Ich bin kein Bobo. Oder der Irrtum eines Begriffs.

„Bobo!“ „Du bist so Bobo!“ „Die Bobos haben keine Ahnung vom richtigen Leben!“ So oder so ähnlich kann man es derzeit oft hören oder in diversen Internetforen immer wieder lesen. Vor allem seit der Krise, die 2008 begann.

Bobo ist für mich so ziemlich das Unwort des letzten Jahrzehnts, obwohl ich ihn anfangs auch verwendete. Es klang cool die innerstädtischen urbanen Menschen, die es sich dort bequem eingerichtet haben und aufgestiegen sind, als „bourgeois bohémien“ zu bezeichnen. Der Begriff stammt ursprünglich vom New York Times-Kolumnisten David Brooks. Er nannte in seinem 2001 veröffentlichtem Buch „Bobos in Paradise“ die urbane Gesellschaftsschicht so, die seit Ende der 90-er Jahre die Innenstädte bewohnen, es zu Geld gebracht haben, Karriere gemacht haben und dafür sorgen, dass ganze Stadtviertel für „Nicht-Bobos“ nicht mehr leistbar sind. Sie sind (waren?) so etwas wie die gemeinsamen Kinder der Alternativen (Hippies, Ökos, Studentisches Milieu) und der Kapitalisten (Yuppies, wie das in den 80-er Jahren hieß), aufgewachsen und sozialisiert im digitalen Zeitalter. So zumindest Brook.

Klang plausibel. Nur dass der Begriff seit 2008 zunehmen abwertend verwendet wird. Als ob die Bobos von Armut, vom Überlebenskampf einer Mehrheitsgesellschaft, vom Alltag außerhalb ihrer schicken urbanen Umgebung keine Ahnung haben würden. Als ob sie Menschen wären, die nicht zu Empathie oder sozialem, politischem oder sonstigem Engagement fähig wären.

Ich habe in meinem Freundeskreis viele, die als Bobos bezeichnet werden (könnten). Manche nennen sich selbst so. Andrea Maria Dusl verarbeitete die Wiener Form des Bobotums in ihrem Buch „Boboville“. Ich sag’s gleich: Ich hab das Buch immer noch (?) nicht gelesen, andere Bücher hatten immer gerade Priorität. Aber ich hab’s gekauft und es steht im Regal und wartet seit Jahren auf einen Blick von mir. Und irgendwie kam ich nie dazu, oder wollte nicht dazu kommen, wie auch immer. Vermutlich weil ich damals den Begriff Bobo schon nicht mehr ertragen konnte.

Warum mag ich den Begriff nicht?

Wenn ich die mir die so genannten Bobos in meinem Umfeld so ansehe, dann sind es zwangsläufig Kinder der 80-er und frühen 90-er. Damals studierten sie, machten sich Gedanken über ihre berufliche Zukunft und waren verunsichert. Die sicheren Jobs der Eltern gab es nicht mehr, – so mit 14 Monatsgehältern, fast unkündbare Stellen und die totale Sicherheit bis zum Tod. Man ging in die Großstadt (in Österreich also vorwiegend Wien), studierte und jobbte. Man angelte sich von Projekt zu Projekt, mit ein bisschen Glück (und Zeit!) beendete man sogar das Studium, arbeitete aber meistens schon anderswo intensiver, als man je hätte studieren können: In Werbeagenturen, in Galerien, in Redaktionen oder wo auch immer. Manchmal mit Fixgehalt, meistens mit Honorarnoten. Überleben in der Großstadt in der Hochzeit des Neoliberalismus. So war das. Ob man das nun gut oder schlecht findet: Es waren die realen Rahmenbedingungen, die alle vorfanden – ob man nun wollte oder nicht.

Und dann kam das Internet.

Mitte der 90-er Jahre waren die Menschen, die ein paar Jahre später eben Bobos genannt werden sollten, älter als ihre Eltern, als diese den Job bekamen, in denen sie immer noch arbeiteten. Und noch immer keine Sicherheit, wie es die Eltern hatten und haben. Aber was Neues passierte: Die digitale Revolution schritt voran. Man machte eifrig mit, denn man muss ja mit der Zeit gehen. Gab es zuvor ein paar gute Computer-Spezialisten und -Spezialistinnen war es plötzlich fast so etwas wie eine Masse, die sich vernetzte und mit dem Thema und den Geräten dazu auseinandersetzte. Von den Nerds zu den Geeks.

Man musste ja mit der Zeit gehen! Denn es war die Zeit des totalen Neoliberalismus. Informationsvorsprung war alles. Und jeder im Freundeskreis war nicht nur ein Freund oder eine Freundin, sondern gleichzeitig Mitbewerber und Mitbewerberin des Lebens.

Und ja: Manche haben es damals geschafft und Geld verdient. Mit neuen Ideen, mit Start-Ups, mit Kreativität, mit vernetztem Denken, die der neuen Zeit und den neuen Technologien entsprachen. Nein, nicht alle haben das geschafft – oh nein. Aber einige. Und diesen Menschen gab David Brooks dann ihren Namen.

Und die Realität?

Die meisten Bobos, die ich kenne sind vom Land in die Stadt gezogen. Nicht wenige entstammen kleinbürgerlichen Verhältnissen, aus denen sie ausbrachen. Die Stadt war nicht nur eine Gelegenheit, um auf die Uni zu gehen. Nein, es war der Platz, an dem man sich nicht mehr verstellen musste und brav Erwartungen erfüllen musste. Für den Vater mag das 14-Monatsgehalt mit unkündbarer Stelle bei der Post, beim Raiffeisen-Verband oder im Lagerhaus noch gereicht haben. Aber diese Stellen gab es nicht mehr, wurden sie doch allesamt von der älteren Generation festgehalten – und nicht hergegeben. In der Stadt konnte man moralische Kleinbürgerlichkeiten hinter sich lassen, offen schwul, offen lesbisch, offen tolerant leben. In der Stadt lernte man die neuen Perspektiven und die Vielfalt kennen, die Migranten und Migrantinnen, oder als Hetero auch mal die Lesben- und Schwulenszene. Und man fand es toll in der Stadt zu leben! Zurecht.

