Offener Brief an Reigen und BunFireSquad: Sizzla in Wien.

Sehr geehrte Damen und Herren vom Reigen und vom BunFireSquad!

Am 26. März tritt Sizzla im Reigen auf. Das Lokal Reigen ist dabei der Vermieter, BunFireSquad der Veranstalter. Prinzipiell ist es begrüßenswert, dass in Wien ein reiches kulturelles Angebot an Weltmusik – auch Reggae und Dancehall – angeboten werden kann und stattfindet.

Sizzla ist aber ein anderer Fall.

In mehreren Songtexten ruft er offen zur Gewalt gegen Schwule auf. In seinen so genannten Battyman-Tunes wird auch zum Mord gegen schwule Männer aufgerufen („Shot Battybwoy My Big Gun Boom“ im Song Pump Up Her Pum Pum beispielsweise). In Jamaika werden Schwule übrigens tatsächlich umgebracht, wie dieser Bericht zeigt:

Nach vielen Protesten und der Aktion Stop Murder Music hat Sizzla zwar den Reggae Compassion Act (einer Erklärung, der den Künstler verpflichtet auf Hass-Songs zu verzichten) unterzeichnet, sich aber nach der Unterzeichnung wiederholt davon distanziert. In vielen Konzerten singt er nach wie vor die Songs mit Mordaufrufen an Schwule.

Meine Fragen an Sie als Veranstalter des Sizzla-Konzerts bzw. als Vermieter:

Haben Sie eine von Sizzla unterzeichnete Erklärung, dass Hass-Songs und so genannte Battyman-Tunes am 26.3. nicht aufgeführt werden?
Falls Ja: Wird das kontrolliert?
Wieso wird Sizzla zum wiederholten Male nach Österreich eingeladen, obwohl mittlerweile bekannt ist, dass er Lieder aufführt, die zur Gewalt, ja sogar Mord, gegen Schwule aufruft, obwohl er den RCA unterzeichnet hat?
Ist Ihnen die Tatsache, dass er den RCA wiederholt ignoriert hat, nicht bekannt oder haben Sie das ignoriert?
Ist der auf der Website des Reigens veröffentlichte Pressetext, in dem es unter anderem heißt „In seinen sozialkritischen und religiösen Lyrics bringt Sizzla auch dem weiblichen Geschlecht stets tiefen Respekt entgegen.“ zynisch gemeint, weil er diesen Respekt homosexuellen Männern verwehrt (Zitat Sizzla: „Gehst du zu anderen Männern, ziehst du [das Ansehen deiner Mutter] in den Schmutz. Ein Mann muss sich entscheiden, ob er ein Stück Dreck sein will oder ein stolzer Mann.“)?
Ist die Tatsache, dass bei einer Hausdurchsuchung bei Sizzla automatische Maschinengewehre gefunden wurden, die mit seiner Organisation Judgement Yard im Zusammenhang stehen (auch wenn keine Anklage stattfand) Ihrer Meinung nach als Gemeindezentrum zu verstehen, wie es im Pressetext auf der Website vom Reigen steht?
Ist Ihnen bewusst, dass das Wiener Jugendschutzgesetz Jugendliche vor Hass und Hetze gegen Homosexuelle beschützt, daher vor dem Reigen Polizisten stehen müssen, die Unter-18-Jährigen den Zutritt verweigern?
Wie ist die Haltung vom Reigen bzw. von BunFireSquad gegenüber Schwulen und Lesben? Finden Sie Mordaufrufe an Schwule tolerabel?
Werden Sie, sollten Sie diese Details nicht gewusst haben, das Konzert absagen?
Falls Nein: Warum nicht?
Wieso müssen Lesben- und Schwulenverbände immer wieder gegen Auftritte von Hass-Sängern, die zur Ermordung von Schwulen aufrufen, vorgehen? Warum kontrollieren Vermieter_innen und Veranstalter_innen nicht?

Ich bitte um baldige Antwort.
Mit freundlichen Grüßen,

Marco Schreuder

PS: Dieser Offener Brief wurde an rasheed@bunfiresquad.at und kulturverein@reigen.at gesendet.

Politik beim Eurovision Song Contest einst und heute.

Dieses Jahr findet der Eurovision Song Contest 2012 in Baku, der Hauptstadt von Aserbaidschan, statt. Über die dortigen politischen Verhältnisse wird bereits intensiv diskutiert (siehe etwa diesen Beitrag des deutschen Fernsehens).

Ob und wie Politik – abseits von Punkte an „Freunde“ – eine Rolle spielen soll oder darf, ist schon lange Gegenstand vieler emotional geführter Debatten seit es den ESC gibt. In erster Linie soll es um das Völkerverbindende gehen, sagen immer alle einhellig. Das stimmt ja auch. Was aber, wenn ein Beitrag die Politik selbst zum Thema macht? Es war immer schon Tradition auch Politik zu besingen. Oder was, wenn ein Land ein Lied zur Verherrlichung seines Diktators schickt, so wie Belarus 2012 in Düsseldorf?

Blicken wir einmal in die Geschichte des ESC, und erzählen wir einige von vielen Geschichten!

1956 – Kalter Krieg

Als 1956 der erste Eurovision Song Contest in Lugano über die Bühne ging, war Europa fest im Griff des Kalten Krieges, der den Zweiten Weltkrieg ablöste. Das blieb auch in Osteuropa nicht unbemerkt. Der ESC war dort recht erfolgreich – wenn auch illegal. Eine Gegenveranstaltung musste her! Das geschah dann auch: 1961 ging das Sopot Song Festival erstmals on air. Allerdings nie mit dem selben Erfolg.

