Das netzpolitische Wahlprogramm der Grünen

Es ist vollbracht. Das dicke fette Wahlprogramm mit allen Themen ist da und hier downloadbar.

Auch das Kapitel Netzpolitik ist Teil des Programms. Der Einfachheit halber kopiere ich diesen Bereich hier in meinen Blog. Weitere Kapiteln, an denen ich mitgearbeitet und mitgeschrieben habe, folgen in den nächsten Tagen.

Zu Netz-Sperren

Ich möchte nur noch eine Anmerkung vorab loswerden. In der Zeit, als wir das Programm schrieben, gab es noch keinen Cameron-Vorstoß Internet-Sperren gegen Pornographie zu installieren. Auch nicht eine ÖVP, die sich das auch vorstellen kann. So schnell kann’s gehen! Dachten wir, dass Internet-Sperren von allen mittlerweile als unnötig, unwirksam und dumm gesehen werden, und sich diese Frage eh erübrigt hat, überholt einen manchmal die Tagesaktualität.

Daher sei hier klar festgehalten: Die Grünen sind gegen Internet-Sperren!

Das habe ich mittlerweile – etwa in der Kleinen Zeitung (Printausgabe) und auf derstandard.at auch klar zum Ausdruck gebracht.

Aber nun zum Wahlprogramm:

NETZPOLITIK: FREIHEIT & VERANTWORTUNG IN DER INFORMATIONSGESELLSCHAFT

Kaum eine andere Technologie hat unsere Kommunikation und damit auch unser Leben so sehr verändert wie das Internet. Die Zugänglichkeit zu Daten, Informationen, Dienstleistungen, Kaufentscheidungen, politischen Foren und der laufende Austausch mit der Welt hat eine stark politische Dimension. Der Umgang mit dem internet ist auch zum Spielfeld rund um Macht, Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit geworden. Die Grenzlinie zwischen Privat und Öffentlich ist für viele schwieriger; Datenmissbrauch – sei es kommerziell oder staatlich – nimmt ebenso zu. Die Grünen stehen für einen gläsernen Staat und gläserne Parteikassen, aber nicht für einen gläsernen Menschen. Transparenz ist wichtig, der schutz der Privatsphäre aber auch. Daher braucht es Grenzen und klare Rahmenbedingungen und bewusstseinsbildende Maßnahmen.

Trotz neuer Formen von Datenspeicherung und Datenüberwachung müssen die Bürgerinnen die alleinige Verfügungsgewalt über ihre Daten haben. Unter dem Vorwand der Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität betreiben Politikerinnen in ganz Europa offensiv den Ausbau von staatlicher Überwachung. Auch die österreichische Bundesregierung ist in Sachen Netzpolitik und Datenschutz völlig unsensibel gegenüber den Risiken. Im Gegenteil: Mit der gesetzlichen Vorratsdatenspeicherung werden alle Österreicherinnen pauschal zu Verdächtigen gemacht. Vorratsdatenspeicherung ist die Speicherung des Kommunikationsverhaltens aller BürgerInnen für mehrere Monate. Das betrifft zwar nicht die Inhalte z. B. der Telefonate und E-Mails, aber die gespeicherten „Verkehrsdaten“ (IP-Adressen, Telefonverbindungen etc.). Allein diese erzählen viel über das Privatleben: Die Datenspeicherung in diesem Umfang ist ein schwerer Eingriff in die Privatsphäre. Gleichzeitig ist die Maßnahme für die Strafverfolgung und Terrorismusbekämpfung ineffizient. Wer sich technisch auskennt, kann sie leicht umgehen. Die Grünen haben daher federführend bei der Massenklage gegen die Vorratsdatenspeicherung vor dem Verfassungsgerichtshof mitgewirkt.

Ein wesentlicher Teil der Informationsfreiheit ist Open Data. Open Data bedeutet, dass alle öffentlichen Datensätze grundsätzlich genutzt, verbreitet und weiterverarbeitet werden können. Personenbezogene Daten unterliegen dem Datenschutz und Informationen zur nationalen Sicherheit dürfen nicht veröffentlicht werden. Es gibt keine exklusiven Verträge oder Nutzungsrechte, sondern jedem und jeder stehen alle Daten zur Verfügung. Das ist das Wesen öffentlicher Leistungen. Das Auskunftsrecht existiert parallel zur Veröffentlichungspflicht.

Netzneutralität garantiert die Gleichbehandlung aller Datenpakete. Man stelle sich vor, eine Autobahn wird gebaut – und der/die BetreiberIn reserviert eine eigene Spur für privilegierte AutofahrerInnen, damit sie bei Stau schneller voran kommen. Völlig inakzeptabel, oder? Unter dem Stichwort „Netzneutralität“ soll gesichert werden, dass alle Datenpakete im Internet unverändert und gleichberechtigt übertragen werden, unabhängig davon, woher diese stammen oder welche Anwendungen die Pakete generiert haben. Die ökonomisch motivierte Privilegierung bestimmter Internetinhalte dagegen würde die Idee des Internets aushöhlen und den Telekommunikationsunternehmen zumindest mittelbar Einfluss auf Inhalte des Internets ermöglichen. Die neutrale Datenübermittlung ist eine Bedingung für den freien Transport von Daten und Informationen.

Im Internet haben sich traditionelle Vertriebskanäle radikal verkürzt und Vervielfältigungen vereinfacht. Vor allem über Filesharing-Systeme können Daten auf der ganzen Welt im großen Stil getauscht und verbreitet werden. Das ist mittlerweile eine Realität, der sich die verantwortliche Politik nicht stellt. Das geltende Urheberrecht wird den neuen Gegebenheiten nicht gerecht und kriminalisiert große Teile der Bevölkerung (siehe auch Kulturkapitel).

Österreich erneuern:

INFORMATIONSFREIHEIT – NEUTRALES NETZ – BÜRGERiNNENRECHTE

Es geht um Freiheit im Netz. Die Privatsphäre ist zu schützen. Ziel muss es daher sein, dass Datenpakete auch künftig „neutral“ übermittelt werden. Die InternetnutzerInnen können selbst frei entscheiden, welche Inhalte sie senden und empfangen bzw. welche Dienste und Anwendungen sie nutzen. Telekomanbieter sollen nicht in die Kommunikationen ihrer NutzerInnen eingreifen dürfen. Die Beeinflussung von Verfügbarkeit, Priorisierung oder Bandbreite weitergeleiteter Daten darf sich nicht nach Inhalten der Datenpakete oder der Art der Anwendungen richten. Ohne garantierte Netzneutralität würde möglicherweise der Inhalt oder der Absender den Weg eines Datenpakets beeinflussen.

Was wir konkret wollen:

> Netzneutralität gesetzlich verankern
Die Bundesregierung setzt sich auf europäischer Ebene für die dauerhafte Gewährleistung der Netzneutralität durch eine gesetzliche Festschreibung auf europäischer Ebene ein. Das Prinzip der Netzneutralität ist im Telekommunikationsgesetz 2003 festzuschreiben. Mit der Durchsetzung in Österreich wird die Rundfunk und Telekom Regulierungs-Gmbh (RTR-Gmbh) betraut.

> Informationsfreiheit und Open Data
Das Recht auf Auskunftserteilung an jede/n Interessierte/n ist grundrechtlich zu schützen. Ein Informationsfreiheitsgesetz sichert entsprechende Rechte und schafft das Amtsgeheimnis ab. Daten die der Staat generiert bzw. mit Steuergeld finanzierte Studien sind jedermann unter entsprechenden Lizenzen frei zugänglich zu machen.

> Stopp der Vorratsdatenspeicherung
Österreich setzt sich aktiv für die Beseitigung der richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung auf europäischer Ebene ein.

> Überwachungsstaat zurückdrängen
Seit den Neunziger Jahren werden laufend neue Überwachungsmaßnahmen eingeführt. Viele dieser Maßnahmen sind schlicht nicht notwendig, anderen fehlt der Rechtsschutz. Das fördert nicht den Schutz der BürgerInnen sondern den Missbrauch. Wir fordern die Evaluierung sämtlicher Überwachungsmaßnahmen. Dort wo Überwachungsmaßnahmen tatsächlich notwendig sind, gehört der Rechtsschutz gestärkt.

