Islands Verfassung ist fertig.

Es ist geschafft. Eine der interessantesten Demokratie-Projekte der letzten Jahre wurde fertig gestellt. Island hat eine neue Verfassung geschrieben. Geschrieben wurde diese neue Verfassung nicht von Parteienvertreter_innen, die hinter verschlossenen Türen verhandelt haben, sondern konnte von allen Isländern und Isländerinnen mitgeschrieben werden. Dass die neue Verfassung angenommen wird, gilt als wahrscheinlich.

Bisher hatte Island eine Verfassung aus dem Unabhängigkeitsjahr 1944 und war sehr stark an das dänische Grundgesetz (bis dahin Königsmacht über Island) angelehnt. Die Entstehungsgeschichte der neuen isländischen Verfassung – ersehnt nach der ökonomischen Krise 2008 – ist einzigartig und wurde in diesem Blog verfolgt. Schon im Vorfeld ging der Nordatlantik-Staat einen völlig neuen Weg und ließ Bürger und Bürgerinnen in einen Verfassungsrat wählen (siehe diesen Beitrag aus dem November 2010).

Daraufhin wurde die Website Stjórnlagaráð 2011 eingerichtet, inklusive Social Media-Kanäle auf Twitter, YouTube und Facebook (siehe diesen Blogbeitrag). So konnte jede Isländerin und jeder Isländer mitdiskutieren, mitformulieren, vorschlagen, verwerfen usw. Dieser Prozess ist nunmehr beendet und Island schlägt einen neuen Verfassungstext vor. Geschrieben quasi von allen.

Bereits die ersten Zeilen des neuen Grundgesetzes verdeutlichen den Weg, den Island beschreiten will*:
„Bereits die ersten Siedler Islands versuchten eine gerechte Gesellschaft zu erreichen, indem alle an einem Tisch saßen.“
Island stellt sich also in seine eigene Tradition. Kurz nach der Landnahme gründeten die nordischen Zuwanderer im Jahr 930 den Alþingi. So heißt das Parlament Islands heute noch, auch wenn es sich nicht mehr in der berühmten Schlucht im Þingvellir befindet, sondern mittlerweile in der Hauptstadt Reykjavík. Es ist immer noch das älteste heute noch existierende Parlament der Welt.

Den Isländern ist aber bewusst, dass der Tisch im digitalen 21. Jahrhundert nicht mehr aus (dem in Island seltenen Material) Holz bestehen kann, sondern dass sich der moderne runde Tisch im Internet befindet. Denn man will auch heute noch an einem solchen sitzen um
“ gemeinsam Verantwortung zu tragen für das Erbe der Generationen, das Land und Geschichte, Natur, Sprache und Kultur.“
Inwieweit dieser Meilenstein des Crowdsourcings auf zukünftige demokratische Entscheidungen des Inselstaates Auswirkungen haben werden, wird sich noch zeigen. Ebenso wird es spannend sein zu beobachten, ob sich ein anderer Staat mit einem anderen oder ähnlichen demokratischen Projekt traut Crowdsourcing als modernes Element der Mitbestimmung zu verwenden. Denn freilich ist ein solches Projekt mit 320.000 Einwohner_innen leichter zu bewerkstelligen, als etwa mit 8 Millionen. Aber gerade für kleinere gesetzgebende Einheiten, etwa Kommunen oder Länder föderativer Staaten, ergeben sich völlig neue Möglichkeiten der Bürger_innenbeteiligung. Und es wäre einmal den Versuch wert, so etwas auch in einem Staat mit höheren Bevölkerungszahlen zu versuchen.

Vielleicht zeigt Island ja vor, wohin Demokratie sich im 21. Jahrhundert in einer digitalisierten Zeit, entwickeln kann.

Islands neuer Verfassungsentwurf kann hier nachgelesen werden (über Google Translate schlecht aber doch übersetzbar).
*Übersetzung vermutlich ungenau, da ich einerseits Google Translate verwendete, andererseits diese holprige Übersetzung in ein etwas verständlicheres Deutsch umschreibe. Daher wird es einige Unschärfen geben.

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