Warum wählen wir Regierung und Parlament nicht getrennt?

Wer gestern Abend die Sendung Bürgerforum im ORF zum Thema Korruption gesehen hat und aufmerksam aktuelle Kommentare in Zeitungen, im Internet oder aktuelle Bücher verfolgt, Initiativen von Bürger_innen und Altpolitiker_innen wahrnimmt, wird zweifelsfrei feststellen, dass sich Österreich (und andere Länder) in einer veritablen Demokratiekrise befinden. Bürger und Bürgerinnen haben nicht mehr den Eindruck, dass Volksvertreter_innen auch das Volk wirklich repräsentieren und unser System mehr dem Machterhalt der Parteien selbst dient, lieber das eigene Klientel bedient wird und Korruption und Eigeninteresse im Vordergrund stehen. Das wirklich gefährliche daran ist das „in einem Topf werfen“, denn auch fleißige und bemühte Menschen in der Politik werden mittlerweile misstraut.

Auch ich gehöre zu den Menschen, die diese Entwicklung mit Sorge betrachtet. Allerdings habe ich mich nicht mit Staatstheorien und den dazugehörigen Schriften beschäftigt wie Politologen oder andere Politiker_innen, aber ich mache mir eben Gedanken, wie viele andere Bürger und Bürgerinnen. Und ich habe ja auch mal die Perspektive der Legislative auf Landesebene miterlebt. Schon damals spürte ich, dass da was nicht stimmt… Deshalb hier meine ganz persönliche Ansicht:

Gewaltenteilung

Wir haben John Locke und Charles de Montesquieu viel zu verdanken. Sie waren die ersten Aufklärer am Ende des 17. bzw. im 18. Jahrhundert, die eine Gewaltenteilung für ein Staatswesen für wichtig erachteten. Dieser Gedanke setzte sich in der Aufklärung und allem voran in der Französischen Revolution durch. Es war dies die Antwort auf den in Europa noch vorherrschendem Absolutismus. Dem setzten die Aufklärer Kontrollinstanzen entgegen, die jeweils die Macht des Anderen kontrollieren und somit verhindern, dass eine Macht die absolute Macht erhält. So entstand die Trennung von Legislative (Gesetzgebung), Exekutive (Rechtsvollziehung) sowie Judikative (Rechtssprechung). Seither gehört die Gewaltentrennung zum modernen demokratischen Staat. Andere Stützen, etwa die freie Presse, NGOs oder Interessensvertretungen kamen hinzu. Wie diese Gewaltentrennung jedoch heutzutage organisiert wird, ist von Land zu Land unterschiedlich.

Präsidentielles und parlamentarisches System

Am berühmtesten sind die Unterschiede von präsidentiellen Systemen, wie sie aus Frankreich oder den USA bekannt sind. Oder den parlamentarischen Systemen, wie wir sie etwa in Deutschland und Österreich kennen. Viele Kritiken sind an beiden System bekannt: Das präsidentielle System ist oftmals mit einem Mehrheitswahlrecht statt einem Verhältniswahlrecht verknüpft. Letzteres – auch von mir als gerechter empfundenenes Wahlrecht – findet sich eher in den parlamentarischen Systemen. Letzteres hat aber wiederum den Nachteil, dass alle Macht den Parteien zufließt und eine Parteiendemokratie alles bestimmt, was zur paradoxen Situation führt, dass in parlamentarischen Systemen die Macht des Parlaments geringer ist.

Und hier wären wir wieder am Beispiel Österreich angelangt, denn der Frust auf das Parteiensystem ist groß. Wenn man den aktuellen Frust und die aktuellen Korruptionsfälle nicht nur als Problem begreift, sondern auch als Chance für ein mehr an Demokratie – wenn also Staatsanwälte mehr dürfen, mehr Transparenz durchgesetzt wird, Parteienfinanzierungen öffentlich werden, usw. – ja, darf man dann nicht auch mal darüber nachdenken, wie und was wir eigentlich wählen, und ob das nicht verbessert werden kann?

Es ist noch nicht lange her, als das Kabinett Gusenbauer Legislaturperioden von vier auf fünf Jahren verlängerte. Das kann’s ja nicht sein. Zudem: Auf Wahlplakaten in Österreich geht es meistens um den Bundeskanzler oder um die Regierung („Wer, wenn nicht er?“). Nur die werden bei Nationalratswahlen gar nicht gewählt! Denn erst der Nationalrat wählt bekanntlich die Regierung.

Warum nicht Regierung und Parlament getrennt wählen?

Der – aus meiner Sicht – Vorteil des präsidentiellen Systems muss hier einmal erwähnt werden: Nehmen wir als Beispiel den Haushalt eines Staates. Wenn etwa in den USA Präsident Barack Obama einen Budgetentwurf vorlegt, dann kann er das so wollen, muss aber erst einmal eine parlamentarische Mehrheit dafür gewinnen. Das heißt, er legt den Entwurf dem Parlament vor (das in diesem Fall übrigens keinen Klubzwang kennt!) und muss verhandeln, egal ob seine Partei gerade eine Mehrheit stellt oder eine andere. Am Ende kommt eben ein Budget raus, der demokratisch verhandelt wird.

In parlamentarischen Systemen wird die Regierung von einer Partei, die die absolute Mehrheit innehat, oder von zwei oder mehreren Parteien (Koalitionen) gewählt. Die Regierung entstammt also quasi dem Parlament, die Abgeordneten winken Regierungsvorlagen parteitreu durch. Selten, dass Abgeordnete von Regierungsparteien mal anders als ihre Regierung abstimmen. Das ist ein Problem, aus meiner Sicht.

Als Sonderbeispiel sei übrigens noch das Europäische Parlament erwähnt, das immer wieder durch Überraschungen auffällt. Und warum? Weil sie keine Regierung wählt, der sie sich quasi unterwerfen muss.