> Explizite Zustimmungspflicht zur Datenspeicherung auch im Internet
UserInnen müssen wissen, welche Daten warum und wie lange gespeichert werden. Gespeicherte Daten haben ein Ablaufdatum und dürfen nicht unbegrenzt gespeichert werden. NutzerInnen werden explizit um Erlaubnis gefragt, ob ihre Daten gespeichert werden dürfen (derzeit ist diese information meist irgendwo in den AGBs versteckt). Facebook und andere soziale Netze haben in ihren Grundeinstellungen immer den größtmöglichen schutz der Privatsphäre voreinzustellen, UserInnen sollen selbst entscheiden können, was sie preisgeben und was nicht.

> Pauschalabgabe schützt UrheberInnen und bringt Rechtssicherheit
Anstelle der Rundfunkgebühr wird eine Haushaltsabgabe eingehoben, die teilweise zur Abgeltung der UrheberInnen verwendet wird. Die Nutzungsgewohnheiten vieler Menschen im Internet, die wissentlich oder unwissentlich gegen das Urheberrecht verstoßen, werden in rechtskonformes Handeln umgewandelt, der Tausch urheberrechtlich geschützter Werke für den nicht kommerziellen Gebrauch entkriminalisiert.

> Breitband-Offensive
Bis 2020 werden alle Haushalte in Europa mit mindestens 30 Megabit pro Sekunde ausgestattet. Vor allem der Ausbau von Breitband-Internet in ländlichen Gebieten ist von enormer Bedeutung, um auch dort Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen.

> Medienkompetenz stärken
Medienkompetenz und Medienbildung müssen ein integraler Bestandteil des Schulsystems werden und in jedem Unterrichtsfach angemessene Berücksichtigung finden.

> Förderung von Open Source Software
Open Source Software bezeichnet Software, deren Quelltext öffentlich zugänglich ist und je nach Lizenz frei kopiert, modifiziert und verändert werden kann. Die öffentliche Verwaltung soll schrittweise auf Nutzung von Open Source Software und offener Dateiformate umgestellt werden. Mit öffentlichen Geldern entwickelte Software soll unter Open Source Bedingungen veröffentlicht werden. Softwarepatente sind innovationshemmend und deswegen nicht zielführend.

> Open Access
Förderung von freiem Zugang zu wissenschaftlicher Literatur und Archiven. Schrittweise Öffnung der ORF TV-Thek: Neben den Sendungen, die – rechtlich bedingt nur eine Woche lang – in der TV-Thek des ORF abrufbar sind, sollen schrittweise möglichst viele Sendeformate langfristig verfügbar sein. Das Archiv des ORF bietet schätze, die für die Weiterbildung und auch eine breitere Öffentlichkeit höchst interessant sind.

> Internet für alle
Wir sehen Internet als ein öffentliches Gut. Der Zugang zum Internet muss für alle garantiert werden können und gesetzlich festgeschrieben sein um demokratische Teilhabe zu ermöglichen. Der Zugang zu Informations- und Kommunikationstechniken darf nicht von sozialen Faktoren abhängig sein.

> Recht auf Anonymität
Wie auch in der physischen Welt sollte das Recht auf Anonymität auch im Internet garantiert werden. Es ist notwendig, dass Menschen die Möglichkeit bekommen sich auch anonym im Internet zu bewegen und ihre Meinung kundtun können. wir unterstützen auch die Schaffung von anonymen Zahlungsmethoden im internet.

Netzpolitische Standpunkte der Grünen. Eine Feedbackschleife.

Papiere sind geduldig, heißt es oft. Mittlerweile hat ja auch nahezu jede Partei ein netzpolitisches Programm oder ein Forderungskatalog. Die Grünen freilich auch. Netzpolitik wird auch in unserem Wahlprogramm eine wichtige Rolle spielen. Ein Papier ist aber doch wesentlich mehr als nur geduldig. Denn immerhin werden nach dem 29. September, also nach dem Sonntag an dem der Nationalrat neu gewählt wird, Parteien zusammen treffen um über mögliche Koalitionen zu beraten, ihre Inhalte abgleichen und Kompromisse (oder Konsens) finden müssen. So ist das nun mal in einer Demokratie. Und dann schlägt die große Stunde der Papiere!

Das Wahlprogramm der Grünen ist bereits geschrieben. Aber auch in einem ausführlichen Wahlprogramm hat nicht alles Platz. Und Programme sind keine statischen Sachen, sondern kontinuierlicher Work in Progess. Daher entwickeln wir immer weiter. Deswegen auch dieser Blogbeitrag mit einigen offenen Fragen.

Die Feedbackschleife

Albert Steinhauser, Daniela Musiol und ich haben uns daher entschlossen unsere wesentlichsten Forderungen und unsere offenen Fragen in eine Feedbackschleife zu schicken. Und ihr seid herzlich eingeladen Feedback zu geben.

Albert Steinhauser richtet seinen Fokus vor allem auf Fragen des Datenschutzes und Überwachung (Blog hier, oder auf Twitter)

Daniel Musiol diskutiert alle wesentlichen partizipativ-demokratiepolitischen Fragen rund ums Internet (hier auf Facebook, auf Twitter )

Schon zuvor hat Wolfgang Zinggl eine Enquete zum Urheberrecht initiiert mit vielen spannenden Ergebnissen (Link zum Paper)

Und hier nun meine netzpolitischen Bereiche:

Netzpolitik

Netzpolitik und die digitale Revolution ist zweifelsfrei eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Risiken gilt es ebenso zu berücksichtigen wie Chancen.

Unsere wesentlichsten Forderungen:

Netzneutralität: Die Netzneutralität, also die Verpflichtung für Netzbetreiber, dass Datenpakete unverändert und gleichberechtigt im Internet übertragen werden, gehört in ein Gesetz festgeschrieben. Am wichtigsten ist eine gesamteuropäische Regelung. Gelingt dies nicht, ist auch eine österreichische Lösung anzustreben.
Informationsfreiheit und Open Data: Ein Informationsfreiheitsgesetz wird von den Grünen prinzipiell gefordert und würde das Amtsgeheimnis abschaffen. Open Data ist dabei eines der wichtigsten Tools: Alle Behörden sind verpflichtet alle Datensätze in lesbaren und verwertbaren Formaten online zu stellen. Ausnahmen: Wenn der Datenschutz zu tragen kommen und bei genau fest geschriebenen Ausnahmen wie zB. Sicherheitsfragen.
Open Data im öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Auch der ORF muss bei Open Data mit berücksichtigt werden. Die 7-Tages-Beschränkung von Sendungen muss fallen. Im Gegenteil: Stattdessen soll das historisch wertvolle Archiv online gestellt werden.
Breitbandoffensive: Trotz der Budgetkürzungen der Digitalen Agenda auf EU-Ebene muss der Breitband-Ausbau voran schreiten, um auch in infrastrukturell schlecht ausgestatteten Regionen den Zugang zu gewährleisten, unfreiwillige Abwanderung zu unterbinden und Arbeitsplätze regional zu schaffen oder zu erhalten.
Medienkompetenz: Die Medienkompetenz muss im Bildungswesen stärker verankert werden.
Anonymität im Internet: Die Anonymität ist in einer Demokratie wichtig. Ohne Anonymität wären etwa der Arabische Frühling (trotz oder gerade wegen der enormen Repressionen gegen Onlineaktivist_innen bis heute) oder die Protest in der Türkei in dieser Form nicht organisierbar gewesen.

Offene Fragen:

Immer wieder wird von netzpolitischen Akteuren unterstrichen, dass Netzpolitik in der Politik zu wenig deutlich verankert ist, um ihr die Bedeutung zu geben, die sie verdient. Soll daher ein eigenes Staatssekretariat für Digitales geschaffen werden? Oder ein parlamentarischer netzpolitischer Ausschuss?
Soll das Recht auf Anonymität im Internet rechtlich festgeschrieben werden oder soll die Politik allen Bestrebungen (von Behörden zB.) schlicht eine Abfuhr erteilen (denn Anonymität ist derzeit ja möglich)?
Wie soll die Medienkompetenz in den Schulen implementiert werden? Als Teil des Faches „Politische Bildung“ oder als eigenes Fach? Oder ganz anders?

Jetzt freue ich mich auf eure Kommentare hier, auf Twitter, Facebook oder per Mail.

Die Lehre aus PRISM kann nur sein: Mehr Europa!

