Bundesrat 1.12.2011. Die Reden.

Der Bundesrat am 1.12.2011 fand am Welt-Aids-Tag statt. Deshalb trug ich nicht nur eine Rote Schleife, sondern ging auch in einer meiner Reden darauf ein.

Moderner Föderalismus

Die Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller kam in den Bundesrat um über „modernen Föderalismus“ zu sprechen. Es war im Übrigen eine durchaus gute und substanzielle Rede! Hier trotzdem eine Kritik, allem voran an die in der Verfassung nicht verankerte und vollkommen intransparente „Landeshauptleutekonferenz“. Und ich musste zum ersten Mal den Pult hochstellen, was durchaus zu Problemen führte. 🙂

Budgetdebatte, Schuldenbremse und die Vermögenssteuer

Das Budget kommt nie in den Bundesrat, dafür aber das Budgetbegleitgesetz. Trotzdem eine Gelegenheit zur Schuldenbremse, zur Eurokrise und zu einer Vermögenssteuer zu sprechen.

Bericht der Volksanwaltschaft 2010

Die Volksanwält_innen legten ihren Bericht 2010 vor und dieser wurde im Bundesrat (in einer ausgezeichneten Debatte) diskutiert. Dazu erwähne ich Beispiele zum Fremden- und Asylrecht, zur Gewerbeordnung (Vorverlegung von Sperrstunden von Lokalen) sowie zum Blutspendeverbot von Homosexuellen – es war ja Welt-Aids-Tag an diesem Sitzungstag.

Was man von Faymanns und Failmanns Social Media Auftritt lernen kann.

Dass der Social Media-Auftritt des Teams um Bundeskanzler Werner Faymann in die Hose gegangen ist, wurde in zahlreichen Artikeln, Interviews, Blogbeiträge usw. hinlänglich erklärt. Darauf will ich jetzt gar nicht eingehen, außer mit einem Satz: Erstaunlich, dass das Fehlermachen manchmal wie eine Spirale funktioniert, aus der man dann kaum noch rauskommt.

Was mir aber Sorgen macht ist der spöttische Unterton der zahlreichen Kritiker_innen, und es scheint einzig dieser Ton übrig zu bleiben. Spott dominiert. Nicht, dass der Auftritt keinen Spott vertragen würde, denn dieser ist nunmal kläglich gescheitert und – allem voran! – kostet er viel Steuergeld. Und so ist Werner Failmann in den sozialen Medien mittlerweile populärer als der Kanzler selbst. Und das vollkommen zurecht.

Nein, es geht um etwas Anderes:

Dass ein Bundeskanzler, eine Bundesregierung, ein Ministerium, ein Landesrat oder eine Stadträtin Social Media nutzt, ist nämlich prinzipiell richtig. Wie oft haben gerade die Social Media-Aficionados gefordert, die Politiker_innen sollen doch bitte in Dialog mit den Bürger_innen treten! Und wie sehr sich doch Social Media anbieten würden, um Tendenzen zu erspüren, um Entscheidungen mit diskutieren zu lassen, zuzuhören bzw. transparent zu gestalten, usw.

Ja, der Auftritt von Faymann hat grundlegende Spielregeln von Social Media missachtet, das steht außer Frage. Aber jetzt wäre es an der Zeit, dass wir – die Kritiker und Kritikerinnen – nicht mehr nur spötteln, verächtlich machen und grundsätzlich ablehnen. Denn ein funktionierender Auftritt einer Regierung in den neuen sozialen Medien (und anderswo natürlich genau so) sollte uns ein Anliegen sein. Nach der Zeit des Spottes ist jetzt konstruktive Kritik angesagt!

Wie ein Regierungsauftritt gut funktionieren kann, zeigt etwa Deutschland. Die Bundesregierung rund um Kanzlerin Angela Merkel hat einen Regierungssprecher installiert, der nach Außen kommuniziert. Er hat einen Namen (nämlich Steffen Seibert), ist ansprechbar, ist aus Fleisch und Blut und kein abstraktes „Team Kanzler“ usw. Zudem besteht der Auftritt aus einer Person und hat nebenbei auch noch andere Aufgaben als nur Social Media zu betreuen. Der deutsche Regierungssprecher ist somit billiger als ein Team, zumal er wohl ohnehin angestellt worden wäre – ob nun mit oder ohne Social Media-Auftritt. Siebert begann zu twittern und schaute einfach was daraus wurde. Und es wurde in diesem Fall – zumindest kommunikationstechnisch, ob politisch sei dahingestellt – ein Erfolg.

Daraus kann man lernen. Und fordern. Daher sage ich hier laut: Sagen wir dem Kanzler und seinem Team doch, wie wir uns das vorstellen! Sagen wir dem Kanzler und seinem Team, welche Erwartungen wir haben! Ganz konkret.

Stefan Bachleitner hat heute in seinem Blogbeitrag den Rücktritt von Werner Failmann gefordert, der Online-Persiflage auf den Bundeskanzler. Soweit würde ich nun nicht gehen (obwohl ich mir seit Erscheinen des Failmann-Humtata-Songs da auch nicht mehr so sicher bin), aber bei einer Sache hat er recht: Wenn berechtigte Kritik ausschließlich auf Spott ausgerichtet ist, dann fehlt einfach die Konstruktivität.

Warum?

Weil ich nicht will, dass der Spott und die Kritik dazu führt, dass Politiker und Politikerinnen deshalb keinen Social Media-Auftritt mehr machen, weil sie zu sehr Angst haben müssten sich die Finger zu verbrennen.

