Diskutieren wir bitte Heteronormativität.

Als die Turbulenzen rund um das Café Rosa medial ausgeschlachtet wurden, verschob sich der Fokus und die Kritik schnell auf die vielen „Anti-„-Grundsätze, die der Freiraum für Studentinnen und Studenten in seinen Statuten geschrieben hat. Unter anderem steht da anti-heteronormativ. Was etwa den Kurier-Leitartikler Peter Rabl dazu veranlasste von „Anti-Gestammel“ zu twittern. Oder Hans Rauscher im Standard so. Kommentator_innen war es vor allem der Begriff „anti-heteronormativ“, der sauer aufstieß. Auch unter aufgeklärten Menschen.

Zugegeben: Man kann darüber diskutieren, ob viele „Anti-“ Bezeichnungen klug sind, und ob nicht positive Begriffe möglich sind. Gleichzeitig aber werde ich wütend, wenn gerade die Anti-Heteronormativität angegriffen wird. Klar, bin ich ja bekanntermaßen ein Kämpfer für gleiche Rechte und Akzeptanz von Lesben, Schwulen und Transgendern.

Der viel diskutierte Begriff stammt aus der Queer-Theorie. Er wurde erstmals 1991 von Michael Warner verwendet, der die Queer Theorie u.a. mit Judith Butler begründete.

Der Begriff Heteronormativität bedeutet, dass Heterosexualität – mit all seinen Konsequenzen – die Norm darstellt:

dass man davon ausgeht, dass Männer prinzipiell Frauen begehren, und umgekehrt.
dass es nur zwei Geschlechter gibt.
dass Männer und Frauen sich diesem System unterzuordnen haben.
dass Geschlechterrollen dadurch vorgegeben sind (Muttersein, Vatersein, etc.)
dass es nur eine richtige Geschlechtsidentität und eine sexuelle Orientierung gibt, die der Norm entspricht – also „normal“ ist. Alles andere ist dadurch zwangsläufig „abnormal“.
dass das biologische Geschlecht das alles entscheidende Geschlecht ist.

Die Queer Theorie hat die Heteronormativität so genannt, um deutlich zu machen, dass es für viele Menschen in diesem vorgegebenen und als „natürlich“ definierten System keinen Platz für andere Formen gibt. Transsexuelle und Intersexuelle entsprechen nicht dieser Norm, weil sie sich nicht in bipolare Geschlechter einteilen lassen. Lesben, Schwule und Bisexuelle passen nicht in dieses System, weil sie nicht gegengeschlechtlich begehren.

Heteronormativität hat in der Praxis enorme Folgen. Wenn etwa Eltern prinzipiell davon ausgehen, dass der Sohn mal eine Freundin haben wird, später heiraten wird und viele tolle Kinder bekommt, oder die Tochter lieber ein Junge wäre und dies schon früh artikuliert, ohne dass die Eltern das wahrhaben wollen, dann schafft diese Normierung der Gesellschaft tragische Folgen:

Die Suizidrate unter Jugendlichen im Coming-out (egal ob aufgrund von Homo- oder Transsexualität) ist erwiesenermaßen hoch, weil die Angst zu groß ist, die an einem gesetzten Erwartungen von Eltern, Freunden und Freundinnen und der Verwandtschaft zu enttäuschen.
Dass Transgender oder Homosexuelle zu einem viel späteren Coming-out gezwungen werden (wenn es überhaupt passiert) oder die Geschlechtsidentität unterdrücken, was oft zu Selbsthass führt („internalisierte Homophobie“).
Unterdrückung führt zu psychischen Erkrankungen.
Normen festlegen führt automatisch dazu, andere nicht in diese Norm passende Lebensweisen abzulehnen, zu verfolgen, unter Strafe zu stellen (sowohl rechtlich bis zur Todesstrafe, als auch privat z.B. durch Rauswurf aus dem elterlichen Heim).
Im besten Fall lebt ein Schwuler, oder eine Lesbe ihr Leben in einem heterosexistischen Umfeld zwar aus, aber versteckt. Das führt nicht zu mehr Akzeptanz oder politischen Fortschritten, sondern stärkt sogar die festgesetzte Norm.

Es gäbe noch mehr Beispiele, die hier azuführen wären.

Gerade heute erreichte mich eine private Nachricht, in der ich gebeten wurde, meine sexuelle Orientierung doch bitte nicht so öffentlich zu machen, denn das sei ausschließlich privat. Das wäre genau dieses Festhalten an Heteronormativität mit all den tragischen Konsequenzen. Diese Nachricht veranlasste mich auch diesen Blogbeitrag zu schreiben.

Und nochmal für alle:

Mein Schwulsein mache ich öffentlich, weil es politisch ist. Weil in den letzten Jahrzehnten immer mehr Lesben und Schwule sowie Transgender dazu stehen, es ihrem eigenen Umfeld in der Familie, unter Freund_innen und am Arbeitsplatz erzählt haben, kennen immer mehr Menschen selbst und persönlich Lesben, Schwule und Transgender. Das hat erheblich zu einer höheren Akzeptanz beigetragen. Und ich hoffe eh, dass wir eine Stufe erreichen werden, wo auch öffentliche Bekenntnisse unnötig sind. Aber davon sind wir weit entfernt! Gerade in Österreich sind es etwa nur ganz, ganz wenig Prominente, die dazu stehen. Im vergleich zu anderen westeuropäische Ländern sind es hier sehr wenige. Kaum Role-Models weit und breit.

Allerdings: Wie ich mein Schwulsein auslebe – ja das geht tatsächlich niemandem etwas an. Das ist privat. Aber sicher nicht die sexuelle Orientierung an sich! Lesben und Schwule haben irgendwann bewusst statt „Homosexualität“ die Bezeichnungen „lesbisch“ oder „schwul“ für sich verwendet, weil schwul und lesbisch Leben ja viel mehr ist als nur die Sexualität!

Wer die Heteronormativität verteidigt – manchmal sogar unbewusst – sollte sich klar machen, dass er oder sie damit zum Beispiel die hohe Suizidraten unterstützt. Think about it!