Henryk M. Broders verquere Logik.

In der deutschen Welt-Online greift Henryk M. Broder in seinem Artikel Der Papst lässt keine Schwulen steinigen die Lesben- und Schwulencommunity frontal an, vor allem den deutschen LSVD. Hintergrund sind angekündigte Demonstrationen gegen den Papst-Besuch in Deutschland.

Prinzipiell halte ich die oft bewusst provokant formulierten Äußerungen Henryk M. Broders für nicht selten intelligent und regen zu Debatten an. Das ist einer Demokratie zuträglich. Daher darf er sich so äußern, wie er sich äußert. Allerdings: Wenn man schon provozieren will, dann muss man auch mit Gegendarstellungen und Gegenmeinungen rechnen. Und aus meiner Sicht sind Broders Äußerungen schlicht verquer und dumm.

Ich halte Broders Äußerungen übrigens nicht für deshalb dumm, weil er bekennender Hetero ist wie beispielsweise queer.de das in seinem Artikel betont. Im Gegenteil. Ich finde es sogar gut, wenn sich Heteros und Heteras Gedanken über die lesbisch-schwule Emanzipation und der aktuellen Lage machen. Und das als Journalisten auch schreiben.

Ich halte es für deshalb dumm und bin deshalb von Broder enttäuscht, weil ich gerade ihm die Bedeutung universeller Menschenrechte zugetraut hätte, ihm bessere Vergleiche mit anderen Gruppen zugetraut hätte und weil ich davon ausgegangen bin, dass Broder Geschichtsverständnis hat, was er in diesem Artikel vollends vermissen lässt.

Broders merkwürdige Vergleiche

Hier ein Beispiel über Broders Vergleiche in seinem Artikel:
„Man muss tatsächlich zugeben, dass die Rechte von Lesben, Schwulen und Transgender nicht an der Spitze der politischen Agenda des Papstes stehen. So wie er sich nicht hauptsächlich um die Versorgung der Juden mit koscheren und der Moslems mit halal Lebensmitteln kümmert. Auch die Anliegen der Vegetarier, der Nichtraucher und der Anonymen Alkoholiker werden von ihm nicht mit dem Ernst vertreten, den diese Gruppen von ihm erwarten. Der alte Herr im Vatikan kann sich eben nicht um alles kümmern.“
Wie bitte? Meint Broder, dass lesbisch oder schwul sein eine religiöse Frage ist, wie sein Vergleich mit Muslimen und Juden vermuten lässt? Oder findet er doch, dass lesbisch oder schwul sein eine persönliche und freie Lebensentscheidung wäre – und nicht etwa etwas, wofür man nichts kann? Dieser Satz sagt leider mehr über Broders Ahnungslosigkeit als über die Lesben- und Schwulencommunity. Weder ist Homosexualität eine Religion, noch ein bewusster Lebensstil etwas zu essen oder nicht zu inhalieren. Und schon gar keine Krankheit à la Alkoholismus. Dass Broder diese Dinge in einem Atemzug nennt ist schlicht ungeheuerlich. Da hat jemand wohl über ein Thema geschrieben, über das er sich noch nie Gedanken gemacht hat oder sich jemals informiert hätte. Anders lässt sich so etwas nicht erklären.

Der Papst – Hauptverantwortlicher oder nicht?

Broder kritisiert das Bündnis Der Papst kommt!, in dem eben auch der LSVD vertreten ist, weil sie den Papst als Hauptverantwortlichen für die weltweite Unterdrückung von Lesben und Schwulen bezeichnet. Und weiter:
„Kaum anzunehmen, dass in Ländern, deren Bürger nicht einmal das Recht haben, ihre Meinung frei zu äußern, ein Wort des Papstes etwas bewirken würde, das die Lage der Lesben, Schwulen und Transgender verbessern könnte.“
Welche Veränderungen ein Papst in der Weltpolitik erreichen kann, ist unter Historiker_innen eigentlich unumstritten: Ohne einen polnischen Papst und seine Reisen nach Krakau oder Warschau wären die Umwälzungen 1989 vermutlich nicht passiert. Da sind sich nahezu alle einig. Das wissen sogar nicht-christliche oder atheistische Menschen.

Viel wichtiger aber, dass es der Vatikan war, der sich explizit immer wieder gegen UNO-Resolutionen ausgesprochen hat, die eine Entkriminalisierung von Homosexualität weltweit forderten. Aus dem Vatikan waren in solchen Momenten Sätze zu hören, die unmissverständlich waren: Solche Resolutionen würden einen „Niedergang des traditionellen Ehebegriffs und moralischer Werte“ bedeuten. Anders gesagt: Dem Vatikan waren – offiziell! – in solchen Fällen Länder lieber, die Homosexuelle verfolgen, einsperren oder gar umbringen, als eine Entkriminalisierung, weil es die von ihr gehüteten „moralischen Werte“ zu sehr bedrohen würde. Noch im Jahr 2010 bezeichnete der aktuelle Papst Benedikt XVI. in einem Interview-Buch mit Peter Seewald Homosexualität als „gegen Gottes Wille“ und als „moralisch nicht richtig“. Da befindet sich der Vatikan ideologisch näher zum Iran als zum liberalen Staat.

Broder scheint das okay zu finden. Oder er scheint die offiziellen Äußerungen des Vatikans zum Thema gar nicht zu kennen. Das hätte ich mir nicht von ihm erwartet. Ehrlich nicht. Denn anders als zu Fragen (und den dummen Vergleichen) wie Alkoholismus, Vegetarier oder anderer Religionen, äußert sich der Vatikan ständig zum Thema Homosexualität! Seit nahezu 2000 Jahren macht sie das und trug zu einer langen – sehr langen – Verfolgung bei. Bis heute. Lernen Sie Geschichte, Herr Broder!

Noch eine Anmerkung: Hätte Broder übrigens die Frage gestellt, ob sie Zuspitzung der Demos gegen den Papst (persönlich) sinnvoll seien, oder aber ob es nicht gescheiter wäre, gegen die Dogmen der Kirche insgesamt zu demonstrieren: Ja, das wäre okay gewesen und eine durchaus sinnvolle Fragestellung. Aber darum geht es Broder nicht. Auch darüber zu diskutieren, wie zersplittert und zerstritten die Kirche gerade in dieser Frage ist, wäre eines Blickes würdig gewesen. Wir – vor allem die lesbischen und schwulen Menschen, die in einer katholischen geprägten Umgebung leben –wissen, dass es in der Kirche viele liberale und humanistische Stimmen gibt. Und eben genauso heftig und brutal die Gegenstimmen, die sich immer wieder Gehör schaffen. Insbesondere aus dem katholischen Hauptquartier im Vatikan.

Menschenrechte sind nicht national

Dann erklärt uns Broder, wie rosa das Leben der Lesben und Schwulen doch sei. In Deutschland zumindest:
„Konnte sich jemand vor nur 20 Jahren vorstellen, dass es eines Tages einen offen schwulen Außenminister, einen bekennenden schwulen Regierenden Bürgermeister, eine AG für Lesben, Schwule und Bisexuelle in der CDU/CSU geben würde, nur eine Generation nachdem Franz-Josef Strauß ausgerufen hatte, er wäre lieber ein kalter Krieger als ein warmer Bruder?“
Und dann kommen noch so tolle Beispiele, etwa die TV-Dokusoap Bauer sucht Frau, weil dort ein Bauer auch mal einen Mann suchen dürfe. Ist Ihnen das unangenehm, Herr Broder? Möchten Sie lieber in einem Land leben, wo das nicht passiert? Nein, das traue ich Henryk M. Broder nicht zu, möchte ich an dieser Stelle betonen. Aber warum erwähnt er das dann extra? Vermutlich weil es doch gar nicht so selbstverständlich ist, wie man gemeinhin glauben mag. Ich erinnere nur mal an das Tamtam rund um Alfons Haiders Tanz mit einem Mann hierzulande – einem übrigens sehr katholisch geprägten Ländchen (siehe Brief an Lauda hier).

Aber viel mehr wiegt die Tatsache, dass Menschenrechte – freilich auch die von Lesben, Schwulen und Transgendern – universell zu gelten haben. Broder erwähnt selbst in seinem Artikel Uganda als ein Beispiel. Wer die Debatten um einen Anti-Homosexuellen-Gesetz in diesem afrikanischen Land verfolgt hat, weiß wie sehr dort mit christlichen Moralvorstellungen argumentiert wird. Bis zur Verteidigung einer Todesstrafe, die immer noch von einzelnen Politiker Ugandas unterstützt wird. Ob ein deutliches Wort des Papstes geholfen hätte? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Schweigen hat aber ganz bestimmt nicht geholfen, Herr Broder. Das wissen Sie genauso gut wie der Papst selbst.