Währenddessen aber ist die Mutter, die alleine zu hause blieb um für die Kinder zu sorgen, Witwe geworden und kämpft plötzlich mit einer Mindestrente. Die Kinder, die die Bobos mittlerweile in die Welt setzten, beginnen nun auch ein Studium und sind noch verunsicherter, als es ihre „Bobo-Eltern“ in den frühen 90-er noch waren.

Und seit 2008 wären diese Menschen also, die sich ein freies Leben in den Innenstädten gönnen, für Elend und Armut verantwortlich? Der Begriff Bobo wird heutzutage fast nur noch mit schicken Städtereisen, Florentiner Kartoffeln, schickes Essen, schicke Kleidung und innerstädtisches Flair assoziiert. Ich jedenfalls finde es nicht schlimm, wenn sich Menschen ein Stück Freiheit gönnen, und ab und zu ein Stückerl Luxus. Würde ich jedem gönnen!

Aber zu glauben, urbane Menschen zwischen 35 und 45 hätten keine Ahnung von Armut und sozialen Problemen, haben selbst keine Ahnung. Denn wenn ich mich so umhöre, haben nahezu alle so genannten Bobos in meinem Umfeld irgendwo Wurzeln, die alles andere als Glamour und Schickimicki sind. Sie sind sich nie sicher, ob sie sich ihre Wohnung noch lange leisten können, arbeiten immer noch als Einzelunternehmer_innen oder hanteln sich von Projekt zu Projekt und haben verdammt wenig Sicherheitsnetz unter sich. Und ihren Familien.

Ich bin kein Bobo. Ich kenne Armut. Ich erlebe sie in der eigenen Familie. Und ich wohne trotzdem in der Stadt, als selbstbewusster schwuler Mann, der Freiheit, seine Wohnung, das offene Leben der Stadt genießt, sich hin und wieder ein kleines Luxus-Zuckerl im Leben gönnt, Glück mit einer politischen Karriere hatte, sich gleichzeitig ein kleines Unternehmen gründete, und der woanders gar nicht frei leben könnte. Ihr könnt mich nennen, wie ihr wollt, aber mich selbst als Bobo bezeichnen? No way! Wenn der Begriff ausschließlich mit einem glamourösen urbanen Leben assoziiert wird, dann ist er einfach grundfalsch und bezeichnet eine Gesellschaft, die es so nie gab. Ich werden den Begriff jedenfalls nicht mehr anwenden. Sozusagen ein Neujahrsvorsatz 2012. Einfach weil er hinten und vorne nicht mehr stimmt. Sollte er überhaupt je gestimmt haben.

Bundesrat 15.12.2011. Die Reden

Ich wurde emotional. Wenn man über Auschwitz-Birkenau redet, und weiß, dass Burschenschafter am Gedenktag der Befreiung des Vernichtungslagers in der Hofburg tanzen und da viele Freiheitliche dabei sein werden, ja dann wird man emotional.

Restaurierung Auschwitz-Birkenau / Abrechnung mit FPÖ und WKR-Ball

Das ehemalige Vernichtungslager und nunmehrige Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau muss dringend restauriert werden. Österreich trägt dazu bei und wird zugleich die österreichische Ausstellung vor Ort neu gestalten, begleitet vom Nationalfonds.

Bezeichnend: Kein einziger FP-Abgeordneter meldete sich zu Wort, sprach aber zugleich zu gut jedem anderen Punkt bei der Sitzung. Obwohl sie dafür stimmte, kritisiere ich Teile der FPÖ, die ständig am Gedankengut des Nationalsozialismus streifen. Und manche davon tanzen am 27.1. am Burschenschafter WKR-Ball – dem Tag an dem die Überlebenden von Auschwitz gedenken, denn an diesem Tag wurde 1945 Auschwitz befreit.

Medientransparenzgesetz

Eine Überraschung. Es brauchte zwar einen Skandal rund um ÖBB-Inserate seitens des damaligen Verkehrsministers und nunmehrigen Bundeskanzlers Werner Faymann und Begünstigungen für Boulevard-Medien seitens vieler Politiker_innen, aber jetzt wurde der Unfug überraschend gut neu geregelt. Hier erkläre ich warum.

Rundfunkgebühr / ORF-Gesetz

Das ORF- bzw. Rundfunkgebühren-Gesetz wurde so abgegeben, dass auch analoge Geräte, die eventuell einmal digital empfangen können, es aber derzeit nicht können, auch wenn der Besitzer oder die Besitzerin das gar nicht beabsichtigen, trotzdem ORF-Gebühren bezahlen müssen, obwohl diese analogen Geräte eh nichts mehr empfangen können. Unlogisch? Eben!

Bundesdienstrecht

Auch die Bundesbediensteten brauchen ein Recht. Die Novelle ist gut gelungen. Sowohl frauenpolitisch als auch für Praktikanten und Praktikantinnen, denn das Ausbeuten von Letzteren wird mit diesem Gesetz abgeschafft. Auch die Generation Praktikum bekommt im Bundesdienst nunmehr eine Abgeltung.

