Doppelmoral in Kärnten: Das schwierige schwule Leben in der Provinz.

Im Fernsehen läuft gerade das Begräbnis von Jörg Haider. Staatstragende Menschen, Haiders Familie, PolitikerInnen aller Art, Ex-MinisterInnen,…
 
Seit gestern wissen wir mehr oder weniger offiziell, wie Haider die letzten Stunden vor seinem tragischen Tod verbracht hat. Gerüchte gab es ja immer schon und bereits einige Tage nach seinem Tod erzählten mir Freunde, dass er im Stadtkrämer war – das Schwulenlokal Klagenfurts, wo auch die Grünen Andersrum Kärnten gerne Veranstaltungen durchführen…

Im Fernsehen spricht soeben Ex-Minister Böhmdorfer und erzählt von Haiders Familie – seinem „Fundament“… 
Wirklich überraschend kommen die Statements zum Privatleben Haiders wohl nicht wirklich. Schon jahrelang gab es Outingversuche, Gerüchte, Fotos von Komasauf-Parties mit Landeshauptmann samt Jungs, usw. Es war die FPÖ, die auf der Vorurteilsklaviatur zu spielen begann und im vergangenen Wahlkampf lieber von „warmen Brüdern“ als vom BZÖ sprach. Auch ich wurde immer wieder angesprochen, wie das denn nun sei mit Haiders Homo- oder Bsexualität. Ich antwortete immer in etwa: Ich kenne ihn nicht persönlich. Ich habe auch davon gehört. Seine Partei hat immer gegen die Gleichstellung von Lesben und Schwule gestimmt. Angehörige seiner Partei haben oft extrem homophobe Sprüche gesagt. Nein, Jörg Haider selber nicht. Ich bin gegen Zwangsoutings.

Die Sonne fiel vom Himmel (Immer noch!). In Kärnten sind die Uhren stehen geblieben, heißt es beim Begräbnis vom neuen Landeshauptmann. 
Is Haiders sexuelle Orientierung privat? Ja! Ist Schwulsein oder Bisein überhaupt etwas Privates? Ja! Geht es der Öffentlichkeit etwas an? Nein, aber es gibt ein öffentliches Interesse – und genau hier liegt das Problem. Solang nämlich Coming-out Prozesse bei Jugendlichen mit großen Schwierigkeiten verbunden sind – sogar mit erhöhter Suizid-Gefahr -, Lesben und Schwule diskriminiert werden – egal ob staatlich im Recht, in der Arbeit, in der Familie -, müssen wir über Homosexualität reden, denn nur dann wird es sowas von normal, dass es niemandem mehr interessiert. Das ist der Hauptgrund, warum ich als offen schwuler Politiker agiere. Man ist erstens nicht mehr angreifbar, schafft zweitens Sichtbarkeit, kann drittens politisch agieren und bessere Rahmenbedingungen für Lesben und Schwule schaffen – und setzt schließlich das Signal: Sehr her, man kann ganz selbstbewusst schwul sein. Jörg Haider machte das nicht und das gibt dem Begräbnis, der aktuellen Berichterstattung und dem Gossip eine merkwürdige Note. Einerseits wird Haider glorifiziert, angebetet und betrauert. Und wenn über die letzten Stunden geredet wird, appelliert man mit den Worten Pietät und Respekt. Und was oder wer Haider war wird Gegenstand von Spekulation und Gerüchten, über die „man nicht reden darf“.

…Jörg, du hast vielen Menschen Freundschaft geschenkt…. 

Was bleibt? Eine Familie, die hoffentlich das wohl schwierige Zusammenleben auf die Reihe bekam. Ein junger Mann im Stadtkrämer, der mit Haider – laut Zeitungen – Vodka trank. Er hat es wohl am wenigsten verdient da hineingezogen werden und sein Foto in den Zeitungen wiederzufinden. Denn egal ob dieser junge Mann, Jörg Haider selbst oder andere schwule Männer und lesbische Frauen, die in ähnlichen Familien – oftmals nationalsozialistische Familien – aufwuchsen: Sie hatten es nicht leicht. Und oft mussten sich gerade solche Töchter und Söhne aus ländlich-konservativen oder nationalistischen Familien sich besonders behaupten, noch braver und kräftiger sein als die anderen, um nicht ganz ausgeschlossen zu werden. Das ist es, warum Haiders Tod bei mir Traurigkeit hinterlässt. Er tut – oder tat – mir im Grunde leid. Wie einfacher wäre es doch für alle gewesen, wäre offen damit umgegangen worden.