Die Lesben und Schwulen Deutschlands können sich zurecht freuen in einem sogar für europäische Verhältnisse liberalen Staat zu leben, in dem lesbische Tatort-Kommissarinnen genauso möglich sind wie schwule Außenminister. Aber zu meinen, man habe sich als Interessensvertretung nur für die Belange im eigenen Land zu interessieren, ist natürlich Humbug. Zumal jeder und jede weiß, dass es auch in den liberalsten Ländern wie den Niederlanden oder Deutschland noch immer Tragödien gibt – etwa weil sich jemand in einer streng religiösen Familie outet. Immer noch europäischer Alltag. Noch lange nicht überwunden.

Der Hinweis auf den Iran

Im letzten Satz schreibt Broder:
„Würden sich die im Anti-Papst-Bündnis vereinten 33 Organisationen in den nächsten drei Monaten um die Opfer der iranischen „Justiz“ kümmern, könnten – vielleicht – ein paar Leben gerettet werden. Immerhin ist im Vatikan lange keine Ehebrecherin gesteinigt und kein Schwuler aufgehängt worden.“
Da hat er natürlich recht, ich verstehe nur den Zusammenhang mit seinem vorher geschriebenen Geschwurbel nicht.

Eine Frage, Herr Broder: Ist Ihnen eine Aussage des Papstes, der die Ermordung von Lesben und Schwulen im Iran verurteilt, bekannt? Ich kenne solch eine Aussage nicht! Und ja freilich haben Lesben und Schwulen auch gegen die Verfolgung und Ermordung von Lesben und Schwulen zu demonstrieren, wenn sie nicht im Namen der katholischen Kirche verfolgt werden, sondern aufgrund anderer religiös-fundamentalistischen Gründen oder irgendwelcher kranken Rassen- oder völkischen Theorien. Aber der Papst und die römisch-katholische Kirche steht eben auch in der hitsorischen Tradition der Verfolgung. Das zu negieren, ist – wie gesagt – dumm und zeugt von kompletter Ahnungslosigkeit über die Geschichte der Homosexuellen-Verfolgung.

Subtext

Und ich komme nicht umhin einen Subtext in Broders Artikel herauszulesen: Ihm sind die Lesben und Schwule, die da jetzt in Deutschland überall sichtbar und öffentlich werden, scheinbar unangenehm. Herr Broder, ich fürchte Sie haben da wirklich ein persönliches Problem.

4 Gedanken zu „Henryk M. Broders verquere Logik.“

  1. Antwort auf Herrn Broders Artikel „Der Papst lässt keine Schwulen steinigen“ in der ‚Welt-Online’ vom 25.06.2011
    Den Brief habe ich auch an Herrn Broder geschickt

    Herr Broder scheint jetzt unter die Katholiken, zumindest aber unter die Verteidiger der katholischen Kirche gegangen zu sein und nimmt es dem Papst nicht übel, dass dieser sich nicht hauptsächlich um die Versorgung der Juden mit koscheren und der Moslems mit halal Lebensmitteln kümmert, die die Juden bzw. Muslime doch von diesem erwarteten.
    Natürlich erwarten das die Juden und Muslime nicht vom Papst, weder haupt- noch nebensächlich, aber sie erwarten sich doch wohl, dass er ihnen nicht in die koschere Suppe spuckt und sie madig macht. Er wird sich das bei den Juden wohl überlegen (bei den Muslimen hat er ja schon mal gepatzt), aber bei den Schwulen können wir arischen Nicht-Schwulen schon mal ein Auge zudrücken. Ihre Diffamierung ist ja nicht unsre Diffamierung. Was geht mich die kirchlich proklamierte Ausgrenzung und Abwertung der Schwulen an? Einem Juden oder Muslim oder Vegetarier oder anonymen Alkoholiker kann sie schnuppe sein. Und in der Tat hat gemäß Herrn Broder zum Beispiel der Zentralrat der Juden nichts anderes zu tun, als sich zu streiten, wer die Grüße der jüdischen Gemeinde an den Papst überbringen darf. Man wird von einem Juden, Muslim, Protestanten, Kommunisten, Vegetarier oder Behinderten doch nicht erwarten, dass sie sich für die Sache der Schwulen starkmachen! Ein Freund der ersteren kann eben durchaus ein Feind der Schwulen sein. Solange nur ich selbst keiner bin!

    Als ob Juden oder Muslime in ihrer religiösen Zugehörigkeit mit Schwulen und Lesben zu vergleichen wären! Als ob innerjüdische Essvorschriften auch nur im Entferntesten etwas mit der sexuellen Orientierung eines Menschen zu tun hätten. Geht es bei dieser um eine mit der Person und Existenz des Menschen untrennbar verbundene Gegebenheit, so handelt es sich bei jenen um Fragen der Gastronomie. Und in diese pfuscht der Papst den Juden (bisher zumindest) nicht hinein.

    Nicht nur, dass die von Broder aufgestellte Gleichsetzung einer persönlich-existentiellen mit einer religiös-gastronomischen Gegebenheit hinkt (das Wesen des Vergleichs ist es zu hinken). Der Vergleich als solcher ist schlichtweg falsch. Homosexualität ist keine persönliche Entscheidung oder Wahl wie das Bekenntnis zu einer Religion oder deren Speisekarte. Aber wenn sie denn nach Herrn Broder schon gleichzusetzen sind – und unter dem Gesichtspunkt einer gesellschaftlichen, von der Mehrheit der Bevölkerung (vermeintlich) akzeptierten und integrierten Minderheit sind sie es ja auch – spielen wir das putzige Spielchen Herrn Broders doch einfach mal durch und setzen an die Verlautbarungen der katholischen Kirche zur Homosexualität das Wort ‚Jude’ statt ‚Homosexueller’. Nicht, dass die katholische Kirche die folgenden Sätze je schreiben würde (sollen wir ihr dafür dankbar sein?), insofern sich Juden eben in der Tat lediglich religiös und nicht in ihrer Eigenschaft und Qualität als Menschen von Katholiken unterscheiden. Dass die katholische Kirche aber die folgenden Sätze über Schwule schreibt und wir dennoch Unverständnis über homosexuelle Protestdemos gegen den Papstbesuch meinen äußern zu müssen, heißt, dass wir den Schwulen dieselbe, in den katholischen Texten zum Ausdruck gebrachte Abqualifizierung angedeihen lassen (Broder erweitert diese noch um den Vorwurf der Ãœberrepräsentierung). Oder sollten wir etwa in der Tat etwas anderes empfinden und anders reagieren, wenn die Kirche in ihren Verlautbarungen von ‘Juden’ statt von ‚Homosexuellen’ gesprochen hätte? Hier folgt die von Herrn Broder angeregte Probe aufs Exempel:

    Soll der Papst die Juden doch ruhig als „objektiv ungeordnet“ und jüdische Handlungen mithin als „in sich nicht in Ordnung“ bezeichnen, die „in keinem Fall zu billigen“ sind. Juden, bekehrt euch! Oder, besser noch: Juden, raus aus Deutschland! Wir können euch nicht zubilligen, jüdisch zu sein! Und soll der Papst bzw. die katholische Kirche doch verlautbaren dürfen, dass das Jüdisch-Sein einer Person für dieselbe „eine schwere Prüfung“ darstelle, Juden also „gestraft“ (!) sind für das, was sie sind. Denn wir wissen doch schließlich alle, dass das Judentum aufgrund seiner immanenten „Ungeordnetheit“ – zu gut deutsch: Perversion – nach katholischer Lehrmeinung besser nicht praktiziert werden sollte. Das ‚Judentum’ „ist zwar in sich nicht sündhaft, begründet aber eine mehr oder weniger starke Tendenz, die auf ein sittlich betrachtet schlechtes Verhalten ausgerichtet ist und die, sobald sie praktiziert wird, als ‚himmelschreiende Sünde’ anzuprangern ist“. Praktizierende Juden an den Pranger! „Aus diesem Grunde muss die Neigung zum ‚Juden’ (das ‚Juden-Gen’?) selbst als objektiv ungeordnet angesehen werden.“ Das heißt: Juden sind Menschen zweiter Klasse, Untermenschen sozusagen, denen man die Ausübung ihrer Religion verbieten sollte.