Der erste Sieg beim ESC 1956 ging an Lys Assia aus der Schweiz mit Refrain. 2012 wollte es die rüstige Dame noch einmal wissen und trat bei der eidgenössischen Vorausscheidung an, konnte aber nicht siegen.

1968 – Spanien, Franco und 2 Jahre Krise

1968 – so besagen es immer mehr Indizien – erkaufte sich das Spanien Francos den Sieg. Die Vorausscheidung war schon politisch genug! Manuel da la Calva schrieb den Song La la la. Allerdings wurde der Song von Joan Manuel Serrat katalanisch vorgetragen und das gefiel dem Franco-Regime gar nicht, aber Serrat wollte es nicht Spanisch singen, obwohl er eine spanische Aufnahme publizierte. Also musste Massiel das Lied singen. Und zwar Spanisch. Juroren und Jurorinnen wurden gekauft, wie das spanische Fernsehen einmal dokumentierte. Und so gewann dieses Liedchen. Cliff Richard – der Topfavorit 1968 – hatte das Nachsehen und konnte mit Congratulations und einem Punkt Abstand nur den 2. Platz belegen. Somit fand der ESC 1969 in Spanien statt. Österreich und andere Länder boykottierten die Diktatur. Dann gewannen dort auch noch 4 Songs gleichzeitig, was dazu führte, dass 1970 kaum noch ein Land am ESC teilnehmen wollte. Der Bewerb stand 2 Jahre lang an der Kippe.

So hätte 1968 der spanische Beitrag eigentlich vorgetragen werden sollen. Das missfiel allerdings dem Franco-Regime. Also musste Massiel ran. Sie gewann nicht ganz ehrlich, wie man heute weiß.

1974 – Revolution in Portugal beim ESC

Eines der bewegendsten Geschichten handelt über den portugiesischen Beitrag 1974. E depois de adeus wurde zur Hymne der Nelkenrevolution 1974. Portugal litt damals unter dem Diktator Marcello Caetano. Paulo de Carvalhos Beitrag landete zwar nur auf dem 14. Platz, aber sein Song war das Startzeichen der Nelkenrevolution, der friedlichen Bewegung der Streitkräfte (MFA) am 24. April 1974. Es war ausgemacht, dass der Marsch auf Lissabon starten soll, wenn das Lied im Radio gespielt wird. Das geschah an diesem Tag um 23 Uhr. Der Rest ist Geschichte, samt Demokratie, EU-Beitritt etc.

Bewegender Zusammenschnitt von Bildern der Nelkenrevolution 1974 eines YouTube-Users mit dem portugiesischen Eurovisionsbeitrag aus dem selben Jahr, der Eurovisionsgeschichte schrieb. Und das trotz Erfolglosigkeit beim Bewerb selbst.

1974 – Italien hat ein Problem

Im selben Jahr hatte Italien ein Problem. Gigliola Cinquetti, Superstar von Deutschland bis Japan und Siegerin 1964, trat mit dem wunderbaren Song Sì an und landete hinter Schwedens Gruppe Abba und ihrem Waterloo auf dem 2. Platz. Blöderweise fand aber in Italien am nächsten Tag ein Referendum statt, in der ein neues Scheidungsrecht zur Abstimmung stand. Die RAI fand Sì (Ja) daher zu manipulativ, zeigte den ESC erst Wochen später in einer Aufzeichnung. Das Referendum endete trotzdem mit einem „Ja“ zum modernen Scheidungsrecht und mir persönlich brachte diese Geschichte einmal einen 300-Euro-Büchergutschein bei der ORF-Sendung Was gibt es Neues?

Ein Songtitel bereitet der RAI Probleme: Gigliola Cinquetti belegte mit Sì hinter Abba den 2. Platz.

1982 – Friedensbewegung, Anti-Atomwaffen-Bewegung und trotzdem Null Punkte

In den 1980-er Jahren war die Friedensbewegung in einer Hochblüte. Das Aufrüsten im Kalten Krieg trieb europaweit Menschen auf die Straße. Sie demonstrierten gegen Pershings und anderen Raketen. Besonders Finnland litt durch die lange Grenze zu Russland darunter. Also sang 1982 ein gewisser Kojo Nuku pomiin (Atombombe) und klagte das atomare Wettrüsten an. Allerdings belohnten die Juries das keineswegs. Nicoles Friedensappelle kamen besser an als eine rockige Anklage: Null Punkte für Finnland.

Das finnische Anti-Atombomben-Engagement blieb von der Jury unbelohnt: Zero points.

1997 – Schwules Lebensgefühl aus Island

Dass der ESC immer schon besonders bei schwulen Männern beliebt war, galt lange als Fakt des ESCs. Nur offen gezeigt oder ausgesprochen wurde das nicht. Zwar galt bereits das luxemburgische Siegerlied 1961 Nous les amoureux als Schwulensong, nur musste man zwischen den Zeilen hören und fühlen. Mit Paul Oscar aka Páll Óskar Hjálmtýsson aus Island änderte sich das. Sein Beitrag Minn hinsti dans wurde sehr schwul vorgetragen. Und bis heute gilt er in Europa als Schwulenikone. Ein Jahr danach gewann die Transsexuelle Dana International für Israel.

1996 fand die erste Regenbogenparade auf der Wiener Ringstraße statt. Ein jahr später quasi auf der Bühne des Eurovision Song Contest. Da alle Live-Auftritte 1997 auf YouTube fürs Einbetten deaktiviert wurden hier das Video zum Song Minn hinsti dans.