Jetzt denke ich diesen Gedanken einmal zu Ende:

Nehmen wir einmal an es bleibt dabei und wir wählen alle fünf Jahre die Legislative; also den Nationalrat. Und jetzt nehmen wir einmal an dazwischen wählen alle Wahlberechtigte auch de Exekutive, also die Regierung. Was würde passieren?

Ich stelle mir das nämlich so vor:

Wenn etwa ein vorgeschlagenes Kabinett Faymann, ein ebensolches Kabinett von Spindelegger, von Strache, von Glawischnig und von Bucher zur Wahl stünden, mit darin jeweils enthaltenen Vorschlägen für das Personal für die Ministerien, dann werden diese Spitzenkandidat_innen darauf achten, dass sie Personal aussuchen, das auch allgemein und öffentlich akzeptiert wird, und nicht nur internen parteipolitischen Interessen dient, wie wir das etwa aus der ÖVP kennen („diesmal muss es eine Frau aus dem Süden und aus einem gewissen Teilorganisation der Partei sein“).

Die zwei Kabinettsvorschläge mit den meisten Stimmen kommen dann in eine Stichwahl. Nehmen wir an es sind die Kabinettsvorschläge Faymann und Spindelegger, die das geschafft haben. Nun müssen diese sich wiederum überlegen, wie sie Mehrheiten schaffen und Art Koalitionsverhandlungen beginnen. Sie nehmen sich zB. Expert_innen außerhalb der Parteienlandschaften ins Kabinett und schauen welche Persönlichkeiten der anderen Parteien vorhanden sind und nehmen diese in den Vorschlag auf. Dann entscheidet das wahlberechtigte Volk, welches Kabinett regieren soll – nach Koalitionsverhandlungen also. Das würde uns einige unerträgliche Koalitionsfragestellungen in Wahlkämpfen ersparen. Ein ÖVP-Wähler würde dann etwa vorher wissen, ob die ÖVP rechtsextreme Kräfte aus dem Umfeld der FPÖ umgarnen würde, oder eben auch nicht, und nicht nachher überrascht werden.

Als Kontrolle steht dann immer noch der Nationalrat zur Verfügung, den man eben getrennt und zu einem anderen Termin wählt. Midterm-Elections quasi. So gibt es immer die Möglichkeit eine Exekutive zu gewissen Kurskorrekturen zu zwingen und zudem dazu zu bringen, mit der Legislative zu verhandeln. Außerdem gäbe es im Parlament ja keine Koalition, was ständige Verhandlungen bedeuten würde.

Meiner Meinung nach wäre das gut für die Demokratie, die dadurch lebendiger werden würde. Es gibt sicher noch viele Punkte, die ich jetzt unberücksichtigt habe, die tiefer entwickelt werden müssten (oder die von Wissenschaftler_innen längst niedergeschrieben wurden, nur ich kenne die Schriften nicht), usw. Ich denke an Klubzwang, die Frage ob Mitglieder der Exekutive im Wahlkampf der Legislative wahlkämpfen dürfen, die Frage inwieweit auch nicht parteipolitisch organisierte Kabinettsvorschläge zur Wahl antreten können, etc.  Aber so als Basis einer modernen Demokratie wäre das doch denkbar? Vielleicht täusche ich mich auch oder habe etwas übersehen? Ich bin neugierig wie Leser und Leserinnen das sehen…

Islands Verfassung ist fertig.

Es ist geschafft. Eine der interessantesten Demokratie-Projekte der letzten Jahre wurde fertig gestellt. Island hat eine neue Verfassung geschrieben. Geschrieben wurde diese neue Verfassung nicht von Parteienvertreter_innen, die hinter verschlossenen Türen verhandelt haben, sondern konnte von allen Isländern und Isländerinnen mitgeschrieben werden. Dass die neue Verfassung angenommen wird, gilt als wahrscheinlich.

Bisher hatte Island eine Verfassung aus dem Unabhängigkeitsjahr 1944 und war sehr stark an das dänische Grundgesetz (bis dahin Königsmacht über Island) angelehnt. Die Entstehungsgeschichte der neuen isländischen Verfassung – ersehnt nach der ökonomischen Krise 2008 – ist einzigartig und wurde in diesem Blog verfolgt. Schon im Vorfeld ging der Nordatlantik-Staat einen völlig neuen Weg und ließ Bürger und Bürgerinnen in einen Verfassungsrat wählen (siehe diesen Beitrag aus dem November 2010).

Daraufhin wurde die Website Stjórnlagaráð 2011 eingerichtet, inklusive Social Media-Kanäle auf Twitter, YouTube und Facebook (siehe diesen Blogbeitrag). So konnte jede Isländerin und jeder Isländer mitdiskutieren, mitformulieren, vorschlagen, verwerfen usw. Dieser Prozess ist nunmehr beendet und Island schlägt einen neuen Verfassungstext vor. Geschrieben quasi von allen.

Bereits die ersten Zeilen des neuen Grundgesetzes verdeutlichen den Weg, den Island beschreiten will*:
„Bereits die ersten Siedler Islands versuchten eine gerechte Gesellschaft zu erreichen, indem alle an einem Tisch saßen.“
Island stellt sich also in seine eigene Tradition. Kurz nach der Landnahme gründeten die nordischen Zuwanderer im Jahr 930 den Alþingi. So heißt das Parlament Islands heute noch, auch wenn es sich nicht mehr in der berühmten Schlucht im Þingvellir befindet, sondern mittlerweile in der Hauptstadt Reykjavík. Es ist immer noch das älteste heute noch existierende Parlament der Welt.