    Immerhin: den Juden ist nach katholischer Lehrmeinung „mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen. Man hüte sich, sie in irgendeiner Weise ungerecht zurückzusetzen.“ (Man darf sie dann aber wohl ‚gerecht’ zurücksetzen, oder?) Die Nicht-Zurücksetzungsklausel muss wohl deshalb so ausdrücklich betont werden, weil die innere Logik der katholischen Lehre eigentlich das Gegenteil geböte. Also, Jude, ich sage dir zwar, dass du, als Jude, minderwertig bist, aber ich sag’s dir im Guten! Die neuen Öfen, Herr Broder, werden unter Gebeten befeuert werden! Das Böse wird im Kleid der Barmherzigkeit daherkommen. Und Sie werden dazu applaudieren! Wenn nur die Etikette stimmt! Solange die Juden ‚mit Achtung, Mitleid und Takt’ bekämpft werden, ist alles ok. Das also war der Fehler Hitlers: die böse Fratze! Hätte der Führer doch nur gelacht oder die Hände gefaltet in ‘Achtung, Mitleid und Takt’, wir hätten ihm ‚die sechs Millionen’ schon durchgehen lassen.

    Gleichzeitig lehrt der katholische Katechismus, dass für ‚Juden’ das Leben in Entsagung und in Annäherung an die christliche Vollkommenheit „vielleicht auch mit Hilfe einer selbstlosen Freundschaft“ (wir vermuten zu einem guten Katholiken) „bewältigt werden“ könne. Der ‘Untermensch Jude’ ist nur durch die Hilfe des ‚Übermenschen Christ’ zu überwinden, der ‚Beelzebub Jude’ nur mit dem ‚christlichen Gott’ auszutreiben. Das heißt, dass nach dem katholischen Katechismus „Partnerschaften von Juden sehr wohl zu dulden (!) und eventuell (!) sogar zu fördern sind, sofern in dieser keine jüdischen Handlungen vollzogen bzw. solange diese Partnerschaften unter Entsagung an alles Jüdische geführt werden“. Zieh also bloß nie eine Kippa an oder stell bloß keinen 7-armigen Leuchter zu Weihnachten ins Fenster. Gleichstellung und Vergebung mögen dir zukommen, o Jude, wenn du nur nicht praktizierst, das heißt: wenn du verleugnest. Was sollen wir nun dazu sagen? Wollen wir den Gedanken zu Ende denken? Er liegt ja in der Luft, und wir sollen nicht so tun, als ob er es nicht täte. Denn wenn wir nun schon bei der Verleugnung sind, mag wohl manch einer ermuntert sein, nun in ungeheuerlicher Verdrehung der Wirklichkeit, in absoluter Inkompatibilität der Sachlage, und doch unter bewusst in Kauf genommener, wenn nicht gar provozierter Reaktivierung uralter Stereotype und Jahrhunderte lang kultivierter Lügen zu denken, – und beim Zu-Ende-Denken des bösen Gedankens, der uns hier nahegelegt wird, stockt uns der Atem: ‘das wird doch wohl nicht zu viel verlangt sein’! Verleugnung wird doch wohl weder für Juden noch für Schwule so schwer sein, praktizieren sie doch schließlich seit Tausenden von Jahren nichts andres. Wir können uns nicht im Ernst vorstellen, dass Herr Broder solcherlei Assoziationen Vorschub leisten wollte und appellieren hier im Grunde an Herrn Broder vom schlecht informierten Papst an den besser zu informierenden Papst, der sich noch keine Rechenschaft über die Geister abgelegt hat, die er rief. Außerdem lassen wir den möglichen Einwand, dass im katholischen Text eben nicht von ‘Juden’, sondern von ‚Homosexuellen’ die Rede ist, nicht gelten. Das Ungeheuerliche, das man von einer Personengruppe abverlangt, kann nicht noch ungeheuerlicher werden, wenn man sie mit einer anderen Gruppe austauscht. Der Holocaust in seiner Einzigartigkeit kann nicht Gradmesser für die Zivilisation einer Gesellschaft sein. Man kann nicht Juden schützen wollen und die Ausgrenzung der Lesben dulden. Und doch wäre genau das der Fall, wenn uns bei Texten, wo nur ‚Homo’ und nicht ‘Jude’ steht, der Atem nicht stockte. Und genau das ist vermutlich die zentrale These meines Briefs. Dass uns nämlich der Atem bei ‚Schwulen’ nicht stockt, sondern dass uns vielmehr die Hand in der Tasche zur Faust wird. Was ist die gesellschaftliche Gleichstellung der einen Gruppe wert, wenn wir die Diskriminierung der anderen zulassen bzw. ihr nicht widersprechen, oder, schlimmer noch, wenn wir sie nicht (mehr) wahrnehmen? Man wird sich überlegen müssen, ob Hitler nicht insofern doch Erfolg hatte, als der Holocaust in Deutschland die Standards verwässert und die Schmerzgrenze im wahrsten Sinne des Wortes hochgeschraubt hat. Unter sechs Millionen empfinden wir nichts! Nicht zuletzt Herrn Broders Schreiben sowie auch das Stilmittel dieses hier vorliegenden Briefs, der ‘Schwule’ durch ‚Juden’ ersetzt, sind dafür der Beweis. Wenn uns aber tatsächlich erst am Beispiel der Juden klar werden sollte, wie es (auch) um unsre Gesellschaft bestellt ist, dann sind wir zu moralischen Rohlingen geworden, und unser Gutsein kommt nicht aus einer Vorstellung des Guten, sondern aus dem Horror der Zahlen.

    Im Folgenden gebe ich Herrn Broder recht: in der Tat wird man vom Papst keine Segnung von Homosexuellen oder die Berufung von Frauen ins Priesteramt erwarten können. Die DDR war in der Tat nicht reformierbar. Sie war einfach nur abzuschaffen. Und es war richtig und gut, ihr diesen Spiegel vorzuhalten bzw. den anderen, die meinten, sie verteidigen zu müssen, ein entwaffnendes ‚Geh doch rüber in die Sowjetunion’ zu entgegnen.