Europa steht unter Schock. Der langjährige Partner der Europäischen Union, die Vereinigten Staaten von Amerika, haben offenbar auch EU-Gebäude in den USA und in Brüssel verwanzt. Dass Geheimdienste sowas machen kommt nicht wirklich überraschend, das Ausmaß der Überwachung ist allerdings nicht mehr erträglich und muss Konsequenzen haben. Das muss laut und deutlich gesagt werden. Immerhin verstoßen US-Behörden damit gegen Europäischen Datenschutz. Und gegen ein Vertrauensverhältnis, das nachhaltig zerrüttet wurde.

Die EU ist aber derzeit leider fast schon ein „Jausengegner“. Mit sich selbst beschäftigt, streitend über den Umgang mit der Wirtschaftskrise, die die USA zwar seinerzeit verursacht haben, aber auch wesentlich besser bewältigt haben. Streit über Sparen und Konjunkturbelebung, Streit über den Umgang mit strauchelnden Mitgliedsländern, eine Währung, die unter Druck geraten ist, selten klare Reaktionen und Statements, weil auf innenpolitische Dynamiken in den jeweiligen Mitgliedsländern Rücksicht genommen werden muss, usw.

Und im globalen Wettbewerb stehen sich auch Demokratien wie die USA und die Europäischen Staaten so genannten „gelenkten Demokratien“ wie Russland oder Staatskapitalismus samt Einheitspartei-Regime wie in China gegenüber. Und letztere sind ohnehin der Meinung, dass Demokratien à la Europa zum Scheitern verurteilt sind, und wollen das vielen Schwellenländern auch ziemlich deutlich zum Ausdruck bringen und diese Idee exportieren.

In diesem Zusammenhang muss man – wie so oft, und wie so oft leider ohne dementsprechende politische Taten – deutlich sagen: Die Antwort kann nur mehr Europa sein! Die Antwort kann nur ein selbstbewusstes Europa sein, dass sowohl zu paranoiden Überwachungsmethoden deutlich Nein sagt, aber auch zu den Autokratien, die die neuesten Skandale jetzt für ihre Zwecke verwenden, deutlich Nein sagt.

Die Europäische Union kann – ja muss – ein globales Beispiel dafür sein, dass Freiheit, Demokratie und Menschenrechte (inklusive die Beachtung der Privatsphäre und des Datenschutzes) möglich ist.
Großbritannien, ein so wichtiges Land der EU und maßgeblich daran beteiligt, dass Europa vom Nationalsozialismus befreit wurde und die EU überhaupt gegründet wurde, muss endlich enscheiden, ob sie Teil eines solchen Projekts sein will oder nicht. Ständig zu jammern, eher nur Halbmitglied sein, geht auf Dauer nicht. Und Abhören in diesem großen Stil schon gar nicht. Immerhin verletzt Großbritannien damit EU-eigene Gesetze.
Menschenrechte, Demokratie und Freiheit verteidigen bedeutet auch, Whistleblowern Asyl gewähren zu können. Damit kann Europa auch verhindern, dass Menschen wie Edward Snowden in halbdiktatorischen Staaten Unterschlupf finden müssen, die das weniger aus Menschenliebe machen, sondern lieber aus Propaganda-Gründen.
Die Politiker_innen in den Mitgliedsstaaten müssen endlich aufhören auf Kosten der Europäischen Idee innenpolitisches Kleingeld zu machen, sondern ehrlich und offen globale Zusammenhänge deutlich machen und warum es ein starkes Europa in einer globalisierten Welt braucht.
Und die EU selbst braucht eindeutig eine bessere PR. Denn wenn mehr über Olivenöl-Fläschchen in Restaurants debattiert wird, und zu Themen der Grundrechte von Bürgerinnen und Bürger – etwa dem Datenschutz und der Privatsphäre – keine Einigung zustande kommt und man den PRISM- und Tempora-Abhörskandalen keine deutliche Abfuhr erteilt, dann wird das Vertrauen der Unionsbürger_innen auch nicht gewonnen werden.

Wenn Europa zur Kleinstaaterei zurückkehren will, gäbe es viele Gewinner_innen auf der Welt. Europa würde nicht dazu gehören.

 

Wie Justizministerin Beatrix Karl die Verfassung ignoriert

Justizministerin Beatrix Karl steht derzeit – zurecht – in der Kritik rund um die tragische Vergewaltigung eines 14-jährigen in U-Haft und ihre beschämende Reaktion darauf.

Es gibt aber noch einen anderen Grund die amtierende Justizministerin zu kritisieren. Denn sie brach aus unserer Sicht die Verfassung!

Rechtsanwalt Dr. Helmut Graupner von der lesbisch-schwulen NGO Rechtskomitee Lambda betreut eine Klage vor dem VfGH, weil lesbische Paare von der medizinisch unterstützen Fortpflanzung ausgeschlossen sind. Die Verfahren G 16/13 und G 44/13 sind derzeit in Behandlung.

Und jetzt muss man auf zwei wesentliche rechtsstaatliche Prinzipien eingehen:

Den Verfassungsgerichtshof gibt es, um Landes- oder Bundesgesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen. Soweit bekannt.
Die Bundesregierung hat bei solchen Klagen die Möglichkeit eine Stellungnahme abzugeben. Und wie es geregelt bzw, ausjudiziert ist, geht das nur einstimmig und als Kollegialorgan.

Im Fall des Ausschlusses gleichgeschlechtlicher Paare von der künstlichen Befruchtung hat die Bundesregierung keine Stellungnahme abgegeben. Damit hat die Regierung also explizit verzichtet.

Dafür langte allerdings eine Stellungnahme im Namen der Justizministerin ein. Jedoch wurden weder die Ministerin noch das Ministerium zu einer Stellungnahme seitens des VfGH aufgefordert. Zudem kann das Justizministerium gar keine Verfahrenspartei sein, weil das eben nur die gesamte Bundesregierung sein kann. In der Stellungnahme wird übrigens der Ausschluss gleichgeschlechtlicher Paare von der medizinisch unterstützen Fortpflanzung verteidigt. Zudem werden sogar Vertreter_innen des Ministeriums für eine allfällige mündliche Verhandlung nominiert.

Damit begeht die Justizministerin aus unserer juristischen Sicht glatt Verfassungsbruch.

Das hat Helmut Graupner und mich dazu veranlasst sowohl eine schriftliche Anfrage an die Justizministerin als auch an den Bundeskanzler zu stellen. Auf die Antworten sind wir sehr gespannt.

Politisch ist das ein ungeheuerlich Vorgang, denn bekanntlich ist die SPÖ, allem voran die SP-Minister_innen Stöger und Heinisch-Hosek, explizit für die medizinisch unterstützte Fortpflanzung für alleinstehende Frauen und Lesben-Paare. Sie hintergeht also ihren Koalitionspartner und handelt eigenmächtig, obwohl sie dazu gar nicht befugt ist. Gerade eine Justizministerin sollte sich aber an die Verfassung halten, würde man meinen.

Zwei weitere Anfragen, die ich gemeinsam mit dem Rechtskomitee Lambda eingebracht habe, betreffen übrigens einen aktuellen Fall homophober Gewalt. Eine Anfrage betrifft das Versagen der Justiz und richtet sich an Justizministerin Beatrix Karl (hier), eine weitere betrifft schwere Gewalttaten durch vorbestrafte Angestellte von Bewachungsunternehmen und geht an Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (hier). Gerade nach den Erkenntnissen der EU-Grundrechteagentur mit Sitz in Wien sehr wichtige Fragestellungen!

Huch, ich wurde von FPÖ-TV geoutet.

Gestern wurde ich geoutet. Jaja, ich weiß eh, ich habe das selber vor etlichen Jahren schon gemacht. Immerhin seit den 90-er Jahren Redakteur für lesbisch-schwule Magazine gewesen, 2002 Sprecher der Grünen Andersrum Wien geworden, 2005 als mit einem Mann verheirateter Mann Kandidat der Grünen gewesen, usw.