Bundesvergabegesetz

Wenn der Bund Aufträge zu vergeben hat, dann muss man sich das genauer anschauen. Gerade im Bereich Verteidigung, wo es nur einen Käufer – nämlich den Staat – und viele Firmen mit vielen Lobbyisten gibt.

Bundesrat 1.12.2011. Die Reden.

Der Bundesrat am 1.12.2011 fand am Welt-Aids-Tag statt. Deshalb trug ich nicht nur eine Rote Schleife, sondern ging auch in einer meiner Reden darauf ein.

Moderner Föderalismus

Die Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller kam in den Bundesrat um über „modernen Föderalismus“ zu sprechen. Es war im Übrigen eine durchaus gute und substanzielle Rede! Hier trotzdem eine Kritik, allem voran an die in der Verfassung nicht verankerte und vollkommen intransparente „Landeshauptleutekonferenz“. Und ich musste zum ersten Mal den Pult hochstellen, was durchaus zu Problemen führte. 🙂

Budgetdebatte, Schuldenbremse und die Vermögenssteuer

Das Budget kommt nie in den Bundesrat, dafür aber das Budgetbegleitgesetz. Trotzdem eine Gelegenheit zur Schuldenbremse, zur Eurokrise und zu einer Vermögenssteuer zu sprechen.

Bericht der Volksanwaltschaft 2010

Die Volksanwält_innen legten ihren Bericht 2010 vor und dieser wurde im Bundesrat (in einer ausgezeichneten Debatte) diskutiert. Dazu erwähne ich Beispiele zum Fremden- und Asylrecht, zur Gewerbeordnung (Vorverlegung von Sperrstunden von Lokalen) sowie zum Blutspendeverbot von Homosexuellen – es war ja Welt-Aids-Tag an diesem Sitzungstag.

Was man von Faymanns und Failmanns Social Media Auftritt lernen kann.

Dass der Social Media-Auftritt des Teams um Bundeskanzler Werner Faymann in die Hose gegangen ist, wurde in zahlreichen Artikeln, Interviews, Blogbeiträge usw. hinlänglich erklärt. Darauf will ich jetzt gar nicht eingehen, außer mit einem Satz: Erstaunlich, dass das Fehlermachen manchmal wie eine Spirale funktioniert, aus der man dann kaum noch rauskommt.

Was mir aber Sorgen macht ist der spöttische Unterton der zahlreichen Kritiker_innen, und es scheint einzig dieser Ton übrig zu bleiben. Spott dominiert. Nicht, dass der Auftritt keinen Spott vertragen würde, denn dieser ist nunmal kläglich gescheitert und – allem voran! – kostet er viel Steuergeld. Und so ist Werner Failmann in den sozialen Medien mittlerweile populärer als der Kanzler selbst. Und das vollkommen zurecht.

Nein, es geht um etwas Anderes:

Dass ein Bundeskanzler, eine Bundesregierung, ein Ministerium, ein Landesrat oder eine Stadträtin Social Media nutzt, ist nämlich prinzipiell richtig. Wie oft haben gerade die Social Media-Aficionados gefordert, die Politiker_innen sollen doch bitte in Dialog mit den Bürger_innen treten! Und wie sehr sich doch Social Media anbieten würden, um Tendenzen zu erspüren, um Entscheidungen mit diskutieren zu lassen, zuzuhören bzw. transparent zu gestalten, usw.

Ja, der Auftritt von Faymann hat grundlegende Spielregeln von Social Media missachtet, das steht außer Frage. Aber jetzt wäre es an der Zeit, dass wir – die Kritiker und Kritikerinnen – nicht mehr nur spötteln, verächtlich machen und grundsätzlich ablehnen. Denn ein funktionierender Auftritt einer Regierung in den neuen sozialen Medien (und anderswo natürlich genau so) sollte uns ein Anliegen sein. Nach der Zeit des Spottes ist jetzt konstruktive Kritik angesagt!

Wie ein Regierungsauftritt gut funktionieren kann, zeigt etwa Deutschland. Die Bundesregierung rund um Kanzlerin Angela Merkel hat einen Regierungssprecher installiert, der nach Außen kommuniziert. Er hat einen Namen (nämlich Steffen Seibert), ist ansprechbar, ist aus Fleisch und Blut und kein abstraktes „Team Kanzler“ usw. Zudem besteht der Auftritt aus einer Person und hat nebenbei auch noch andere Aufgaben als nur Social Media zu betreuen. Der deutsche Regierungssprecher ist somit billiger als ein Team, zumal er wohl ohnehin angestellt worden wäre – ob nun mit oder ohne Social Media-Auftritt. Siebert begann zu twittern und schaute einfach was daraus wurde. Und es wurde in diesem Fall – zumindest kommunikationstechnisch, ob politisch sei dahingestellt – ein Erfolg.

Daraus kann man lernen. Und fordern. Daher sage ich hier laut: Sagen wir dem Kanzler und seinem Team doch, wie wir uns das vorstellen! Sagen wir dem Kanzler und seinem Team, welche Erwartungen wir haben! Ganz konkret.

Stefan Bachleitner hat heute in seinem Blogbeitrag den Rücktritt von Werner Failmann gefordert, der Online-Persiflage auf den Bundeskanzler. Soweit würde ich nun nicht gehen (obwohl ich mir seit Erscheinen des Failmann-Humtata-Songs da auch nicht mehr so sicher bin), aber bei einer Sache hat er recht: Wenn berechtigte Kritik ausschließlich auf Spott ausgerichtet ist, dann fehlt einfach die Konstruktivität.

Warum?

Weil ich nicht will, dass der Spott und die Kritik dazu führt, dass Politiker und Politikerinnen deshalb keinen Social Media-Auftritt mehr machen, weil sie zu sehr Angst haben müssten sich die Finger zu verbrennen.