Den Isländern ist aber bewusst, dass der Tisch im digitalen 21. Jahrhundert nicht mehr aus (dem in Island seltenen Material) Holz bestehen kann, sondern dass sich der moderne runde Tisch im Internet befindet. Denn man will auch heute noch an einem solchen sitzen um
“ gemeinsam Verantwortung zu tragen für das Erbe der Generationen, das Land und Geschichte, Natur, Sprache und Kultur.“
Inwieweit dieser Meilenstein des Crowdsourcings auf zukünftige demokratische Entscheidungen des Inselstaates Auswirkungen haben werden, wird sich noch zeigen. Ebenso wird es spannend sein zu beobachten, ob sich ein anderer Staat mit einem anderen oder ähnlichen demokratischen Projekt traut Crowdsourcing als modernes Element der Mitbestimmung zu verwenden. Denn freilich ist ein solches Projekt mit 320.000 Einwohner_innen leichter zu bewerkstelligen, als etwa mit 8 Millionen. Aber gerade für kleinere gesetzgebende Einheiten, etwa Kommunen oder Länder föderativer Staaten, ergeben sich völlig neue Möglichkeiten der Bürger_innenbeteiligung. Und es wäre einmal den Versuch wert, so etwas auch in einem Staat mit höheren Bevölkerungszahlen zu versuchen.

Vielleicht zeigt Island ja vor, wohin Demokratie sich im 21. Jahrhundert in einer digitalisierten Zeit, entwickeln kann.

Islands neuer Verfassungsentwurf kann hier nachgelesen werden (über Google Translate schlecht aber doch übersetzbar).
*Übersetzung vermutlich ungenau, da ich einerseits Google Translate verwendete, andererseits diese holprige Übersetzung in ein etwas verständlicheres Deutsch umschreibe. Daher wird es einige Unschärfen geben.

Islands Verfassung wird auf Twitter und Facebook geschrieben.

Island geht voran. In einem außergewöhnlichen Projekt des Crowdsourcings (Deutsch: „Schwarmauslagerung“), wird eine neue Verfassung des Nordatlantikstaates – mit seinen Vulkanen, Gletschern und Papageientauchern – geschrieben. Auf diversen Social Media Plattformen kann jeder Isländer und jede Isländerin Feedback geben, formulieren und diskutieren. Basis bildet die Website Stjórnlagaráð (zu deutsch etwa: Verfassungsrat). Auf Twitter wurde ein dem entsprechender Account eingerichtet, auf Facebook ebenso.

Nach der ökonomischen Krise Islands 2008, in dem das Land pleite ging, folgte eine völlige Neuorientierung des Landes – ganz öffentlich diskutiert. Die Identität des Landes in einer globalisierten Welt wird ebenso hinterfragt, wie die politische Struktur des Landes mit der ältesten noch existierenden parlamentarischen Demokratie (Alþingi, gegründet 930).

Der geplanten neuen Verfassung gingen schon vorab innovative demokratische Prozesse voran (vergleiche diesen Blogbeitrag vom November 2010).

In einem CNN Interview erzählt Katrín Oddsdóttir über die ersten Erfahrungen, wie die Initiatoren und Initiatorinnen mit Ängsten so Manche_r aus der Politik umzugehen hatten, und wie sich das Projekt entwickelt:

Island ist somit das erste Land, das konsequent neue technologische Möglichkeiten nutzt, um demokratische Reformprozesse in Gang zu setzen. Und das gleich mit dem wohl wichtigsten legistischen Dokument, das es in einem modernen Rechtsstaat überhaupt gibt: Die Verfassung!

Sind die arabischen Aufstände tatsächlich nur ein arabisches Phänomen?

