These 3: So etwas wie eine lesbisch-schwule Community gibt es kaum.

3.1. Szene- versus Klemmschwester oder Party- versus Schranklesbe

Es gibt zwei Möglichkeiten, als Lesbe oder Schwuler durch die Welt zu gehen (Ich spreche hier jetzt übrigens nur von solchen Menschen, die ihre eigene Bi-, Trans- oder Homosexualität akzeptiert haben und muss bei dieser These diejenigen, die ihre Sexualität verinnerlicht ablehnen vernachlässigen): Man steht dazu und sagt es seiner Umwelt, oder man verschweigt es. Natürlich gibt es auch hier einige Stufen dazwischen, aber um die These zu vereinfachen, belasse ich es bei den beiden äußersten Polen.

Ich behaupte, das Letztere nach wie vor die große Mehrheit darstellen. Wer Studien verfolgt, wie viele Menschen gleichgeschlechtliche Erfahrungen haben oder hatten (sogar wenn es sich mehrheitlich um solche Erfahrungen handelt), und wie viele Menschen geoutet durchs Leben gehen und eine lesbische, schwule oder transsexuelle Identität offen leben, so klaffen die Zahlen weit auseinander. Sind es im ersten Fall immer über 10{6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7}, stellen die offen Lebenden noch immer eine Minderheit der Minderheit dar. Merkwürdigerweise wird diese Tatsache oft verschwiegen.

Da sich viele derjenigen, die nicht geoutet durchs Leben gehen, trotzdem immer wieder ins queere Netzwerk und Infrastruktur begeben, klaffen die Unterschiede deutlich hervor. Geoutete lernen Ungeoutete kennen und irgendwie versteht man einander nicht, denn die einen finden die Nichtgeouteten feig oder unterstellen ihnen verinnerlichte Homophobie (was manchmal, aber eben nicht immer zutrifft), während die Nichtgeouteten die offen lebenden Schwulen und Lesben als Bedrohung wahrnehmen, weil sie so gar nicht leben wollen, weil z.B. Verlustängste (Job, Familie, Freundeskreis) überwiegen oder andere Netzwerke einfach eine bedeutendere Rolle im Leben einnehmen als die LBST-Welt. Besonders queere Migrant_innen rutschen oft in ein Doppelleben.

3.2. Kompromisslose versus Zufriedene

Die politische queere Szene hat sich ebenso auseinander dividieren lassen. Auf der einen Seite gibt es diejenigen, die eine völlige und kompromisslose Gleichstellung wollen, die meinen, nur wenn alles gleich behandelt und gestellt ist, kann man von einer Gleichstellung sprechen. Diese Gruppe (in Österreich etwa das RKL, Die Grünen Andersrum, u.a.) gehen auch von einem aufklärerischen und antidiskriminierenden Weltbild aus: Auch wenn es schlechte Gesetze gibt, müssen alle vor diesem gleich gestellt sein, da nur das dem demokratischen Grundprinzip entspricht, damit eben alle gleich sind. Änderungen dieser Gesetze sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und betrifft auch Heteros.

Dem gegenüber stehen die Zufriedenen, die meinen, Lesben und Schwule haben eine eigene Lebenswelt, sind tatsächlich ‚anders‘, daher haben sie auch andere Gesetze zu haben, da das heterosexuelle Weltbild mit dem homosexuellen ohnehin nicht übereinstimmt, dass Lesben und Schwule etwas besseres verdient hätten als die Heteros (so argumentiert etwa Kurt Krickler und die HOSI Wien), und daher Sonderregelungen ausschließlich für Lesben und Schwule durchaus angebracht sind. Die Zufriedenen haben zwar noch in den 80-er und 90-er Jahren etwa gegen §209 (unterschiedliche Schutzalterbestimmung bis 2002) gearbeitet, finden aber etwa unterschiedliche Altersregelungen in EPG im Vergleich zur Ehe in Ordnung.

Auch in der Wirtschaft sind die Zufriedenen erkennbar: Zahlreiche Firmen setzen mittlerweile auf „Diversity Managment“, was sicherlich ein Fortschritt darstellt. Gleichzeitig birgt das Konzept auch eine Gefahr, die ich so umschreiben möchte: Spielten die Bosse und Aufsichtsräte – alle männlich, weiß und heterosexuell – vor 20 Jahren gemeinsam am Golfplatz, erzählten sie sich gegenseitig gerne, wie ungeeignet Frauen für die Führungsetagen und Lesben und Schwule überhaupt pfui sind. Jetzt – 20 Jahre später – erzählen sie sich, welche Gender Mainstreaming- und Diversity Management-Konzepte sie eingeführt haben – aber es sind immer noch die selben weißen, heterosexuellen Männer, die da am Golfplatz spielen. In die Führungsetagen haben es weder Frauen, schon gar keine Lesben noch Schwule gebracht (Ausnahmen bestätigen die Regel). Wenn es um den Machtsanspruch geht, hört sich jedes Gender Mainstreaming und jedes Diversity Konzept auf – was übrigens nicht nur Lesben, Schwule und Transgender zu spüren bekommen, sondern auch etwa Zugewanderte und deren Nachfahren sowie andere diskriminierten Gruppen.