    Herr Broder muss niemanden daran erinnern, dass jeder, auch der Papst, ein Recht hat, Schwule und/oder Juden nicht mögen zu dürfen. Aber niemand hat das Recht, sie ob ihrer ‘Schwulheit’ oder ‚Jüdischheit’ anzugreifen oder zu diffamieren ohne mit Gegenrede zu rechnen. Anders gesagt: man wird vom Papst nicht die Aufhebung der Diffamierung der Schwulen erwarten dürfen, aber man wird ihn doch wohl kritisieren und gegen seine Institution demonstrieren dürfen, ohne selbst für eben diese Kritik in den Schmutz gezogen zu werden. Dass man, wie Herr Broder meint, „in vielen Ländern im Westen“ dennoch ungestört und öffentlich schwul (und/oder jüdisch) leben kann (wo in Europa bewegt sich Herr Broder eigentlich?), ist doch eben gerade kein Verdienst des Papstes, werden Schwule doch auch noch in vielen Ländern Europas (Herr Broder scheint seinen eigens von ihm angebrachten Link nicht gelesen zu haben) sowohl von politischer als auch kirchlicher Seite als minderwertige, ja abartige – sollen wir sagen: ‚entartete’? – Sünder dargestellt, als eine Spezies, deren Praktiken zu verurteilen sind und deren staatliche Anerkennung im Grunde ein Skandal ist. Juden als Skandal! Nicht nur, dass Herr Broder vom Papst nichts anderes erwartet, nein, Herr Broder wird’s dem Papst nicht einmal verdenken und keine Gegenrede halten wollen. Lasst euch ruhig diffamieren, ihr Juden des Landes und haltet schön stille! Die Gesellschaft, so Broder, hält ja immerhin seit nun schon „20 Jahren“ – und also, so suggeriert Herr Broder, im Grunde schon viel zu lange (und außerdem ohne grundrechtliche Zusage) – ihre schützende Hand über euch. Als wären läppische 20 Jahre eine lange Spanne in der Menschheitsgeschichte. Als wäre die Unversehrtheit des Individuums aufgrund seiner sexuellen Identität eines Menschen ein Grundrecht. Außerdem ist Herrn Broder offenbar nicht bekannt, wie zerbrechlich gewonnene Freiheiten sind. „Und nicht einmal der Bauernverband oder Kardinal Meisner empörten sich“ als bei ‚Bauer sucht Frau’ ein Mann einen Mann suchte. Ja, wäre es denn angebracht gewesen, Herr Broder? Haben Sie sich etwa danach gesehnt? Hätten denn gerade der (Ihrer Meinung nach offensichtlich ohnehin notorisch anti-schwule) Bauernverband oder Kardinal Meisner das Recht oder die Pflicht, sich hier zu empören? Dank Herrn Broders Einlassungen ist man angehalten, sich zu fragen, was sich die Juden heute eigentlich noch alles rausnehmen dürfen, bevor endlich wieder einmal einer auf den Tisch haut, sei’s nun der Bauernverband oder Kardinal Meisner oder aber ein neuer Meister aus Deutschland. Jetzt reicht ’s aber, Juden! Was wollt ihr noch alles? Habt bei gerade mal 12.000 Juden in Berlin, um mal den demographisch-demagogischen Trumpf der Ãœberrepräsentation zu spielen, an ohnehin schon zu vielen Ecken der Stadt (nicht nur in Berlin) jüdische oder koschere Cafes, jüdische Friedhöfe, jüdische Kitas, jüdische Schulen, jüdische Buchläden, jüdische Stadtführungen, Jüdische Kulturtage, Klezmer-Musik bis zum Abwinken, Hebräisch als ordentliches Abifach, Makkabi-Spiele und wollt doch noch mehr? Reicht euch die allenthalben sichtbare Verschwulung der Gesellschaft mit euren (Broder:) ‘Gay-Games, Gay-Hotels, Gay-Kreuzfahrten, Gay-Banking, Gay-Kreditkarten, Gay-Parenting’ nicht? Wir empören uns zwar noch nicht hörbar, aber ihr sollt wissen, dass die Faust in unsrer Tasche geballt ist. Wie viel Verjudung müssen wir denn noch ertragen? Was müsste noch passieren, damit der Zentralrat der Juden erklärt: Mission accomplished!? Die Konversion Angela Merkels zum Judentum? Das ist es, was Herr Broder suggeriert! Genug der Rechte und Repräsentation! Haltet endlich die Klappe! Haben die Juden nicht genug Repräsentanten in Funk und Fernsehen und Öffentlichkeit? Und wollen sie nicht immer noch mehr? Als ob die Stellung der Juden in der Öffentlichkeit eine Konsequenz und ein Verdienst der katholischen Kirche und nicht der Zivilgesellschaft und deren erst langsam gereifter Erkenntnisse nach dem Holocaust und der Verfolgung auch Homosexueller im Zweiten Weltkrieg wären. Und, vielleicht noch wichtiger: nicht nur Deutschland wird am Hindukusch, auch der Hindukusch wird in Deutschland verteidigt! Wer hier für seine eigene Menschenwürde als Homosexueller eintritt, tritt auch für die Würde anderer Homosexueller ein. Wer hier seinen Widersachern widerspricht, widerspricht einer Sache an sich, einem Prinzip, einer Maxime, deren Infragestellung auch für andere, die nicht im selben Gesellschaftssystem leben, gilt. Dass ausgerechnet hier, beim Gedanken der Stellvertretung, dem vermeintlichen Neu-Katholiken Bruder Broder das Verständnis für dieselbe fehlen sollte, überrascht dann doch. Fast unnötig hinzuzufügen, dass in der von Herrn Broder zitierten Resolution des Aktionsbündnisses zur geplanten Demonstration genau von diesem globalen (oder sollen wir sagen: ‘katholischen’, das heißt, den ganzen Weltkreis umspannenden) Anspruch die Rede ist: „Wir wenden uns gegen den Papst als einen der Hauptverantwortlichen für die Unterdrückung von Lesben, Schwulen und Transgender auf der Welt. Auf internationaler Ebene kämpft der Vatikanstaat Seite an Seite selbst mit brutalen Diktaturen gegen die Menschenrechte von Lesben, Schwulen und Transgender.“ Und unmittelbar danach heißt es in der Resolution (von Herrn Broder nicht zitiert): „Den Bestrebungen des Papstes, die eigenen Dogmen zur staatlichen Norm anderer Länder zu erheben, setzen wir unseren Widerstand entgegen.“ Das Bündnis will offenbar doch gerade nicht nur im eignen Saft schmoren und den Herrgott einen guten Mann sein lassen.
    Es ist eben gerade nicht ausreichend zu wissen, dass es den Juden in Deutschland gut geht. Das deutsche Bekenntnis zum Existenzrecht Israels ist kein Lippenbekenntnis. Es ist nicht wohlfeil, im schwulen Berlin gegen schwule Unterdrückung zu protestieren. Die ‚Mutprobe zum Nulltarif’ (Broder) ist eben (in der Tat) keine Mutprobe. Sie ist die Ausübung eines demokratischen Rechts und damit dessen Verteidigung. Den Gegner mit Begriffen zu belegen, die diesem nicht zukommen, heißt, ihn zu diffamieren. Und demokratische Spielregeln bzw. Rechte ins Lächerliche zu ziehen heißt, die Spielregeln der Demokratie lächerlich zu machen. Nach Herrn Broders Lehre darf nur dann jemand auf die Straße gehen und protestieren ohne von ihm der Lächerlichkeit preisgegeben zu werden, wenn er riskiert, dafür hingerichtet zu werden. Wer das Recht auf Demonstrationsfreiheit hat, so Herr Broder, braucht es gefälligst nicht mehr wahrzunehmen. In verquerer Logik scheint Herr Broder den hiesigen Demonstranten sagen zu wollen: ‘Geh doch rüber nach „Uganda, Pakistan oder Saudi-Arabien“, wirst schon sehen, wie da mit deinesgleichen umgegangen wird’, als ob das Berliner „Der-Papst-kommt“-Kommittee die dortigen Verhältnisse gutheißen würde.
    In Herrn Broders Link lesen wir folgendes: ‘Die ILGA (International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association) hat in einer Studie zur rechtlichen Situation von Lesben, Schwulen und transidenten Personen, die in 50 europäischen Staaten durchgeführt wurde, festgestellt, dass die Staaten „Osteuropas“ die Schlusslichter sind (aber für den Wessi Broder gehört Osteuropa wohl nicht zu Europa), wenn es um Schutz und Gleichstellung geht: Die Ukraine, gefolgt von Russland, der Türkei, Moldawien und Weißrussland führen die negative Statistik an. Dicht dahinter der Vatikan-Staat. Polen, Zypern, Malta, Italien und Griechenland (gehören für Herrn Broder alle nicht zum Westen) sowie Litauen bieten alles andere als eine „freundliche Atmosphäre“ für „Andersliebende“ – geschweige denn rechtliche Absicherung oder Anerkennung. In Lettland wird sogar mit Gesetzesbeschlüssen versucht, Homosexualität aus der Öffentlichkeit zu verbannen.’
    Ob Herr Broder wohl schon einmal mit einem Italienischen Schwulen im Bett war? Offenbar nicht, denn sonst wüsste er, dass der Papst oder ‚die Madonna’ fast immer mit am Bettrand sitzen. Und er wüsste etwas von den inneren Kämpfen, den Verleugnungen und den Lebenslügen vieler Schwuler im Land der Zitronen (um von den schwulen Priestern hierzulande erst gar nicht zu reden). So viele verheiratete Schwule wie in Italien habe ich in Deutschland nicht im Entferntesten kennengelernt. Aber Herr Broder stört sich nicht an Doppelmoral und Heuchelei, zumindest nicht bei den Italienern. Der Italiener an sich war ja schon immer falsch! Im Gegenteil: Herr Broder redet der Heuchelei das Wort. Der Rosenkranz macht alles gut. Eine vielleicht katholische, aber nichts desto weniger perfide Vorstellung von Religion, die außerdem den scheinbar notorisch korrupten Italiener zum ‚ewigen Italiener’ macht.

    In einer verqueren Argumentation schrieb die Kongregation für Katholische Glaubenslehre im Juli 1992 an die US-amerikanischen Bischöfe bezüglich der dortigen Gesetzesinitiativen zur Nicht-Diskriminierung, dass Homosexuelle als Menschen dieselben Rechte wie alle anderen Menschen haben (erstaunlich, dass man das einschärfen muss!). Aber es seien keine absoluten Rechte, sondern sie können aufgrund eines Verhaltens, das „als objektiv ungeordnet zu bezeichnen ist, zu Recht eingeschränkt werden. Dies ist zuweilen nicht nur rechtmäßig, sondern verpflichtend, und zwar nicht nur im Falle schuldigen Verhaltens, sondern auch im Falle von Handlungen geistig und körperlich kranker Menschen. So wird es ja auch akzeptiert, dass der Staat z.B. im Falle von Menschen, die ansteckende Krankheiten haben oder geistig krank sind, die Ausübung von Rechten einschränken kann, um das Allgemeinwohl zu schützen.“ In argumentativ nicht nachvollziehbarer Weise werden Homosexualität und Krankheit irgendwie in eins gesetzt. Man stelle sich vor: das Judentum ist eine Krankheit. Echte Deutsche (und Amerikaner) kaufen nicht bei Juden. Es herrscht Ansteckungsgefahr, gegen die die mittelalterliche Pest ein Pipifax war.