Werner Failmann soll meiner Meinung nach nicht zurücktreten. Aber Kritik soll eben auch mal konstruktiv sein. Und zu kritisieren gibt es bei dieser Bundesregierung und diesem Bundeskanzler ohnehin genug. Aber veröffentlichen soll er das bitte sehr wohl in Social Media-Kanälen. Und sich die Kritik anhören, wahrnehmen, zuhören und daraus lernen auch. Ob dies dann auch wirklich geschieht, steht freilich auf einem anderen Blatt.
PS: Noch eine kleine Anmerkung, nachdem ich soeben angerufen wurde und zur Klarstellung: Spott und kabarettistische Auseinandersetzung mit dem Korruptionssumpf, dem politisch überholten System, und all das, finde ich vollkommen richtig. Ich bezog mich in diesem Artikel einzig und allein auf den Spott zum Social Media-Auftritt!

25 Jahre Grüne. Eine ganz persönliche Erinnerung.

Als die Grünen 1983 dann doch nicht ins Parlament kamen, war ich enttäuscht. Obwohl ich damals erst 3 Tage vor meinem 14. Geburtstag war. Politik begann mich zu interessieren und zufällig sprach ich mit dem Lehrer meines Vertrauens darüber. Das war in der Hauptschule Bad Ischl. Dieser war nämlich enttäuscht, dass die Grünen (er wählte vermutlich die VGÖ, es kandidierte auch eine zweite Grüne Liste namens ALÖ) den Einzug nicht schafften. Ich mochte diesen Lehrer immer sehr und vertraute ihn. Meine erste Sympathie für die Grünen in meinem Leben! Ich erinnere mich auch, dass meine Eltern nach dem Umzug nach Österreich immer sehr entsetzt waren, wie stark die neue Wahlheimat von Proporz durchzogen war. Dass die Entscheidung zu welchem Sportverein, zu welchem Automobilclub, zu welcher Rettungsorganisation usw. man auch immer ging, es auch eine Entscheidung war, ob man zu einer roten oder schwarzen Organisation ging. Für niederländische Zuwanderer schlicht unfassbar.

Über ein Jahr später prägten die Ereignisse in Hainburg auch mich. Ich sog die Berichterstattung förmlich auf. Mir gefiel, was die Besetzer und Besetzerinnen der Au da machten. Ich war noch zu jung um selber hinzufahren, meine Eltern hätten das wohl auch kaum gestattet – zumal ich in einer Religion aufwuchs, die etwa die Teilnahme an Wahlen ablehnte.

Noch prägender war dann aber das Jahr 1986 – ein Schlüsseljahr meiner politischen Biografie – , ein Jahr, das sich in 2 Wörter zusammen fassen lässt: Waldheim und Tschernobyl. NS-Geschichte war zwangsläufig in meiner Familie ein großes Thema. Mein Geburtsort wurde von den Nazis nahezu vernichtet und zahlreiche Männer aus dem Dorf kamen in KZs um. Die andere Hälfte der Familie kam aus dem von den Nazis völlig zerstörtem Rotterdam. Zeugen Jehovas, die Religion in der ich aufwuchs, wurde von den Nazis verfolgt. So etwas prägt. Wie dann rund um Waldheims Kandidatur hierzulande mit Österreichs NS-Geschichte umgegangen wurde, entsetzte uns alle. Die Atomkatastrophe von Tschernobyl traf das Salzkammergut besonders hart. Ich bekam klare Anweisungen was ich tun durfte und was ich nicht tun durfte. Ich sah nur eine Kraft, die in beiden Fällen das aussprach, was ich mir dachte. Und das waren die Grünen. Und die kamen ins Parlament. Und ich freute mich riesig.

Wahlberechtigt war ich aber auch die kommenden Jahre nicht, als ich dann bereits über 18 Jahre alt war. Ich blieb Niederländer, denn ich wartete verzweifelt darauf, dass auch Österreich endlich eine Doppelstaatsbürgerschaft einführt. Ich sah überhaupt nicht ein, dass ein Staat vorschreibt, welche Identität man hat und negiert, dass man auch mehrere Identitäten gleichzeitig haben kann in einer mobil gewordenen Welt. Und wieder waren es nur die Grünen, die dieses Problem thematisierten. Sie hatten meine volle Unterstützung, wenn auch nicht mittels Kreuzchen bei Wahlen. Und dann war noch die Sache mit der Homosexualität. Und es war eine Politikerin- ihr name: Terezija Stoisits – die ich diesbezüglich vertraute und die in meinem Sinne Gleichberechtigung forderte. Und freilich Heide Schmidt vom Liberalen Forum, was ich hier keineswegs verheimlichen möchte. Nebenbei wuchs 1986 Ausländerfeindlichkeit und Haiders FPÖ. Und natürlich war ich 1993 beim Lichtermeer dabei.

Dass ich dann – Jahre später – den Festakt „25 Jahre Grüne im Parlament“ einmal moderieren würde, konnte ich damals weder ahnen und auch nicht erträumen. Wie es dazu kam ist eh bekannt: 2001 bekam ich eine Email von Maria Vassilakou und den Grünen Andersrum (es leben die Newsletter!) mit der Frage: „Wer traut sich für mich zu arbeiten?“, ich bewarb mich, wurde Vassilakous Mitarbeiter, kandidierte 2005 für den Landtag und so weiter…

Nun wäre natürlich der Moment, in der ich über die kommenden 25 Jahre reden müsste, über die großen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft, über die Demokratiekrise und all die Krisen überhaupt. Über die Rolle, die Chancen und die Gefahren für die Grünen. Aber belassen wir es in diesem Blogbeitrag einmal beim Blick zurück.