2005 – Die Orange Revolution

Die Dramaturgie war perfekt. 2004 gewann die Ukraine den Eurovision Song Contest in Istanbul. Der Bewerb fand 2005 in Kiew statt und stand ganz unter dem Eindruck der Orangen Revolution. Zum ersten Mal betrat ein Präsident die Bühne und der ukrainische Beitrag war die Revolutionshymne schlechthin.

Die ukrainische Revolutionshymne Razom nas bahato von Greenjolly beim Eurovision Song Contest 2005 in Kiew.

2009 – Georgien, Russland, der Krieg und der ESC

2008 fand der Kaukasuskrieg zwischen Georgien und Russland statt. 2009 wollte Georgien trotzdem beim Eurovision Song Contest auftreten, der pikanterweise in Moskau stattfand. Georgien wählte den Song We Don’t Wanna Put In – ein Affront für Russland. Die EBU beugte sich dem Druck des Putin-Regimes und bat Georgien um einen anderen Song. Die zogen sich darauf für ein Jahr aus dem Wettbewerb zurück.

We don’t wanna put in wurde weder von Russland noch von der EBU falsch verstanden. Das Lied durfte 2009 in Moskau nicht gesungen werden. Georgien pausierte ein Jahr.

2009 – Israel und eine arabische Hälfte.

Israel sorgte mehrmals für politische Fragestellungen rund um den Eurovision Song Contest. 1980 nahm Marokko nur deshalb Teil, weil Israel im Johnny Logan-Jahr pausierte. 1998 sorgte der Sieg der transsexuellen Dana International für heftige Diskussionen in Israel und beeinflusste die lesbisch-schwule Emanzipation in Israel ganz wesentlich. 2005 wollte der Libanon am ESC teilnehmen, wollte aber die Sendung während des israelischen Beitrags ausblenden. Das erlaubte ihnen die EBU jedoch nicht und Libanon musste sein bereits gewähltes Lied wieder zurückziehen. 2009 sang die arabische Sängerin Mira Awad mit Noah There Must Be Another Way. Da Awad den Staat Israel repräsentierte, bekam sie ziemliche Probleme mit radikalen Islamisten rund um die Hamas. Boykottaufrufe wurden laut.

Hebräisch, Arabisch und Englisch in einem Song. Das war der radikalen Hamas zu viel.

Und 2012 in Aserbaidschan?

Wir werden sehen. Vielleicht wird ja Conchita Wurst für politisches Aufsehen sorgen, wenn sie singt, man soll zu sich stehen und dabei nie leise sein. Aber das werden wir heute Abend erst wissen. Oder in den nächsten Wochen.

Bundesrat 02.02.2012 – Die Reden.

Dieses Mal hat es leider ein bisschen gedauert bis die Videos da waren. Sorry.

1. Antwort auf Statement von Landeshauptmann Voves (Steiermark)

Der steirische Landeshauptmann Voves war zu Gast im Bundesrat, sprach über Reformen, der Steiermark und Möglichkeiten. Hier meine Replik.

2. Aktuelle Stunde mit Finanzministerin Fekter – Über Finanzpolitik, Schuldenbremse und Sparpaket

Das aktuelle Sparpaket der Bundesregierung war zu diesem Zeitpunkt noch nicht präsentiert. Anlass Grüne Positionen zu verdeutlichen: Wo kann wie eingespart werden und welche Steuern wären sinnvoll.

3. Dringliche Anfrage der FPÖ zum WKR-Ball

Die FPÖ feiert mit rechtsextremen Burschenschafter einen Ball am Shoah-Gedenktag und fühlt sich verfolgt, weil dagegen demonstriert wurde. Die FPÖ: Die Partei, die ständig austeilt, nicht einstecken will und unter Paranoia leidet.

4. Rehabilitierung der Opfer des Nationalsozialismus

Ein historischer Moment im Bundesrat. Alle Opfer des Austrofaschismus werden rehabilitiert. Nach langen Verhandlungen ist es unter anderem v.a. meinen Kollegen im Nationalrat, Albert Steinhauser und Harald Walser, gelungen, dass die Opfer rehabilitiert werden. Spät aber doch.

5. Kunst- und Kulturbericht 2010

Der Kunst- und Kulturbericht 2010 wurde 2012 (!) im Bundesrat behandelt. Wie auch immer. Einiges läuft ja hervorragend in diesem Land, anderes jedoch nicht. Warum zB. wird eine Studie zu den Bundestheatern nicht öffentlich gemacht, wenn Steuerzahler_innen das bezahlen?

Einladung: Vorratsdatenspeicherung und die queere Community.

Einladung zur Info-Veranstaltung:

Vorratsdatenspeicherung und die queere Community

Seit einigen Wochen läuft die Bürger_inneninitiative „Stoppt die Vorratsdatenspeicherung“ – die erste Online-Initiative, die auf der Parlamentswebsite unterzeichnet werden kann und große Erfolge feiert. Über 55.000 Menschen (Stand 15.2.) haben bereits unterzeichnet.

In der queeren Community ist das Thema bislang noch nicht intensiv diskutiert. Dabei waren und sind es vor allem Lesben, Schwule und Transgender, die sich über Kontrolle und Überwachung ihrer elektronischen Daten Gedanken machen sollten!

Am 1. April soll die Vorratsdatenspeicherung (VDS) aufgrund einer EU-Richtlinie auch in Österreich umgesetzt werden. In anderen EU-Staaten wie Deutschland, der Tschechischen Republik, Rumänien und Bulgarien wurde die VDS jedoch bereits für verfassungswidrig erklärt.

Nach der Richtlinie wird sechs Monate gespeichert, wer, wann, wo und mit wem telefoniert hat oder wer, wem, wann und von welchem Anschluss etwa eine Email oder SMS geschickt hat. Die Speicherung der Daten erfolgt verdachtsunabhängig und pauschal für alle Menschen in Österreich.

