagement blieb von der Jury unbelohnt: Zero points.

1997 – Schwules Lebensgefühl aus Island

Dass der ESC immer schon besonders bei schwulen Männern beliebt war, galt lange als Fakt des ESCs. Nur offen gezeigt oder ausgesprochen wurde das nicht. Zwar galt bereits das luxemburgische Siegerlied 1961 Nous les amoureux als Schwulensong, nur musste man zwischen den Zeilen hören und fühlen. Mit Paul Oscar aka Páll Óskar Hjálmtýsson aus Island änderte sich das. Sein Beitrag Minn hinsti dans wurde sehr schwul vorgetragen. Und bis heute gilt er in Europa als Schwulenikone. Ein Jahr danach gewann die Transsexuelle Dana International für Israel.

1996 fand die erste Regenbogenparade auf der Wiener Ringstraße statt. Ein jahr später quasi auf der Bühne des Eurovision Song Contest. Da alle Live-Auftritte 1997 auf YouTube fürs Einbetten deaktiviert wurden hier das Video zum Song Minn hinsti dans.

2005 – Die Orange Revolution

Die Dramaturgie war perfekt. 2004 gewann die Ukraine den Eurovision Song Contest in Istanbul. Der Bewerb fand 2005 in Kiew statt und stand ganz unter dem Eindruck der Orangen Revolution. Zum ersten Mal betrat ein Präsident die Bühne und der ukrainische Beitrag war die Revolutionshymne schlechthin.

Die ukrainische Revolutionshymne Razom nas bahato von Greenjolly beim Eurovision Song Contest 2005 in Kiew.

2009 – Georgien, Russland, der Krieg und der ESC

2008 fand der Kaukasuskrieg zwischen Georgien und Russland statt. 2009 wollte Georgien trotzdem beim Eurovision Song Contest auftreten, der pikanterweise in Moskau stattfand. Georgien wählte den Song We Don’t Wanna Put In – ein Affront für Russland. Die EBU beugte sich dem Druck des Putin-Regimes und bat Georgien um einen anderen Song. Die zogen sich darauf für ein Jahr aus dem Wettbewerb zurück.

We don’t wanna put in wurde weder von Russland noch von der EBU falsch verstanden. Das Lied durfte 2009 in Moskau nicht gesungen werden. Georgien pausierte ein Jahr.

2009 – Israel und eine arabische Hälfte.

Israel sorgte mehrmals für politische Fragestellungen rund um den Eurovision Song Contest. 1980 nahm Marokko nur deshalb Teil, weil Israel im Johnny Logan-Jahr pausierte. 1998 sorgte der Sieg der transsexuellen Dana International für heftige Diskussionen in Israel und beeinflusste die lesbisch-schwule Emanzipation in Israel ganz wesentlich. 2005 wollte der Libanon am ESC teilnehmen, wollte aber die Sendung während des israelischen Beitrags ausblenden. Das erlaubte ihnen die EBU jedoch nicht und Libanon musste sein bereits gewähltes Lied wieder zurückziehen. 2009 sang die arabische Sängerin Mira Awad mit Noah There Must Be Another Way. Da Awad den Staat Israel repräsentierte, bekam sie ziemliche Probleme mit radikalen Islamisten rund um die Hamas. Boykottaufrufe wurden laut.

Hebräisch, Arabisch und Englisch in einem Song. Das war der radikalen Hamas zu viel.

Und 2012 in Aserbaidschan?

Wir werden sehen. Vielleicht wird ja Conchita Wurst für politisches Aufsehen sorgen, wenn sie singt, man soll zu sich stehen und dabei nie leise sein. Aber das werden wir heute Abend erst wissen. Oder in den nächsten Wochen.