Nur noch dies:

Immer wenn ich in Wahlkämpfen unterwegs war, und mich Menschen ansprachen, was ihnen an den Grünen denn so alles nicht passen würde um dann 1, 2 und manchmal 3 Punkte beispielhaft erwähnten, antwortet ich oft: „Ich bin Mandatar der Grünen. Glauben Sie, dass ich deshalb automatisch mit 100{6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7} der Grünen Positionen übereinstimme? Nein! Aber wenn mir die Herausforderungen der Zukunft wichtig sind – etwa in Klimafragen oder in der Bildungspolitik, wenn Menschenrechte für mich unteilbar sind, wen ich Europa als Friedens- und Demokratieprojekt begreife, was habe ich denn für eine andere Wahl? Eine Partei, die zu 100{6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7} meine persönlichen Positionen widerspiegelt, kann und wird es nie geben!“

Wofür ich den Grünen dankbar bin? Das, was mir wichtig ist und wofür ich mich einsetze, könnte ich nirgendwo anders tun. So einfach ist das.

Und Frust über die Grünen? Ja klar, habe ich auch immer wieder. Aber 25 Jahre ist ja im Grunde ja verdammt jung…

Bundesrat 4.11.2011. Die Reden

Um ein bisschen mehr an Transparenz politischer und parlamentarischer Prozesse herzustellen, werde ich – soweit es technisch geht – alle Bundesratsreden hier online stellen, bzw. in meinem YouTube Channel veröffentlichen. An meinem allerersten Bundesratstag, an dem ich auch angelobt worden bin, hatte ich zwei Reden.

In meiner Premiere im Bundesrat stelle ich mich vor allem einmal vor – und stellte den Sinn oder Unsinn des Bundesrats selbst auch zur Diskussion. Das gefiel nicht allen, und ich war schon etwas überrascht gleich in meiner Erstrede unterbrochen zu werden. Keine feine englische Art der Präsidentin. Aber was soll’s. Ich lass mir eh nicht gerne das Wort verbieten. Es ging allerdings tatsächlich um das Telekommunikationsgesetz. Darauf gehe ich in der 2. Hälfte dann auch ein.

In der zweiten Rede geht es um das Wertpapieraufsichtsgesetz.

Heute abend: Diskussion zur isländischen Verfassung "von unten".

Der Aktionsradius Augarten, eine seit Jahren im 20. Bezirk aktive und engagierte Kulturinitiative, hat in diesem Monat den Schwerpunkt Krise der Dermokratie. In zahlreichen Veranstaltungen wird dieser (realen? vermeintlichen?) Krise nachgegangen.

Heute Abend moderiere ich dazu eine Podiumsdiskussion mit dem Wiener Rechtsanwalt Alfred J. Noll sowie dem deutschen Juristen und Blogger Maximilan Steinbeis (verfassungsblog.de).

Was macht die isländische Verfassung so besonders, dass man darüber diskutieren möchte – zumal wenn es um das Thema „Krise der Demokratie“ geht? Island schrieb sich nach der schweren Krise, die das Land erfasste, eine ganz besondere Verfassung. Sie wurde mithilfe des Internets und Social Media Plattformen in einer einzigartigen Aktion des Crowdsoucings geschrieben. Jede und Jeder durfte und konnte daran teilnehmen. (Siehe dazu diesen und diesen Blogbeitrag.)

Vorbild für den Rest der Welt? Ist das Internet eine der Lösungsvorschläge für unsere Krise der Demokratie? Diese und andere Fragen werden wir heute besprechen.

Übrigens liegt die isländische „Verfassung von unten“ mittlerweile auch englischsprachig vor.

Ein isländisches Experiment: Verfassung von unten
Dienstag 15.11., 19:30 Uhr
Gaußplatz 11, 1200 Wien

World Wide Wahnsinn – meine neue Kolumne

World Wide Wahnsinn – so lautet meine neue Kolumne im Magazin Name it, dem Gay Lifestyle Magazin aus Wien, das sich vor allem – aber nicht nur – an ein queeres Publikum wendet. In der Kolumne werde ich Neues, Absurdes, Spannendes, Komisches manchmal Politisches rund um das Thema Internet mit all seinen sonnigen und schattigen Seiten berichten.

In der Sommerausgabe begann es mit einem kleinen Artikel zum damaligen Start von Google+, woraus die Idee entstand daraus eine fixe Kolumne zu gestalten. In der soeben erschienen Ausgabe, die ab sofort in guten Kiosken und in der Szene zu bekommen ist, beleuchte ich die Diskussion rund um die neuen terms of use bei den bei Schwulen beliebten blauen Seiten Gayromeo. Und frage daher mal provokant:

Wem gehört mein Schwanzpic?

Groß war die Aufregung. GayRomeo veröffentlichte neue Terms of use und prompt wunderten sich viele User: Was? Die wollen, dass ich die Fotorechte abtrete? So zumindest wurde es unter Artikel 5.3 der Nutzungsbedingungen geschrieben:
„The user agrees […] he automatically grants PlanetRomeo a […] right to use, reproduce, circulate and make public content […] for PlanetRomeo’s own marketing and/or promotional purposes“.
Und auch die Weitergabe an Dritte wurde da als möglich erwähnt. Ja, das Nutzerverhalten hat sich in den letzten Jahren verändert – Google und Facebook sei Dank. Dating-Plattformen gab es bereits vor Facebook und können als Vorläufer der großen sozialen Medien gelten. Es sind die User, die den Content und die Attraktivität ausmachen. Die Diskussionen, wem dieser von Usern generierte Content dann eigentlich gehört, sind nicht unbekannt und wurden vor allem über Facebook geführt. Dabei wurde auch viel Nonsens berichtet.