Werner Failmann soll meiner Meinung nach nicht zurücktreten. Aber Kritik soll eben auch mal konstruktiv sein. Und zu kritisieren gibt es bei dieser Bundesregierung und diesem Bundeskanzler ohnehin genug. Aber veröffentlichen soll er das bitte sehr wohl in Social Media-Kanälen. Und sich die Kritik anhören, wahrnehmen, zuhören und daraus lernen auch. Ob dies dann auch wirklich geschieht, steht freilich auf einem anderen Blatt.
PS: Noch eine kleine Anmerkung, nachdem ich soeben angerufen wurde und zur Klarstellung: Spott und kabarettistische Auseinandersetzung mit dem Korruptionssumpf, dem politisch überholten System, und all das, finde ich vollkommen richtig. Ich bezog mich in diesem Artikel einzig und allein auf den Spott zum Social Media-Auftritt!

25 Jahre Grüne. Eine ganz persönliche Erinnerung.

Als die Grünen 1983 dann doch nicht ins Parlament kamen, war ich enttäuscht. Obwohl ich damals erst 3 Tage vor meinem 14. Geburtstag war. Politik begann mich zu interessieren und zufällig sprach ich mit dem Lehrer meines Vertrauens darüber. Das war in der Hauptschule Bad Ischl. Dieser war nämlich enttäuscht, dass die Grünen (er wählte vermutlich die VGÖ, es kandidierte auch eine zweite Grüne Liste namens ALÖ) den Einzug nicht schafften. Ich mochte diesen Lehrer immer sehr und vertraute ihn. Meine erste Sympathie für die Grünen in meinem Leben! Ich erinnere mich auch, dass meine Eltern nach dem Umzug nach Österreich immer sehr entsetzt waren, wie stark die neue Wahlheimat von Proporz durchzogen war. Dass die Entscheidung zu welchem Sportverein, zu welchem Automobilclub, zu welcher Rettungsorganisation usw. man auch immer ging, es auch eine Entscheidung war, ob man zu einer roten oder schwarzen Organisation ging. Für niederländische Zuwanderer schlicht unfassbar.

Über ein Jahr später prägten die Ereignisse in Hainburg auch mich. Ich sog die Berichterstattung förmlich auf. Mir gefiel, was die Besetzer und Besetzerinnen der Au da machten. Ich war noch zu jung um selber hinzufahren, meine Eltern hätten das wohl auch kaum gestattet – zumal ich in einer Religion aufwuchs, die etwa die Teilnahme an Wahlen ablehnte.

Noch prägender war dann aber das Jahr 1986 – ein Schlüsseljahr meiner politischen Biografie – , ein Jahr, das sich in 2 Wörter zusammen fassen lässt: Waldheim und Tschernobyl. NS-Geschichte war zwangsläufig in meiner Familie ein großes Thema. Mein Geburtsort wurde von den Nazis nahezu vernichtet und zahlreiche Männer aus dem Dorf kamen in KZs um. Die andere Hälfte der Familie kam aus dem von den Nazis völlig zerstörtem Rotterdam. Zeugen Jehovas, die Religion in der ich aufwuchs, wurde von den Nazis verfolgt. So etwas prägt. Wie dann rund um Waldheims Kandidatur hierzulande mit Österreichs NS-Geschichte umgegangen wurde, entsetzte uns alle. Die Atomkatastrophe von Tschernobyl traf das Salzkammergut besonders hart. Ich bekam klare Anweisungen was ich tun durfte und was ich nicht tun durfte. Ich sah nur eine Kraft, die in beiden Fällen das aussprach, was ich mir dachte. Und das waren die Grünen. Und die kamen ins Parlament. Und ich freute mich riesig.

Wahlberechtigt war ich aber auch die kommenden Jahre nicht, als ich dann bereits über 18 Jahre alt war. Ich blieb Niederländer, denn ich wartete verzweifelt darauf, dass auch Österreich endlich eine Doppelstaatsbürgerschaft einführt. Ich sah überhaupt nicht ein, dass ein Staat vorschreibt, welche Identität man hat und negiert, dass man auch mehrere Identitäten gleichzeitig haben kann in einer mobil gewordenen Welt. Und wieder waren es nur die Grünen, die dieses Problem thematisierten. Sie hatten meine volle Unterstützung, wenn auch nicht mittels Kreuzchen bei Wahlen. Und dann war noch die Sache mit der Homosexualität. Und es war eine Politikerin- ihr name: Terezija Stoisits – die ich diesbezüglich vertraute und die in meinem Sinne Gleichberechtigung forderte. Und freilich Heide Schmidt vom Liberalen Forum, was ich hier keineswegs verheimlichen möchte. Nebenbei wuchs 1986 Ausländerfeindlichkeit und Haiders FPÖ. Und natürlich war ich 1993 beim Lichtermeer dabei.

Dass ich dann – Jahre später – den Festakt „25 Jahre Grüne im Parlament“ einmal moderieren würde, konnte ich damals weder ahnen und auch nicht erträumen. Wie es dazu kam ist eh bekannt: 2001 bekam ich eine Email von Maria Vassilakou und den Grünen Andersrum (es leben die Newsletter!) mit der Frage: „Wer traut sich für mich zu arbeiten?“, ich bewarb mich, wurde Vassilakous Mitarbeiter, kandidierte 2005 für den Landtag und so weiter…

Nun wäre natürlich der Moment, in der ich über die kommenden 25 Jahre reden müsste, über die großen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft, über die Demokratiekrise und all die Krisen überhaupt. Über die Rolle, die Chancen und die Gefahren für die Grünen. Aber belassen wir es in diesem Blogbeitrag einmal beim Blick zurück.