Was bedeutet dies für die queere Community?

Und was kann man dagegen tun?

Dazu laden wir herzlich ein, um Informationen auszutauschen, Fragen zu beantworten und Strategien gemeinsam zu überlegen.

Mit:

Thomas Lohninger, Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (www.akvorrat.at)
Marco Schreuder, Bundesrat (und auch für Netzpolitik zuständig)
Moderation: Jennifer Kickert, Gemeinderätin

Für Getränke ist gesorgt, Eintritt frei.

Dienstag, 21. Februar, 19 Uhr
Rathaus Wien,
Top 24 (Arkadenhof, Eingang Lichtenfelsgasse, Hinweisschilder folgen)

Social Media Verbot und öffentlich-rechtliches Interesse.

Die KommAustria-Entscheidung, dass der ORF keine Social Media-Kanäle auf Facebook betreiben darf, sorgt für viel Aufsehen. Der ORF wird berufen und zeigt sich kampfeslustig. Nach dem Pelinka-Debakel eine strategische Möglichkeit ein neues Thema in die Öffentlichkeit zu tragen.

Die zwei Perspektiven

Der ORF ist nach wie vor die erfolgreichste TV-Anstalt Österreichs. Das trotz der heimischen und vor allem der deutschen Konkurrenz. Das ist gar nicht mal so selbstverständlich, denn in vielen Staaten ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk eher kleiner als die Privaten. Warum das so ist, kann aus zwei Perspektiven gesehen werden: Entweder ist der ORF einfach gut und das Publikum nimmt das Angebot gerne an, hat rechtzeitig reagiert und sich am Markt behauptet. Oder aber man sieht eine klare Bevorteilung, da die Gebührenkonstruktion des öffentlich-rechtlichen TVs Dinge ermöglicht, die privaten Medien nicht möglich sind. Letztere Perspektive hat sich daher auch bei der letzten ORF-Gesetzesnovelle durchgesetzt. Unter anderem wurden die Internetangebote (die Futurezone etwa) stark reduziert bzw. verboten, Kommentarfunktionen wurden abgeschafft, u.a.

Der Verband der Zeitungsherausgeber (VÖZ) jubelt nach der Entscheidung der KommAustria und will nun auch ORF-Auftritte auf Twitter und Co. verbieten. Armin Wolf dürfte somit – wenn es nach den Verlegern geht – nicht mehr twittern.

Humbug

Aus meiner Sicht ist ein Social Media-Auftrittsverbot des ORF Humbug. Nun war ich selber voriges Jahr für kurze Zeit verantwortlich für einen Social Media-Auftritt des ORF, bin also durchaus subjektiv. Im Frühjahr 2011 betreute ich den Internet-Auftritt von Nadine Beiler beim Eurovision Song Contest in Düsseldorf. Das waren YouTube, Twitter und Facebook. Die Facebook-Seite wird nun unter den „verbotenen Seiten“ gelistet. Als Grund wird angegeben, dass „Werbeeinnahmen“ an amerikanische Konzerne gehen würden. VÖZ hat offensichtlich noch nie eine Facebook-Seite, einen YouTube Account oder einen Twitter-Account angelegt, denn dann wüssten sie, dass sowas gratis ist. Und dass man für internationale Auftritte auch international PR machen will, scheint dem VÖZ nicht zu interessieren.

Aber es gibt noch etwas, das aus meiner Sicht für ein Mehr an Internet-Aktivitäten des ORF spricht:

Öffentlich-rechtliches Interesse

Der ORF ist öffentlich-rechtlich. Das heißt, dass beim ORF nicht ausschließlich marktkonforme Fragen gestellt werden müssen, sondern auch Fragen im Sinne des öffentlichen Interesses. Deshalb darf man durchaus und zurecht den ORF kritisieren, wenn man der Meinung ist der öffentlich-rechtliche Auftrag würde nicht erfüllt werden.

Der VÖZ hat sich 2010 auch bei einem anderen Punkt im ORF-Gesetz durchgesetzt. TV-Sendungen des ORF dürfen ausschließlich 7 Tage im Internet abrufbar sein. Danach müssen sie für immer in den Archiven verschwinden.

Warum eigentlich?

Wäre es nicht gerade im öffentlich-rechtlichen Sinne gut, wenn der ORF ein Archiv anbieten würde? Wäre es nicht großartig, wenn Historiker_innen, Politikwissenschaftler_innen oder sonst interessierte Menschen in einem Online-Archiv herumstöbern könnten, Interviews mit Kreisky, Androsch, Schüssel oder Alfred Hrdlicka nachforschen könnten, Klammer-Interviews aus 1976, Kennedy-Besuch in Wien, o.ä.? Die BBC macht es vor.

Dass ein öffentlich-rechtlicher Sender in direktem Kontakt zu Zuseher und Zuseherinnen stehen will, sollte eigentlich selbstverständlich sein. Daher ist es völlig klar, dass Social Media-Auftritte gut und richtig sind. Es gibt vermutlich nicht wenige Twitter-User, die auf Armin Wolfs Frage „Habe heute Gast XY im ZiB2-Studio – habt ihr Fragevorschläge?“ ihre Frage dann live auf Sendung gestellt sehen konnten (ist mir auch schon ein paar Mal passiert).

Die Verleger sollten sich vielleicht besser Gedanken machen, wie sie ihr eigenes Angebot verbessern können, als sich darauf zu konzentrieren die Möglichkeiten des nunmal erfolgreichen öffentlich-rechtlichen Rundfunks (was immer man persönlich dazu für eine Meinung hat) zu beschneiden oder sie tief ins 20. Jahrhundert zurück zu schicken. Das ORF-Gesetz gehört diesbezüglich repariert.