Da gab und gibt es Panikmacher auf der einen Seite, die Philosophie, die Welt möge sich doch bitte auf die neuen Medien einstellen (Alles ist öffentlich! Das ist eine Revolution wie damals bei der Erfindung desBuchdrucks!) auf der anderen Seite. Doch wem gehören die Fotos wirklich? GayRomeo machte mittlerweile einen Rückzieher und die Rechte gehören wieder dem Nutzer.

Man muss aber auch Positives erwähnen: Immerhin hat GayRomeo überhaupt Nutzungsbedingungen und macht sich Gedanken. Ihr Verschlüsselungsdienst ist in Ländern, die Homosexualität kriminalisieren, gratis. Und andere schwule Dating-Sites? Da gibt es teilweise gar keine Terms of use. Also User: Seid aktiv, wachsam und fordert. Denn ohne Euch sind Social Media- und Dating-Seiten gar nichts. Und schlussendlich ist es eine (europa-)politische Frage, denn Firmen dürfen nur das, was ihnen Gesetze erlauben. Oder man klagt. Auch wenn es sich um ein Schwanzpic handelt. Immerhin ist es dein Schwanz.

Außerdem im neuen Name it:

Schwule im Iran – Report aus Teheran
Tschüss Jungs – warum Männer ab 40 begehrt wie nie sind
Rosenstolz – Das Interview zum Comeback
Die besten Reistipps für Paris
und vieles mehr…

Bundesrat, Kolleginnen und die Abschaffung des eigenen Amts.

Als Sprecher der Wiener lesbisch-schwulen und transgender Teilorganisation Die Grünen Andersrum habe ich öfter gesagt, dass wir politisch wohl die einzige Gruppierung sind, die als Ziel die Abschaffung von sich selbst hat. Das ist natürlich noch Zukunftsmusik und das Paradies ist wohl eher Aufgabe von Fiktion schreibenden Autoren und Autorinnen (oder von Religionen), aber man braucht ja eine Vision. Damit man politisch ein inneres Feuer behält. Es erinnert einem ständig, warum man das tut, was man tut.

Ziel: Eigene Abschaffung. Das bin ich also irgendwie gewöhnt.

So ähnlich wie oben beschrieben empfinde ich jedenfalls heute, am Tag an dem bekannt wurde, dass ich nun in die kleinere Landeskammer des Parlaments – dem Bundesrat – einziehen werde; als einer von drei Grünen. Ich freue mich jedenfalls auf die Arbeit mit Efgani Dönmez (OÖ) und Elisabeth Kerschbaum (NÖ).

Der Bundesrat ist auch für mich ein relativ unbekanntes Wesen. Und da ich wohl davon ausgehen kann politisch einigermaßen informiert zu sein, ist das kein gutes Zeichen für den Rest der Bevölkerung. Wenn ich das mal so salopp sagen darf.

Welche Themen, Ausschüsse und Zuständigkeiten ich haben werde, weiß ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. Und ich werde wohl auch einige Wochen – wenn nicht Monate – brauchen, mich in der neuen Aufgabe zurecht zu finden. Einarbeiten muss schon sein, bevor ich lautstark schreie, was ich alles ändern möchte. Eva Glawischnig sagte am Bundeskongress der Grünen: „Österreich braucht einen Neubeginn, um das Fundament der österreichischen Demokratie wieder zu festigen.“ Das nehme ich ernst.

Den Bundesrat nach Außen darstellen, im Rahmen meiner kommunikativen Möglichkeiten – die wohl vor allem hier in diesem Blog und in den sozialen Netzwerken zu finden sein werden – Transparenz zu schaffen, zu erzählen wie es im Bundesrat denn so ist und wie Politik dort funktioniert – das wird auf jeden Fall von mir zu erwarten sein.

Und dann möchte ich alle einladen mit mir zu diskutieren: Über den Bundesrat, unsere Verfasstheit der föderativen Republik, über unsere Verwaltung, über eine demokratisch legitime Gesetzwerdung, usw. Denn freilich ist es einfach zu sagen: Schaffen wir den Bundesrat ab! (Und wie oben geschrieben, kann ich mir das sehr gut vorstellen!) Denn eine in der Verfassung nicht legitimierte so genannte „Landeshauptleute-Konferenz“ hat die Aufgaben längst übernommen, die einst der Bundesrat hatte. Soll das so sein? Oder soll das nicht doch ganz anders sein und gehört die Landeshauptleute-Konferenz abgeschafft? Oder gleich alle Bundesländer? Wo liegen Stärken von kleinteiligen Einheiten und wo ist Zentralismus intelligent? Und welche Rolle spielt dabei Europa? Sollen Landtagsabgeordnete oder gar die Landeshauptleute selbst in den Bundesrat einziehen und dort ihre Verhandlungen führen? Warum wurden einst zwei Kammern in allen demokratischen Staaten eingerichtet, was war das ursprüngliche Ziel? Und wie soll das dann in der Verfassung geregelt werden? Welche Kontrollen und sinnvollen Schritte (Checks and Balances) soll es geben bis ein Gesetz in dieser Republik beschlossene Sache ist? All das und viel mehr wird mich in Zukunft naturgemäß besonders interessieren.

Ich hoffe euch auch. Gemma’s an.