Nur noch dies:

Immer wenn ich in Wahlkämpfen unterwegs war, und mich Menschen ansprachen, was ihnen an den Grünen denn so alles nicht passen würde um dann 1, 2 und manchmal 3 Punkte beispielhaft erwähnten, antwortet ich oft: „Ich bin Mandatar der Grünen. Glauben Sie, dass ich deshalb automatisch mit 100{6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7} der Grünen Positionen übereinstimme? Nein! Aber wenn mir die Herausforderungen der Zukunft wichtig sind – etwa in Klimafragen oder in der Bildungspolitik, wenn Menschenrechte für mich unteilbar sind, wen ich Europa als Friedens- und Demokratieprojekt begreife, was habe ich denn für eine andere Wahl? Eine Partei, die zu 100{6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7} meine persönlichen Positionen widerspiegelt, kann und wird es nie geben!“

Wofür ich den Grünen dankbar bin? Das, was mir wichtig ist und wofür ich mich einsetze, könnte ich nirgendwo anders tun. So einfach ist das.

Und Frust über die Grünen? Ja klar, habe ich auch immer wieder. Aber 25 Jahre ist ja im Grunde ja verdammt jung…

Bundesrat 4.11.2011. Die Reden

Um ein bisschen mehr an Transparenz politischer und parlamentarischer Prozesse herzustellen, werde ich – soweit es technisch geht – alle Bundesratsreden hier online stellen, bzw. in meinem YouTube Channel veröffentlichen. An meinem allerersten Bundesratstag, an dem ich auch angelobt worden bin, hatte ich zwei Reden.

In meiner Premiere im Bundesrat stelle ich mich vor allem einmal vor – und stellte den Sinn oder Unsinn des Bundesrats selbst auch zur Diskussion. Das gefiel nicht allen, und ich war schon etwas überrascht gleich in meiner Erstrede unterbrochen zu werden. Keine feine englische Art der Präsidentin. Aber was soll’s. Ich lass mir eh nicht gerne das Wort verbieten. Es ging allerdings tatsächlich um das Telekommunikationsgesetz. Darauf gehe ich in der 2. Hälfte dann auch ein.

In der zweiten Rede geht es um das Wertpapieraufsichtsgesetz.

Heute abend: Diskussion zur isländischen Verfassung "von unten".

Der Aktionsradius Augarten, eine seit Jahren im 20. Bezirk aktive und engagierte Kulturinitiative, hat in diesem Monat den Schwerpunkt Krise der Dermokratie. In zahlreichen Veranstaltungen wird dieser (realen? vermeintlichen?) Krise nachgegangen.

Heute Abend moderiere ich dazu eine Podiumsdiskussion mit dem Wiener Rechtsanwalt Alfred J. Noll sowie dem deutschen Juristen und Blogger Maximilan Steinbeis (verfassungsblog.de).

Was macht die isländische Verfassung so besonders, dass man darüber diskutieren möchte – zumal wenn es um das Thema „Krise der Demokratie“ geht? Island schrieb sich nach der schweren Krise, die das Land erfasste, eine ganz besondere Verfassung. Sie wurde mithilfe des Internets und Social Media Plattformen in einer einzigartigen Aktion des Crowdsoucings geschrieben. Jede und Jeder durfte und konnte daran teilnehmen. (Siehe dazu diesen und diesen Blogbeitrag.)

Vorbild für den Rest der Welt? Ist das Internet eine der Lösungsvorschläge für unsere Krise der Demokratie? Diese und andere Fragen werden wir heute besprechen.

Übrigens liegt die isländische „Verfassung von unten“ mittlerweile auch englischsprachig vor.

Ein isländisches Experiment: Verfassung von unten
Dienstag 15.11., 19:30 Uhr
Gaußplatz 11, 1200 Wien

World Wide Wahnsinn – meine neue Kolumne

World Wide Wahnsinn – so lautet meine neue Kolumne im Magazin Name it, dem Gay Lifestyle Magazin aus Wien, das sich vor allem – aber nicht nur – an ein queeres Publikum wendet. In der Kolumne werde ich Neues, Absurdes, Spannendes, Komisches manchmal Politisches rund um das Thema Internet mit all seinen sonnigen und schattigen Seiten berichten.

In der Sommerausgabe begann es mit einem kleinen Artikel zum damaligen Start von Google+, woraus die Idee entstand daraus eine fixe Kolumne zu gestalten. In der soeben erschienen Ausgabe, die ab sofort in guten Kiosken und in der Szene zu bekommen ist, beleuchte ich die Diskussion rund um die neuen terms of use bei den bei Schwulen beliebten blauen Seiten Gayromeo. Und frage daher mal provokant:

Wem gehört mein Schwanzpic?

Groß war die Aufregung. GayRomeo veröffentlichte neue Terms of use und prompt wunderten sich viele User: Was? Die wollen, dass ich die Fotorechte abtrete? So zumindest wurde es unter Artikel 5.3 der Nutzungsbedingungen geschrieben:
„The user agrees […] he automatically grants PlanetRomeo a […] right to use, reproduce, circulate and make public content […] for PlanetRomeo’s own marketing and/or promotional purposes“.
Und auch die Weitergabe an Dritte wurde da als möglich erwähnt. Ja, das Nutzerverhalten hat sich in den letzten Jahren verändert – Google und Facebook sei Dank. Dating-Plattformen gab es bereits vor Facebook und können als Vorläufer der großen sozialen Medien gelten. Es sind die User, die den Content und die Attraktivität ausmachen. Die Diskussionen, wem dieser von Usern generierte Content dann eigentlich gehört, sind nicht unbekannt und wurden vor allem über Facebook geführt. Dabei wurde auch viel Nonsens berichtet.