Seit Wochen hält die Welt den Atem an und schaut in die arabische Welt – und Al Jazeera. Vor einem Jahr hätte sich wohl niemand getraut Aufstände in Tunesien, Ägypten, Jordanien, Jemen, usw. vorauszusagen. Am 14. Februar werden auch im Iran Demonstrationen angekündigt, auch in Gaza hat die Jugend die Schnauze voll und formiert sich.
Vor allem die westliche Welt ist sich sehr unsicher, wie mit den Aufständen umgegangen werden soll und agiert dementsprechend ratlos. Zudem wird offenbar, dass die arabische Welt doch vielfältiger und pluralistischer ist, als wir immer dachten. Die autoritären und repressiven Staaten waren ein Garant für die Sicherheit in der Region und in der Welt. Und selbstverständlich spielt vollkommen zurecht die Sicherheit des von vielen Seiten bedrohten jüdischen Staates Israel eine Rolle. Daher waren die Ansprechpartner vorwiegend staatliche Führungsebenen. Diese erkannten spätestens seit den Ereignissen von 9/11: Der Westen hat Angst vor Islamismus und Terrorismus. Das können wir nützen, um unsere Macht abzusichern. Sehr bald setzte sich das Bild fest: Entweder schlucken wir die Krot und unterstützen undemokratische und repressive Regimes oder der Islamismus siegt in der Region. Mehr Parteien schien es gar nicht zu geben. Auch ich habe diese Sorge noch immer nicht ganz ablegen können, und denke freilich auch an die Sicherheit Israels. Doch auf den Demonstrationen zeigten sich Menschen, die wir gar nicht erwartet hatten.
Dann kam Tunesien.
Tunesien ist – wie zahlreiche Medien und Kommentator_innen immer wieder betonten – ein reicheres und traditionell säkulares Land. So war auch die Revolution und der Umbau des Staates ein bislang erfolgreicher. Das Land will zur Überraschung vieler die Menschenrechtsverträge anerkennen und erste Meldungen besagen, dass die Todesstrafe abgeschafft werden soll.. Aber! – so warnten viele Meinungsmacher_innen – Aber, Ägypten ist nicht Tunesien, die arabische Welt schon gar nicht. Doch immerhin kann Tunesien als Beispiel dienen: Vonwegen entweder Repression oder Islamismus – es gibt einen anderen Weg!
In Ägypten war es ebenfalls vor allem die Jugend, die sich organisierte. Die Facebook-Gruppe 6th of April Youth Movement war die Initialzündung um dem tunesischen Vorbild zu folgen. Traditionelle Parteien, wie etwa die Muslimbruderschaft, sprangen relativ spät auf den Zug auf. Dass sich al Kaida erst jetzt – Wochen später – dazu äußert, drückt auch deren Ohnmacht aus. Mit diesem Aufstand der Jugend hatten sie nicht gerechnet und konnte die Bewegung nicht für sich nutzen. Wer zu spät kommt, den straft bekanntlich das Leben. Das wissen wir in Europa bekanntlich seit 1989.
Sind die Aufstände in der arabischen Welt also eine Jugendbewegung? Wohl nicht nur. Die Jugend war es aber, die allem voran die Schnauze voll hatte, von den Repressionen und dem autoritären Regime. Es war die Jugend, die Verantwortung übernahm und sich an die Spitze einer Protestbewegung stellte. Und viele Ägypter und Ägypterinnen folgten der Jugend und war sofort dabei. Die Botschaft war nicht nur der Wunsch nach dem Ende eines Diktators. Es war und ist vor allem der Wunsch nach einer demokratischen Gesellschaft, die sich wieder um die Zukunft kümmert, um die jungen Menschen im Land, um Bildung und Gerechtigkeit.
So zumindest mein primärer Eindruck.
Vergleichbar mit #unibrennt?
Dass die Jugend sich organisiert und lautstark einfordert, dass sich Politik und Gesellschaft wieder vermehrt um Bildung, Zukunftschancen und Perspektiven der jungen Generation kümmern soll, dass sich die Politik nicht nur um eigenes Parteien-Klientel und nicht nur in Fünfjahres-Perspektiven von Wahl zu Wahl denken und handeln soll, waren Hauptbotschaften der österreichischen (und im Ausland übernommenen) Forderungen der #unibrennt Bewegung.
Ist das vergleichbar? Sind die demonstrierenden Menschen am Midan Tahrir vergleichbar mit den österreichischen Studenten und Studentinnen? Ich meine: Ja, durchaus.
Beides organisierte sich ohne Dachorganisation und vorerst vor allem im Internet, durchdrang aber schlussendlich auch gesellschaftliche Gruppen, die nicht in sozialen Medien aktiv sind. Die Demonstrationen fanden vorerst ohne Parteien, ohne Führer_innen und ohne tragende Initiativen statt. Diese setzten sich erst später drauf und waren höchstens Unterstützer_innen. In zahlreichen Kommentaren wurde auch der Zusammenhang zwischen Wikileaks und der tunesischen Jasminrevolution hergestellt.
Organisationslosigkeit
Gleichzeitig wird hier möglicherweise auch das Problem aller Bewegungen sichtbar: In unserer Auffassung und Tradition einer Demokratie sind es immer organisierte Gruppen und Interessensvertretungen, die benötigt werden, um schlussendlich etwas zu erreichen – und am Ende in einer Parteiendemokratie auch wählbar zu werden. Diese Bewegungen pfeifen aber auf die bekannten Organisationen. #unibrennt wahrte Distanz zur Österreichischen Hochschülerschaft. Die am Midan Tahrir harrenden Mengen ignorierten ElBaradei mehr, als dass sie ihn feierten, die Muslimbruderschaft versucht ihre Rolle in der Revolution immer noch zu finden und scheint mehr mit inneren Spaltungen beschäftigt zu sein.
Bei den Verhandlungen über eine neue ägyptische Verfassung wird dieses Problem sichtbar: Es sind dann doch Interessensvertretungen, Parteien und Gruppen, die sich an diesem Prozess beteiligen. Doch wer vertritt die Jugendbewegung? Als #unibrennt verhandeln wollte, stellten sich verantwortliche Politiker und Politikerinnen ratlos die Frage: Wit wem sollen wir denn eigentlich verhandeln? Wer ist Sprecher und Sprecherin der Bewegung?
Die Demokratie 2.0 (wenn ich das mal so nennen darf) und unsere klassische Parteiendemokratie hat noch keinen Weg gefunden, miteinander in Dialog zu treten.
Mehrheit der Jugend und repressive Regimes.
Zwei wesentliche Punkte unterscheiden jedoch die arabische Welt von Europa. In Ägypten stellt die Jugend zum Beispiel eine Mehrheit der Bevölkerung. Diese Jugend wurde jedoch bisher nicht gehört. Sie war keine internationale Ansprechpartnerin war und hat sich erst jetzt lautstark bemerkbar gemacht. Zum ersten Mal in ihrem Leben spielt sie eine tragende Rolle. In Europa ist die Jugend in der Alterspyramide eine Minderheit, die 50+ Generation hat die absolute Mehrheit inne. Das ist sicher ein wesentlicher Unterschied.
Der zweite Unterschied: Westeuropäische Demokratien sind in Repression und Unterdrückung nicht mit den arabischen Regimes vergleichbar, auch wenn in Ländern wie Ungarn oder Italien Tendenzen in autoritäre und undemokratische Strukturen besorgniserregend sichtbar werden. Trotzdem waren die arabischen Regimes einfach zeithistorisch „fällig“.
Demokratie 2.0 – hat das Zukunft?
Haben Demonstrationen und Aufstände, ja Revolutionen und Regimestürze in einer losen organisations- und führungslosen Form überhaupt Zukunft?
Es liegt wohl an die Generation 2.0 selbst, ob demokratische Alternativmodelle zu unserer gewohnten Parteiendemokratie entwickelt werden. Noch fehlen diese, wie man aktuell in Ägypten beobachten kann. Doch würde das gelingen, dann könnte die Demokratie der Zukunft sehr anders aussehen. Und es liegt wohl auch an den jetzt existierenden Parteien, Sozialpartnerschaften und Interessensvertretungen, ob eine neue demokratische Bewegung, die sich zunehmend im Internet formiert, wahrgenommen und ernst genommen wird, oder ob sich bald zwei unterschiedliche demokratische Modelle als Gegner gegenüberstehen.

LINK:
Anleitung zum Volksaufstand von Susanne Zöhrer auf zurPolitik.com denkt in eine ähnliche Richtung.

