Fünf Jahre im Gemeinderat. Eine Bilanz. Ein Ausblick.

Die Wiener Legislaturperiode ist (fast) zu Ende. Was ich alles in den nächsten fünf Jahren vorhabe, werde ich in einem kommenden Beitrag schreiben. Vieles steht ja auch in unserem Wahlprogramm. Aber vieles, was in den vergangenen fünf spannendsten Jahren meines Lebens passierte, ist freilich auch schon ein Verweis in die Zukunft. Eine Bilanz ist wohl immer auch Ausblick. Aber gehen wir einmal ein paar wesentliche Punkte durch.DemokratieDas größte Problem, das ich in der Stadt Wien sehe, ist die Demokratie. Dass eine absolute Mehrheit nicht gut tut, konnte ich nahezu tagtäglich erleben. Aber bevor ich lange herumerzähle: Profil hat in diesem Beitrag das größte Problem ohnehin geschrieben. Daher möchte ich hier eher meine persönliche Perspektive kundtun:Als ich frisch in den Gemeinderat einzog, war ich natürlich beeindruckt. Das historische Haus, der historische Saal, der unbeschreiblich schöne Luster, die alten unbequemen Bänke, die Rituale… Aber: Die Diskussionen waren größtenteils wiederkäuend und reines Ritual. Bereits bei meiner zweiten Rede (bei der Erstrede sind sie eh immer alle recht höflich) dachte ich mir: Zu wem rede ich eigentlich? Hört mir hier – außer meinen Freund_innen – irgendjemand überhaupt zu? Alle blickten in Zeitungen und Notebooks.Ich werfe das meinen Kolleginnen und Kollegen mittlerweile gar nicht mehr vor. Es liegt am Setting. Wir debattieren noch so, wie meine Vorgänger im 19. Jahrhundert.Die wirklich interessanten Debatten finden auch ganz woanders statt: In den Ausschüssen und Kommissionen! Meine waren: Kulturausschuss, Tourismuskommission, Ehrenpensionen, Europakommission sowie Ersatzmitglied im Integrationsausschuss. Dort sitzen weniger Abgeordnete, die sind aber in diesen Bereichen mehr Experten und Expertinnen, konzentrieren ihre Arbeit besonders in diesen Bereichen. Man sitzt rund um einen Tisch: Das begünstigt gute Gespräche, Debatten und Austausch.Nur: Diese Ausschüsse sind nicht öffentlich! Größtenteils keine Protokolle, selten Gäste von außen, usw.Das Setting gehört unbedingt neu gedacht! Als ich auf CNN einmal ein parlamentarisches Hearing in den USA sah- live im TV – dachte ich mir: Das wäre doch was! Öffentliche Ausschüsse samt Livestream, Jede und jeder, der in diesem Ausschuss um Subventionen ansucht, kann dort erklären, wofür er oder sie das Geld braucht, Frage können gestellt werden, etc. Das wäre doch wirklich was! Keine Hintertür-Demokratie ohne Öffentlichkeit…KulturpolitikErgebnis obiger Überlegungen war, dass meine Kollegin Marie Ringler und ich die Ausschüsse auf unseren Blogs zumindest öffentlich machten.Marie Ringler und ich beackerten viele Kulturthemen zusammen, manche habe ich voran getrieben. Nur einige Ausschnitte meiner Arbeit:Gewista Kultur:Plakat-Monopol versus Freiplakatierungen war ein großes Thema, das ich in die Öffentlichkeit rücken konnte. Zwar noch ohne Erfolg, aber immerhin wurde der öffentliche Raum und die Frage: Wem gehört der eigentlich? stärker ins Licht gerückt. Link.Der Jüdische Friedhof Währing: Ich habe schon so viel gebloggt zu diesem Thema, dass ich nur kurz zusammenfassen möchte: Erst durch meine Initiative mit Tina Walzer wurde der vergessene Biedermeier-Friedhof wieder bekannt. 10.000 Folder wurden verteilt und waren Anfang des Jahres vergriffen, sodass ich soeben neue produzieren musste. Wir haben in dieser Legislaturperiode über 3.500 Menschen eingeladen, die das fast vergessene Areal zu besuchen. Vier Freiwilligentage halfen der Forschung. Ende 2009 war das Thema (das ohne mich gar keins gewesen wäre) auf der Tagesordnung im Bundeskanzleramt – mit den Landeshauptleuten von Wien und Niederösterreich. Eine Lösung liegt zwar noch nicht am Tisch, aber scheint in greifbarer Nähe. Ich will da dran bleiben! Link: Wikipedia-Artikel zum FriedhofKino- und Filmförderung: Wir haben immer wieder Anträge gestellt. Die Oscar-Preise für österreichische Filme gaben uns Rückenwind: Das wahrscheinlich beliebteste Kulturmedium unserer Zeit bekam höhere Förderungen. Was noch fehlt sind Investment-Hilfe für Arthouse-Kinos.Erinnerungspolitik: Nur ein kleines Thema vielleicht, aber der berührendste Moment meiner Laufbahn war, Miep Gies einen Goldenen Rathausmann zu überreichen. Ich schlug diesen Rathausmann vor, der Bürgermeister sagte ja, und ich durfte (leider indirekt) überreichen. Nur wenige Wochen später starb die in Wien geborenen Retterin der Anne Frank-Tagebücher.Urheberrecht: In diesem Jahr traute ich mir auch heiße Eisen anzufassen: Wie gehen wir um mit einem Urheberrecht aus dem 19. Jahrhundert, das nicht mehr zu den technologischen Rahmenbedingungen unserer Zeit passt?Queer PolitikNoch 2005 meinten viele, ein offen schwuler Gemeinderat muss aufpassen, dass er nicht ausschließlich auf seine sexuelle Orientierung reduziert wird. Ich fand und finde es richtig, dass ich diesen Schritt gemacht habe und konnte sogar vieles erreichen (mehr dazu hier). Hier nur einige wenige Punkte:Schulen: Gleich zu Beginn der Periode konnte ich erreichen, dass in jeder Schulbibliothek Coming-out Ratgeber und lesbische sowie schwule Literaturanthologien stehen.Erstklassige Rechte war eine riesige Community-Bewegung, die die VP-SP-Regierung daran erinnerte, dass nur eine völlige Gleichstellung von Partnerschaften akzeptabel ist, alles andere diskriminierend ist. Alle (außer SPÖ Politik betreibende Organisationen wie HOSI Wien) machten mit, ich war wohl so etwas wie eine Speerspitze.homohetero.at: Mehrsprachige Info zur Aufklärung über SexualitätStonewall in Wien: Die lesbisch-schwule Emanzipationsgeschichte als Zeitschrift und Film aufgearbeitet.Das schwierige Verhältnis zwischen Community und Wiener Polizei konnte ich aufgreifen, die Polizei für Sensibilisierungsprojekte gewinnen, mit den Gay Cops Austria zusammenarbeiten und mittlerweile ist dieses Thema wichtig bei der Wiener Polizei.Zuletzt schaffte ich durch Verhandlungen mit der SPÖ, dass Eingetragene Partnerschaften im Wiener Landesrecht als Familienangehörige gelten und konnte „vergessene“ Gesetze hineinverhandeln (siehe Artikel hier).EuropaAbgesehen von einer höchst erfolgreichen und spannenden Brüssel-Reise mit Blogger_innen, konnten wir einen Erfolg verbuchen: Mittlerweile ist auch die SPÖ und Michael Häupl dafür, dass Europathemen im Landtag behandelt werden. Denn viele Entscheidungen in Brüssel haben direkte Auswirkungen auf die Wiener Ebene – nur debattiert niemand
darüber! Vermutlich werden wir es 2011 schaffen, und die zahnlose Europakommission wird in einen Ausschuss verwandelt!Und:einen Antrag gegen Vorratsdatenspeicherung konnten wir durchbringen, für Open Data kämpfen (leider noch ohne Erfolg, aber ich bleibe zuversichtlich), und und und… Ich kann gar nicht alles aufzählen.Was mir sicher auch immer in Erinnerung bleiben wird: Einmal distanzierte ich mich von einem einstimmigen Beschluss des Gemeinderats, der gegen Israel gerichtet war. Dazu stehe ich heute immer noch und würde das wieder so tun.

4 Gedanken zu „Fünf Jahre im Gemeinderat. Eine Bilanz. Ein Ausblick.“

  1. Hallo Marco, du warst aus meiner Sicht in diesen fünf Jahren einer der aktivsten Grünen im Gemeinderat. Das sag ich nicht, weil ich dich kenne, sondern ich kenne dich, weil du aktiv warst/bist. Ein paar der Themen haben uns ja gemeinsam beschäftigt, jetzt ist wohl ein günstiger Moment, dein Engagement mal zumindest in diesem Kommentar zu würdigen.
    Alles Gute weiterhin,
    lG,
    Peter Drössler

  2. Hallo Marco, du warst aus meiner Sicht in diesen fünf Jahren einer der aktivsten Grünen im Gemeinderat. Das sag ich nicht, weil ich dich kenne, sondern ich kenne dich, weil du aktiv warst/bist. Ein paar der Themen haben uns ja gemeinsam beschäftigt, jetzt ist wohl ein günstiger Moment, dein Engagement mal zumindest in diesem Kommentar zu würdigen.
    Alles Gute weiterhin,
    lG,
    Peter Drössler

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