 

14 Gedanken zu „Doppelmoral in Kärnten: Das schwierige schwule Leben in der Provinz.“

  1. Ich glaube nicht, dass Haider schwul war. Nur weil er in so einem Lokal war, hat das rein gar nichts zu bedeuten. Es gibt viele Heteros die auch in solchen Locations verkehren und trotzdem keinen homosexuellen Sex haben; kenne da nämlich einige. Sie wollen nämlich nur Freundschaft, denn Schwule sind so sagen viele, die besten Freunde.

    „… wenn über die letzten Stunden geredet wird, appelliert man mit den Worten Pietät und Respekt.“
    Verstehe ich aber auch: Schließlich ist alles was in Privatsache geschieht privat und geht damit niemanden etwas an. Und Haider hat dies nunmal wirklich gut getrennt. Ich finde es eher pietätlos, wenn Politiker ihr Privatleben in der Öffentlichkeit in den Vordergrund stellen, so wie bei der Ministerin Kdolsky.

  2. Ich glaube nicht, dass Haider schwul war. Nur weil er in so einem Lokal war, hat das rein gar nichts zu bedeuten. Es gibt viele Heteros die auch in solchen Locations verkehren und trotzdem keinen homosexuellen Sex haben; kenne da nämlich einige. Sie wollen nämlich nur Freundschaft, denn Schwule sind so sagen viele, die besten Freunde.

    „… wenn über die letzten Stunden geredet wird, appelliert man mit den Worten Pietät und Respekt.“
    Verstehe ich aber auch: Schließlich ist alles was in Privatsache geschieht privat und geht damit niemanden etwas an. Und Haider hat dies nunmal wirklich gut getrennt. Ich finde es eher pietätlos, wenn Politiker ihr Privatleben in der Öffentlichkeit in den Vordergrund stellen, so wie bei der Ministerin Kdolsky.

  3. Irgendwie weiss ich nicht was ich recht was ich da glauben soll. Einerseits respektiere ich, dass Haider selbst sich nie in einer Weise geäußert hat (im Gegensatz zu zB Groer), die auch nur ansatzweise (wenn überhaupt) rechtfertigen würden ihn zu outen.

    Und dass der Boulevard gerade jetzt darüber herfällt ist niederträchtig und feig.

    Andererseits fragt man sich halt wirklich, was manche Politiker-Schöpfungen Haiders qualifiziert hat, wenn es nicht eine besondere persönliche Beziehung zu Ihm war (siehe Film „Der Wahlkämpfer“).

    Und zuletzt: Dass der Standard sich JEDE Diskussion darüber verbittet, ist eigentlich genauso entsetzlich.

    Unterm Strich: Bizarr, dass es nicht mehr steigerungsfähig ist. Trotzdem gebe ich Dir voll und ganz recht, Marco!

  4. Irgendwie weiss ich nicht was ich recht was ich da glauben soll. Einerseits respektiere ich, dass Haider selbst sich nie in einer Weise geäußert hat (im Gegensatz zu zB Groer), die auch nur ansatzweise (wenn überhaupt) rechtfertigen würden ihn zu outen.

    Und dass der Boulevard gerade jetzt darüber herfällt ist niederträchtig und feig.

    Andererseits fragt man sich halt wirklich, was manche Politiker-Schöpfungen Haiders qualifiziert hat, wenn es nicht eine besondere persönliche Beziehung zu Ihm war (siehe Film „Der Wahlkämpfer“).

    Und zuletzt: Dass der Standard sich JEDE Diskussion darüber verbittet, ist eigentlich genauso entsetzlich.

    Unterm Strich: Bizarr, dass es nicht mehr steigerungsfähig ist. Trotzdem gebe ich Dir voll und ganz recht, Marco!

  5. Ist ein schwuler Haider ein besserer Haider? Ist er nicht mehr der, der „verdächtige“ nicht verurteilte Ausländer auf eine Alm verbannen wollte? Ist er nicht mehr einer der mit mehr als 140 km/h und 1.8 Promill durchs Ortsgebiet gerast ist und Gott sei dank nur sich selbst damit umgebracht hat?…

  6. Ist ein schwuler Haider ein besserer Haider? Ist er nicht mehr der, der „verdächtige“ nicht verurteilte Ausländer auf eine Alm verbannen wollte? Ist er nicht mehr einer der mit mehr als 140 km/h und 1.8 Promill durchs Ortsgebiet gerast ist und Gott sei dank nur sich selbst damit umgebracht hat?…

  7. Also dass Haider auch gern mal mit Männern rummachte, ist mittlerweile ohnehin klar. Die Frage ist eher, ob das irgendjemanden etwas angeht. Meiner Meinung nach schon. Zwar mag er selbst nie lautstark homophob aufgetreten sein, seine Parteikollegen taten dies jedoch umso mehr und trugen damit zu einer Stimmung im Land bei, die es homosexuellen Jugendlichen sicherlich nicht leichter gemacht hat, ihre Sexualität zu akzeptieren. Strache, Stadler, Kabas und der Rest des homophoben Ecks wären ohne Haider nicht denkbar. Er hat sie in Positionen gehoben, von denen aus sie medienwirksam ihre diskriminierenden Sichtweisen hinausposaunen durften.