Glanz, Elend und Menschliches von WikiLeaks

Auf Twitter, Facebook, in den Blogs und – jetzt neu – in den klassischen Breitenmedien dominiert WikiLeaks eindeutig. Ich habe mir viele Meinungen angehört, gelesen und mir auch eine Meinung bilden wollen, was mich neulich zu diesem ironischen Tweet veranlasste:Ich komme mir bei Wikileaks Diskussionen immer vor wie Vicky aus Little Britain: Yeah but no but yeah but noDabei ist mir in der Debatte ein Aspekt deutlich abgegangen, aber dazu weiter unten mehr. Was mir aber auffiel war, dass Vorurteile (Assange wird zu Unrecht verfolgt, Er hat nie vergewaltigt), Sexismus (die schwedische Staatsanwältin ist ja nur sexuell frustriert) kriegerische und geradezu militaristische Töne sowie Infragestellung der rechtsstaatlichen Demokratie überhaupt, zutage treten. Besorgniserregend laut und ohne Differenzierung oder dem Willen zu einer Diskussion. Kampf ist angesagt! Eine ganze Gruppe an Menschen, hat Assange für schuldig oder unschuldig befunden – Beweise sind da nicht interessant, es zählt die Mehrheitsmeinung. Natürlich zeigt dies auch den Frust über Reformstaus, Intransparenz und Machtlosigkeit der Masse. Und das soll und muss man auch diskutieren. Außer man will es lieber ausfechten. Dann werden aber vermutlich zukünftig Waffen und Gewalt sprechen. Die ebenso kämpferische Sprache der US-Regierung tut sein übriges.GlanzBekanntlich sind mir offene Daten und Transparenz wichtig. Das war auch ein Beweggrund, warum ich in der vorigen Wiener Legislaturperiode mit Marie Ringler beispielsweise den Kulturausschuss hier veröffentlichte (wird erfreulicherweise von Klaus Werner-Lobo fortgesetzt). Wir traten immer für Transparenz, Open Data und ein mehr an Demokratie ein, um es mal verkürzt darzustellen.Es stimmt, dass westliche demokratische Staaten, in der sich die Parteien-Demokratie durchgesetzt hat, zu einer verschlossenen Hintertürpolitik neigen, Transparenz und Offenheit mehr als Bedrohung empfinden, als diese für eine Chance der Demokratie zu halten. In den letzten Jahren hat sich die Demokratie, wie wir sie kennen, besorgniserregend resistent gegen Reformen und Erneuerung gestemmt. Ein Teil des Problems.WikiLeaks tritt diesem Reformstau nun in den Arsch. Und das finde ich gut. WikiLeaks ermöglicht durch die Veröffentlichung geheimer und vertuschter Akten einen Blick hinter die Kulissen der Macht, die in diesen Staaten angeblich vom Volk ausgeht. Daher halte ich die Veröffentlichung von Kriegsverbrechen, Umweltkatastrophen in Afrika, Wahlbetrug irgendwo auf der Welt, für notwendig. WikiLeaks ist hier Medium und trägt vielleicht – hoffentlich! – dazu bei, dass Demokratien sich auch in Frage stellen und sich erneuern. Mit den diplomatischen Depeschen mit Einschätzungen von Politiker_innen verhält es sich aber anders. Dazu später mehr.Ein weiteres wichtiges Signal, das von WikiLeaks ausgeht, ist das unterschätzte Medium Internet. Zurecht sagen viele (auch ich), dass die Erfindung des Internets die größte Kommunikationsrevolution seit Erfindung des Buchdrucks ist. Nur haben das viele unterschätzt – seien es die Musikindustrie, die Filmindustrie, die klassischen Medien oder – wie sich eben nun eindrucksvoll beweist – die mächtigsten Staaten der Welt. Dass mit neuen Technologien auch Information, Macht, Wissen und Zugang zu all dem total verschiebt, dürfte nunmehr verstanden werden. Ob das Internet als Chance der Demokratie begriffen wird, und nicht als Bedrohung, die man reglementieren und zensurieren muss, kann man nur hoffen.Interessant ist auf alle Fälle, dass WikiLeaks Dokumente bekommen (andere würden sagen: gestohlen) hat, die allesamt aus Demokratien stammen! Das könnte ja auch für diese Demokratien sprechen, da es möglich ist, Depeschen aus diesen Ländern zu veröffentlichen. Ob WikiLeaks genau so einfach an chinesische, russische, nordkoreanische oder iranische Dokumente kommen könnte?Das hat aber nun zur Folge, dass die USA als böse Macht dargestellt wird. Ich will hier nicht die USA verteidigen. Aber von einem Ahmadinejad oder einem Autokraten wird das Land immerhin nicht diktatorisch regiert. Daher für mich das ersteElendvon WikiLeaks: Wenn es vorwiegend gegen die USA geht, droht die Gefahr, dass diktatorische und undemokratische Staaten genau das Gegenteil machen werden und sich noch mehr hüten werden, so etwas wie Demokratie einzuführen – geschweige denn Transparenz. Zudem muss sich WikiLeaks auch den Vorwurf gefallen lassen, ausschließlich antiamerikanisch zu veröffentlichen und andere Staaten und ihre Machenschaften zu verschonen.Die Veröffentlichung diplomatischer Depeschen, die so genannten Cables, die Einschätzungen verschiedener Staaten, deren Politiker_innen und deren Ängste, Hoffnungen und Möglichkeiten beinhalten, wurden gerade in den klassischen Medien breit zitiert. Es ist natürlich lustig zu Geheimdienstdokumenten zu kommen, in denen die eigenen Politiker und Politikerinnen des jeweiligen Landes von einer Weltmacht wie den USA eingeschätzt werden. Und das auch noch überraschend schonungslos und ehrlich.Neuigkeitswert haben diese Depeschen aber nicht. Hier bedient sich WikiLeaks weniger dem Bedürfnis nach mehr Transparenz, sondern vielmehr nach purem Entertainment. Infotainment. Gossip. Tratsch. Somit auch nicht verwunderlich, dass gerade Massenmedien diese Depeschen interessanter finden, als die Akten, die tatsächliche einen Missstand aufzeigen, und es somit wirklich verdienen, veröffentlicht zu werden: Der Aufforderung des amerikanischen Außenministeriums an Botschaftsangehörige an Kreditkartendaten von UN-Beamten und Delegierten zu kommen beispielsweise. DAS war das Veröffentlichungswerteste in der Flut an Dokumenten.