Innsbruck: Mitten im Wahlkampf Koalition verhandeln.

Am 15. April wählte Innsbruck einen neuen Gemeinderat. Das Ergebnis überraschte viele. Die ÖVP konnte besser abschneiden als erwartet, zauberte sie doch mit Christoph Platzgummer zwei Wochen vor der Wahl plötzlich einen neuen Spitzenkandidaten messiasgleich aus dem Hut. Dazu noch einen Kandidaten, der von der früheren und unvergessenen Bürgermeisterin Hilde Zach aus dem Amt des Vizebürgermeisters entfernt wurde. Finanzielle Unregelmäßigkeiten der Euro 2008-Aktivitäten in der Tiroler Hauptstadt, für die Platzgummer verantwortlich war, waren der Grund. Doch 2012 scheint das vergessen zu sein. Die ÖVP wurde knapp stärkste Kraft.

Jedoch sitzt die ÖVP im Gemeinderat zwei fast gleich starken Fraktionen gegenüber. „Für Innsbruck“ mit der Farbe Gelb heißt die bürgerliche ÖVP-Abspaltung, die mit Herwig Van Staa und Hilde Zach seit 1994 den Bürgermeister bzw. die Bürgermeisterin stellt. Die amtierende Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörrer erhielt mehr Stimmen als Bürgermeisterkandidatin, ihre Fraktion blieb aber knapp unter dem Ergebnis der ÖVP. In Mandaten (9) ist man aber gleich starke Kraft.

Und dann sind da noch die Grünen, die mit etwas über 19{6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7} ein hervorragendes Ergebnis erreichten. Sie sind mit 8 Mandaten im Gemeinderat vertreten und werden 2 Stadträt_innen stellen. Auch das eine Eigenart in Innsbruck: Die Gemeinderatswahl legt auch die Stadtregierungsmitglieder fest (insgesamt 7, möglicherweise werden es zukünftig 9). Diese sind zur Zusammenarbeit also quasi verpflichtet: 2 ÖVP, 2 FI, 2 Grüne und 1 SPÖ.

Apropos SPÖ: Sie war die große Wahlverliererin und ist seit dem mit internen Konflikten und Spaltungstendenzen konfrontiert. Und Spaltungen sind in Innsbruck (aber auch in Tirol, man denke etwa an die Liste Dinkhauser) keine Seltenheit: Die FPÖ spaltete sich einst und neben der Mutterpartei, die bei der Wahl 2012 mit Marokkaner-Plakate weltweit für Aufsehen sorgte und bei der Wahl enttäuschte, gibt es da auch noch Rudi Federspiel, der eine eigene Liste anführt. Und die Piraten konnte einen Sitz erobern. Die Innsbrucker Parteienvielfalt fällt einem Außenstehenden sofort ins Auge.

Da Innsbruck erstmals eine Bürgermeister_innen-Direktwahl hat, treten nunmehr das amtierende Stadtoberhaupt Christine Oppitz-Plörrer und Christoph Platzgummer in einer Stichwahl nochmal gegeneinander an. Am 29.4. wird gewählt.

Grüne Regierungsverhandlungen

Vor einigen Wochen erreichte mich ein Anruf aus Innsbruck: Ob ich denn Interesse hätte, den Innsbrucker Grünen bei den Regierungsverhandlungen als so genannten Notetaker zu begleiten. Ich hätte ja Verhandlungserfahrung aus Wien. Meine Aufgaben wären u.a.: Bei den Verhandlungen dabei sein, Strategien anderer herausfinden und bei den Grünen Strategien mit entwickeln, Atmosphäre, Stimmung und wichtige Botschaften notieren, die Basis informieren, damit alle schnell und gut informiert sind, usw. Ich musste nicht lange nachdenken. Ich sagte rasch zu. Denn Grüne Regierungsbeteiligungen halte ich für eine gute und unterstützenswerte Sache. Und man kann immer dazu lernen.

