Politische Nachwirkungen der Gewalt in Split.

Erschütternde Bilder gingen um die Welt (siehe Fotostrecke hier). Im kroatischen Split demonstrierten rund 300 Teilnehmer_innen der ersten CSD-Parade für die rechtliche und gesellschaftliche Akzeptanz von Lesben, Schwulen und Transgendern. Und 10.000 demonstrierten gegen diese Demonstration und skandierten unter anderem „Tötet die Homos“.

Kroatien ist ein Beitrittsland. Nur knapp vor den Ereignissen in der inoffiziellen Hauptstadt Dalmatiens kündigte die EU-Kommission an, Kroatien könnte wohl 2013 der Europäischen Union beitreten. Diese Beitrittsperspektive war vermutlich vor allem der Grund, dass die kroatische Regierung die Gewalt in Split unmissverständlich verurteilte. Die Polizei in Split bereitete sich auf den Einsatz vor und  beschützte die 300 Demonstrant_innen so gut sie konnten. Es bestand angesichts der Beitrittsmöglichkeit Handlungsbedarf und klare Signale an die EU.

Die niederländische Botschafterin in Kroatien – Stella Ronner-Grubačić, selbst Teilnehmerin am CSD in Split – meinte nach den Ereignissen, dass Kroatien bis zum EU-Beitritt ein Monitoring brauche. Die Niederlande würde darauf bestehen. Im Europäischen Parlament gibt es auch einen Kroatien-Berichterstatter. Dieser heißt Hannes Swoboda und ist bekanntermaßen österreichischer Sozialdemokrat. Er korrigierte die niederländische Diplomatin. Swoboda ist über den „Vorfall“ lapidar „nicht glücklich“, meint aber, dass solche Ausschreitungen in jedem EU-Land vorkommen. Aha? Er war offensichtlich noch nie auf der Wiener Regenbogenparade, oder in Berlin, Amsterdam, Köln oder sonstwo. Zudem meint er, es sei nicht fair, und es sei nur Stimmungsmache gegen den Beitritt Kroatiens, und man möge diesen Vorfall doch bittschön isoliert betrachten.

Ulrike Lunacek, bekanntlich Grüne und offen lesbische Abgeordnete im Europaparlament fand darauf klare Worte und wirft Swoboda „Verharmlosung“ vor (siehe Artikel hier).

Hier offenbart sich leider erneut eine Krise, die innerhalb der Europäischen Union zunehmend sichtbar wird und vor allem mit der Identität der EU zu tun hat. Wofür steht sie? Was ist ihr Leitbild und was die Grundprinzipien? Sind Menschenrechte so ein Grundprinzip? Die Verurteilung von Gewalt gegen Minderheiten? Oder sind die wirtschaftlichen Perspektiven so wichtig, das sie über alles andere stehen? Wenn man Swobodas Äußerungen weiterdenkt, dann scheint das so zu sein: Gewalt, die auf den Straßen stattfindet, ist zwar ein böser „Vorfall“, aber hat nichts mit Beitrittsverhandlungen zu tun.

Was sind denn dann die Voraussetzungen für einen Beitritt?

Wer mich kennt weiß, dass ich ein glühender Befürworter der europäischen Integration bin. Ich glaube auch, dass die Integration des Balkans notwendig und wichtig ist. Aber nach den Ereignissen in Split frage ich mich schon, welche Voraussetzungen erfüllt sein sollen. Bekanntlich nützen nationalistische Strömungen – gerne und oft organisiert über Fußballklubs (vergleiche dieses serbische Beispiel) – viele Gelegenheiten, um die pro-europäischen Regierungen zu destabilisieren.

Ich bin erfreut, dass die kroatische Regierung sich klar gegen die Gewalt äußerte. Aber von der Europäischen Union erwarte ich mir – als Unionsbürger – dass man mir reinen Wein einschenkt, dass man mir klar vermittelt:

ob ein Beitrittskandidat so starke gewaltbereite nationalistische Strömungen hat, dass sie die europäische Integration langfristig schaden könnten,
ob Staaten, die noch vor wenigen Jahren noch Krieg führten, diese historisch und gesellschaftlich aufgearbeitet haben,
ob langfristig und legislativ die Menschenrechte in diesen Ländern auch in vollem Umfang beschützt werden (Was wenn zB. Nationalisten regieren? Das gilt im übrigen durchaus auch für westeuropäische Länder).

Diese klare und ausgewogene Berichterstattung erwarte ich aber vor allem von einem gewählten Mandatar, der parlamentarischer Berichterstatter (!) Kroatiens ist. Schönreden halte ich für entbehrlich, gefährlich und kontraproduktiv.

Split hat übrigens eine multikulturelle Vergangenheit – griechisch, römisch, byzantinisch, bosnisch, venezianisch, österreichisch-ungarisch, kroatisch. Der Name entstammt dem griechischen Wort ἀσπάλαθος (Aspalathos), was „spanischer Besen“ bedeutet. Möge ein Besen die schrecklichen Bilder vom 11.6.2011 bald zur Vergangenheit machen:

4 Gedanken zu „Politische Nachwirkungen der Gewalt in Split.“

  1. Offenbar ist leider die Wirtschaft nach wie vor das Hauptkriterium bei Beitrittsverhandlungen.

    Demokratie und Minderheitenschutz spielen leider nach wie vor eine untergeordnete Rolle – was ja offensichtlich ist, wenn man sich zB ansieht, dass es etwa in Polen starke Schwulenfeindliche Tendzen gibt, welche rechtsextremen Strömungen derzeit in Italien und Ungarn zu bemerken sind, oder wie Roma in Tschechien und Frankreich – teilweise systematisch – diskriminiert werden.

    Leider sind Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Minderheitenfrfeundlichkeit in der EU viel zu oft nicht wesentlich mehr als Lippenbekenntnisse.

    Ich bin auch ein glühender Europäer, und gerade deswegen finde ich, dass sich da noch wesentlich mehr tun muss.

  2. Offenbar ist leider die Wirtschaft nach wie vor das Hauptkriterium bei Beitrittsverhandlungen.

    Demokratie und Minderheitenschutz spielen leider nach wie vor eine untergeordnete Rolle – was ja offensichtlich ist, wenn man sich zB ansieht, dass es etwa in Polen starke Schwulenfeindliche Tendzen gibt, welche rechtsextremen Strömungen derzeit in Italien und Ungarn zu bemerken sind, oder wie Roma in Tschechien und Frankreich – teilweise systematisch – diskriminiert werden.

    Leider sind Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Minderheitenfrfeundlichkeit in der EU viel zu oft nicht wesentlich mehr als Lippenbekenntnisse.

    Ich bin auch ein glühender Europäer, und gerade deswegen finde ich, dass sich da noch wesentlich mehr tun muss.

Schreibe einen Kommentar