Aber immerhin: Es war die FPÖ, die mich outete. Die stellte nämlich ein Video auf ihrem YouTube-Channel online und enthüllte, dass ich auf der diesjährigen Regenbogenparade tanzte. Was ich übrigens seit der ersten Parade 1996 mache. Aber seht selbst:

Auf Twitter und Facebook erfuhr ich gestern erst spät darüber. Eine Lachrunde ging durchs Netz. Ich lachte kräftig mit, kommentierte das Video, das übrigens auch ein Like von mir bekam (hätte etwa ein Freund genau dieses Video gedreht, hätte ich es sofort anstandslos auf meinem Channel hochgeladen), eine Facebook-Seite machte ein Comic darüber, usw.

Aber nach dem Lachen soll doch auch einmal Zeit sein, dieses Geschehen zu reflektieren. Und auch mal ein bissl ernst zu werden (auch wenn ich mich immer noch abpecken kann):

1. Die Pride-Strategie

Regenbogen- oder CSD-Paraden werden auch als Gay Pride, Lesbian Pride, Gay-Lesbian Pride oder einfach nur Pride bezeichnet. Stolz also. Damit haben besonders die Hasser und Hasserinnen von Lesben und Schwulen mittlerweile ein sehr großes Problem. Denn zum Einen ist mittlerweile eine überragende Mehrheit der Bevölkerung der Meinung, dass Homo-, Bi- und Transsexualität ein völlig selbstverständlicher Aspekt der menschlichen Gesellschaft darstellt, weil sich in den letzten Jahrzehnten so viele in ihrem persönlichen Umfeld – in ihren Familien, am Arbeitsplatz, in der Schule oder auf der Uni, im Freundeskreis – stolz geoutet haben. Fast jeder und jede kennt einen Schwulen, eine Lesbe, eine Trans-Person oder eine_n Bisexuelle_n. Wir sind da und sichtbar. Das Outen war und ist einer der Schlüssel zum Erfolg dieser (ja doch recht jungen) Emanzipationsbewegung.

Und dieser „Stolz“ führt zu einem sehr interessanten Ergebnis. Wenn jemand Lesben und Schwule ausgrenzt, gegen sie hetzt oder verächtlich spricht, dann reagiert die Community selten aus einer Opfer-Haltung heraus, sondern kontert deutlich und sagt laut und – eben – stolz: Nicht wir sind die Opfer, sondern du bist Opfer deiner eigenen Vorurteile und deines Menschenhasses.

Diese Haltung ist nicht unumstritten, denn selbstverständlich gibt es noch immer zahlreiche tatsächliche Opfer: Bullying und Mobbing in der Zeit des Coming-Outs oder am Arbeitsplatz, höhere Suizidgefahr bei lesbisch-schwulen Jugendlichen, Verlust von Arbeitsplätzen oder kaum Karrierechancen in vielen Betrieben, Ungleichheit im Recht, usw.

Aber trotzdem war die „Strategie Pride“ erfolgreich. Und manchmal wundert es mich, dass andere diskriminierte Gruppen diese Strategie nicht übernommen haben, sondern sich immer noch gerne hauptsächlich als Opfer inszenieren (was sie aber auch leider oft sind! Ich weiß eh, dass das nicht so einfach ist!).

Der Nachteil der „Pride-Strategie“ ist natürlich auch, dass viele Menschen sich mittlerweile denken: Na, wenn es denen so gut geht, was machen die dann eigentlich immer noch für einen Wirbel? Dann muss man eben wieder auf die tatsächlichen Probleme aufmerksam machen.

2. Die Opfer-Umkehr

Ich habe oben schon die Opfer-Umkehr angesprochen. Warum ist die so wichtig?

2003 war ein Schlüsseljahr für das politische Thema Homosexualität. Damals gab es in Hamburg eine Koalition aus CDU (mit dem Bürgermeister Ole von Beust) und der rechtspopulistischen Partei Rechtsstaatliche Offensive von Ronald Schill. Es kam zu einem Streit und Schill outete den Bürgermeister öffentlich als schwul. Der zeigte sich nach der Affäre erleichtert, dass es raus war, gewann an Popularität während Schills politisches Ende eingeläutet wurde.

Dies war das erste Mal (zumindest in den deutschsprachigen Medien), dass nicht der Geoutete ein Problem bekam und seine Karriere beendet wurde, sondern die vom Outer. Ein Turning Point!

Wenn man sich nun die Kommentare auf dem YouTube-Channel zu obigem Video ansieht, geschieht eigentlich genau dies auch jetzt: Die FPÖ-TV-Macher_innen werden von den User_innen angegriffen bzw. ausgelacht. Nicht ich. (Danke dafür, übrigens.) Denn nicht ein schwuler Politiker wird hier Opfer einer extrem rechten Partei, sondern die FPÖ wird Opfer ihrer eigenen Vorurteile. Weil’s ja auch wahr ist.

3. Öffentliche Sichtbarkeit

Auch warum Sichtbarkeit so wichtig ist, habe ich oben bereits beschrieben. Dadurch wurden Lesben und Schwule überhaupt erst sichtbar und Thema. Und erst dadurch musste eine Gesellschaft politisch, rechtlich, sozial und kulturell darüber debattieren, wie sehr sie eine sexuelle Minderheit überhaupt akzeptiert, respektiert und rechtlich gleichstellt.

Als schwuler Politiker ist das gar nicht immer so einfach. Als ich 2005 als noch unbekannter Neo-Grüner für den Wiener Gemeinderat kandidierte, war es öffentlich das einzige Profil, das medial kommuniziert wurde. Ich fühlte mich in der Rolle als stolzer Schwuler einerseits, aber auch als politisch denkender Grüner andererseits, ziemlich darauf reduziert. Oder wie ich es damals in einem „Falter“-Interview ausdrückte: „Schwulsein ist nicht abendfüllend.“

Manchmal beneidete ich Politiker wie etwa den Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit. Denn der war zuerst Politiker, und outete sich erst danach. Bei mir war es quasi umgekehrt und musste in mühevoller Arbeit in der Politik erst „beweisen“, dass ich nicht nur schwul bin, sondern auch Politiker, der Kultur-, Netzpolitik oder wasauchimmer für politische Felder genau so betreut und sich engagiert.

Trotzdem blieb ich bis heute dabei, dass ich das Thema der Gleichstellung von Lesben, Schwulen und Transgendern als Thema behielt und mich auch immer noch vehement dafür einsetze. Einfach weil ich das als Verpflichtung sehe. Einfach weil ich nunmal aus der LGBT-Community komme, sie sonst keine Sprachrohre im Parlament sitzen hat (Gerald Grosz mag etwa geoutet sein, aber setzt sich innerparlamentarisch leider kaum für LGBT-Rechte ein) und weil es verdammt noch einmal nötig ist, solange es tatsächliche Opfer von Diskriminierung, Gewalt und Hass gibt (national und international) und solange es zahlreiche Ungleichbehandlungen im Recht gibt.

Mir wäre es eh lieber, mein Schwulsein wäre völlig wurscht. Dass dies aber noch lange nicht so ist, beweist auch das FPÖ-TV-Video. Also bleibe ich politisch dran. Nicht nur weil ich will. Sondern weil ich muss.

Für Kritik an Konservativismus. Gegen One Way Tickets.

Aufregung gibt’s. Mein Bundesratskollege Efgani Dönmez sagte in der Boulevard-Zeitung heute, dass er die 5.000 Pro-Erdoğan-Demonstrant_innen, die am 23.6. eine Demonstration in Wien-Favoriten organisieren, mit einem „One Way Ticket“ ausstatten würde. Und dass ihnen keiner nachweinen würde.

Er relativierte  später seine Aussage, und meinte es ginge um die als Vereine getarnten verlängerten Arme der türkischen Regierung.

Womit wir beim Problem wären. Denn letzteres darf, muss, soll man gerne diskutieren, vor allem über Vereine, die einen ausgeprägt konservativ-islamischen Lebensstil pflegen wollen, die der Grund-, Bürger- und Menschenrechte, wie wir sie sehen, widersprechen – zumal wenn es für diese öffentliche Subventionen gibt. Etwa wenn Homosexualität verteufelt wird, oder die Gleichstellung der Frau abgelehnt wird.

D’accord.

Aber One Way Tickets?