3.3. Queer versus Tradition

In akademischen Kreisen spielt die Queer Theory eine große Rolle. Nichtdestotrotz leben auch zahlreiche Lesben, Bisexuelle, Schwule und Transgender – wahrscheinlich die überwiegende Mehrheit – in klassischen Rollenverständnissen ihrer weiblichen oder männlichen Identität. Sogar bei Transgender lässt sich hier eine Spaltung feststellen: Sind manche Transgender (allerdings eine Minderheit) bei der Anpassung des Geschlechts radikal und sogar der Meinung, dass nur eine völlige Geschlechtsanpassung zu einer neuen „gegengeschlechtlichen“ Identität führen kann, finden andere die vielen Aspekte zwischen männlich und weiblich besonders wichtig, da es nämlich mehr gibt als nur ausschließlich weiblich oder ausschließlich männlich. Für letztere überwiegt das soziale Geschlecht.

Queere Menschen verstehen sich als Menschen, die die Heteronormativität überwunden haben. Dazu zählen sich übrigens auch viele Heteras und Heteros. Klassisch als Lesben und Schwule lebende Menschen wiederum erfahren sich selbst durchaus als Hetero-Gegenpol. Das sind zwei völlig unterschiedliche Perspektiven auf die Gesellschaft.

3.4. Rollenbilder

Gemeinsam bleibt allen schwulen Männern, dass sie in einer Männerwelt nicht als „echte Männer“ wahrgenommen werden, was dazu führt, dass in heterosexuell-männlichen Netzwerken besondere Vorsicht angebracht scheint und Outings seltene Ausnahmen darstellen (z.B. Fußball, Militär, etc.). Lesben werden ebenso gerne nicht als „echte Frauen“ wahrgenommen – interessanterweise vor allem von heterosexuellen Männern – , was dazu führt dass Lesben gerne übersehen, marginalisiert und als nicht bedeutend dargestellt werden. Transgender entsprechen wiederum ohnehin keinem klassischem Rollenbild einer bipolaren Geschlechterwelt und werden auch von Lesben und Schwulen oftmals nicht als „Männer“ oder „Frauen“ wahrgenommen und ausgegrenzt. So haben transsexuelle Frauen im FZ-Beisl im WUK noch immer keinen Zugang.

Lesben, Bisexuelle, Schwule und Transgender sind in diesen Fragen mitten in einer gesamtgesellschaftlichen Debatte angelangt, haben es aber teilweise noch gar nicht begriffen. Hier hat die moderne Frauenbewegung und die Emanzipation eine große Rolle gespielt und unglaublich viel geleistet. Gleichzeitig befindet sich der Mann – glaubt man Psycholog_innen und Soziolog_innen – in einer Krise um seine Stellung in der Gesellschaft. Das alles hat auch zur Krise des schwulen Mannes geführt: Einerseits musste er immer sein „Mann sein“ beweisen, andererseits steht auch die Männlichkeit an sich in einer Sinnkrise, ja werden schwule Männer gerade durch die Krise des Mannes als Feindbild gesehen, da sie – aus Sicht des heterosexuellen traditionellen Mannes – diese Rolle des Mannes ja an sich bedrohen.

(Dass ich hier die Frage des Frauen-Rollenbilds nicht konkreter anspreche, liegt freilich in meiner persönlichen Betrachtung der Sachlage. Ich wäre dankbar, wenn hier eine Frau eine These oder Gegenthese als Gastkommentar hinzufügen möchte.)

8 Gedanken zu „These 3: So etwas wie eine lesbisch-schwule Community gibt es kaum.“

  1. Hm. Das ist ja viel zum Nachdenken. Das mit den Queers und den Lesben/Schwule muss ich aber so unterzeichnen. Ich habe den Eindruck, dass das vielmehr ein Generationenkonflikt innerhalb der Szene ist. Junge Leute pfeifen auf rein schwule oder rein lesbische Räume, Lokale, etc. Sie sehen sich mittlerweile anders, als ältere Generationen, die sich historisch anders abgrenzen mussten um überhaupt überleben zu können.