    Im Juli 2003 rief der Vatikan alle Gläubigen (darunter auch besonders die Politiker) zum Widerstand gegen die Legalisierung homosexueller Partnerschaften auf. In Italien hat der Vatikan noch vor jeder Wahl dazu aufgerufen, nur Parteien zu wählen, die die ‚(echte) Familie’ schützen. Im April 2010 nannte der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck in einer Talkshow von Anne Will Homosexualität eine ‚Sünde’. Das wird man doch wohl noch sagen dürfen ohne deshalb mit einer Gegendemo oder einem Mahnwort des ‘Zentralrats der Schwulen’ rechnen zu müssen.

    Die Unterdrückung von Lesben, Schwulen und Transgender auf der Welt „ist so global wie der Hunger allgegenwärtig ist“, sagt Herr Broder weiter. „Die einen treibt er zu ‘Feinkost Käfer’, die anderen in eine Suppenküche der Heilsarmee“. Herr Broder meint den Hunger der satten westlichen Welt. (Dass es auch hier Leute gibt, die ihr Essen aus Containern sammeln, ist Herrn Broder nicht bekannt). Herr Broder meint den Hunger als natürliches körperliches Empfinden, etwas essen zu wollen, nicht als Hungersnot. Wie allüberall Menschen Hunger verspüren, wenn sie eine Weile nichts gegessen haben und dann entweder zu ‚Feinkost Käfer’ oder in die Suppenküche der Heilsarmee gehen, um eben diesen zu stillen, so verspüren sie nach einer Weile eben auch den Hunger auf Unterdrückung der Juden, den man dann entweder bei Anne Will oder am Stammtisch des örtlichen Turnvereins stillt. Judenklatschen ist genetisch bedingt! Sorry, Jungs, wir können nicht anders! Und der Papst kann nach Herrn Broder erst recht nicht anders, und deshalb soll ihn auch niemand auffordern, anders zu sein. Gönnen wir uns doch das bisschen Tauben-Vergiften im Park. Alles normal, spricht Otto Normalbürger Broder, macht selbst den Papst und segnet den kleinen Hitler in uns.

    Herr Broder meint außerdem zu wissen, was die Schwulen wollen: da der Papst sie nicht von ihrer sexuellen Orientierung erlösen kann (hier unterstellt Broder, dass es im Grunde besser wäre, wenn der Papst die Homos eben doch sexuell ‚erlösen’ könnte und diese das im Grunde ersehnten), so soll er ihnen wenigstens seinen Segen geben. Ich persönlich will nicht den Segen des Papstes zu meinem ‚Jüdischsein’ bzw. zu meinem ‚Schwulsein’, und es scheint mir auch nicht das Anliegen der Resolution des Aktionsbündnisses ’Der Papst kommt’ zu sein. Aber ich will sagen dürfen – des Papstes vermeintlich oder tatsächlich schwindender Autorität zum Trotz (auch hier hat Broder nur eine deutsche Perspektive) – dass er mich in meiner Religion oder meiner Sexualität nicht kleinreden und schmutzig machen soll. Ich will nicht, dass ‚Jude’ und ‚Dreck’ unwidersprochen als Synonyme verkauft werden dürfen. Herr Broder sieht das wohl anders. Ihm scheinen ‚Juden’ und ‚Drecksjuden’ ein- und dasselbe.

    „Immerhin“, so schließt die Botschaft Herrn Broders tröstlich, „ist im Vatikan lange keine Ehebrecherin gesteinigt und kein Schwuler aufgehängt worden“. Auch hier wieder: eine (eben noch nicht jahrtausendelang tief im Selbstverständnis menschlicher Zivilisation verankerte) ‚Selbstverständlichkeit’ der Zivilgesellschaft wird in ironischer Ãœbertreibung als Sensation verkauft und damit jede mahnende Stimme gegen kleinere Unappetitlichkeiten wie zum Beispiel Salon-Antisemitismus der Lächerlichkeit preisgegeben. Wer nicht mehr auf dem Scheiterhaufen brennt, soll sich gefälligst auch nicht so haben, wenn bloß gekokelt wird. Warum wollen sich die renitenten Juden einfach nicht an unseren, wie wir ja nun wissen, genetisch bedingten Antisemitismus gewöhnen? Schließlich verhetzen wir sie ja nur noch verbal. Unterdrückung und gesellschaftliche Ausgrenzung manifestieren sich für Herrn Broder wohl erst im Moment der Tötung. Verbale Diskriminierung verdient nach seiner Auffassung weder Wachsamkeit noch Widerspruch. Wir werden schon wieder für die Rechte der Juden auf die Straße gehen, sobald nur erst die Öfen brennen. Die Ausgrenzung und Stigmatisierung, die Enteignung und der Gelbe Stern, ja, im Grund auch die Deportationen waren nicht das Problem. Aber ob das mit dem Gas unbedingt hätte sein müssen? Die eingebrannte Nummer allein reicht nicht mehr aus. Nur ein toter Jude ist ein demonstrationsberechtigter Jude.

    Nun, da dieser Schoß also so furchtbar unfruchtbar geworden ist, wollen wir geduldig- ungeduldig darauf warten und durch Nichtstun das Unsre dazutun, bis es – dermaleinst – wieder geschieht. Es wäre ja schon eine Errungenschaft, wenn die nächste Exekution an einem Juden und/oder Schwulen im Vatikan oder anderswo in Europa ‚mit Achtung, Mitleid und Takt’ ausgeführt würde.

  2. Antwort auf Herrn Broders Artikel „Der Papst lässt keine Schwulen steinigen“ in der ‚Welt-Online’ vom 25.06.2011
    Den Brief habe ich auch an Herrn Broder geschickt

    Herr Broder scheint jetzt unter die Katholiken, zumindest aber unter die Verteidiger der katholischen Kirche gegangen zu sein und nimmt es dem Papst nicht übel, dass dieser sich nicht hauptsächlich um die Versorgung der Juden mit koscheren und der Moslems mit halal Lebensmitteln kümmert, die die Juden bzw. Muslime doch von diesem erwarteten.
    Natürlich erwarten das die Juden und Muslime nicht vom Papst, weder haupt- noch nebensächlich, aber sie erwarten sich doch wohl, dass er ihnen nicht in die koschere Suppe spuckt und sie madig macht. Er wird sich das bei den Juden wohl überlegen (bei den Muslimen hat er ja schon mal gepatzt), aber bei den Schwulen können wir arischen Nicht-Schwulen schon mal ein Auge zudrücken. Ihre Diffamierung ist ja nicht unsre Diffamierung. Was geht mich die kirchlich proklamierte Ausgrenzung und Abwertung der Schwulen an? Einem Juden oder Muslim oder Vegetarier oder anonymen Alkoholiker kann sie schnuppe sein. Und in der Tat hat gemäß Herrn Broder zum Beispiel der Zentralrat der Juden nichts anderes zu tun, als sich zu streiten, wer die Grüße der jüdischen Gemeinde an den Papst überbringen darf. Man wird von einem Juden, Muslim, Protestanten, Kommunisten, Vegetarier oder Behinderten doch nicht erwarten, dass sie sich für die Sache der Schwulen starkmachen! Ein Freund der ersteren kann eben durchaus ein Feind der Schwulen sein. Solange nur ich selbst keiner bin!

    Als ob Juden oder Muslime in ihrer religiösen Zugehörigkeit mit Schwulen und Lesben zu vergleichen wären! Als ob innerjüdische Essvorschriften auch nur im Entferntesten etwas mit der sexuellen Orientierung eines Menschen zu tun hätten. Geht es bei dieser um eine mit der Person und Existenz des Menschen untrennbar verbundene Gegebenheit, so handelt es sich bei jenen um Fragen der Gastronomie. Und in diese pfuscht der Papst den Juden (bisher zumindest) nicht hinein.