Da gab und gibt es Panikmacher auf der einen Seite, die Philosophie, die Welt möge sich doch bitte auf die neuen Medien einstellen (Alles ist öffentlich! Das ist eine Revolution wie damals bei der Erfindung desBuchdrucks!) auf der anderen Seite. Doch wem gehören die Fotos wirklich? GayRomeo machte mittlerweile einen Rückzieher und die Rechte gehören wieder dem Nutzer.

Man muss aber auch Positives erwähnen: Immerhin hat GayRomeo überhaupt Nutzungsbedingungen und macht sich Gedanken. Ihr Verschlüsselungsdienst ist in Ländern, die Homosexualität kriminalisieren, gratis. Und andere schwule Dating-Sites? Da gibt es teilweise gar keine Terms of use. Also User: Seid aktiv, wachsam und fordert. Denn ohne Euch sind Social Media- und Dating-Seiten gar nichts. Und schlussendlich ist es eine (europa-)politische Frage, denn Firmen dürfen nur das, was ihnen Gesetze erlauben. Oder man klagt. Auch wenn es sich um ein Schwanzpic handelt. Immerhin ist es dein Schwanz.

Außerdem im neuen Name it:

Schwule im Iran – Report aus Teheran
Tschüss Jungs – warum Männer ab 40 begehrt wie nie sind
Rosenstolz – Das Interview zum Comeback
Die besten Reistipps für Paris
und vieles mehr…

Bundesrat, Kolleginnen und die Abschaffung des eigenen Amts.

Als Sprecher der Wiener lesbisch-schwulen und transgender Teilorganisation Die Grünen Andersrum habe ich öfter gesagt, dass wir politisch wohl die einzige Gruppierung sind, die als Ziel die Abschaffung von sich selbst hat. Das ist natürlich noch Zukunftsmusik und das Paradies ist wohl eher Aufgabe von Fiktion schreibenden Autoren und Autorinnen (oder von Religionen), aber man braucht ja eine Vision. Damit man politisch ein inneres Feuer behält. Es erinnert einem ständig, warum man das tut, was man tut.

Ziel: Eigene Abschaffung. Das bin ich also irgendwie gewöhnt.

So ähnlich wie oben beschrieben empfinde ich jedenfalls heute, am Tag an dem bekannt wurde, dass ich nun in die kleinere Landeskammer des Parlaments – dem Bundesrat – einziehen werde; als einer von drei Grünen. Ich freue mich jedenfalls auf die Arbeit mit Efgani Dönmez (OÖ) und Elisabeth Kerschbaum (NÖ).

Der Bundesrat ist auch für mich ein relativ unbekanntes Wesen. Und da ich wohl davon ausgehen kann politisch einigermaßen informiert zu sein, ist das kein gutes Zeichen für den Rest der Bevölkerung. Wenn ich das mal so salopp sagen darf.

Welche Themen, Ausschüsse und Zuständigkeiten ich haben werde, weiß ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. Und ich werde wohl auch einige Wochen – wenn nicht Monate – brauchen, mich in der neuen Aufgabe zurecht zu finden. Einarbeiten muss schon sein, bevor ich lautstark schreie, was ich alles ändern möchte. Eva Glawischnig sagte am Bundeskongress der Grünen: „Österreich braucht einen Neubeginn, um das Fundament der österreichischen Demokratie wieder zu festigen.“ Das nehme ich ernst.

Den Bundesrat nach Außen darstellen, im Rahmen meiner kommunikativen Möglichkeiten – die wohl vor allem hier in diesem Blog und in den sozialen Netzwerken zu finden sein werden – Transparenz zu schaffen, zu erzählen wie es im Bundesrat denn so ist und wie Politik dort funktioniert – das wird auf jeden Fall von mir zu erwarten sein.

Und dann möchte ich alle einladen mit mir zu diskutieren: Über den Bundesrat, unsere Verfasstheit der föderativen Republik, über unsere Verwaltung, über eine demokratisch legitime Gesetzwerdung, usw. Denn freilich ist es einfach zu sagen: Schaffen wir den Bundesrat ab! (Und wie oben geschrieben, kann ich mir das sehr gut vorstellen!) Denn eine in der Verfassung nicht legitimierte so genannte „Landeshauptleute-Konferenz“ hat die Aufgaben längst übernommen, die einst der Bundesrat hatte. Soll das so sein? Oder soll das nicht doch ganz anders sein und gehört die Landeshauptleute-Konferenz abgeschafft? Oder gleich alle Bundesländer? Wo liegen Stärken von kleinteiligen Einheiten und wo ist Zentralismus intelligent? Und welche Rolle spielt dabei Europa? Sollen Landtagsabgeordnete oder gar die Landeshauptleute selbst in den Bundesrat einziehen und dort ihre Verhandlungen führen? Warum wurden einst zwei Kammern in allen demokratischen Staaten eingerichtet, was war das ursprüngliche Ziel? Und wie soll das dann in der Verfassung geregelt werden? Welche Kontrollen und sinnvollen Schritte (Checks and Balances) soll es geben bis ein Gesetz in dieser Republik beschlossene Sache ist? All das und viel mehr wird mich in Zukunft naturgemäß besonders interessieren.

Ich hoffe euch auch. Gemma’s an.