Zum Schluss erlaubt mir bitte mich bei zwei Personen herzlich zu bedanken:

Sabine Gretner und ich sind innerhalb der Grünen einen sehr vergleichbaren Weg gegangen. Sie war Planungsreferentin im Grünen Rathausklub in Wien, ich Menschenrechtsreferent. Wir teilten uns lange ein Büro. Als Mitarbeiter_innen haben wir beide 2005 den Entschluss gefasst selbst an die Front zu gehen und kandidierten für den Wiener Landtag und Gemeinderat. Wir beide zogen ein. Ich habe in all den Jahren Sabine Gretner für ihre Sachkompetenz mehr als geschätzt. Ihre berühmteste politische Tat bleibt wohl die Aufdeckung der Machenschaften rund um den Pratervorplatz und das Ende einer Stadträtin namens Grete Laska.

Und so habe ich auch ein weinendes Auge an diesem Tag: Ich respektiere den Schritt von Sabine Gretner, ihre berufliche Zukunft außerhalb der Politik zu begehen, sehr. Ich wünsche ihr dabei alles erdenklich Gute. Den Grünen geht jedenfalls eine tolle Politikerin verloren. Danke, Sabine. Aufrichtig! Und schau immer wieder vorbei und gib uns ordentlich Ezzes!

Und zuletzt möchte ich mich bei Jennifer Kickert bedanken, meine Vorgängerin im Bundesrat. Ich weiß jetzt schon, dass die Übergabe höchst kompetent, amikal und genau über die Bühne gehen wird. Dem Bundesrat und den Grünen im Bundesrat geht eine tolle Abgeordnete verloren, die im Wiener Gemeinderat ein Gewinn sein wird. Zudem ist sie wesentlich organisierter als ich, also entschuldige ich mich jetzt schon vorab, wenn es jetzt vielleicht ein wenig chaotischer werden wird. 😉

Jennifer und ich arbeiten seit dem letzten Wien-Wahlkampf intensiv zusammen, seitdem sie die Bezirkspolitik in „meinem“ Rudolfsheim-Fünfhaus verließ, um wieder Wiener Politik zu machen, die sie schlussendlich im Bundesrat landen ließ. Sie wurde Co-Sprecherin der Grünen Andersrum und seither arbeiten wir intensiv zusammen. Ich gehe davon aus, dass sich daran nichts ändern wird, nur die Rollen sich etwas neu definieren lassen. Und ich finde das gut so.

Ich freue mich jedenfalls. Spannende Zeiten, interessante Herausforderungen. Also dann: Bundesrat, ich komme.

Warum wählen wir Regierung und Parlament nicht getrennt?

Wer gestern Abend die Sendung Bürgerforum im ORF zum Thema Korruption gesehen hat und aufmerksam aktuelle Kommentare in Zeitungen, im Internet oder aktuelle Bücher verfolgt, Initiativen von Bürger_innen und Altpolitiker_innen wahrnimmt, wird zweifelsfrei feststellen, dass sich Österreich (und andere Länder) in einer veritablen Demokratiekrise befinden. Bürger und Bürgerinnen haben nicht mehr den Eindruck, dass Volksvertreter_innen auch das Volk wirklich repräsentieren und unser System mehr dem Machterhalt der Parteien selbst dient, lieber das eigene Klientel bedient wird und Korruption und Eigeninteresse im Vordergrund stehen. Das wirklich gefährliche daran ist das „in einem Topf werfen“, denn auch fleißige und bemühte Menschen in der Politik werden mittlerweile misstraut.

Auch ich gehöre zu den Menschen, die diese Entwicklung mit Sorge betrachtet. Allerdings habe ich mich nicht mit Staatstheorien und den dazugehörigen Schriften beschäftigt wie Politologen oder andere Politiker_innen, aber ich mache mir eben Gedanken, wie viele andere Bürger und Bürgerinnen. Und ich habe ja auch mal die Perspektive der Legislative auf Landesebene miterlebt. Schon damals spürte ich, dass da was nicht stimmt… Deshalb hier meine ganz persönliche Ansicht:

Gewaltenteilung

Wir haben John Locke und Charles de Montesquieu viel zu verdanken. Sie waren die ersten Aufklärer am Ende des 17. bzw. im 18. Jahrhundert, die eine Gewaltenteilung für ein Staatswesen für wichtig erachteten. Dieser Gedanke setzte sich in der Aufklärung und allem voran in der Französischen Revolution durch. Es war dies die Antwort auf den in Europa noch vorherrschendem Absolutismus. Dem setzten die Aufklärer Kontrollinstanzen entgegen, die jeweils die Macht des Anderen kontrollieren und somit verhindern, dass eine Macht die absolute Macht erhält. So entstand die Trennung von Legislative (Gesetzgebung), Exekutive (Rechtsvollziehung) sowie Judikative (Rechtssprechung). Seither gehört die Gewaltentrennung zum modernen demokratischen Staat. Andere Stützen, etwa die freie Presse, NGOs oder Interessensvertretungen kamen hinzu. Wie diese Gewaltentrennung jedoch heutzutage organisiert wird, ist von Land zu Land unterschiedlich.

Präsidentielles und parlamentarisches System

Am berühmtesten sind die Unterschiede von präsidentiellen Systemen, wie sie aus Frankreich oder den USA bekannt sind. Oder den parlamentarischen Systemen, wie wir sie etwa in Deutschland und Österreich kennen. Viele Kritiken sind an beiden System bekannt: Das präsidentielle System ist oftmals mit einem Mehrheitswahlrecht statt einem Verhältniswahlrecht verknüpft. Letzteres – auch von mir als gerechter empfundenenes Wahlrecht – findet sich eher in den parlamentarischen Systemen. Letzteres hat aber wiederum den Nachteil, dass alle Macht den Parteien zufließt und eine Parteiendemokratie alles bestimmt, was zur paradoxen Situation führt, dass in parlamentarischen Systemen die Macht des Parlaments geringer ist.