Ich muss nämlich der Aussage meines Kollegen heftig widersprechen, dass solchen abgeschobenen One-Way-Ticket-Inhaber und -Inhaberinnen niemand nachweinen würde. Alleine in meinem persönlichen Umfeld im 15. Bezirk musste ich in einigen türkischen Familien (viele übrigens mit österreichischer Staatsbürgerschaft) erklären, dass es sich nur um die Aussage eines Einzelnen handelte, und nicht Grüne Haltung ist. Die gesellschaftliche Bruchlinie zwischen islamisch-konservativ und modern-säkular (mit hunderten Graustufen und anderen Interessen dazwischen) wurde in der Türkei in den letzten Wochen deutlich vor Augen geführt. Und sie geht quer durch Familien. Auch hier in Österreich, auch innerhalb von Familien, innerhalb von Freundeskreisen. Würde man also AKP-Anhänger_innen abschieben, würde man auch Familien auseinander reißen. Und es würde viel Leid und Tränen geben.

Zudem ist das Aussieben von politisch genehmen und unangenehmen Migrant_innen fragwürdig, denn dann könnte jede Regierung nach Ideologien aussieben. Und wer zieht die Grenze? Ist dann bald ein Engagement für politische Gruppierungen der jeweiligen Heimatländer unzumutbar? Verbieten wir bald auch die Democrats Abroad und schieben deren amerikanischen Aktivist_innen ab? Wer zieht die Grenze? Das ist schlicht autokratisches und diktatorisches Denken. Denn in einer Demokratie muss auch eine konservative Haltung erlaubt sein, so gern man sie demokratisch bekämpfen darf – also mit Argumenten, Politik und Debatten.

Die wahre Tragik, Teil 1

Die wahre Tragik ist ja, dass eine differenzierte Debatte in Sachen Integrationspolitik, Islam, Islamisierung, etc. offenbar in diesem Land nicht möglich ist. Die FPÖ hat ebenso wie die AKP in der Türkei dazu beigetragen, die Gesellschaft zu spalten, Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen, das Klima zu vergiften.

Wenn Deportations-Fantasien so salonfähig geworden sind, dass viele Menschen applaudieren, wenn man in einem saloppen Sager 5000 One-Way-Tickets fordert, dann soll uns das allen zu denken geben. Auch denen, die Efganis Aussagen richtig finden.

Man muss hierzulande fast immer für gegen was sein. Graustufen interessieren niemandem mehr. Ein Teufelskreis.

Die wahre Tragik, Teil 2

Die Medienlogik ist hier auch ganz deutlich zu erwähnen! Wäre Efgani an die Zeitung heute (oder eine andere beliebige Boulevard-Zeitung) herangetreten und hätte über islamisch-konservative Vereine gesprochen, versucht eine differenzierte Debatte zu starten, wie wir in Österreich damit umgehen sollen, hätten genau diese Zeitungen wohl dieser Debatte keinen Raum gegeben and abgewunken. Es braucht schon ordentliche Sager, damit man überhaupt in den Medien vorkommt. Am besten provokant. Also einfach mal so Deportationen fordern. Und schon ist man Hauptgeschichte der österreichischen politischen Debatte.

Dies ist seit den späten 80-er Jahren – nicht zufällig mit dem ersten Höhenflug Jörg Haiders – zu beobachten. Sager und Populismus ist nicht nur eine politische Krankheit. Sie ist vor allem auch eine mediale.
Auch ich habe schon mehrmals so etwas erlebt.

Um nur ein Beispiel nennen: Ich setze mich seit Jahren für den Erhalt der historischen Jüdischen Friedhöfe ein. Eines Tages habe ich mit einem Journalisten eine Story dazu gemacht, habe alle kulturpolitische, alle historisch bedingte und tourismuspolitische Argumente vorgebracht. Am Ende wurde ich nach einem Sager gefragt, ich blieb bei meinen Argumenten. Dann fragte mich der Journalist, was denn nun mein Sager sei und wörtlich: „Darf ich dich zitieren und Häupls Umgang mit den Friedhöfen antisemitisch nennen?“ Mein „Nein“ enttäuschte ihn und die Geschichte wurde kleiner als ausgemacht. Es handelte sich übrigens nicht um eine Boulevard-Zeitung.
Freie Meinung, Versammlungsfreiheit

Wenn die Erdoğan-Regierung mit brachialer Polzeigewalt, mit Androhung einer militärischen Operation, mit Verbalattacken der untersten Schublade gegen friedliche Demonstrant_innen am Taksim Platz, im Gezi Park, in Ankara oder sonstwo vorgeht, dann kann man nicht diese Verletzung der Menschenrechte (denn sowohl die Versammlungsfreiheit als auch das Recht auf freie Meinungsäußerung sind fundamentale Menschenrechte) kritisieren und diese dann Zuhause nicht einhalten!

Ich bin – allein schon als Aktivist aus der Lesben- und Schwulenbewegung kommend – für Kritik an Konservativismus und Fundamentalismus (ganz gleich ob christlich, islamisch oder sonstwas) und halte Debatten darüber für nötig. Aber bitte ohne Deportationsfantasien.

Zuguterletzt hat übrigens auch Efgani das Recht auf freie Meinungsäußerung. So wie andere – etwa ich – das Recht haben, die 5000 One-Way-Tickets heftig zu kritisieren oder eine Partei (auch Vereine, Medien oder andere Initiativen) das Recht haben, Grundwerte zu definieren. That’s democracy.

Und daher lehne auch ich inhaltlich die Demonstration der Erdoğan-Fans am 23.6. ab. Aber ich werde zeitgleich dafür kämpfen, dass diese das Recht haben ihre Meinung öffentlich kundzutun.

Nachtrag!

Efgani Dönmez hat sich hier auf Facebook mittlerweile von den „5000 One Way Tickets“ distanziert. Was ich gut finde.

Es tut sich was in Sachen Netzneutralität

Vorab: Wer (noch) nicht weiß, was Netzneutralität ist, möge kurz hierher klicken.

Schon vor einem Jahr hat mein Grüner Kollege aus dem Nationalrat, Albert Steinhauser bei einer Ausschusssitzung, in der ein grüner Antrag zur Netzneutralität diskutiert wurde, einen runden Tisch mit allen Parteien zum Thema Netzneutralität vorgeschlagen. Der Zeitpunkt, ein Jahr später, ist zwar spät aber trotzdem gut, da gerade gestern die zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes dazu ein Statement abgegeben hat.

Derzeit ist das Ziel – durchaus vernünftig und zudem ist das eben jetzt Neu – eine europaweite Regelung zu finden, bevor einzelne Nationalstaaten handeln. Letzteres kann bzw. muss man ohnehin machen, sollte auf EU-Ebene nichts weiter gehen. Und ob die EU mit einer Verordnung oder einer Richtlinie die Netzneutralität voran treiben möchte, ist auch noch nicht klar. Bei einer Richtlinie können bekanntlich Nationalstaaten auch darüber hinaus Gesetze schaffen.

Trotzdem braucht Österreich eine Verhandlungsposition gegenüber der Union. Daher hat Infrastrukturministerin Doris Bures heute auch (zufällig) zeitgerecht zu diesem Runden Tisch der Parteien geladen, mit hochinteressanten Berichten der zuständigen Beamten und Beamtinnen.

Auffallend war schon, dass der Begriff „Netzneutralität“ offensichtlich unterschiedlich interpretiert wurde. Besonders Karin Hakl von der ÖVP pochte darauf, dass ein Breitbandausbau, etwa in Tiroler Täler, erstmal passieren muss, damit wir von so etwas wie Netzneutralität reden könnten, da ja Zugänge geographisch unterschiedlich sind. Leider übersah sie dabei, dass etwa auch der Strommarkt reguliert werden muss, auch wenn so manche Alm keinen Stromzugang hat. Hier wurde Infrastruktur- bzw. Breitbandausbau (Stichwort Digitale Agenda) mit Netzneutralität verwechselt.

Daher ist die Position der ÖVP zur Netzneutralität auch nach diesem Runden Tisch noch immer nicht ganz klar und bleibt diffus.

Einig waren wir uns aber, dass es nicht statthaft sein kann, dass ein Netzanbieter Anwendungen Dritter drosselt, aber nicht eigenen Angebote.

Nicht geklärt – und darauf habe ich beim Runden Tisch leidenschaftlich hingewiesen – blieb die Frage, ob wir das Internet politisch als Dienstleistung sehen, die sich im freien Markt bewegt, oder ob es sich um eine Grundversorgung handelt, die auch sozial ärmeren Schichten zugänglich sein muss – auch aus demokratiepolitischer Sicht (etwa Zugang zu Informationen, die nunmal zunehmend auch audiovisuell gestreamt werden).