Zum Schluss erlaubt mir bitte mich bei zwei Personen herzlich zu bedanken:

Sabine Gretner und ich sind innerhalb der Grünen einen sehr vergleichbaren Weg gegangen. Sie war Planungsreferentin im Grünen Rathausklub in Wien, ich Menschenrechtsreferent. Wir teilten uns lange ein Büro. Als Mitarbeiter_innen haben wir beide 2005 den Entschluss gefasst selbst an die Front zu gehen und kandidierten für den Wiener Landtag und Gemeinderat. Wir beide zogen ein. Ich habe in all den Jahren Sabine Gretner für ihre Sachkompetenz mehr als geschätzt. Ihre berühmteste politische Tat bleibt wohl die Aufdeckung der Machenschaften rund um den Pratervorplatz und das Ende einer Stadträtin namens Grete Laska.

Und so habe ich auch ein weinendes Auge an diesem Tag: Ich respektiere den Schritt von Sabine Gretner, ihre berufliche Zukunft außerhalb der Politik zu begehen, sehr. Ich wünsche ihr dabei alles erdenklich Gute. Den Grünen geht jedenfalls eine tolle Politikerin verloren. Danke, Sabine. Aufrichtig! Und schau immer wieder vorbei und gib uns ordentlich Ezzes!

Und zuletzt möchte ich mich bei Jennifer Kickert bedanken, meine Vorgängerin im Bundesrat. Ich weiß jetzt schon, dass die Übergabe höchst kompetent, amikal und genau über die Bühne gehen wird. Dem Bundesrat und den Grünen im Bundesrat geht eine tolle Abgeordnete verloren, die im Wiener Gemeinderat ein Gewinn sein wird. Zudem ist sie wesentlich organisierter als ich, also entschuldige ich mich jetzt schon vorab, wenn es jetzt vielleicht ein wenig chaotischer werden wird. 😉

Jennifer und ich arbeiten seit dem letzten Wien-Wahlkampf intensiv zusammen, seitdem sie die Bezirkspolitik in „meinem“ Rudolfsheim-Fünfhaus verließ, um wieder Wiener Politik zu machen, die sie schlussendlich im Bundesrat landen ließ. Sie wurde Co-Sprecherin der Grünen Andersrum und seither arbeiten wir intensiv zusammen. Ich gehe davon aus, dass sich daran nichts ändern wird, nur die Rollen sich etwas neu definieren lassen. Und ich finde das gut so.

Ich freue mich jedenfalls. Spannende Zeiten, interessante Herausforderungen. Also dann: Bundesrat, ich komme.

Warum wählen wir Regierung und Parlament nicht getrennt?

Wer gestern Abend die Sendung Bürgerforum im ORF zum Thema Korruption gesehen hat und aufmerksam aktuelle Kommentare in Zeitungen, im Internet oder aktuelle Bücher verfolgt, Initiativen von Bürger_innen und Altpolitiker_innen wahrnimmt, wird zweifelsfrei feststellen, dass sich Österreich (und andere Länder) in einer veritablen Demokratiekrise befinden. Bürger und Bürgerinnen haben nicht mehr den Eindruck, dass Volksvertreter_innen auch das Volk wirklich repräsentieren und unser System mehr dem Machterhalt der Parteien selbst dient, lieber das eigene Klientel bedient wird und Korruption und Eigeninteresse im Vordergrund stehen. Das wirklich gefährliche daran ist das „in einem Topf werfen“, denn auch fleißige und bemühte Menschen in der Politik werden mittlerweile misstraut.

Auch ich gehöre zu den Menschen, die diese Entwicklung mit Sorge betrachtet. Allerdings habe ich mich nicht mit Staatstheorien und den dazugehörigen Schriften beschäftigt wie Politologen oder andere Politiker_innen, aber ich mache mir eben Gedanken, wie viele andere Bürger und Bürgerinnen. Und ich habe ja auch mal die Perspektive der Legislative auf Landesebene miterlebt. Schon damals spürte ich, dass da was nicht stimmt… Deshalb hier meine ganz persönliche Ansicht:

Gewaltenteilung

Wir haben John Locke und Charles de Montesquieu viel zu verdanken. Sie waren die ersten Aufklärer am Ende des 17. bzw. im 18. Jahrhundert, die eine Gewaltenteilung für ein Staatswesen für wichtig erachteten. Dieser Gedanke setzte sich in der Aufklärung und allem voran in der Französischen Revolution durch. Es war dies die Antwort auf den in Europa noch vorherrschendem Absolutismus. Dem setzten die Aufklärer Kontrollinstanzen entgegen, die jeweils die Macht des Anderen kontrollieren und somit verhindern, dass eine Macht die absolute Macht erhält. So entstand die Trennung von Legislative (Gesetzgebung), Exekutive (Rechtsvollziehung) sowie Judikative (Rechtssprechung). Seither gehört die Gewaltentrennung zum modernen demokratischen Staat. Andere Stützen, etwa die freie Presse, NGOs oder Interessensvertretungen kamen hinzu. Wie diese Gewaltentrennung jedoch heutzutage organisiert wird, ist von Land zu Land unterschiedlich.

Präsidentielles und parlamentarisches System

Am berühmtesten sind die Unterschiede von präsidentiellen Systemen, wie sie aus Frankreich oder den USA bekannt sind. Oder den parlamentarischen Systemen, wie wir sie etwa in Deutschland und Österreich kennen. Viele Kritiken sind an beiden System bekannt: Das präsidentielle System ist oftmals mit einem Mehrheitswahlrecht statt einem Verhältniswahlrecht verknüpft. Letzteres – auch von mir als gerechter empfundenenes Wahlrecht – findet sich eher in den parlamentarischen Systemen. Letzteres hat aber wiederum den Nachteil, dass alle Macht den Parteien zufließt und eine Parteiendemokratie alles bestimmt, was zur paradoxen Situation führt, dass in parlamentarischen Systemen die Macht des Parlaments geringer ist.