Warum ACTA abgelehnt werden muss.

Die Grünen werden ACTA ablehnen. Allem voran die Europäischen Grünen haben sich schon seit Monaten mit dem Thema beschäftigt, als es noch kein allzu großes mediales Thema war. Alle Dossiers wurden auf der Website Act on ACTA veröffentlicht.

Warum soll man aber ACTA nun ablehnen? Und warum geht das auch nicht-netzaffinen Leuten was an? Ich versuche das jetzt kurz zusammenzufassen.

Die Facts

ACTA ist ein zwischenstaatliches Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika, der Europäischen Union, Japan und einigen anderen Industriestaaten und Schwellenländern. Entwicklungsländer haben bereits im Vorfeld nicht teilgenommen, kommen doch die meisten Produktkopien aus China und Südostasien. Diese kopierten Produkte haben übrigens erheblich dazu beigetragen, dass gewisse Güter in armen Staaten überhaupt leistbar waren und sind. ACTA wurde von zahlreichen EU-Staaten bereits unterschrieben – darunter auch Österreich – was aber noch nicht bedeutet, dass ACTA bereits gültig ist. Denn das Europäische Parlament muss noch zustimmen und auch nationale Parlamente müssen den Vertrag noch ratifizieren. Einige Staaten haben bereits Bedenken angemeldet, etwa Polen oder Slowenien. Voraussichtlich werden die Parlamente im späteren Frühjahr oder sogar im Herbst abstimmen.

ACTA bedeutet „Anti-Counterfeiting Trade Agreement“. Auf Deutsch bedeutet das in etwa „Abkommen gegen Produktpiraterie“. Der Vertrag wird seit 2008 verhandelt – ohne Öffentlichkeit! Erst ein Beschluss des Europaparlaments sorgte für eine Veröffentlichung des Vertrags. Sonst wäre der geheim durchgewunken worden.

Kritik

Die Kritik an ACTA sind mit drei Überschriften zusammenfassbar: Undemokratisch, netzpolitisch gefährlich und gesundheitspolitisch ebenso.

Undemokratisch:

ACTA wurde jenseits und durch Ausschaltung transparenter Organisationen (WTO oder World Intellectual Property Organization) verhandelt.
Entwicklungsländer werden von Industriestaaten und Konzernlobbies vor vollendeten Tatsachen gestellt.
Wenn ein demokratischer Politiker einen so zustande gekommenen Vertrag zustimmt, stimmt er auch undemokratischen Vorgängen zu. Auch wenn es ein guter Vertrag wäre (manches wurde ja auch tatsächlich wieder weg verhandelt) oder man inhaltlich dem Vertrag zustimmen mag, kann man nie und nimmer ein so zustande gekommenes Dokument zustimmen!

Netzpolitik

Für Internetuser und -userinnen sowie Provider stellt ACTA völlig neue Rahmenbedingungen:

Inhaber von Urheberrechten werden besonders gestärkt.
Schutz von Nutzer_innen werden nicht berücksichtigt.
Provider werden zu Hilfspolizisten „freiwillig gezwungen“ und müssen Inhalte und Userverhalten verfolgen.
Es droht die Gefahr, dass bei einer dritten Mahnung eines Nutzers die Internetverbindung gekappt wird – und damit der Zugang zu Informationen – eigentlich ein Grundrecht des 21. Jahrhunderts.
ACTA ignoriert alle Studien – etwa dass Downloader auch mehr Musik kaufen – glaubt, dass jede Datei, die kopiert wird, auch gekauft worden wäre, was natürlich Humbug ist, aber der Contentindustrie absurd hohe Strafen ermöglicht.

Gesundheitspolitik

Noch in den 90-er Jahren setzte sich Bill Clinton dafür ein, dass AIDS-Medikamente als billigere Generika afrikanischen Staaten zur Verfügung gestellt werden, damit die Epidemie dort besser bekämpfbar wird. Mit ACTA würde ihm das schwerer fallen:

Wettbewerb wird unterbunden, Monopole werden abgesichert.
Generika – etwa aus Indien, dem größten Herstellerland von Generika – können in Europa beschlagnahmt und vernichtet werden, wenn sie etwa nach Afrika transportiert werden.
Europäische Transporteure sind gefährdet, könnten aufhören zu transportieren, obwohl die Generika Menschenleben retten.
Zerstörung von Waren ist leichter möglich als vor ACTA, obwohl die Zerstörung möglicherweise den Tod vieler Menschen bedeutet – oder zumindest kompliziertere und schwierigere Behandlungen in Entwicklungsländern.

Offene Fragen

Am Ende hilft auch ACTA nicht grundlegende Fragen zu beantworten, die im digitalen Zeitalter neu überdacht werden müssen und ohnehin neue rechtliche Rahmenbedingungen benötigen:

Welches Urheberrecht und Patentrecht ist dem digitalen Zeitalter entsprechend neu zu adaptieren? Stimmen unsere Rechtsbestimmungen aus dem 19. Jahrhundert überhaupt noch im digitalen Zeitalter?
Wem gehört das Internet? Sollen Konzerne über nahezu alle Inhalte kontrollieren dürfen?
Netzpolitik wird immer noch als „Randthema“ betrachtet, die Contentindustrie hat alle technologischen Entwicklungen verschlafen. Sollen Internetnutzer und -nutzerinnen tatsächlich im Rückzugsgefecht der Industrie drauf zahlen, obwohl es deren Versagen war?

Wir sagen NEIN zu ACTA!

Hier geht es meiner auf Facebook eingerichteten Seite Österreich muss aus ACTA aussteigen! Bitte liken!