Übersehener AspektEin Aspekt ist in der Diskussion aber völlig ausgeblendet worden. Zu Unrecht, wie ich meine. Die Frage lautet: Wie funktionieren Demokratien, wie funktioniert miteinander Nachdenken, Diskussionen und Einschätzungen in modernen Demokratien im digitalen Zeitalter? Wo ist Vertraulichkeit, Vertrauen, Geheimhaltung notwendig und richtig? Und wo nicht? Und wie menschlich ist das alles eigentlich?Ich nehme jetzt ein Beispiel aus meiner ganz eigenen beruflichen und politischen Erfahrung, breche das jetzt bewusst auf die Niederungen der Wiener Kommunalpolitik runter, da ich vermute, dass Leser_innen meines Blogs damit halbwegs vertraut sind:Noch vor wenigen Wochen verhandelten wir, die Grünen Wien (und somit auch ich) mit der SPÖ. Es ging bekanntlich um eine Koalition für Wien.Als ich mit meinen Kolleg_innen zur SPÖ ging, vereinbarten wir gleich anfangs, dass das, was wir besprechen, diskutieren, verhandeln und – ja – auch erstreiten, vertraulich behandelt wird. Scherzhaft sagte ich zu Beginn der Verhandlungen zu Stadtrat Andreas Mailath-Pokorny: „Ja natürlich Vertraulichkeit. Nur einen Moment noch. Ich muss den Livestream noch einschalten!“Waren die Koalitionsverhandlungen von öffentlichem Interesse? Ja. Sind die Positionspapiere der einzelnen Parteien, mit denen in Verhandlungen gegangen wird von öffentlichem Interesse? Ja. Wäre es von öffentlichem Interesse diese Positionspapiere der Parteien mit der Koalitionsvereinbarung zu vergleichen, um zu sehen, wer sich wo durchgesetzt hat? Ja. Bin ich also der Meinung, dass alles, was verhandelt wird, veröffentlicht werden soll und transparent zugänglich werden soll? Nein.Wieso nicht?Weil Politi
k von Menschen gemacht wird. Daher ist Menschlichkeit seitens der Politik einzufordern und zu erwarten, aber auch mitunter zu geben. Es ist in jeder Organisationseinheit, in jedem Projekt, in jedem Verein notwendig, dass es Raum und Zeit gibt, Dinge untereinander zu besprechen, laut nachzudenken, Positionen zu bringen, zu erläutern und manchmal auch wieder Fallen zu lassen, Argumente zu äußern und anzuhören und sich daraus eine Meinung bilden. Gibt es diese vertraulichen Räume nicht, gibt es auch keine Reflexion. Gibt es diesen Schutzraum also nicht mehr, gibt es nur noch das Offizielle. Letzteres kann aber ohne Vertraulichkeit und Prozesse vorab nicht funktionieren.Die USA haben also ein Netzwerk an Diplomat_innen, die schonungslos ihrem Hauptquartier in Washington mitteilen, wie die Politik der jeweiligen Länder so einzuschätzen sei. Ich fand die Einschätzungen übrigens überraschend gelungen und richtig und fand, dass die ihren Job eigentlich ganz gut machen.Sollen Staaten und Behörden unter sich laut über die Situation anderer Staaten und deren Politik und Repräsentant_innen Gedanken machen dürfen? Oder soll zukünftig jede Depesche gleich mal ins Netz gestellt werden?Wenn wir Organisationen – und Staaten sind solche – diese Nachdenk- und Reflexionsräume wegnehmen, dann nehmen wir den Demokratien und den Menschen, die diese Demokratien mehr oder – leider oft – weniger gestalten, die Menschlichkeit. Und werden Gespräche und Einschätzungen veröffentlicht, werden vertrauliche Gespräche schlicht nicht mehr stattfinden.Wollen wir das wirklich?Eine Lösung kann nur sein, dass öffentliche Daten auch wirklich öffentlich sind, dazu zählen sicherlich auch Parteienfinanzierungen und -spenden, welche öffentliche Menschen in welchen Firmen oder Vereinen sitzen, u.v.m. Hier gibt es einen Riesenreformstau der Demokratien. Gerade in Österreich!Aber gleichzeitig müssen wir auch zugestehen, dass es einen nichtöffentlichen Bereich gibt, weil sonst eine von Menschen gemachte und gewählte Demokratie einfach nicht funktionieren kann. Denn Koalitionen oder Kriege mögen Staaten betreffen, werden aber immer noch von Menschen gemacht und gestaltet. Und muss natürlich auch von Menschen kontrolliert werden. Aber auch dort zählen manchmal Vertrauen und auch Vertraulichkeit zu einer Voraussetzung. Das Gegenteil wären nämlich Vertrauensverlust und Misstrauen. Keine guten Voraussetzungen, um einen Staat zu machen. Geschweige denn eine menschliche Demokratie.Zum Aspekt, wer globalpolitisch von den WikiLeaks-Veröffentlichungen profitieren könnte, empfehle ich diesen ZEIT-Artikel, da ich auf diesen Aspekt bewusst nicht ausführlich eingegangen bin.