Als ich nach Innsbruck kam war ich begeistert: Eine motivierte Grüne Partei – mit erfahrenen Lokalpolitiker_innen und mit starken, frischen und jungen Kräften, hatte jahrelang Konzepte entwickelt, wusste was sie wollte und war nun endlich bereit, was 2006 nur knapp scheiterte: Regierungsverantwortung zu übernehmen!

Womit aber vor dem Aus-dem-Hut-Zaubern von Platzgummer niemand rechnete war, dass 2 Wochen nach der Gemeinderatswahl noch immer ein Wahlkampf das Geschehen dominierte. Eine zwischen FI und VP.

Also mussten die Grünen neue Stategien überlegen, denn es gab gleich einige Probleme: Die SPÖ wollte vor der Stichwahl gar nicht verhandeln und war mit sich selbst beschäftigt. Die ÖVP empfing uns zwar zu Gesprächen, in denen wir ihre Konzepte als Referat hören durften, aber inhaltliche Verhandlungen nicht möglich waren und auch gar nicht gewollt waren. Lediglich die Liste „Für Innsbruck“ mit der amtierenden Bürgermeisterin Oppitz-Plörrer war interessiert und setzte sich mit den Grünen einige Male an einem Tisch und man konnte sich auf 5 Eckpunkte einer zukünftigen Koalition einigen.

Auffällig für mich als Notetaker: Die Grünen waren auch die einzige gut organisierte Partei bei all den Verhandlungen. Die Partei also, die gerne immer noch als „Chaotenhaufen“ bezeichnet wird, war das Gegenteil davon.

Verhandlungen mitten in einem Wahlkampf

Freilich waren die Verhandlungen nicht so, wie sie sonst über die Bühne gehen. Denn beide Parteien (FI und Grüne) hatten äußerst unterschiedliche Rahmenbedingungen: Die eine Partei stand noch mitten im Wahlkampf und hatte neben inhaltliche auch strategische Überlegungen anzustellen und Hunderte andere Wahlkampftermine. Die Grünen wiederum wollten ihren Wähler_innen klar machen, was sie bei der Bürgermeister_innen-Stichwahl zu erwarten haben. Denn für Grüne gäbe es ohne Inhalte keinen Grund überhaupt zur Stichwahl zu gehen! Die ÖVP übersah dieses Problem und schielten lieber nach rechten und rechtsextremen Stimmen, während Oppitz-Plörrer ihre Chance darin sah, sich als kommunale Sachpolitikerin „der Mitte“ zu positionieren.

Und so eigenartig es klingen mag: Plötzlich traten zwei bürgerliche Kandidat_innen gegeneinander an – und trotzdem wurde es ein Lagerwahlkampf Mitte-Links-Grün-Bürgerlich/liberal versus Konservativ-Rechts-Rechtsextrem.

Die amtierende Bürgermeisterin deklarierte sich jedenfalls am vergangenen Donnerstag: Der Koalitionspakt zwischen FI und Grüne wurde der Öffentlichkeit präsentiert. Für Grün-Wähler und -Wählerinnen gibt es also plötzlich doch einen mehr als guten Grund am Sonntag zur Stichwahl zu gehen. Und für alle, die ein weltoffenes Innsbruck wollen, auch.

Das Interessante daran zudem: Auch wenn die ÖVP, die ja in Prozenten stärkste Fraktion ist, am Sonntag auch den zukünftigen Bürgermeister stellen sollte: Sie kann an Grün und Gelb nicht vorbei. Ihre Weigerung inhaltliche Verhandlungen führen zu wollen, rächt sich. Die VP beließ es bei Sprechblasen und Unverbindlichkeiten, während Oppitz-Plörrer den gelb-grünen Weg bis 2018 klar vorzeichnete und den Wähler_innen reinen Wein einschenkt. Die ÖVP kann sich auch als Siegerin nur noch dazu setzen.

Wäre ich übrigens Innsbrucker, würde ich nicht aus Begeisterung, sondern aus schlichter Notwendigkeit Christine Oppitz-Plörrer wählen.