E-Day 2012

Mein Verhältnis mit der Wirtschaftskammer ist zwiespältig. Einerseits versenken sie Millionen mit ihrem Pensionsfonds, schicken massenhaft uninteressante Druckwerke, deren Kosten wohl besser in Start-Ups investiert wären. Gleichzeitig machen sie aber dann auch wieder sehr gute Sachen:

Den E-Day am 1.3.2012 zum Beispiel.

E-Business, was man wie über Mobile Apps, Social Media oder anderen Technologien erreichen kann, Diskussionen, Workshops und viel mehr gibt es an einem Tag zu lernen.

Ich werde da jedenfalls hingehen. Alle Infos hier.

Christoph Chorherr verändert! Ein kulturell-politisches Buch.

Verändert! Wenn dieser Begriff auf einem Druckwerk eines Politikers steht, könnte man ein Wahlprogramm vermuten und fühlt sich an Obamas Change erinnert. Und irgendwie ist das neue Buch von Christoph Chorherr, Grüner Gemeinderat in Wien, auch ein Programm – allerdings ganz ohne Wahl und ganz persönlich von Chorherr, der auch seine eigene Partei zum Nachdenken und Umdenken animieren möchte. Denn hier, in diesem Buch, geht es um die größeren Bögen der Zeitläufte, längerfristiges Denken und im Grunde um unsere (post-)industrielle und (post-)demokratische Kultur, und was daran nicht stimmt, aber sehr wohl veränderbar ist. Wenn man nur will.

Wenn ein Kommunalpolitiker im Untertitel seines Buches schreibt: Über die Lust, Welt zu gestalten, erstaunt das vermutlich viele. Welt? In Wien? Als Kommunalpolitiker? Wie soll das denn gehen? Aber genau deshalb ist das Buch so lesenswert. Globale Fragestellungen werden anhand persönlicher Beispiele des politischen Lebens von Chorherr beantwortet.

Die Themenfelder, die Christoph Chorherr im Buch in einfacher, flüssiger und sehr animierender Sprache behandelt, sind wenig überraschend für diejenigen, die Chorherrs Arbeit seit Jahren kennen. Und trotzdem öffnen sich neue Perspektiven, werden Zusammenhänge seines Handelns hergestellt, die sonst in dieser Form in der politischen Kommunikation kaum möglich sind.

Das Buch beginnt mit Chorherrs Engagement in den Townships Südafrikas, vertieft dann Einsichten in die Bildungspolitik und die verlorene Lust am Lernen in unseren Bildungseinrichtungen, hinterfragt anschließend unsere heutige Demokratie und schwärmt von unterschiedliche Wahlen für Exekutive/Regierung und Legislative/Parlament (was hier im Blog auch bereits gefordert wurde), um dann in mehreren Kapiteln die Themenbereiche Ökologie anzugehen: die Kapitel über eine ökologische Zeitenwende, der Sonne als Energielieferant und das Glück des Radfahrers. Schlussendlich wirft Chorherr ein Blick in die Urbanität – über das gute Leben in der Stadt durch kluge Stadtentwicklung.

So sehr die Themen, die behandelt werden, Chorherrs eigene Schwerpunkte – und somit auch seine über Parteigrenzen hinaus respektierte Expertise – widerspiegeln (er selbst erklärt im Nachwort, warum er etwa nichts zur aktuellen Wirtschaftskrise geschrieben hat), so neu sind viele Gedanken, weil sie der medialen Alltagsdarstellung entrissen werden.

Chorherr ist allem voran ein Kulturpolitiker! Diese für viele wohl erstaunliche Feststellung wird nach der Lektüre von „Verändert!“ deutlich. Denn es sind tatsächlich grundkulturelle Fragestellungen, die der Grüne Gemeinderat stellt: Wie wollen wir zusammen leben? Diese Frage durchzieht das ganze Buch und ist der rote (oder doch eher grüne) Faden.

Beispiele: Wenn Chorherr unser Bildungssystem der Schulen in Frage stellt und fordert, dass wieder vielmehr die Lust am Lernen in den Vordergrund gestellt werden soll, dann ist das mehr als eine politische Frage. Wenn er ökologische Themen behandelt, geht es nicht um Endzeitstimmungen – die von manchen Grünen gerne an die Wand gemalt werden, und die Chorherr dezidiert ablehnt – sondern um die Frage, ob die Gesellschaft mit dem Klimawandel leben will – ganz ohne Weltuntergang aber mit dramatischen Folgewirkungen, auf die wir uns einzustellen hätten. Und fordert eine neue Kultur: nichts weniger als das Ende des industriellen und fossilen Zeitalters. Der ewige Konflikt zwischen Radfahrer_innen, Autofans und den zu Fuß Gehenden wird auch kulturell beleuchtet: Was ist eigentlich Mobilität und Freiheit?

Ich empfehle ausdrücklich das Buch zu lesen. Denn nicht nur Grundgedanken, die politisches Handeln erfordern werden deutlicher gemacht. Auch das Bild des Politikers bekommt in Zeiten des allgemeinen (und berechtigten) Politikfrustes und der Parteienverdrossenheit ein Gegenbild geliefert: Es gibt sie! Die Politiker, die einfach Welt gestalten wollen. Auch in Wien.

Christoph Chorherr
Verändert! Über die Lust, Welt zu gestalten
Verlag Kremayr-Scheriau
192 Seiten, € 22,-
ISBN: 978-3-218-00824-2

Mehr Info:

Über das Buch
Christoph Chorherrs Blog
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Ich bin kein Bobo. Oder der Irrtum eines Begriffs.