    Nicht nur, dass die von Broder aufgestellte Gleichsetzung einer persönlich-existentiellen mit einer religiös-gastronomischen Gegebenheit hinkt (das Wesen des Vergleichs ist es zu hinken). Der Vergleich als solcher ist schlichtweg falsch. Homosexualität ist keine persönliche Entscheidung oder Wahl wie das Bekenntnis zu einer Religion oder deren Speisekarte. Aber wenn sie denn nach Herrn Broder schon gleichzusetzen sind – und unter dem Gesichtspunkt einer gesellschaftlichen, von der Mehrheit der Bevölkerung (vermeintlich) akzeptierten und integrierten Minderheit sind sie es ja auch – spielen wir das putzige Spielchen Herrn Broders doch einfach mal durch und setzen an die Verlautbarungen der katholischen Kirche zur Homosexualität das Wort ‚Jude’ statt ‚Homosexueller’. Nicht, dass die katholische Kirche die folgenden Sätze je schreiben würde (sollen wir ihr dafür dankbar sein?), insofern sich Juden eben in der Tat lediglich religiös und nicht in ihrer Eigenschaft und Qualität als Menschen von Katholiken unterscheiden. Dass die katholische Kirche aber die folgenden Sätze über Schwule schreibt und wir dennoch Unverständnis über homosexuelle Protestdemos gegen den Papstbesuch meinen äußern zu müssen, heißt, dass wir den Schwulen dieselbe, in den katholischen Texten zum Ausdruck gebrachte Abqualifizierung angedeihen lassen (Broder erweitert diese noch um den Vorwurf der Überrepräsentierung). Oder sollten wir etwa in der Tat etwas anderes empfinden und anders reagieren, wenn die Kirche in ihren Verlautbarungen von ‘Juden’ statt von ‚Homosexuellen’ gesprochen hätte? Hier folgt die von Herrn Broder angeregte Probe aufs Exempel:

    Soll der Papst die Juden doch ruhig als „objektiv ungeordnet“ und jüdische Handlungen mithin als „in sich nicht in Ordnung“ bezeichnen, die „in keinem Fall zu billigen“ sind. Juden, bekehrt euch! Oder, besser noch: Juden, raus aus Deutschland! Wir können euch nicht zubilligen, jüdisch zu sein! Und soll der Papst bzw. die katholische Kirche doch verlautbaren dürfen, dass das Jüdisch-Sein einer Person für dieselbe „eine schwere Prüfung“ darstelle, Juden also „gestraft“ (!) sind für das, was sie sind. Denn wir wissen doch schließlich alle, dass das Judentum aufgrund seiner immanenten „Ungeordnetheit“ – zu gut deutsch: Perversion – nach katholischer Lehrmeinung besser nicht praktiziert werden sollte. Das ‚Judentum’ „ist zwar in sich nicht sündhaft, begründet aber eine mehr oder weniger starke Tendenz, die auf ein sittlich betrachtet schlechtes Verhalten ausgerichtet ist und die, sobald sie praktiziert wird, als ‚himmelschreiende Sünde’ anzuprangern ist“. Praktizierende Juden an den Pranger! „Aus diesem Grunde muss die Neigung zum ‚Juden’ (das ‚Juden-Gen’?) selbst als objektiv ungeordnet angesehen werden.“ Das heißt: Juden sind Menschen zweiter Klasse, Untermenschen sozusagen, denen man die Ausübung ihrer Religion verbieten sollte.

    Immerhin: den Juden ist nach katholischer Lehrmeinung „mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen. Man hüte sich, sie in irgendeiner Weise ungerecht zurückzusetzen.“ (Man darf sie dann aber wohl ‚gerecht’ zurücksetzen, oder?) Die Nicht-Zurücksetzungsklausel muss wohl deshalb so ausdrücklich betont werden, weil die innere Logik der katholischen Lehre eigentlich das Gegenteil geböte. Also, Jude, ich sage dir zwar, dass du, als Jude, minderwertig bist, aber ich sag’s dir im Guten! Die neuen Öfen, Herr Broder, werden unter Gebeten befeuert werden! Das Böse wird im Kleid der Barmherzigkeit daherkommen. Und Sie werden dazu applaudieren! Wenn nur die Etikette stimmt! Solange die Juden ‚mit Achtung, Mitleid und Takt’ bekämpft werden, ist alles ok. Das also war der Fehler Hitlers: die böse Fratze! Hätte der Führer doch nur gelacht oder die Hände gefaltet in ‘Achtung, Mitleid und Takt’, wir hätten ihm ‚die sechs Millionen’ schon durchgehen lassen.

    Gleichzeitig lehrt der katholische Katechismus, dass für ‚Juden’ das Leben in Entsagung und in Annäherung an die christliche Vollkommenheit „vielleicht auch mit Hilfe einer selbstlosen Freundschaft“ (wir vermuten zu einem guten Katholiken) „bewältigt werden“ könne. Der ‘Untermensch Jude’ ist nur durch die Hilfe des ‚Übermenschen Christ’ zu überwinden, der ‚Beelzebub Jude’ nur mit dem ‚christlichen Gott’ auszutreiben. Das heißt, dass nach dem katholischen Katechismus „Partnerschaften von Juden sehr wohl zu dulden (!) und eventuell (!) sogar zu fördern sind, sofern in dieser keine jüdischen Handlungen vollzogen bzw. solange diese Partnerschaften unter Entsagung an alles Jüdische geführt werden“. Zieh also bloß nie eine Kippa an oder stell bloß keinen 7-armigen Leuchter zu Weihnachten ins Fenster. Gleichstellung und Vergebung mögen dir zukommen, o Jude, wenn du nur nicht praktizierst, das heißt: wenn du verleugnest. Was sollen wir nun dazu sagen? Wollen wir den Gedanken zu Ende denken? Er liegt ja in der Luft, und wir sollen nicht so tun, als ob er es nicht täte. Denn wenn wir nun schon bei der Verleugnung sind, mag wohl manch einer ermuntert sein, nun in ungeheuerlicher Verdrehung der Wirklichkeit, in absoluter Inkompatibilität der Sachlage, und doch unter bewusst in Kauf genommener, wenn nicht gar provozierter Reaktivierung uralter Stereotype und Jahrhunderte lang kultivierter Lügen zu denken, – und beim Zu-Ende-Denken des bösen Gedankens, der uns hier nahegelegt wird, stockt uns der Atem: ‘das wird doch wohl nicht zu viel verlangt sein’! Verleugnung wird doch wohl weder für Juden noch für Schwule so schwer sein, praktizieren sie doch schließlich seit Tausenden von Jahren nichts andres. Wir können uns nicht im Ernst vorstellen, dass Herr Broder solcherlei Assoziationen Vorschub leisten wollte und appellieren hier im Grunde an Herrn Broder vom schlecht informierten Papst an den besser zu informierenden Papst, der sich noch keine Rechenschaft über die Geister abgelegt hat, die er rief. Außerdem lassen wir den möglichen Einwand, dass im katholischen Text eben nicht von ‘Juden’, sondern von ‚Homosexuellen’ die Rede ist, nicht gelten. Das Ungeheuerliche, das man von einer Personengruppe abverlangt, kann nicht noch ungeheuerlicher werden, wenn man sie mit einer anderen Gruppe austauscht. Der Holocaust in seiner Einzigartigkeit kann nicht Gradmesser für die Zivilisation einer Gesellschaft sein. Man kann nicht Juden schützen wollen und die Ausgrenzung der Lesben dulden. Und doch wäre genau das der Fall, wenn uns bei Texten, wo nur ‚Homo’ und nicht ‘Jude’ steht, der Atem nicht stockte. Und genau das ist vermutlich die zentrale These meines Briefs. Dass uns nämlich der Atem bei ‚Schwulen’ nicht stockt, sondern dass uns vielmehr die Hand in der Tasche zur Faust wird. Was ist die gesellschaftliche Gleichstellung der einen Gruppe wert, wenn wir die Diskriminierung der anderen zulassen bzw. ihr nicht widersprechen, oder, schlimmer noch, wenn wir sie nicht (mehr) wahrnehmen? Man wird sich überlegen müssen, ob Hitler nicht insofern doch Erfolg hatte, als der Holocaust in Deutschland die Standards verwässert und die Schmerzgrenze im wahrsten Sinne des Wortes hochgeschraubt hat. Unter sechs Millionen empfinden wir nichts! Nicht zuletzt Herrn Broders Schreiben sowie auch das Stilmittel dieses hier vorliegenden Briefs, der ‘Schwule’ durch ‚Juden’ ersetzt, sind dafür der Beweis. Wenn uns aber tatsächlich erst am Beispiel der Juden klar werden sollte, wie es (auch) um unsre Gesellschaft bestellt ist, dann sind wir zu moralischen Rohlingen geworden, und unser Gutsein kommt nicht aus einer Vorstellung des Guten, sondern aus dem Horror der Zahlen.

    Im Folgenden gebe ich Herrn Broder recht: in der Tat wird man vom Papst keine Segnung von Homosexuellen oder die Berufung von Frauen ins Priesteramt erwarten können. Die DDR war in der Tat nicht reformierbar. Sie war einfach nur abzuschaffen. Und es war richtig und gut, ihr diesen Spiegel vorzuhalten bzw. den anderen, die meinten, sie verteidigen zu müssen, ein entwaffnendes ‚Geh doch rüber in die Sowjetunion’ zu entgegnen.