Aber es wird weitergehen, wir werden weiter verhandeln und hoffentlich auch bald NGOs mit am Tisch haben. Doris Bures ist jedenfalls sehr daran interessiert, dass weiter gemeinsam verhandelt wird und das ist dann doch sehr erfreulich.
LINK: Albert Steinhausers Blogbeitrag zum heutigen Runden Tisch.

#Aufschrei, Netzfeminismus und neue Netzwerke: Wer besetzt den digitalen Raum?

Die Grüne Bildungswerkstatt Wien organisiert in Kooperation mit der Grünen Frauenorganisation und mit mir als netzpolitischer Sprecher der Grünen eine Podiumsdiskussion am 27. Mai 2013 zum Thema:

Wer besetzt den digitalen Raum?

#Aufschrei, Netzfeminismus und neue Netzwerke

Wir möchten uns im Rahmen dieser Veranstaltung die Präsenz von Frauen im Web und Social Media genauer ansehen. Anknüpfend an die durch #Aufschrei gestartete Debatte möchten wir diskutieren, inwiefern Web 2.0 eine Möglichkeit für Frauen bietet, sich den „malestream“ entgegen zu stellen.

Bietet das Netz neue Möglichkeiten zur feministischen Organisation?

Wie gehen wir mit (sexualisierten) Übergriffen im Netz und auf netzpolitischen Veranstaltungen um?

Wie kann eine feministische Praxis im Netz aussehen?

Begrüßung: Marco Schreuder (Bundesrat und netzpolitischer Sprecher der Grünen)

Moderation und kurzer Input: Martina Wurzer (Gemeinderätin und Sprecherin der Grünen Frauen Wien)

Am Podium diskutieren:

Sigi Maurer (ehem. ÖH-Vorsitzende und NR-Kandidatin der Grünen)
Ingrid Brodnig (Redaktuerin der Wochenzeitung FALTER)
Brigitte Theissl (Bloggerin)
Michaela Amort (Marketing Managerin, Bloggerin)

Wann: 27. Mai 2013, 19:00

Wo:  C3  – Centrum für Internationale Entwicklung, Sensengasse 3, 1090 Wien

Marion Kipiani: IDAHO 2013 wird in Georgien zum Tag der Homophobie

Heute ein Gastbeitrag von Marion Kipiani, die in der georgischen Hauptstadt Tiflis lebt:

Die kleine Kaukasus-Republik Georgien ist ein äußerst gastfreundliches, ethnisch und kulturell vielfältiges Land. Die GeorgierInnen rühmen sich gerne ihrer Toleranz im Angesicht dieser Vielfalt. Allerdings haben die meisten von ihnen auch eine ganz klare Vorstellung darüber, was „georgische Identität“ bedeutet: Patriotismus, das Festhalten an traditionellen Werten und, in den meisten Fällen, der orthodoxe Glaube. Die georgisch-orthodoxe Kirche, von vielen GeorgierInnen als die Bewahrerin georgischer Kultur und Sprache während der Sowjetzeit verehrt, hat großen Zuspruch in der Gesellschaft und versteht sich immer noch als Hüterin von Tradition und nationalen Werten. Der Patriarch (in Georgien „Katholikos“ genannt) Ilia II genießt mit über 90 Prozent einen Beliebtheitswert in der Bevölkerung, von dem die meisten PolitikerInnen nur träumen können. In diesem Kontext tut sich eine Gruppe besonders schwer: die LBGT-Community, im hiesigen Sprachgebrauch meist als „sexuelle Minderheiten“ bezeichnet.

Seit einigen Jahren bemüht sich eine kleine Anzahl von AktivistInnen, besonders ums die NGO „Identoba“ (Identität), in der georgischen Gesellschaft ein stärkeres Bewusstsein und Toleranz für die Rechte homosexueller, bisexueller und Transgender-Personen zu schaffen. Obgleich der Versuch einer „Gay Pride“ in der georgischen Hauptstadt im Jahr 2012 von einer Gruppe orthodoxer Fanatiker tätlich angegriffen wurde, entschied sich „Identoba“, auch für den 17. Mai 2013 zu einer kleinen, friedlichen Veranstaltung im Zentrum von Tbilisi (Tiflis) aufzurufen. Die meisten Menschen, die an der auf Facebook angekündigten Veranstaltung teilnehmen wollten, waren entweder Mitglieder der LBGT-Community, Menschenrechts-AktivistInnen oder einfach für mehr Toleranz und eine pluralistische Gesellschaft eintrendende GeorgierInnen.

Im Vorfeld rief der georgisch-orthodoxe Patriarch Ilia II die Regierung dazu auf, die Veranstaltung zu verbieten, und bezeichnete Homosexualität als „Krankheit“ und „Anomalie“. Georgiens Premierminister Bidzina Iwanischwili erwiderte öffentlich, dass alle BürgerInnen ungeachtet ihrer Identität das Recht hätten, friedlich für ihre Belange zu demonstrieren. Die Polizeikräfte würden den LGBT-Flashmob vor einer angekündigten Gegendemonstration orthodoxer Geistlicher und Gläubigen schützen.

Zu dem Flashmob vor dem alten Parlamentsgebäude auf Tbilisis zentralem Rustaveli-Boulevard kam es allerdings nicht. Bereits seit den Vormittagsstunden hatte die mehrere tausend Personen zählende Gegendemonstration den Veranstaltungsort regelrecht besetzt. Die LGBT-AktivistInnen entschieden daraufhin, sich einige hundert Meter entfernt zu versammeln. Kurz vor 13 Uhr durchbrachen orthodoxe Geistliche und ihre AnhängerInnen den Polizeikordon und stürmten den Platz, auf dem wenige Dutzend Menschen für die Rechte von Homosexuellen, Bisexuellen und Transgender-Personen demonstrierten. Der Mob aus Geistlichen im Talar, älteren Frauen, welche die LGBT-AktivistInnen mit Nesselschlägen „heilen“ wollten, und jungen Männern entweder im „Urban-Guerilla-Outfit“ (Kapuzenpullis und vor den Mund gebundenen Bandanas) oder in der Tracht der kaukasischen Bergbevölkerung mit traditionellen Dolchen am Gürtel, ging unter Parolen wie „Lasst sie nicht entkommen!“ und „Tötet sie alle!“ auf die friedlichen Demonstranten los.

Fotostrecke auf Civil Georgia: http://civil.ge/eng/category.php?id=87&size=wide&gallery=92

Fotostrecke auf Eurasianet.org: http://eurasianet.org/node/66984

Die Polizeikräfte bemühten sich, die LGBT-AktivistInnen so schnell als möglich in öffentlichen Bussen und Minibussen unter- und damit in Sicherheit zu bringen. Die wütende Menge der GegendemonstrantInnen verfolgten jedoch sogar die Fahrzeuge, als diese versuchten, sich einen Weg durch die engen Nebenstraßen zu bahnen. In blindwütigem Hass attackierte ein Mob einen Minibus mit Flaschen und Steinen. Direkt neben uns wurde eine junge Frau – wie sich später herausstellte, eine Radiojournalistin – von einem Pflasterstein am Kopf getroffen und von Polizisten in einem Hauseingang in Sicherheit gebracht.

Wütender Mob attackiert einen Minibus mit LGBT-AktivistInnen – YouTube: https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=_f4lMuAhORU

Auf dem zentralen Rustaveli-Boulevard marschierten die Gegendemonstranten, unbehindert von den Sicherheitskräften, auf und ab. Junge Männer, denen die Kampfeslust geradezu ins Gesicht geschrieben stand, waren auf der Suche nach „pederastebi“ (wie Homosexuelle in Georgien abwertend bezeichnet werden). Etwa einen Kilometer vom ursprünglichen Veranstaltungsort entfernte machte eine Menge mehrer hundert orthodoxer Extremisten regelrecht Jagd auf einige LGBT-AktivistInnen, welche sich mit Not in einen Supermarkt retten konnten. Das Geschäft wurde vom Mob umzingelt, und die AktivistInnen musstem vom georgischen Ombudsmann unter Polizeischutz aus dem Laden eskortiert werden. Das Büro der LGBT-NGO „Identoba“ wurde angeblich ebenfalls von den Gegendemonstranten belagert. Insgesamt wurden nach Angaben des georgischen Gesundheitsminister 28 Personen verletzt, darunter auch Journalisten und Einsatzkräfte.