Das ATV-Spektakel: Sowohl-als-auch-Politik

Mein lieber Kollege Christoph Chorherr schreibt in seinem Blog (hier) mehrere Gründe, warum er die gestrige Sendung Meine Wahl auf ATV für gefährlich hält.Ich bin einmal (selten genug :-)) anderer Meinung als Christoph Chorherr. In Zeiten, in denen Politik – insbesondere die Kommunalpolitik! – froh sein kann, wenn sie 6 bis 9 Sekunden O-Ton in den Nachrichten bekommt, in Zeiten, in denen Politik weniger diskursiv als emotional bewertet wird, in Zeiten in denen die Politikverdrossenheit zunimmt, halte ich ein Hauptabendformat, wie ATV ihn gestern präsentierte, für legitim.Im täglichen Straßenwahlkampf begegne ich viele – allzu viele Menschen – die sich darüber beklagen, dass sie die Inhalte und Positionen der Parteien nicht kennen oder erkennen. Und sie lesen täglich auf Plakaten, die ja eigentlich das Hauptthema der jeweiligen Parteien kommunizieren sollten, nur Plattitüden wie „Frischer Wind“, „Es geht auch anders“, „Er glaubt an euch“, „Kraft der Mitte“ oder „Jetzt geht’s um Wien“. Das sind keine politischen Programme, und tatsächlich sind die Grünen Plakate die einzigen, die Programme kommunizieren: Öffi-Tarif, Wohnpolitik und Bildungspolitik etwa.In der gestrigen Sendung auf ATV konnten alle Spitzenkandidat_innen ganz konkrete Themen ansprechen, auf sehr konkrete Fragen antworten und sich untereinander austauschen – und ja: untergriffig befetzen. Michael Häupl und HC Strache entscheiden sich für Untergriffe („Konsumgewohnheiten“ oder „Weinseligkeit“), während Christine Marek zwar spröde aber sachpolitisch und Maria Vassilakou erfreulich visionär, klar und zielgerichtet ihre Positionen vermitteln konnten, ohne diese Untergriffigkeit der zwei Männer. Das war die Entscheidung und das Verhalten der vier Spitzen und nicht des Fernsehens.Politik hatte viel Zeit, kommuniziert zu werden. War das wirklich so schlimm? Okay, über die Auswahl des Publikums könnte man noch diskutieren, aber da alle vier Parteien gleich viele Personen und Schlachtenbummler_innen mitnehmen konnten, hatte das TV-Event sogar etwas demokratisches. Selten habe ich in meiner Laufbahn Michael Häupl als einen politischen Mitbewerber erlebt. Meistens trägt er einen Bürgermeister-Nimbus mit sich mit und meint und vermittelt, er stehe ohnehin über allem anderen. Gestern war das schon ganz etwas anderes! Plötzlich war er nur einer von vieren und nicht der Übervater à la Kim Jong-Il.Chorherr meint zudem, das Sendeformat sei eine „Als-ob-Politik“, eine TV-Inszenierung als anti-aufkärerischer politischer Akt. Das mag stimmen (auch mich störte das Inszenieren als Gladiator_innen), aber kann Politik nicht „Sowohl-als-auch“ sein?Ich meine ja: Politik darf „Sowohl-als-auch“ sein. Wenn denn tausende Menschen sich erst durch solche Sendungen politisch bewegen und interessieren lassen und sich nicht für tiefgründigere Diskussionen mit komplizierten Abwägungen von Thesen und Gegenthesen begeistern lassen, so ist dieses TV-Formal legitim. Dass dies so ist, ist ja ein gesellschaftliches und politisches Problem – eine Bildungsfrage – aber das darf man nicht einem TV-Sender vorwerfen.Am Ende schreibt Christoph Chorherr, dass er große Erwartungen in diskursive Medien – wie etwa dem Web 2.0 – hat. Da bin ich absolut seiner Meinung. Nur ist die Welt, sind Wahlmotive, sind Zugänge zu politischen Diskussionen in einer vielfältigen Gesellschaft eben genau so vielfältig. Diskursive, hintergründige Diskussionen werden durch das ATV-Format ja nicht abgeschafft oder in Frage gestellt! Es gesellt sich einfach ein neues Format zu den bereits bekannten und weniger bekannten Formaten. Das entspricht nunmal unserer gesellschaftlichen Realität. Es liegt an der Politik für eine diskursiv neugierige Gesellschaft zu sorgen. Und wenn das Minderheitenprogramm ist, dann sollte man etwa im Fach „Politische Bildung“ an den Schulen anfangen und nicht bei einer Privatfernseh-Anstalt.Politik sollte – so weit es geht – breite Publikumsschichten ansprechen und klar machen, dass das, was sie da reden, allen was angeht und möglichst jede und jeder wählen gehen soll. Und da brauchen wir natürlich auch die ganze Vielfalt der Kommunikation: Von Blogs bis Symposien, von Zeitungen bis eben unterhaltsame TV-Formaten.Und: Was Politiker und Politikerinnen aus einem Format machen, liegt immer noch an sie selbst und nicht unbedingt am TV-Format. Machen sie daraus ein grausliches Alphatier-Duell unter der Gürtellinie (Häupl, Strache), oder versuchen sie eher trocken Sachpolitik zu machen (Marek), oder versuchen sie Hoffnung, Visionen und Ideen zu vermitteln (Vassilakou): Es ist deren Entscheidung.Die Fragen der Moderator_innen fand ich übrigens sogar sehr okay und würde ich mit im staubtrockenen und mittlerweile völlig schnarchigen ORF wünschen, auch wenn ich noch nie erlebt habe, dass so lange über Hundstrümmerl diskutiert wurde. Aber sogar das fand ich dann ganz unterhaltsam und interessant. Also: Why not?Darf Politik unterhaltsam sein? Ja, finde ich. Soll das als Grundprinzip gelten? Nein, natürlich nicht – aber so lange Politik in dieser Form viele Interessent_innen findet, ist es legitim. Und warum es gerade bei solchen TV-Formaten „funktioniert“ ist eben eine gesamtgesellschaftliche Frage.Mir ist es lieber, es interessieren sich mehr Menschen für Politik, als dass sie auseinander driftet in einem Elite-Denken von Menschen, die diskursiv politisieren wollen und einem Teil, die es „denen da oben“ nur noch irgendwie und diffus zeigen wollen. Es gibt genug Grauzonen dazwischen. Politik darf vielfältig kommunizieren, so wie die Gesellschaft eben tickt.Und wenn man sich über eine Richtung dieser Gesellschaft sorgen macht, dann sollte man das politisch angehen.Im übrigen bin ich auf Maria Vassilakou sehr stolz! Ein paar Gespräche im (druchaus unentschlossenem) Freundeskreis bestätigt mir, dass sie gestern punkten und überzeugen konnte.