    Herr Broder muss niemanden daran erinnern, dass jeder, auch der Papst, ein Recht hat, Schwule und/oder Juden nicht mögen zu dürfen. Aber niemand hat das Recht, sie ob ihrer ‘Schwulheit’ oder ‚Jüdischheit’ anzugreifen oder zu diffamieren ohne mit Gegenrede zu rechnen. Anders gesagt: man wird vom Papst nicht die Aufhebung der Diffamierung der Schwulen erwarten dürfen, aber man wird ihn doch wohl kritisieren und gegen seine Institution demonstrieren dürfen, ohne selbst für eben diese Kritik in den Schmutz gezogen zu werden. Dass man, wie Herr Broder meint, „in vielen Ländern im Westen“ dennoch ungestört und öffentlich schwul (und/oder jüdisch) leben kann (wo in Europa bewegt sich Herr Broder eigentlich?), ist doch eben gerade kein Verdienst des Papstes, werden Schwule doch auch noch in vielen Ländern Europas (Herr Broder scheint seinen eigens von ihm angebrachten Link nicht gelesen zu haben) sowohl von politischer als auch kirchlicher Seite als minderwertige, ja abartige – sollen wir sagen: ‚entartete’? – Sünder dargestellt, als eine Spezies, deren Praktiken zu verurteilen sind und deren staatliche Anerkennung im Grunde ein Skandal ist. Juden als Skandal! Nicht nur, dass Herr Broder vom Papst nichts anderes erwartet, nein, Herr Broder wird’s dem Papst nicht einmal verdenken und keine Gegenrede halten wollen. Lasst euch ruhig diffamieren, ihr Juden des Landes und haltet schön stille! Die Gesellschaft, so Broder, hält ja immerhin seit nun schon „20 Jahren“ – und also, so suggeriert Herr Broder, im Grunde schon viel zu lange (und außerdem ohne grundrechtliche Zusage) – ihre schützende Hand über euch. Als wären läppische 20 Jahre eine lange Spanne in der Menschheitsgeschichte. Als wäre die Unversehrtheit des Individuums aufgrund seiner sexuellen Identität eines Menschen ein Grundrecht. Außerdem ist Herrn Broder offenbar nicht bekannt, wie zerbrechlich gewonnene Freiheiten sind. „Und nicht einmal der Bauernverband oder Kardinal Meisner empörten sich“ als bei ‚Bauer sucht Frau’ ein Mann einen Mann suchte. Ja, wäre es denn angebracht gewesen, Herr Broder? Haben Sie sich etwa danach gesehnt? Hätten denn gerade der (Ihrer Meinung nach offensichtlich ohnehin notorisch anti-schwule) Bauernverband oder Kardinal Meisner das Recht oder die Pflicht, sich hier zu empören? Dank Herrn Broders Einlassungen ist man angehalten, sich zu fragen, was sich die Juden heute eigentlich noch alles rausnehmen dürfen, bevor endlich wieder einmal einer auf den Tisch haut, sei’s nun der Bauernverband oder Kardinal Meisner oder aber ein neuer Meister aus Deutschland. Jetzt reicht ’s aber, Juden! Was wollt ihr noch alles? Habt bei gerade mal 12.000 Juden in Berlin, um mal den demographisch-demagogischen Trumpf der Überrepräsentation zu spielen, an ohnehin schon zu vielen Ecken der Stadt (nicht nur in Berlin) jüdische oder koschere Cafes, jüdische Friedhöfe, jüdische Kitas, jüdische Schulen, jüdische Buchläden, jüdische Stadtführungen, Jüdische Kulturtage, Klezmer-Musik bis zum Abwinken, Hebräisch als ordentliches Abifach, Makkabi-Spiele und wollt doch noch mehr? Reicht euch die allenthalben sichtbare Verschwulung der Gesellschaft mit euren (Broder:) ‘Gay-Games, Gay-Hotels, Gay-Kreuzfahrten, Gay-Banking, Gay-Kreditkarten, Gay-Parenting’ nicht? Wir empören uns zwar noch nicht hörbar, aber ihr sollt wissen, dass die Faust in unsrer Tasche geballt ist. Wie viel Verjudung müssen wir denn noch ertragen? Was müsste noch passieren, damit der Zentralrat der Juden erklärt: Mission accomplished!? Die Konversion Angela Merkels zum Judentum? Das ist es, was Herr Broder suggeriert! Genug der Rechte und Repräsentation! Haltet endlich die Klappe! Haben die Juden nicht genug Repräsentanten in Funk und Fernsehen und Öffentlichkeit? Und wollen sie nicht immer noch mehr? Als ob die Stellung der Juden in der Öffentlichkeit eine Konsequenz und ein Verdienst der katholischen Kirche und nicht der Zivilgesellschaft und deren erst langsam gereifter Erkenntnisse nach dem Holocaust und der Verfolgung auch Homosexueller im Zweiten Weltkrieg wären. Und, vielleicht noch wichtiger: nicht nur Deutschland wird am Hindukusch, auch der Hindukusch wird in Deutschland verteidigt! Wer hier für seine eigene Menschenwürde als Homosexueller eintritt, tritt auch für die Würde anderer Homosexueller ein. Wer hier seinen Widersachern widerspricht, widerspricht einer Sache an sich, einem Prinzip, einer Maxime, deren Infragestellung auch für andere, die nicht im selben Gesellschaftssystem leben, gilt. Dass ausgerechnet hier, beim Gedanken der Stellvertretung, dem vermeintlichen Neu-Katholiken Bruder Broder das Verständnis für dieselbe fehlen sollte, überrascht dann doch. Fast unnötig hinzuzufügen, dass in der von Herrn Broder zitierten Resolution des Aktionsbündnisses zur geplanten Demonstration genau von diesem globalen (oder sollen wir sagen: ‘katholischen’, das heißt, den ganzen Weltkreis umspannenden) Anspruch die Rede ist: „Wir wenden uns gegen den Papst als einen der Hauptverantwortlichen für die Unterdrückung von Lesben, Schwulen und Transgender auf der Welt. Auf internationaler Ebene kämpft der Vatikanstaat Seite an Seite selbst mit brutalen Diktaturen gegen die Menschenrechte von Lesben, Schwulen und Transgender.“ Und unmittelbar danach heißt es in der Resolution (von Herrn Broder nicht zitiert): „Den Bestrebungen des Papstes, die eigenen Dogmen zur staatlichen Norm anderer Länder zu erheben, setzen wir unseren Widerstand entgegen.“ Das Bündnis will offenbar doch gerade nicht nur im eignen Saft schmoren und den Herrgott einen guten Mann sein lassen.
    Es ist eben gerade nicht ausreichend zu wissen, dass es den Juden in Deutschland gut geht. Das deutsche Bekenntnis zum Existenzrecht Israels ist kein Lippenbekenntnis. Es ist nicht wohlfeil, im schwulen Berlin gegen schwule Unterdrückung zu protestieren. Die ‚Mutprobe zum Nulltarif’ (Broder) ist eben (in der Tat) keine Mutprobe. Sie ist die Ausübung eines demokratischen Rechts und damit dessen Verteidigung. Den Gegner mit Begriffen zu belegen, die diesem nicht zukommen, heißt, ihn zu diffamieren. Und demokratische Spielregeln bzw. Rechte ins Lächerliche zu ziehen heißt, die Spielregeln der Demokratie lächerlich zu machen. Nach Herrn Broders Lehre darf nur dann jemand auf die Straße gehen und protestieren ohne von ihm der Lächerlichkeit preisgegeben zu werden, wenn er riskiert, dafür hingerichtet zu werden. Wer das Recht auf Demonstrationsfreiheit hat, so Herr Broder, braucht es gefälligst nicht mehr wahrzunehmen. In verquerer Logik scheint Herr Broder den hiesigen Demonstranten sagen zu wollen: ‘Geh doch rüber nach „Uganda, Pakistan oder Saudi-Arabien“, wirst schon sehen, wie da mit deinesgleichen umgegangen wird’, als ob das Berliner „Der-Papst-kommt“-Kommittee die dortigen Verhältnisse gutheißen würde.
    In Herrn Broders Link lesen wir folgendes: ‘Die ILGA (International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association) hat in einer Studie zur rechtlichen Situation von Lesben, Schwulen und transidenten Personen, die in 50 europäischen Staaten durchgeführt wurde, festgestellt, dass die Staaten „Osteuropas“ die Schlusslichter sind (aber für den Wessi Broder gehört Osteuropa wohl nicht zu Europa), wenn es um Schutz und Gleichstellung geht: Die Ukraine, gefolgt von Russland, der Türkei, Moldawien und Weißrussland führen die negative Statistik an. Dicht dahinter der Vatikan-Staat. Polen, Zypern, Malta, Italien und Griechenland (gehören für Herrn Broder alle nicht zum Westen) sowie Litauen bieten alles andere als eine „freundliche Atmosphäre“ für „Andersliebende“ – geschweige denn rechtliche Absicherung oder Anerkennung. In Lettland wird sogar mit Gesetzesbeschlüssen versucht, Homosexualität aus der Öffentlichkeit zu verbannen.’
    Ob Herr Broder wohl schon einmal mit einem Italienischen Schwulen im Bett war? Offenbar nicht, denn sonst wüsste er, dass der Papst oder ‚die Madonna’ fast immer mit am Bettrand sitzen. Und er wüsste etwas von den inneren Kämpfen, den Verleugnungen und den Lebenslügen vieler Schwuler im Land der Zitronen (um von den schwulen Priestern hierzulande erst gar nicht zu reden). So viele verheiratete Schwule wie in Italien habe ich in Deutschland nicht im Entferntesten kennengelernt. Aber Herr Broder stört sich nicht an Doppelmoral und Heuchelei, zumindest nicht bei den Italienern. Der Italiener an sich war ja schon immer falsch! Im Gegenteil: Herr Broder redet der Heuchelei das Wort. Der Rosenkranz macht alles gut. Eine vielleicht katholische, aber nichts desto weniger perfide Vorstellung von Religion, die außerdem den scheinbar notorisch korrupten Italiener zum ‚ewigen Italiener’ macht.