Was bleibt?

Der blinde Hass und die Gewaltbereitschaft der GegendemonstrantInnen, unter ihnen eine große Anzahl orthodoxer Geistlicher, hat in vielen GeorgierInnen Bestürzung und Scham hervorgerufen. Am Samstag versammelten sich Demonstranten vor dem Regierungsgebäude in Tbilisi und forderten, die Verantwortlichen für den Gewaltausbruch müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Bereits am Freitag Nachmittag kam es in Kutaisi, einer Stadt ca. 200 km westlich von Tbilisi, zu einer Solidaritätskundgebung mit den angegriffenen LGBT-AktivistInnen.

Die Regierung reagierte unterdes verhalten. In einer Aussendung verurteilte Premierminister Iwanischwili den Gewaltausbruch. Das Innenministerium kündigte eine Untersuchung der Vorfälle an. Nur der georgische Ombudsmann, Utscha Nanuaschwili, fand scharfe Worte und erklärte, die Gegendemonstranten hätten offensichtlich von Beginn an geplant, die Veranstaltung der LGBT-Community gewaltsam zu stören. Nanuaschwili kritisierte auch das Unvermögen der Sicherheitskräfte, die AktivistInnen zu schützen und ihre friedliche Veranstaltung zu ermöglichen.

Und die georgisch-orthodoxe Kirche? Patriarch Ilia II distanzierte sich von der Anwendung von Gewalt. Allerdings, so sagte er in einer Fernsehansprache am Freitag Abend, sei Homosexualität eine „Sünde vor Gott“ und sollte daher nicht „propagiert“ werden.

Auf Facebook und Twitter lässt sich dieser Tage verbreitet die Meinung lessen, es sei den orthodoxen Extremisten wohl kurzfristig gelungen, die LGBT-Veranstaltung zu unterbinden, sie hätten sich selbst und ihrer Sache langfristig jedoch eher geschadet. Es bleibt zu hoffen, dass der bestürzende Ausbruch von Hass und Gewalt tatsächlich in der georgischen Gesellschaft zu einer breiteren und tiefergehenden Auseinandersetzung mit den Thema der sexueller Selbstbestimmung ganz allgemein führt. Bis Georgien zu einer konsolidierten und stabilen Demokratie wird, in der die Rechte und der Schutz aller Identitätsgruppen fest verankert und breit akzeptiert sind, wird es wohl noch eine Weile dauern. Das hat uns nicht zuletzt der 17. Mai wieder in Erinnerung gerufen.
Marion Kipiani, geb. 1981, ist Österreicherin und lebt seit Sommer 2009 in Tbilisi. Sie arbeitet seit Anfang dieses Jahres als Koordinatorin für ein Südkaukasus-Projekt des Norwegischen Helsinki-Kommittees zum Thema Menschenrechte und Konflikttransformation und war zuvor auch für lokale NGOs in diesen Bereichen tätig.

Aserbaidschans Präsident kommt nach Wien. Das sagt die Opposition.

Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev wird im Mai Wien besuchen. Das an Erdöl und Gas reiche Land stand vor einem Jahr unter internationaler medialer Beobachtung, als der Eurovision Song Contest in der boomenden Hauptstadt Baku stattfand. Oppositionelle Gruppen und Menschenrechtsaktivist_innen nahmen diese internationale Aufmerksamkeit zum Anlass um auf demokratiepolitische Probleme aufmerksam zu machen. In ihrem Büro zeigten sie Bilder von Deportationen von Hausbewohner_innen, die gewaltsam aus ihren Häusern entfernt wurden, damit die schon zuvor geplante „Crystal Hall“ samt Zufahrtsstraßen rechtzeitig fertig gebaut werden konnte, und veröffentlichten Namen und Fotos von Journalist_innen, Blogger_innen und Aktivist_innen, die sich in Gefangenschaft befanden (und zu einem großen Teil immer noch befinden).

Der Aktivist Rasul Jafarow war Mitbegründer der Bewegung Sing for Democracy, die Sprachrohr der Menschenrechtsbewegung wurde. Von den im Vorjahr teilnehmenden Künstler_innen war es nur die spätere schwedische Siegerin Loreen, die sich für die Arbeit der Opposition interessierte und die Organisationen besuchte.

Anlässlich des Besuchs von Aserbaidschans Staatspräsident Ilham Aliyev in Wien fragten wir, Grüne Wiener Gemeinderätin Monika Vana und Bundesrat Marco Schreuder, Rasul Jafarow nach den aktuellen Problemen seines Landes.

Aserbadschans Präsident Alijew wurde 2012 von der OCCRP (Organized Crime and Corruption Reporting Project) als „korruptester Mann des Jahres 2012“ nominiert. Kannst du uns erzählen warum?

Es ist offenkundig, dass Präsident Alijew und seine Familie zutiefst korrupt sind. So haben Funktionäre, inklusive der Präsident selbst seit er an der Macht ist, keine Einkommenserklärung vorgelegt. Alijew selbst hat 2005 eine Beschlussfassung unterzeichnet, die aber genau das vorschreibt. 2011 haben die Washington Post, und Anfang 2012 der CNBC Materialen veröffentlicht, die belegen, dass der Präsident und seine Familienmitglieder Besitztümer, Häuser, Villen in Dubai und anderen Regionen besitzen. Kahdija Ismayilova, eine der wenigen investigativen Journalist_innen, hat 2012 auch über Großprojekte in Aserbaidschan recherchiert und nachgewiesen, dass Firmen des Präsidenten und seiner Familienmitglieder den „Flag Square“ gebaut haben und Geld aus dem Staatsbudget ausgegeben haben. Die Töchter des Präsidenten sind Eigentümerinnen von Mobilfunkanbietern in Aserbaidschan und Goldadern in Gadabay, einer kleinen Region in Westaserbaidschan. Aufgrund dieser Fakten hat OCCRP Alijew als „korruptesten Mann des Jahres 2012“ nominiert.

Denkst du, dass in Aserbaidschan freie Wahlen und eine demokratische Machtverschiebung möglich sind?

Ich möchte wirklich gern daran glauben, aber es scheint als ob das nicht leicht sein wird. Gesetzliche Änderungen, die Versammlungsfreiheit und NGOs betreffen, Verhaftungen von vielen Kritiker_innen seit Jahresbeginn 2013, ein de facto Verbot Veranstaltungen – sogar in geschlossenen Örtlichkeiten – zu organisieren, Druck auf Journalist_innen und Online-Aktivist_innen zeigt, dass das gegenwärtige Regime einmal mehr plant die Wahlen zu fälschen. Trotz diesen Restriktionen gibt es noch immer einige neue oppositionelle und junge Bewegungen im Land. Das Regime wird von internationalen Organisationen und einigen westliche Staaten kritisiert und die Zivilgesellschaft versucht noch immer aktiv eine wichtige Rolle in der Verbesserung der Situation zu spielen. Also hoffen wir das Beste.
Um demokratische Wahlen zu haben, sollte Ilham Alijew übrigens gar kein Kandidat sein, weil das gegen die Verfassung wäre. Ich glaube, so wie viele unabhängige Jurist_innen und Mitglieder der Republikanischen Alternativen Bewegung, dass – obwohl die Verfassung 2009 verändert wurde und das Verbot, dass eine Person mehr als zwei Mal gewählt werden kann, außer Kraft gesetzt worden ist – Alijew dennoch kein Recht hat zu kandidieren. Und zwar weil er unter den Verfassungsbestimmungen von 2008 gewählt wurde (da die Wahlen 2008 waren), also vor den Änderungen von 2009. Daher können die neuen Regelungen der Verfassung nicht für Ilham Alijew gelten, da diese für neue Kandidat_innen bestimmt sind. Daher habe ich, sollte Alijew Kandidat sein, ernsthafte Bedenken ob der Durchführung von freien und fairen Wahlen.

Wie würdest du die Frauenrechte in Aserbaidschan beschreiben?