Wir wollen Guerillagärten in Wien!

Heute machten wir eine Presseaktion zum Thema Guerilla Gardening. Liebe Wienerinnen und Wiener, erobert euch den öffentlichen Raum zurück! Das wollten wie heute damit ausdrücken. Noch immer ist die Gestaltung des öffentlichen Raums „herrschaftliche“ Aufgabe. Dabei gehört dieser Raum allen! Wie der öffentliche Raum zurückerobert werden kann, beweisen etwa im 5. Bezirk die Gehsteig Guerilleros, die „die Frechheit“ besitzen, Stühle und Tische und auf den Gehsteig zu stellen, um dort zu sitzen. Guerilla Gardening gibt es wiederum seit 10 Jahren in vielen Städten der Welt. In New York etwa wurden die community gardens mittlerweile fest im Stadtbild verankert und werden auch von der Stadtverwaltung unterstützt.Der öffentliche Raum wird noch viel zu wenig als politisches Thema wahrgenommen, dabei ist es eine zutiefst demokratische und kulturelle Frage, wie damit umgegangen wird. Das Beispiel der Außenplakatfirma Gewista, die ein Monopol auf kulturelle Ankündigungen hat (und an der die SPÖ dann „zufällig“ auch noch beteiligt ist) sei nur als eine genannt. Für Normalbürger_innen und kleine Kulturveranstaltungen ist eine Einladung im Stadtbild nicht mehr leistbar und machbar.Dazu ensteht auch die Website platzda.org.Video dazu von vienna.at:

Demokratisiert die EU! Vorschläge für mehr Europa.

Je näher die Wahl zum Europäischen Parlament rückt, umso mehr Gedanken mache ich mir zur Verfasstheit der Europäischen Union im Allgemeinen und deren Probleme aber auch Chancen im Besonderen. geht wahrscheinlich vielen so.
Ein Satz wollte in den letzten Wochen aber nicht aus meinem Kopf: Ernst Strasser, Spitzenkandidat der ÖVP für die kommende Wahl, kündigte als Wahlkampfschwerpunkt an, er wolle vor allem österreichische Interessen in Brüssel vertreten. Da stoßen also zwei völlig unterschiedliche Denkbilder Europas aufeinander: Strassers und meines zum Beispiel.
Ich will keine Politiker_innen, die auf europäischer Ebene Politik machen, um nationalstaatliche Interessen zu vertreten – und nur diese. Wer das tut, lässt das größte Friedensprojekt, das dieser Kontinent in seiner Geschichte je gesehen hat, scheitern. Ich will europäische Politiker_innen. Ich will eine Politik für und von Europa.
Warum EU nicht so?
1. Es treten gesamteuropäische Parteien an.
Die Grünen sind bislang die einzige Partei, die sich selbst auch als europäische Partei gegründet hat. Warum sollen wir auf EU-Ebene z.B. eine ÖVP oder SPÖ wählen? Warum nicht eine Europäische Konservative und eine Europäische Sozialdemokratie? Ich halte das für wichtig, denn es ist doch interessant zu erfahren, was welche Partei für Überlegungen hat, Europa zu ändern, welche Reformen sie anstrebt, welche Scherpunkte sie setzen will, um eine wirkliche Wahl zu haben. Außerdem würde das verhindern, dass nationalstaatlich abgerechnet und gewählt wird. Europäische Themen sind gefragt!
2. Ich will europäische Spitzenkandidat_innen.
Mir ist es eigentlich völlig egal, aus welchem Land ein_e Spitzenkandidat_in kommt. Es wäre doch sehr spannend, wenn Spitzenkandidat_innen verschiedener europäsicher Parteien aus verschiedene Länder Europas kommen, und trotzdem (auch) bei uns wahlkämpfen? Ich stell mir eine Diskussion zwischen einer Niederländerin, einem Deutschen, einer Französin, einem Litauer und einem Rumänen vor – und das mit direkten politischen Auswirkungen auf Österreich – weil ja: Das ist Europa! Damit vor Ort trotzdem gewahlkämpft werden kann, schlage ich vor:
3. Europa-Wahlliste und Staaten als Regionalwahlkreise.
Die Demokratie braucht ja nicht neu erfunden zu werden. Bei Nationalratswahlen etwa gibt es eine Bundesliste und Wahlkreise. In diesen Wahlkreisen sind Direkt-Mandate möglich. Der Rest wird auf überregionale Wahllisten aufgeteilt. Das müsste doch in Europa auch möglich sein? Dann könnten verschiedene Menschen aus ganz Europa hier genau so wahlkämpfen und Medienarbeit machen, als „nur die eigenen Leute“, die auf der („Regional“-)Wahlliste des Mitgliedsstaates stehen. Außerdem könnten Parteien, die über keine europäischen Strukturen verfügen, zumindest für Direktmandate kämpfen. Aber Europa-Strukturen aufbauen, sollten die Parteien schon mal machen! Wäre längst an der Zeit…
4. Regierung aus dem Parlament, statt Kompromisse von 27 Regierungschefs.
Die EU hat immer wieder ihre berüchtigten Basare, genannt Gipfel. Regierungchefs aller Ideologien sitzen beieinander und machen einen Kompromiss. Was soll daraus Visionäres und Neues oder gar Mutiges entstehen? Ich bin der Meinung, die Mehrheitsverhältnisse des Europäischen Parlaments sollen entscheiden, wie eine Regierung zusammengestellt wird – samt Euro-Premiers und Euro-Minister_innen einer Allein-, Minderheits- oder Koalitionsregierung. Wenn dann – nach 4 oder 5 Jahren – jemand genau diese Regierung abwählen will: Voilà! Wieder ein guter Grund zu EP-Wahlen zu gehen…
Dazu ließe sich sicher noch viel ergänzen. Aber so müsste sich meiner Meinung nach Europa entwickeln.