Und hier wären wir wieder am Beispiel Österreich angelangt, denn der Frust auf das Parteiensystem ist groß. Wenn man den aktuellen Frust und die aktuellen Korruptionsfälle nicht nur als Problem begreift, sondern auch als Chance für ein mehr an Demokratie – wenn also Staatsanwälte mehr dürfen, mehr Transparenz durchgesetzt wird, Parteienfinanzierungen öffentlich werden, usw. – ja, darf man dann nicht auch mal darüber nachdenken, wie und was wir eigentlich wählen, und ob das nicht verbessert werden kann?

Es ist noch nicht lange her, als das Kabinett Gusenbauer Legislaturperioden von vier auf fünf Jahren verlängerte. Das kann’s ja nicht sein. Zudem: Auf Wahlplakaten in Österreich geht es meistens um den Bundeskanzler oder um die Regierung („Wer, wenn nicht er?“). Nur die werden bei Nationalratswahlen gar nicht gewählt! Denn erst der Nationalrat wählt bekanntlich die Regierung.

Warum nicht Regierung und Parlament getrennt wählen?

Der – aus meiner Sicht – Vorteil des präsidentiellen Systems muss hier einmal erwähnt werden: Nehmen wir als Beispiel den Haushalt eines Staates. Wenn etwa in den USA Präsident Barack Obama einen Budgetentwurf vorlegt, dann kann er das so wollen, muss aber erst einmal eine parlamentarische Mehrheit dafür gewinnen. Das heißt, er legt den Entwurf dem Parlament vor (das in diesem Fall übrigens keinen Klubzwang kennt!) und muss verhandeln, egal ob seine Partei gerade eine Mehrheit stellt oder eine andere. Am Ende kommt eben ein Budget raus, der demokratisch verhandelt wird.

In parlamentarischen Systemen wird die Regierung von einer Partei, die die absolute Mehrheit innehat, oder von zwei oder mehreren Parteien (Koalitionen) gewählt. Die Regierung entstammt also quasi dem Parlament, die Abgeordneten winken Regierungsvorlagen parteitreu durch. Selten, dass Abgeordnete von Regierungsparteien mal anders als ihre Regierung abstimmen. Das ist ein Problem, aus meiner Sicht.

Als Sonderbeispiel sei übrigens noch das Europäische Parlament erwähnt, das immer wieder durch Überraschungen auffällt. Und warum? Weil sie keine Regierung wählt, der sie sich quasi unterwerfen muss.

Jetzt denke ich diesen Gedanken einmal zu Ende:

Nehmen wir einmal an es bleibt dabei und wir wählen alle fünf Jahre die Legislative; also den Nationalrat. Und jetzt nehmen wir einmal an dazwischen wählen alle Wahlberechtigte auch de Exekutive, also die Regierung. Was würde passieren?

Ich stelle mir das nämlich so vor:

Wenn etwa ein vorgeschlagenes Kabinett Faymann, ein ebensolches Kabinett von Spindelegger, von Strache, von Glawischnig und von Bucher zur Wahl stünden, mit darin jeweils enthaltenen Vorschlägen für das Personal für die Ministerien, dann werden diese Spitzenkandidat_innen darauf achten, dass sie Personal aussuchen, das auch allgemein und öffentlich akzeptiert wird, und nicht nur internen parteipolitischen Interessen dient, wie wir das etwa aus der ÖVP kennen („diesmal muss es eine Frau aus dem Süden und aus einem gewissen Teilorganisation der Partei sein“).

Die zwei Kabinettsvorschläge mit den meisten Stimmen kommen dann in eine Stichwahl. Nehmen wir an es sind die Kabinettsvorschläge Faymann und Spindelegger, die das geschafft haben. Nun müssen diese sich wiederum überlegen, wie sie Mehrheiten schaffen und Art Koalitionsverhandlungen beginnen. Sie nehmen sich zB. Expert_innen außerhalb der Parteienlandschaften ins Kabinett und schauen welche Persönlichkeiten der anderen Parteien vorhanden sind und nehmen diese in den Vorschlag auf. Dann entscheidet das wahlberechtigte Volk, welches Kabinett regieren soll – nach Koalitionsverhandlungen also. Das würde uns einige unerträgliche Koalitionsfragestellungen in Wahlkämpfen ersparen. Ein ÖVP-Wähler würde dann etwa vorher wissen, ob die ÖVP rechtsextreme Kräfte aus dem Umfeld der FPÖ umgarnen würde, oder eben auch nicht, und nicht nachher überrascht werden.

Als Kontrolle steht dann immer noch der Nationalrat zur Verfügung, den man eben getrennt und zu einem anderen Termin wählt. Midterm-Elections quasi. So gibt es immer die Möglichkeit eine Exekutive zu gewissen Kurskorrekturen zu zwingen und zudem dazu zu bringen, mit der Legislative zu verhandeln. Außerdem gäbe es im Parlament ja keine Koalition, was ständige Verhandlungen bedeuten würde.

Meiner Meinung nach wäre das gut für die Demokratie, die dadurch lebendiger werden würde. Es gibt sicher noch viele Punkte, die ich jetzt unberücksichtigt habe, die tiefer entwickelt werden müssten (oder die von Wissenschaftler_innen längst niedergeschrieben wurden, nur ich kenne die Schriften nicht), usw. Ich denke an Klubzwang, die Frage ob Mitglieder der Exekutive im Wahlkampf der Legislative wahlkämpfen dürfen, die Frage inwieweit auch nicht parteipolitisch organisierte Kabinettsvorschläge zur Wahl antreten können, etc.  Aber so als Basis einer modernen Demokratie wäre das doch denkbar? Vielleicht täusche ich mich auch oder habe etwas übersehen? Ich bin neugierig wie Leser und Leserinnen das sehen…

Ein Lob den Wiener Linien.