Und hier wären wir wieder am Beispiel Österreich angelangt, denn der Frust auf das Parteiensystem ist groß. Wenn man den aktuellen Frust und die aktuellen Korruptionsfälle nicht nur als Problem begreift, sondern auch als Chance für ein mehr an Demokratie – wenn also Staatsanwälte mehr dürfen, mehr Transparenz durchgesetzt wird, Parteienfinanzierungen öffentlich werden, usw. – ja, darf man dann nicht auch mal darüber nachdenken, wie und was wir eigentlich wählen, und ob das nicht verbessert werden kann?

Es ist noch nicht lange her, als das Kabinett Gusenbauer Legislaturperioden von vier auf fünf Jahren verlängerte. Das kann’s ja nicht sein. Zudem: Auf Wahlplakaten in Österreich geht es meistens um den Bundeskanzler oder um die Regierung („Wer, wenn nicht er?“). Nur die werden bei Nationalratswahlen gar nicht gewählt! Denn erst der Nationalrat wählt bekanntlich die Regierung.

Warum nicht Regierung und Parlament getrennt wählen?

Der – aus meiner Sicht – Vorteil des präsidentiellen Systems muss hier einmal erwähnt werden: Nehmen wir als Beispiel den Haushalt eines Staates. Wenn etwa in den USA Präsident Barack Obama einen Budgetentwurf vorlegt, dann kann er das so wollen, muss aber erst einmal eine parlamentarische Mehrheit dafür gewinnen. Das heißt, er legt den Entwurf dem Parlament vor (das in diesem Fall übrigens keinen Klubzwang kennt!) und muss verhandeln, egal ob seine Partei gerade eine Mehrheit stellt oder eine andere. Am Ende kommt eben ein Budget raus, der demokratisch verhandelt wird.

In parlamentarischen Systemen wird die Regierung von einer Partei, die die absolute Mehrheit innehat, oder von zwei oder mehreren Parteien (Koalitionen) gewählt. Die Regierung entstammt also quasi dem Parlament, die Abgeordneten winken Regierungsvorlagen parteitreu durch. Selten, dass Abgeordnete von Regierungsparteien mal anders als ihre Regierung abstimmen. Das ist ein Problem, aus meiner Sicht.

Als Sonderbeispiel sei übrigens noch das Europäische Parlament erwähnt, das immer wieder durch Überraschungen auffällt. Und warum? Weil sie keine Regierung wählt, der sie sich quasi unterwerfen muss.

Jetzt denke ich diesen Gedanken einmal zu Ende:

Nehmen wir einmal an es bleibt dabei und wir wählen alle fünf Jahre die Legislative; also den Nationalrat. Und jetzt nehmen wir einmal an dazwischen wählen alle Wahlberechtigte auch de Exekutive, also die Regierung. Was würde passieren?

Ich stelle mir das nämlich so vor:

Wenn etwa ein vorgeschlagenes Kabinett Faymann, ein ebensolches Kabinett von Spindelegger, von Strache, von Glawischnig und von Bucher zur Wahl stünden, mit darin jeweils enthaltenen Vorschlägen für das Personal für die Ministerien, dann werden diese Spitzenkandidat_innen darauf achten, dass sie Personal aussuchen, das auch allgemein und öffentlich akzeptiert wird, und nicht nur internen parteipolitischen Interessen dient, wie wir das etwa aus der ÖVP kennen („diesmal muss es eine Frau aus dem Süden und aus einem gewissen Teilorganisation der Partei sein“).

Die zwei Kabinettsvorschläge mit den meisten Stimmen kommen dann in eine Stichwahl. Nehmen wir an es sind die Kabinettsvorschläge Faymann und Spindelegger, die das geschafft haben. Nun müssen diese sich wiederum überlegen, wie sie Mehrheiten schaffen und Art Koalitionsverhandlungen beginnen. Sie nehmen sich zB. Expert_innen außerhalb der Parteienlandschaften ins Kabinett und schauen welche Persönlichkeiten der anderen Parteien vorhanden sind und nehmen diese in den Vorschlag auf. Dann entscheidet das wahlberechtigte Volk, welches Kabinett regieren soll – nach Koalitionsverhandlungen also. Das würde uns einige unerträgliche Koalitionsfragestellungen in Wahlkämpfen ersparen. Ein ÖVP-Wähler würde dann etwa vorher wissen, ob die ÖVP rechtsextreme Kräfte aus dem Umfeld der FPÖ umgarnen würde, oder eben auch nicht, und nicht nachher überrascht werden.

Als Kontrolle steht dann immer noch der Nationalrat zur Verfügung, den man eben getrennt und zu einem anderen Termin wählt. Midterm-Elections quasi. So gibt es immer die Möglichkeit eine Exekutive zu gewissen Kurskorrekturen zu zwingen und zudem dazu zu bringen, mit der Legislative zu verhandeln. Außerdem gäbe es im Parlament ja keine Koalition, was ständige Verhandlungen bedeuten würde.

Meiner Meinung nach wäre das gut für die Demokratie, die dadurch lebendiger werden würde. Es gibt sicher noch viele Punkte, die ich jetzt unberücksichtigt habe, die tiefer entwickelt werden müssten (oder die von Wissenschaftler_innen längst niedergeschrieben wurden, nur ich kenne die Schriften nicht), usw. Ich denke an Klubzwang, die Frage ob Mitglieder der Exekutive im Wahlkampf der Legislative wahlkämpfen dürfen, die Frage inwieweit auch nicht parteipolitisch organisierte Kabinettsvorschläge zur Wahl antreten können, etc.  Aber so als Basis einer modernen Demokratie wäre das doch denkbar? Vielleicht täusche ich mich auch oder habe etwas übersehen? Ich bin neugierig wie Leser und Leserinnen das sehen…