Warum der 8. Mai und nicht der 26. Oktober Nationalfeiertag sein muss.

Diesen Blogbeitrag habe ich am 3.5.2010 geschrieben. Da morgen österreichischer Nationalfeiertag ist, stelle ich ihn nochmal nach oben:
Österreich feiert seit 1965 am 26. Oktober den Nationalfeiertag, seit 1967 ist es auch ein gesetzlicher Feiertag.
Der 26. Oktober

Der Grund, warum am 26. Oktober gefeiert wird ist bekannt, wenn man in der Schule aufgepasst hat: Der Staatsvertrag wurde im Mai 1955 unterschrieben. Darin wurde Österreich als souveräner Staat anerkannt, die alliierten Truppen Frankreich, Großbritannien, die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten gingen im Fall Österreich einen anderen Weg, als er etwa in Deutschland gegangen wurde: Dort nämlich mit Zweiteilung des Landes und der (Noch-) Hauptstadt. Durchaus möglich gewesen, dass dies in Österreich auch passiert wäre. Tat es aber nicht, eben weil die vier Staaten Österreich den Staatsvertrag gaben, bzw. dieser verhandelt wurde.
Am 27.7.1955 begann eine 90-Tages-Frist, in er alle Truppen der Signitarstaaten Österreich verlassen haben sollten. Diese Frist endete am 25.10.1955. Am ersten Tag ohne Truppen anderer Länder auf österreichischem Staatsgebiet erklärte der Nationalrat die immerwährende Neutralität Österreichs.
ÖVP-Unterrichtsminister Heinrich Drimmel machte sich besonders stark für diesen Tag als Gedenktag. Bereits am 25.10. erließ er, dass alle Schulen die österreichische Fahne hissen sollten. Im Jahr darauf wurde der 26.10. als Tag der Fahne eingeführt, um eben 1965 zum offiziellen Nationalfeiertag erklärt zu werden.
Das feiern wir also. Nicht die Befreiung vom Nationalsozialismus, sondern den ersten Tag, an dem die Befreier endlich verschwanden. Was ist das eigentlich für eine Haltung, der zu dieser Entscheidung führte?
Der 8. Mai
Am 8. Mai kapitulierte das nationalsozialistische Deutschland vor den Truppen der Alliierten. Frankreich, Großbritannien, Russland, die USA, Kanada und viele andere hatten Europa – und auch Österreich, das sich so gerne als erstes Nazi-Opfer darstellte – vor den Nationalsozialisten befreit. Bis heute gilt dieser Tag in vielen europäischen Ländern als Gedenktag (mit einigen Tagen auf und ab, je nach Befreiungszeitpunkt des Landes).
In den Niederlanden etwa gedenkt man am 4.5. den Toten des 2. Weltkriegs und den Nazi-Opferm, am Tag darauf feiert man die Befreiung von den Nazis. Wer das Gedenken in den Niederlanden schon einmal erlebt hat, bekam wahrscheinlich Gänsehaut, wenn auch viele Jahrzehnte später das Land um Punkt 20 Uhr zwei Minuten völlig still steht – in Restaurants, auf Autobahnen oder im Zugverkehr.
Warum passierte in Österreich so etwas nicht? Warum hat man nicht allen Österreicherinnen und Österreichern die Möglichkeit gegeben, den Toten zu erinnern, an den Terror des Nationalsozialismus zu mahnen, den verfolgten und ermordeten Juden und Jüdinnen, Roma und Sinti, politisch Verfolgten, etc. zu gedenken? Warum feiert man stattdessen das Verschwinden der Befreier?
Ich finde die Entscheidung, am 26. Oktober den Nationalfeiertag zu feiern, inakzeptabel. Es kann das Abziehen der Alliierten nicht als für Österreich wichtiger dargestellt werden, als die Befreiung vor dem Terror des NS-Regimes. Das ist historischer Unfug und vermittelt auch 55 Jahre nach Unterzeichnung des Staatsvertrags die Botschaft, dass die „Befreiung“ von den Alliierten quasi ein Sieg Österreichs wäre, und nicht die Befreiung vom Nationalsozialismus.
Die Tatsache, dass am 26.10. Nationalfeiertag ist, beweist aber auch den enorm schlampigen Umgang Österreichs mit seiner Vergangenheit und seiner historischen Verantwortungslosigkeit.
Anderes Beispiel gefällig?
Wo in diesem Land werden die Menschen, die Verfolgten Opfern des NS-Regimes Schutz gewährten oder jüdische Familien versteckten, gefeiert, geehrt und ihnen Standbilder errichtet? Warum gibt es keine Anne-Frank-Stiftung oder eine ähnliche Einrichtung in diesem Land, die diese Menschen erforscht und ihnen ein Denkmal errichtet? Warum ehrt man nicht die Helden des Alltags, die manchmal klein und vorsichtig doch eine Menge Zivilcourage aufbrachten?
Es wird Zeit, dass Österreich endlich Verantwortung übernimmt, die Wahrheit sagt und die echten Heldinnen und Helden auch als solche wahrgenommen werden (siehe in diesem Blogbeitrag die Artikel zur Wienerin Miep Gies hier, hier und hier).
Den Nationalfeiertag auf den 8. Mai zu verlegen, wäre ein guter Beginn. Ich fordere das!
Verwandter Artikel:
Interview im „David“: Miep Gies, Vergangenheitsbewältigung, politische Motivation und die Niederlande.

 

Foto: Totengedenken (dodenherdenking) am 4.5. in Amsterdam.