    In einer verqueren Argumentation schrieb die Kongregation für Katholische Glaubenslehre im Juli 1992 an die US-amerikanischen Bischöfe bezüglich der dortigen Gesetzesinitiativen zur Nicht-Diskriminierung, dass Homosexuelle als Menschen dieselben Rechte wie alle anderen Menschen haben (erstaunlich, dass man das einschärfen muss!). Aber es seien keine absoluten Rechte, sondern sie können aufgrund eines Verhaltens, das „als objektiv ungeordnet zu bezeichnen ist, zu Recht eingeschränkt werden. Dies ist zuweilen nicht nur rechtmäßig, sondern verpflichtend, und zwar nicht nur im Falle schuldigen Verhaltens, sondern auch im Falle von Handlungen geistig und körperlich kranker Menschen. So wird es ja auch akzeptiert, dass der Staat z.B. im Falle von Menschen, die ansteckende Krankheiten haben oder geistig krank sind, die Ausübung von Rechten einschränken kann, um das Allgemeinwohl zu schützen.“ In argumentativ nicht nachvollziehbarer Weise werden Homosexualität und Krankheit irgendwie in eins gesetzt. Man stelle sich vor: das Judentum ist eine Krankheit. Echte Deutsche (und Amerikaner) kaufen nicht bei Juden. Es herrscht Ansteckungsgefahr, gegen die die mittelalterliche Pest ein Pipifax war.

    Im Juli 2003 rief der Vatikan alle Gläubigen (darunter auch besonders die Politiker) zum Widerstand gegen die Legalisierung homosexueller Partnerschaften auf. In Italien hat der Vatikan noch vor jeder Wahl dazu aufgerufen, nur Parteien zu wählen, die die ‚(echte) Familie’ schützen. Im April 2010 nannte der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck in einer Talkshow von Anne Will Homosexualität eine ‚Sünde’. Das wird man doch wohl noch sagen dürfen ohne deshalb mit einer Gegendemo oder einem Mahnwort des ‘Zentralrats der Schwulen’ rechnen zu müssen.

    Die Unterdrückung von Lesben, Schwulen und Transgender auf der Welt „ist so global wie der Hunger allgegenwärtig ist“, sagt Herr Broder weiter. „Die einen treibt er zu ‘Feinkost Käfer’, die anderen in eine Suppenküche der Heilsarmee“. Herr Broder meint den Hunger der satten westlichen Welt. (Dass es auch hier Leute gibt, die ihr Essen aus Containern sammeln, ist Herrn Broder nicht bekannt). Herr Broder meint den Hunger als natürliches körperliches Empfinden, etwas essen zu wollen, nicht als Hungersnot. Wie allüberall Menschen Hunger verspüren, wenn sie eine Weile nichts gegessen haben und dann entweder zu ‚Feinkost Käfer’ oder in die Suppenküche der Heilsarmee gehen, um eben diesen zu stillen, so verspüren sie nach einer Weile eben auch den Hunger auf Unterdrückung der Juden, den man dann entweder bei Anne Will oder am Stammtisch des örtlichen Turnvereins stillt. Judenklatschen ist genetisch bedingt! Sorry, Jungs, wir können nicht anders! Und der Papst kann nach Herrn Broder erst recht nicht anders, und deshalb soll ihn auch niemand auffordern, anders zu sein. Gönnen wir uns doch das bisschen Tauben-Vergiften im Park. Alles normal, spricht Otto Normalbürger Broder, macht selbst den Papst und segnet den kleinen Hitler in uns.

    Herr Broder meint außerdem zu wissen, was die Schwulen wollen: da der Papst sie nicht von ihrer sexuellen Orientierung erlösen kann (hier unterstellt Broder, dass es im Grunde besser wäre, wenn der Papst die Homos eben doch sexuell ‚erlösen’ könnte und diese das im Grunde ersehnten), so soll er ihnen wenigstens seinen Segen geben. Ich persönlich will nicht den Segen des Papstes zu meinem ‚Jüdischsein’ bzw. zu meinem ‚Schwulsein’, und es scheint mir auch nicht das Anliegen der Resolution des Aktionsbündnisses ’Der Papst kommt’ zu sein. Aber ich will sagen dürfen – des Papstes vermeintlich oder tatsächlich schwindender Autorität zum Trotz (auch hier hat Broder nur eine deutsche Perspektive) – dass er mich in meiner Religion oder meiner Sexualität nicht kleinreden und schmutzig machen soll. Ich will nicht, dass ‚Jude’ und ‚Dreck’ unwidersprochen als Synonyme verkauft werden dürfen. Herr Broder sieht das wohl anders. Ihm scheinen ‚Juden’ und ‚Drecksjuden’ ein- und dasselbe.

    „Immerhin“, so schließt die Botschaft Herrn Broders tröstlich, „ist im Vatikan lange keine Ehebrecherin gesteinigt und kein Schwuler aufgehängt worden“. Auch hier wieder: eine (eben noch nicht jahrtausendelang tief im Selbstverständnis menschlicher Zivilisation verankerte) ‚Selbstverständlichkeit’ der Zivilgesellschaft wird in ironischer Übertreibung als Sensation verkauft und damit jede mahnende Stimme gegen kleinere Unappetitlichkeiten wie zum Beispiel Salon-Antisemitismus der Lächerlichkeit preisgegeben. Wer nicht mehr auf dem Scheiterhaufen brennt, soll sich gefälligst auch nicht so haben, wenn bloß gekokelt wird. Warum wollen sich die renitenten Juden einfach nicht an unseren, wie wir ja nun wissen, genetisch bedingten Antisemitismus gewöhnen? Schließlich verhetzen wir sie ja nur noch verbal. Unterdrückung und gesellschaftliche Ausgrenzung manifestieren sich für Herrn Broder wohl erst im Moment der Tötung. Verbale Diskriminierung verdient nach seiner Auffassung weder Wachsamkeit noch Widerspruch. Wir werden schon wieder für die Rechte der Juden auf die Straße gehen, sobald nur erst die Öfen brennen. Die Ausgrenzung und Stigmatisierung, die Enteignung und der Gelbe Stern, ja, im Grund auch die Deportationen waren nicht das Problem. Aber ob das mit dem Gas unbedingt hätte sein müssen? Die eingebrannte Nummer allein reicht nicht mehr aus. Nur ein toter Jude ist ein demonstrationsberechtigter Jude.

    Nun, da dieser Schoß also so furchtbar unfruchtbar geworden ist, wollen wir geduldig- ungeduldig darauf warten und durch Nichtstun das Unsre dazutun, bis es – dermaleinst – wieder geschieht. Es wäre ja schon eine Errungenschaft, wenn die nächste Exekution an einem Juden und/oder Schwulen im Vatikan oder anderswo in Europa ‚mit Achtung, Mitleid und Takt’ ausgeführt würde.

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