„Der 49er kommt einfach nicht. #wienerlinien #fail“. Oder: „Na super. Da sitze ich in der U-Bahn und muss plötzlich aussteigen. Keiner kennt sich aus.“

Solche oder ähnliche Tweets bzw. Statusmeldungen auf Social Media-Plattformen waren bis vor kurzem alltäglich. Doch seit einiger Zeit gehören diese Meldungen eher der Vergangenheit an, das Bashing und das #fail bezeichnen der Wiener Linien hat stark abgenommen. Was ist da passiert?

Die Wiener Linien haben Social Media entdeckt und informieren mittlerweile ausführlich, warum es wo zu Ausfällen kommt. Als Beispiel sei etwa dieser Tweet von heute erwähnt: „Falschparker auf der Linie 60 sorgt derzeit für Verzögerungen in Fahrtrichtung Rodaun.“ Oder kurz davor dieser Tweet: „Wegen stellwerksstörung fährt die U4 dzt. nur bis Schottenring. Bis Heiligenstadt fahren Ersatzbusse. Bitte aber wenn möglich ausweichen!“ Auch auf Facebook werden die Neuigkeiten sofort und in Echtzeit kommuniziert (wobei die aktuelle Info zur Linie 60 auf Facebook fehlt, warum auch immer).

Für die Fahrgäste bleibt das freilich ärgerlich. Aber es macht einen gewaltigen Unterschied, ob man weiß warum es gerade nicht weitergeht, oder eben nicht. In letzterem Fall sind immer die Wiener Linien schuld. Wenn man aber weiß, dass jemand auf Schienen falsch parkt, sieht das eben anders aus. Die Probleme werden transparent nachvollziehbar.

Dieses Beispiel zeigt, wie offensive und transparente Information in sozialen Netzwerken Bewusstsein ändern kann.

Aber damit ich nicht nur lobe: Es wäre gut, wenn die aktuellen Probleme auch auf der Wesbite der Wiener Linien sichtbar werden würden, denn nicht einmal unter „News“ werden diese online gestellt. Ein Twitter-PlugIn würde ja vollkommen reichen, denn nicht jede und jeder benützt Social Media.

Und es fehlt immer noch, dass die Wiener Linien ihre Fahrplandaten auch als Open Data zur Verfügung stellen, damit diese überall genützt werden können, wie etwa in Google Maps. Aber dazu habe ich bereits vor über einem Jahr hier gebloggt.

Update: Auf Facebook wurde mein Blogbeitrag kommentiert und darauf hingewiesen, dass die Meldungen ja auch innerhalb der Verkehrsmittel, etwa auf Screens, angezeigt werden könnten. Ein Anfang wäre bei den Infoscreens ja eigentlich keine schlechte Idee…

Urbane Mobilität einst und morgen.

Die Firma Hildebrands Deutsche Schokolade veröffentlichte im Jahr 1900 eine Serie von Postkarten (Beispiele in diesem Blog), damals ein beliebtes Marketing-Instrument. Inhalt der Serie: Wie wird das Jahr 2000 wohl aussehen? Sehen Sie sich zuerst die Postkarten an, und dann kommen Sie gerne hierher zurück.

Mobilität um 1900

Skurril und witzig, wie man sich vor 111 Jahren den Beginn unseres Jahrtausends vorstellte, oder? Aber blicken wir einmal genauer hin. Ist Ihnen etwas an den oben verlinkten Beispielen aufgefallen? Acht der zwölf dargestellten Postkarten behandeln das Thema der Mobilität in der Stadt, ob Schiff auf Schiene, persönliche Flugmaschinen oder bewegliche Trottoirs und Häuser. Um 1900 war die Industrialisierung Europas am Höhepunkt. Wien etwa hatte um 1910 über 2 Millionen Einwohner und Einwohnerinnen. Die Städte Europas platzten aus allen Nähten. Naturgemäß war Mobilität ein Thema, das viele Menschen beschäftigte. U-Bahnen wurden erfunden und gebaut (in Wien gab es 1844 schon Pläne, die erste wurde in London etwa zwei Jahrzehnte später realisiert).

Doch eines konnten die Postkartenpropheten nicht vorhersehen: Den Siegeszug der Automobile, obwohl es sie damals schon gab. Zwar wurden bereits im 18. Jahrhundert die ersten dampfbetriebenen Mobilgeräte entwickelt und der erste benzinbetriebene Wagen im Jahr 1870 von Siegfried Marcus entwickelt, doch offensichtlich gab man dem Automobil noch wenig Zukunftschancen. Da war der Gedanke an persönlichen Fluggeräten anziehender.

Und wie sehen wir das heute, im Jahr 2011?

Ganz so wie in den Postkarten hat es sich doch nicht entwickelt. Und trotzdem stimmen die Grundgedanken von 1900. Mobilität war und ist ein Thema für die moderne Stadt. Damals und heute. Die Vielfalt der Fortbewegungsmittel sind zwar Andere als auf den Darstellungen der Berliner Schokoladenkarten, aber sie sind vielfältig:

Muss man größere Teile transportieren, nimmt man lieber ein Auto, bewegt man sich täglich in der Stadt, um etwa zur Arbeit zu fahren, ist das Fahrrad ein hervorragendes Instrument. Und manche bevorzugen eine coole Vespa, bei Regenwetter jedoch nimmt man dann doch lieber die öffentlichen Verkehrsmittel. Für die Einkäufe ums Eck machen es die zwei Beine, die uns die Evolution geschenkt hat, auch noch ganz gut. Dafür rollen mittlerweile die Einkaufstaschen. Um sich auf der Donauinsel fortzubewegen sind Inline-Skates noch immer ganz fein, und ein Schüler nimmt auf dem Nachhauseweg gerne mal seine Skateboards oder Roller. Und dann werden laufend neue Geräte entwickelt: Segways, Elektroräder, und ähnliche Geräte beginnen die Stadt zu erobern. Und jedes Individuum der Stadt hat andere bevorzugte Fortbewegungsmittel.