  8. Also dass Haider auch gern mal mit Männern rummachte, ist mittlerweile ohnehin klar. Die Frage ist eher, ob das irgendjemanden etwas angeht. Meiner Meinung nach schon. Zwar mag er selbst nie lautstark homophob aufgetreten sein, seine Parteikollegen taten dies jedoch umso mehr und trugen damit zu einer Stimmung im Land bei, die es homosexuellen Jugendlichen sicherlich nicht leichter gemacht hat, ihre Sexualität zu akzeptieren. Strache, Stadler, Kabas und der Rest des homophoben Ecks wären ohne Haider nicht denkbar. Er hat sie in Positionen gehoben, von denen aus sie medienwirksam ihre diskriminierenden Sichtweisen hinausposaunen durften.

  9. Ein gut geschriebener Kommentar, Marco! Ich frag‘ mich allerdings, was an Zwangsoutings von Leuten verkehrt ist, die einer Partei vorstehen die homophobia zu einer ihrer Politikfelder erklaert (nebst Hetze gegen andere Minderheiten). Dass Haider dann selber vielleicht nicht solche Slogans verwendet hat scheint mir neither here nor there, to be honest. My 2 cents.

  10. Ein gut geschriebener Kommentar, Marco! Ich frag‘ mich allerdings, was an Zwangsoutings von Leuten verkehrt ist, die einer Partei vorstehen die homophobia zu einer ihrer Politikfelder erklaert (nebst Hetze gegen andere Minderheiten). Dass Haider dann selber vielleicht nicht solche Slogans verwendet hat scheint mir neither here nor there, to be honest. My 2 cents.

  11. Niemand sollte zu einem Zwangsouting getrieben werden, denn dann wären wir nicht besser als die anderen…(zu udo´s kommentar)

  12. Niemand sollte zu einem Zwangsouting getrieben werden, denn dann wären wir nicht besser als die anderen…(zu udo´s kommentar)

  13. „Der Aberglaube an die automatische Wirkung der Einsicht kommt außerhalb der schematischen Propaganda nur noch bei alten Mathematiklehrern vor.“

    Soweit der alte Pessimist Ernst Bloch. 😉

    Trotzdem bin ich felsenfest davon überzeugt: Auch angesichts der fortschreitenden Haider-Glorifizierung ist es mehr als legitim, den homophoben, xenophoben, kleinbürgerlich-verklemmten, moralinsauren, autoritätsgläubigen, oberflächenfetischierenden und sonstigen Segmenten von Haider-Wähler/innen die Lebenslügen ihres "Führers" unter die Nase zu reiben!

    Es liegt auf der Hand, dass eine große Zahl von erzkonservativen, reaktionären und opportunistischen Wähler/innen die FPÖ bzw. das BZÖ eben NICHT gewählt hätte, wenn sie über Haiders jahrzehntelanges Doppelleben und Doppelspiel (Haider schweigt zum Thema, Stadler, Klement & Co. hetzen gegen Schwule) Bescheid gewusst hätten!

  14. „Der Aberglaube an die automatische Wirkung der Einsicht kommt außerhalb der schematischen Propaganda nur noch bei alten Mathematiklehrern vor.“

    Soweit der alte Pessimist Ernst Bloch. 😉

    Trotzdem bin ich felsenfest davon überzeugt: Auch angesichts der fortschreitenden Haider-Glorifizierung ist es mehr als legitim, den homophoben, xenophoben, kleinbürgerlich-verklemmten, moralinsauren, autoritätsgläubigen, oberflächenfetischierenden und sonstigen Segmenten von Haider-Wähler/innen die Lebenslügen ihres "Führers" unter die Nase zu reiben!

    Es liegt auf der Hand, dass eine große Zahl von erzkonservativen, reaktionären und opportunistischen Wähler/innen die FPÖ bzw. das BZÖ eben NICHT gewählt hätte, wenn sie über Haiders jahrzehntelanges Doppelleben und Doppelspiel (Haider schweigt zum Thema, Stadler, Klement & Co. hetzen gegen Schwule) Bescheid gewusst hätten!

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