  2. Hm. Das ist ja viel zum Nachdenken. Das mit den Queers und den Lesben/Schwule muss ich aber so unterzeichnen. Ich habe den Eindruck, dass das vielmehr ein Generationenkonflikt innerhalb der Szene ist. Junge Leute pfeifen auf rein schwule oder rein lesbische Räume, Lokale, etc. Sie sehen sich mittlerweile anders, als ältere Generationen, die sich historisch anders abgrenzen mussten um überhaupt überleben zu können.

  3. wirklich guter Artikel, mit diesen Thesen kann ich mich viel eher anfreunden als in ihrer Ausgangsfassung.

    Einziger Makel, es gibt durchaus Aversionen gegen die Schwulenszene, die von Menschen getragen werden, welche ihre Sexualität offen und geoutet ausleben. Definitiv ist die von dir dargestellt Gruppe groß, aber, meiner Meinung nach, nicht der einzige Grund für die riesigie Dunkelziffer zwischen den offen lebenden LesBiSchwulen und den proklamierten 10{6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7}.

    nochmal mein Artikel, ich stehe dazu: http://socialhack.eu/wp/2010/03/queer-szene-in-wien/

  4. wirklich guter Artikel, mit diesen Thesen kann ich mich viel eher anfreunden als in ihrer Ausgangsfassung.

    Einziger Makel, es gibt durchaus Aversionen gegen die Schwulenszene, die von Menschen getragen werden, welche ihre Sexualität offen und geoutet ausleben. Definitiv ist die von dir dargestellt Gruppe groß, aber, meiner Meinung nach, nicht der einzige Grund für die riesigie Dunkelziffer zwischen den offen lebenden LesBiSchwulen und den proklamierten 10{6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7}.

    nochmal mein Artikel, ich stehe dazu: http://socialhack.eu/wp/2010/03/queer-szene-in-wien/

  5. Liebe Leute,

    also… ehrlich gesagt, bekomme ich etwas Angst wenn ich so einen Text lese.
    Ich habe Angst, dass hier ein ebenso naiver, wie gefährlicher "die-sexuelle-Orientierung-spielt-keine-Rolle-Diskurs" betrieben wird. Ich finde das gefährlich, da hierdurch wichtige Ressourcen, wie zB kulturelle Eigenständigkeit, oder auch "nur" qualitätsvolle Aufreißräume preisgegeben werden. Ich bin nicht bereit, alle halbwegs erstrebenswerten Veranstaltungen am Freitag- und Samstagabend der Vorherrschaft der Heterosexuellen zu überlassen und mich mit dem zu begnügen, was sie nicht haben wollen. Ich habe den Eindruck das hier kulturelles Kapital leichtfertig verschenkt wird.
    Was das FZ-Beisl angeht: ja hier wird eine Definition von "Frau" herangezogen, die viele nicht teilen. Diese ist sicher nicht bequem, aber deshalb lange nicht weniger legitim. Ich darf dazu einladen, dies endlich zu respektiren und sich andere abschreckende Beispiele für gefühlte Biggoterie und vor allem für Trans*-Diskriminierung zu suchen.
    So… ich weiß ich klinge wieder, als ob ich ein paar Löffel Weißheit zum Abendessen gehabt hätte, hoffe ich erhalte pointierten Widerspruch (oder auch Zustimmung), und leztendlich hoffe ich vor allem, dass meine Angst schwinden möge.

    Herzliche Grüße

    Felix

  6. Liebe Leute,

    also… ehrlich gesagt, bekomme ich etwas Angst wenn ich so einen Text lese.
    Ich habe Angst, dass hier ein ebenso naiver, wie gefährlicher "die-sexuelle-Orientierung-spielt-keine-Rolle-Diskurs" betrieben wird. Ich finde das gefährlich, da hierdurch wichtige Ressourcen, wie zB kulturelle Eigenständigkeit, oder auch "nur" qualitätsvolle Aufreißräume preisgegeben werden. Ich bin nicht bereit, alle halbwegs erstrebenswerten Veranstaltungen am Freitag- und Samstagabend der Vorherrschaft der Heterosexuellen zu überlassen und mich mit dem zu begnügen, was sie nicht haben wollen. Ich habe den Eindruck das hier kulturelles Kapital leichtfertig verschenkt wird.
    Was das FZ-Beisl angeht: ja hier wird eine Definition von "Frau" herangezogen, die viele nicht teilen. Diese ist sicher nicht bequem, aber deshalb lange nicht weniger legitim. Ich darf dazu einladen, dies endlich zu respektiren und sich andere abschreckende Beispiele für gefühlte Biggoterie und vor allem für Trans*-Diskriminierung zu suchen.
    So… ich weiß ich klinge wieder, als ob ich ein paar Löffel Weißheit zum Abendessen gehabt hätte, hoffe ich erhalte pointierten Widerspruch (oder auch Zustimmung), und leztendlich hoffe ich vor allem, dass meine Angst schwinden möge.

    Herzliche Grüße

    Felix

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