„Bobo!“ „Du bist so Bobo!“ „Die Bobos haben keine Ahnung vom richtigen Leben!“ So oder so ähnlich kann man es derzeit oft hören oder in diversen Internetforen immer wieder lesen. Vor allem seit der Krise, die 2008 begann.

Bobo ist für mich so ziemlich das Unwort des letzten Jahrzehnts, obwohl ich ihn anfangs auch verwendete. Es klang cool die innerstädtischen urbanen Menschen, die es sich dort bequem eingerichtet haben und aufgestiegen sind, als „bourgeois bohémien“ zu bezeichnen. Der Begriff stammt ursprünglich vom New York Times-Kolumnisten David Brooks. Er nannte in seinem 2001 veröffentlichtem Buch „Bobos in Paradise“ die urbane Gesellschaftsschicht so, die seit Ende der 90-er Jahre die Innenstädte bewohnen, es zu Geld gebracht haben, Karriere gemacht haben und dafür sorgen, dass ganze Stadtviertel für „Nicht-Bobos“ nicht mehr leistbar sind. Sie sind (waren?) so etwas wie die gemeinsamen Kinder der Alternativen (Hippies, Ökos, Studentisches Milieu) und der Kapitalisten (Yuppies, wie das in den 80-er Jahren hieß), aufgewachsen und sozialisiert im digitalen Zeitalter. So zumindest Brook.

Klang plausibel. Nur dass der Begriff seit 2008 zunehmen abwertend verwendet wird. Als ob die Bobos von Armut, vom Überlebenskampf einer Mehrheitsgesellschaft, vom Alltag außerhalb ihrer schicken urbanen Umgebung keine Ahnung haben würden. Als ob sie Menschen wären, die nicht zu Empathie oder sozialem, politischem oder sonstigem Engagement fähig wären.

Ich habe in meinem Freundeskreis viele, die als Bobos bezeichnet werden (könnten). Manche nennen sich selbst so. Andrea Maria Dusl verarbeitete die Wiener Form des Bobotums in ihrem Buch „Boboville“. Ich sag’s gleich: Ich hab das Buch immer noch (?) nicht gelesen, andere Bücher hatten immer gerade Priorität. Aber ich hab’s gekauft und es steht im Regal und wartet seit Jahren auf einen Blick von mir. Und irgendwie kam ich nie dazu, oder wollte nicht dazu kommen, wie auch immer. Vermutlich weil ich damals den Begriff Bobo schon nicht mehr ertragen konnte.

Warum mag ich den Begriff nicht?

Wenn ich die mir die so genannten Bobos in meinem Umfeld so ansehe, dann sind es zwangsläufig Kinder der 80-er und frühen 90-er. Damals studierten sie, machten sich Gedanken über ihre berufliche Zukunft und waren verunsichert. Die sicheren Jobs der Eltern gab es nicht mehr, – so mit 14 Monatsgehältern, fast unkündbare Stellen und die totale Sicherheit bis zum Tod. Man ging in die Großstadt (in Österreich also vorwiegend Wien), studierte und jobbte. Man angelte sich von Projekt zu Projekt, mit ein bisschen Glück (und Zeit!) beendete man sogar das Studium, arbeitete aber meistens schon anderswo intensiver, als man je hätte studieren können: In Werbeagenturen, in Galerien, in Redaktionen oder wo auch immer. Manchmal mit Fixgehalt, meistens mit Honorarnoten. Überleben in der Großstadt in der Hochzeit des Neoliberalismus. So war das. Ob man das nun gut oder schlecht findet: Es waren die realen Rahmenbedingungen, die alle vorfanden – ob man nun wollte oder nicht.

Und dann kam das Internet.

Mitte der 90-er Jahre waren die Menschen, die ein paar Jahre später eben Bobos genannt werden sollten, älter als ihre Eltern, als diese den Job bekamen, in denen sie immer noch arbeiteten. Und noch immer keine Sicherheit, wie es die Eltern hatten und haben. Aber was Neues passierte: Die digitale Revolution schritt voran. Man machte eifrig mit, denn man muss ja mit der Zeit gehen. Gab es zuvor ein paar gute Computer-Spezialisten und -Spezialistinnen war es plötzlich fast so etwas wie eine Masse, die sich vernetzte und mit dem Thema und den Geräten dazu auseinandersetzte. Von den Nerds zu den Geeks.

Man musste ja mit der Zeit gehen! Denn es war die Zeit des totalen Neoliberalismus. Informationsvorsprung war alles. Und jeder im Freundeskreis war nicht nur ein Freund oder eine Freundin, sondern gleichzeitig Mitbewerber und Mitbewerberin des Lebens.

Und ja: Manche haben es damals geschafft und Geld verdient. Mit neuen Ideen, mit Start-Ups, mit Kreativität, mit vernetztem Denken, die der neuen Zeit und den neuen Technologien entsprachen. Nein, nicht alle haben das geschafft – oh nein. Aber einige. Und diesen Menschen gab David Brooks dann ihren Namen.

Und die Realität?

Die meisten Bobos, die ich kenne sind vom Land in die Stadt gezogen. Nicht wenige entstammen kleinbürgerlichen Verhältnissen, aus denen sie ausbrachen. Die Stadt war nicht nur eine Gelegenheit, um auf die Uni zu gehen. Nein, es war der Platz, an dem man sich nicht mehr verstellen musste und brav Erwartungen erfüllen musste. Für den Vater mag das 14-Monatsgehalt mit unkündbarer Stelle bei der Post, beim Raiffeisen-Verband oder im Lagerhaus noch gereicht haben. Aber diese Stellen gab es nicht mehr, wurden sie doch allesamt von der älteren Generation festgehalten – und nicht hergegeben. In der Stadt konnte man moralische Kleinbürgerlichkeiten hinter sich lassen, offen schwul, offen lesbisch, offen tolerant leben. In der Stadt lernte man die neuen Perspektiven und die Vielfalt kennen, die Migranten und Migrantinnen, oder als Hetero auch mal die Lesben- und Schwulenszene. Und man fand es toll in der Stadt zu leben! Zurecht.