Unsere Gesellschaft ist ziemlich konservativ und das beeinflusst die Frauenrechte in Aserbaidschan negativ. Es ist vor allem in den Regionen und ländlichen Gebieten in Aserbaidschan sehr schwierig. In vielen Fällen ist es für Frauen nicht möglich ihre eigenen Lebensentscheidungen zu treffen. Es gibt viele Fälle, in denen 14-, 15-, 16-Jährige bereits verheiratet werden. In diesen Fällen haben sie nicht viele Alternativen hinsichtlich Ausbildung, Arbeit oder die Wahl des Jobs, etc. Gleichzeitig gibt es auch ein anderes Gesicht unserer Gesellschaft, vor allem in der Hauptstadt Baku. Da haben Frauen nicht die oben genannten Probleme. Sie leben ziemlich unabhängig. Als Folge davon gibt es jetzt viele Frauen, die in hohen Positionen in den Ministerien oder im Parlament arbeiten. Wenn wir die Situation vom Standpunkt der generellen Menschenrechte aus analysieren, sollte ich sagen, dass es weder für Männer noch für Frauen einfach ist. Wenn du zum Beispiel die Regierung kritisierst und du eine Frau bist, kannst du sehr leicht ins Visier der Regierung kommen.

Man hört eine Menge über Umweltverschmutzung durch die Öl- und Gasindustrie in Aserbaidschan. Unternimmt die Regierung irgendetwas dagegen? Ist das überhaupt ein Thema für die Opposition und Medien?

Es ist kein Hauptthema der Opposition oder der Medien in Aserbaidschan. Es gibt einige gute NGOs, die sich mit Umweltthemen befassen, aber es reicht nicht aus, um es in der Gesellschaft breit zu thematisieren. Der Grund dafür ist, dass Opposition, Zivilgesellschaft und Medien vor allem an sozio-politischen Belangen beteiligt sind und viele Menschen glauben, dass diese wichtiger als Umweltthemen sind. Einige meinen, dass wir zuerst auf Demokratie und auf „good governance“ im Land fokussieren sollten bevor wir uns den Umweltthemen widmen können. Es ist traurig, aber gleichzeitig Realität. Das Ausmaß der Verschmutzung aufgrund der Öl- und Gasindustrie ist derzeit nicht katastrophal, aber die Regierung sollte mehr dagegen unternehmen. Wir sehen, dass sie von Zeit zu Zeit Bäume pflanzen, und das war’s dann schon.

Aserbaidschan ist bekannt als ein Land, welches sich in ständigem Konflikt mit seinem Nachbarn Armenien befindet. Hat das generelle Auswirkungen auf die Gesellschaft? Kannst du diese Auswirkungen beschreiben?

Es beeinflusst sehr negativ! 20 Prozent des aserbaidschanischen Landes sind von armenischen Truppen okkupiert, etwa eine Million Aserbaidschaner_innen wurden zu Inlandsflüchtlingen. Es ist leicht zu sehen und zu verstehen, dass dieser Konflikt zumindest das Leben dieser Menschen sehr negativ beeinflusst. Ich denke ein anderer negativer Einfluss dieses Konflikts ist, dass das gegenwärtige Regime die Gesellschaft mit dem Konflikt manipuliert.
Wenn die Gesellschaft andere wichtige Themen zur Sprache bringt, reagiert die Regierung als hätten wir nur ein Problem – und zwar den Konflikt mit Armenien: Zuerst müssten wir dieses Problem lösen und dann können wir über andere Themen nachdenken. Bedauerlicherweise beobachte ich diese Rhetorik von Seiten der Regierung seit den letzten zehn Jahren.

In einer internationalen Studie des Pew Research Center, welche in allen Ländern mit muslimischem Bevölkerungsanteil durchgeführt wurde, war Aserbaidschan das Land mit der höchsten Rate zugunsten von Rechtsstaatlichkeit und nur 8 Prozent würden demnach Scharia-Gesetze unterstützen. Glaubst du, dass dieser Befund eine Hoffnung für demokratische Veränderungen ist?

Wir haben immer die Hoffnung auf demokratische Veränderungen, und die Ergebnisse dieser Studie belegen dies wieder. Aserbaidschan hatte eine kurze Phase der Unabhängigkeit zwischen 1918 und 1920, direkt nach dem Ersten Weltkrieg. Wir hatten damals eine demokratische Regierung. Frauen besaßen das Wahlrecht, es gab freie und faire Wahlen und die Gesellschaft war liberal. Und sie blieb bis heute liberal! Ich will damit sagen, dass wir eine Tradition der Demokratie und liberalen Gesellschaft haben und es ist nicht leicht diese zu zerstören. Daher ist das Ergebnis dieser Studie Realität und das gibt uns große Hoffnung für mehr demokratische Veränderungen in der nahen Zukunft.

Welche Gruppen sind die wichtigsten oppositionellen Gruppen in Aserbaidschan?

Die oppositionellen Jugendgruppen sind sehr wichtig für unsere Gesellschaft und unser Land. Ich denke sie werden eine wesentliche Rolle in der Demokratisierung Aserbaidschans spielen. Ich kann NIDA Civic Movement, Azad Genclik (Free Youth Organisation), Musbet Deyishiklik (positive Changes Youth Organization) und junge AktivistInnen ohne Zugehörigkeit erwähnen.
Meiner Meinung nach wächst die Republican Alternative Movement (REAL Movement) und wird zu einer beliebten oppositionellen Gruppe, die sich in naher Zukunft in eine politische Partei umwandeln wird. Die Bewegung ist erst kürzlich 2009 gegründet worden und begann seit den Parlamentswahlen 2010 aktiv zu werden. Präsidentschaftskandidat und Vorsitzender der Bewegung, Ilgar Mammadov, wurde illegal verhaftet weil er nach Ismayilli ging, eine Region in Aserbaidschan wo im Jänner 2013 Unruhen stattfanden. Er interessierte sich für die Probleme der Menschen vor Ort und verfolgte aufmerksam die Situation. Die Regierung beschuldigte ihn die Unruhen in Ismayilli organisiert zu haben. Ilgar Mammadov kritisierte das 2009 durchgeführte Referendum, wodurch es eine Beschränkung  auf eine wählbare Person gab; er kritisierte das Parlament und nannte es Anfang 2013 einen Zoo. REAL Movement ist die wichtigste und aktivste Gruppe, welche die Information verbreitet, dass Ilham Alijew nicht das Recht hat für die kommenden Wahlen zu kandidieren, zumindest aus der rechtlichen Perspektive.
Und ich muss die Azerbaijan Popular Front Party und Musavat Party erwähnen, deren Mitglieder aktiv gegen die Diktatur in Aserbaidschan kämpfen, trotz eines riesigen Drucks des Regimes. Neben dem Druck der Regierung finde ich, dass diese Parteien sehr große politische Fehler gemacht haben, durch welche sie jetzt geschwächt sind.

Wie kann eine Stadt wie Wien, ein Land wie Österreich oder die Europäische Union die Demokratie in Azerbaijan unterstützen?

Ich denke Europa sollte hinter Werten wie Respekt für Menschenrechte, Demokratie, „good governance“ und Transparenz stehen. Vor allem Länder, die Mitglieder der Europäischen Union sind, wie Österreich, sollten bei internationalen Foren mehr über Menschenrechtsprobleme in Aserbaidschan reden, zumal Aserbaidschan ein Mitglied des Europarats und der OSZE ist. Europäische Politiker_innen im Europarat sollten aufmerksamer gegenüber den Menschenrechten in Aserbaidschan sein und die Regierung auffordern die Situation zu verändern und dabei nicht zögerlich agieren. Mir hat die Position der europäischen Medien vor und während des Eurovision Song Contest 2012 sehr gefallen, die bemüht waren, Menschenrechtsthemen aufzugreifen. Theoretisch kann Aserbaidschan diesen Wettbewerb wieder gewinnen und wir werden dasselbe Interesse von Europa erwarten. Aserbaidschan wird Gastgeber der ersten Europäischen Olympischen Spiele sein, was wiederum Aufmerksamkeit nach Aserbaidschan bringen wird. Europa sollte diese Möglichkeit nützen hinsichtlich der Erläuterung der Wichtigkeit von Menschenrechten und Demokratie. Wenn Ilham Alijew nach Europa reist und Treffen mit europäischen PolitikerInnen hat, müssen diese Menschenrechtsthemen aufwerfen und nicht nur über Geschäfte und Energiesicherheit reden.