Jedoch sind unsere Verkehrskonzepte noch immer die Konzepte, die sich nach dem 2. Weltkrieg durchsetzten, und hier dominiert das Auto sowie die öffentlichen Verkehrsmittel. Nur Fußgänger und Fußgängerinnen werden noch akzeptiert (die ja übrigens bereits den Bürgersteig seit langem hatten, der aber historisch nur als Alternative bei Schmutz auf der Straße gedacht war. Jetzt aber wurde er der Platz, wo man gehen musste und nicht mehr bloß konnte). Es entstanden auf den Straßen Fahrbahnen, klar begrenzt, klar definiert und niemals sollte ein anderer Verkehrsteilnehmer oder eine -teilnehmerin es wagen, diese zu benützen! Auch nicht die Parkplätze links und rechts. Nur die Straßenbahnen und die Autos mussten halt irgendwie klarkommen. Dieses Denken hat sich tief verankert.

Fazit: Verkehr ist vor allem eine Kulturfrage!

Doch nun kommen die vielen neuen Geräte. Wohin mit den Segways? Wo soll der Rolli-Fahrer denn fahren? Wo darf man denn skaten?

Shared Space

Es führt wohl kein Weg an den Konzepten von Shared Space vorbei – die Philosophie und das Konzept, das besagt, dass der in einer großen Stadt für viele Menschen ohnehin knappe öffentliche Raum für alle Teilnehmer_innen und sich darin Fortbewegende gleichberechtigt zur Verfügung steht. Diese müssen wiederum aufeinander Rücksicht nehmen und akzeptieren, dass andere  Arten der Mobilität überall stattfinden können. Die Grundvoraussetzung für diese Akzeptanz ist Respekt. Denn wie gesagt: Verkehr ist und bleibt vor allem eine Kulturfrage. Und es beginnt wohl unter anderem in den Fahrschulen und Schulen, um in diesem Bereich ein Umdenken langsam aber doch zu erreichen. Eine Kulturrevolution quasi, die früher oder später durch das knappere Erdöl (Stichwort Peak-Oil) ohnehin notwendig sein wird.

Mobilität von Information

Doch noch ein Aspekt scheint mir wichtig, wenn man sich noch einmal die Postkarten von 1900 vergegenwärtigt:

Mobile Häuser, mobile Gehsteige – all das zeigt, dass sich die Postkartenmacher Gedanken über Verkehr hinaus gemacht haben. Auch hier eine kleine Fehleinschätzung: Die Mobilität ist einen umgekehrten Weg gegangen. Die Mobilität von Information, Nachrichten, Kultur, Austausch mit Freunden und Freundinnen fand den Weg in die Häuser hinein. Die Postkarte jedoch mit der an der Wand projizierten Theateraufführung hat die Zukunft erkannt, denn immerhin wurde das TV-Gerät ein halbes Jahrhundert später Wirklichkeit. Das Internet hat auch hier eine Revolution ermöglicht: Wie es meiner besten Freundin geht erfahre ich über Facebook, im Fernsehen sehe ich eine Opernpremiere aus Salzburg, Bücher und Essen werden ins Haus geliefert.

Fazit: Nahversorgung von Gütern, Information und Kultur ist der zweite wesentliche Aspekt der mobilen Konzepte der Zukunft. Wobei  mit Nahversorgung mittlerweile nicht nur die Versorgung für alle in der Stadt in möglichst kurzen Wegen bedeutet, sondern eben auch die Möglichkeiten des Internets und der Mobilität in die Wohnbereiche hinein – inklusive Arbeiten von zuhause aus.

Die Kulturfrage

Dass sich urbane Mobilität in den nächsten Jahren stark verändern wird ist gewiss. In welche Richtung sie sich entwickeln wird ist aber unsere Aufgabe. Heute! Je mehr Menschen sich Gedanken darüber machen, was passiert und wie es passieren soll, umso besser (etwa durch diese Blogparade zu diesem Thema – siehe Text unten). Denn egal ob es sich um die Unabhängigkeit von fossiler Energie handelt, um mögliche Erfindungen, die bis zum Jahr 2100 noch kommen werden (wo ist eigentlich die Postkartenserie 2100 heute?): Verkehr und wie sie gestaltet wird ist vor allem eine Kulturfrage. Dazu zählt freilich insbesonders wie mit anderen Verkehrsteilnehmer_innen umgegangen wird – ob ablehnend oder akzeptierend.

Aus dem Jahr 1649 ist eine Abbildung eines windbetriebenen Segelwagens aus den Niederlanden bekannt (Abbildung). Möglicherweise nicht sehr geeignet für den Straßenverkehr heute, aber immerhin ein mit immer kostenlos zur Verfügung stehender Energie betriebener Wagen. Manchmal lohnt ein Blick zurück, in diesem Fall in die Zeit vor der Industriellen Revolution. Der Blick zurück und nach vorn: Eine Kulturfrage.
Dieser Blogbeitrag ist mein Beitrag zur Blogparade, ausgerufen vom ÖkoEnergie-Blog der Raiffeisen-Leasing hier. Hast du auch einen Blog? Dann mache noch schnell mit, denn die Aktion geht noch bis 26.9.2011, 24 Uhr!