Währenddessen aber ist die Mutter, die alleine zu hause blieb um für die Kinder zu sorgen, Witwe geworden und kämpft plötzlich mit einer Mindestrente. Die Kinder, die die Bobos mittlerweile in die Welt setzten, beginnen nun auch ein Studium und sind noch verunsicherter, als es ihre „Bobo-Eltern“ in den frühen 90-er noch waren.

Und seit 2008 wären diese Menschen also, die sich ein freies Leben in den Innenstädten gönnen, für Elend und Armut verantwortlich? Der Begriff Bobo wird heutzutage fast nur noch mit schicken Städtereisen, Florentiner Kartoffeln, schickes Essen, schicke Kleidung und innerstädtisches Flair assoziiert. Ich jedenfalls finde es nicht schlimm, wenn sich Menschen ein Stück Freiheit gönnen, und ab und zu ein Stückerl Luxus. Würde ich jedem gönnen!

Aber zu glauben, urbane Menschen zwischen 35 und 45 hätten keine Ahnung von Armut und sozialen Problemen, haben selbst keine Ahnung. Denn wenn ich mich so umhöre, haben nahezu alle so genannten Bobos in meinem Umfeld irgendwo Wurzeln, die alles andere als Glamour und Schickimicki sind. Sie sind sich nie sicher, ob sie sich ihre Wohnung noch lange leisten können, arbeiten immer noch als Einzelunternehmer_innen oder hanteln sich von Projekt zu Projekt und haben verdammt wenig Sicherheitsnetz unter sich. Und ihren Familien.

Ich bin kein Bobo. Ich kenne Armut. Ich erlebe sie in der eigenen Familie. Und ich wohne trotzdem in der Stadt, als selbstbewusster schwuler Mann, der Freiheit, seine Wohnung, das offene Leben der Stadt genießt, sich hin und wieder ein kleines Luxus-Zuckerl im Leben gönnt, Glück mit einer politischen Karriere hatte, sich gleichzeitig ein kleines Unternehmen gründete, und der woanders gar nicht frei leben könnte. Ihr könnt mich nennen, wie ihr wollt, aber mich selbst als Bobo bezeichnen? No way! Wenn der Begriff ausschließlich mit einem glamourösen urbanen Leben assoziiert wird, dann ist er einfach grundfalsch und bezeichnet eine Gesellschaft, die es so nie gab. Ich werden den Begriff jedenfalls nicht mehr anwenden. Sozusagen ein Neujahrsvorsatz 2012. Einfach weil er hinten und vorne nicht mehr stimmt. Sollte er überhaupt je gestimmt haben.

Bundesrat 15.12.2011. Die Reden

Ich wurde emotional. Wenn man über Auschwitz-Birkenau redet, und weiß, dass Burschenschafter am Gedenktag der Befreiung des Vernichtungslagers in der Hofburg tanzen und da viele Freiheitliche dabei sein werden, ja dann wird man emotional.

Restaurierung Auschwitz-Birkenau / Abrechnung mit FPÖ und WKR-Ball

Das ehemalige Vernichtungslager und nunmehrige Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau muss dringend restauriert werden. Österreich trägt dazu bei und wird zugleich die österreichische Ausstellung vor Ort neu gestalten, begleitet vom Nationalfonds.

Bezeichnend: Kein einziger FP-Abgeordneter meldete sich zu Wort, sprach aber zugleich zu gut jedem anderen Punkt bei der Sitzung. Obwohl sie dafür stimmte, kritisiere ich Teile der FPÖ, die ständig am Gedankengut des Nationalsozialismus streifen. Und manche davon tanzen am 27.1. am Burschenschafter WKR-Ball – dem Tag an dem die Überlebenden von Auschwitz gedenken, denn an diesem Tag wurde 1945 Auschwitz befreit.

Medientransparenzgesetz

Eine Überraschung. Es brauchte zwar einen Skandal rund um ÖBB-Inserate seitens des damaligen Verkehrsministers und nunmehrigen Bundeskanzlers Werner Faymann und Begünstigungen für Boulevard-Medien seitens vieler Politiker_innen, aber jetzt wurde der Unfug überraschend gut neu geregelt. Hier erkläre ich warum.

Rundfunkgebühr / ORF-Gesetz

Das ORF- bzw. Rundfunkgebühren-Gesetz wurde so abgegeben, dass auch analoge Geräte, die eventuell einmal digital empfangen können, es aber derzeit nicht können, auch wenn der Besitzer oder die Besitzerin das gar nicht beabsichtigen, trotzdem ORF-Gebühren bezahlen müssen, obwohl diese analogen Geräte eh nichts mehr empfangen können. Unlogisch? Eben!

Bundesdienstrecht

Auch die Bundesbediensteten brauchen ein Recht. Die Novelle ist gut gelungen. Sowohl frauenpolitisch als auch für Praktikanten und Praktikantinnen, denn das Ausbeuten von Letzteren wird mit diesem Gesetz abgeschafft. Auch die Generation Praktikum bekommt im Bundesdienst nunmehr eine Abgeltung.

Bundesvergabegesetz

Wenn der Bund Aufträge zu vergeben hat, dann muss man sich das genauer anschauen. Gerade im Bereich Verteidigung, wo es nur einen Käufer – nämlich den Staat – und viele Firmen mit vielen Lobbyisten gibt.