Warum wählen wir Regierung und Parlament nicht getrennt?

Wer gestern Abend die Sendung Bürgerforum im ORF zum Thema Korruption gesehen hat und aufmerksam aktuelle Kommentare in Zeitungen, im Internet oder aktuelle Bücher verfolgt, Initiativen von Bürger_innen und Altpolitiker_innen wahrnimmt, wird zweifelsfrei feststellen, dass sich Österreich (und andere Länder) in einer veritablen Demokratiekrise befinden. Bürger und Bürgerinnen haben nicht mehr den Eindruck, dass Volksvertreter_innen auch das Volk wirklich repräsentieren und unser System mehr dem Machterhalt der Parteien selbst dient, lieber das eigene Klientel bedient wird und Korruption und Eigeninteresse im Vordergrund stehen. Das wirklich gefährliche daran ist das „in einem Topf werfen“, denn auch fleißige und bemühte Menschen in der Politik werden mittlerweile misstraut.

Auch ich gehöre zu den Menschen, die diese Entwicklung mit Sorge betrachtet. Allerdings habe ich mich nicht mit Staatstheorien und den dazugehörigen Schriften beschäftigt wie Politologen oder andere Politiker_innen, aber ich mache mir eben Gedanken, wie viele andere Bürger und Bürgerinnen. Und ich habe ja auch mal die Perspektive der Legislative auf Landesebene miterlebt. Schon damals spürte ich, dass da was nicht stimmt… Deshalb hier meine ganz persönliche Ansicht:

Gewaltenteilung

Wir haben John Locke und Charles de Montesquieu viel zu verdanken. Sie waren die ersten Aufklärer am Ende des 17. bzw. im 18. Jahrhundert, die eine Gewaltenteilung für ein Staatswesen für wichtig erachteten. Dieser Gedanke setzte sich in der Aufklärung und allem voran in der Französischen Revolution durch. Es war dies die Antwort auf den in Europa noch vorherrschendem Absolutismus. Dem setzten die Aufklärer Kontrollinstanzen entgegen, die jeweils die Macht des Anderen kontrollieren und somit verhindern, dass eine Macht die absolute Macht erhält. So entstand die Trennung von Legislative (Gesetzgebung), Exekutive (Rechtsvollziehung) sowie Judikative (Rechtssprechung). Seither gehört die Gewaltentrennung zum modernen demokratischen Staat. Andere Stützen, etwa die freie Presse, NGOs oder Interessensvertretungen kamen hinzu. Wie diese Gewaltentrennung jedoch heutzutage organisiert wird, ist von Land zu Land unterschiedlich.

Präsidentielles und parlamentarisches System

Am berühmtesten sind die Unterschiede von präsidentiellen Systemen, wie sie aus Frankreich oder den USA bekannt sind. Oder den parlamentarischen Systemen, wie wir sie etwa in Deutschland und Österreich kennen. Viele Kritiken sind an beiden System bekannt: Das präsidentielle System ist oftmals mit einem Mehrheitswahlrecht statt einem Verhältniswahlrecht verknüpft. Letzteres – auch von mir als gerechter empfundenenes Wahlrecht – findet sich eher in den parlamentarischen Systemen. Letzteres hat aber wiederum den Nachteil, dass alle Macht den Parteien zufließt und eine Parteiendemokratie alles bestimmt, was zur paradoxen Situation führt, dass in parlamentarischen Systemen die Macht des Parlaments geringer ist.

Und hier wären wir wieder am Beispiel Österreich angelangt, denn der Frust auf das Parteiensystem ist groß. Wenn man den aktuellen Frust und die aktuellen Korruptionsfälle nicht nur als Problem begreift, sondern auch als Chance für ein mehr an Demokratie – wenn also Staatsanwälte mehr dürfen, mehr Transparenz durchgesetzt wird, Parteienfinanzierungen öffentlich werden, usw. – ja, darf man dann nicht auch mal darüber nachdenken, wie und was wir eigentlich wählen, und ob das nicht verbessert werden kann?

Es ist noch nicht lange her, als das Kabinett Gusenbauer Legislaturperioden von vier auf fünf Jahren verlängerte. Das kann’s ja nicht sein. Zudem: Auf Wahlplakaten in Österreich geht es meistens um den Bundeskanzler oder um die Regierung („Wer, wenn nicht er?“). Nur die werden bei Nationalratswahlen gar nicht gewählt! Denn erst der Nationalrat wählt bekanntlich die Regierung.

Warum nicht Regierung und Parlament getrennt wählen?

Der – aus meiner Sicht – Vorteil des präsidentiellen Systems muss hier einmal erwähnt werden: Nehmen wir als Beispiel den Haushalt eines Staates. Wenn etwa in den USA Präsident Barack Obama einen Budgetentwurf vorlegt, dann kann er das so wollen, muss aber erst einmal eine parlamentarische Mehrheit dafür gewinnen. Das heißt, er legt den Entwurf dem Parlament vor (das in diesem Fall übrigens keinen Klubzwang kennt!) und muss verhandeln, egal ob seine Partei gerade eine Mehrheit stellt oder eine andere. Am Ende kommt eben ein Budget raus, der demokratisch verhandelt wird.

In parlamentarischen Systemen wird die Regierung von einer Partei, die die absolute Mehrheit innehat, oder von zwei oder mehreren Parteien (Koalitionen) gewählt. Die Regierung entstammt also quasi dem Parlament, die Abgeordneten winken Regierungsvorlagen parteitreu durch. Selten, dass Abgeordnete von Regierungsparteien mal anders als ihre Regierung abstimmen. Das ist ein Problem, aus meiner Sicht.

Als Sonderbeispiel sei übrigens noch das Europäische Parlament erwähnt, das immer wieder durch Überraschungen auffällt. Und warum? Weil sie keine Regierung wählt, der sie sich quasi unterwerfen muss.

Jetzt denke ich diesen Gedanken einmal zu Ende:

Nehmen wir einmal an es bleibt dabei und wir wählen alle fünf Jahre die Legislative; also den Nationalrat. Und jetzt nehmen wir einmal an dazwischen wählen alle Wahlberechtigte auch de Exekutive, also die Regierung. Was würde passieren?

Ich stelle mir das nämlich so vor:

Wenn etwa ein vorgeschlagenes Kabinett Faymann, ein ebensolches Kabinett von Spindelegger, von Strache, von Glawischnig und von Bucher zur Wahl stünden, mit darin jeweils enthaltenen Vorschlägen für das Personal für die Ministerien, dann werden diese Spitzenkandidat_innen darauf achten, dass sie Personal aussuchen, das auch allgemein und öffentlich akzeptiert wird, und nicht nur internen parteipolitischen Interessen dient, wie wir das etwa aus der ÖVP kennen („diesmal muss es eine Frau aus dem Süden und aus einem gewissen Teilorganisation der Partei sein“).

Die zwei Kabinettsvorschläge mit den meisten Stimmen kommen dann in eine Stichwahl. Nehmen wir an es sind die Kabinettsvorschläge Faymann und Spindelegger, die das geschafft haben. Nun müssen diese sich wiederum überlegen, wie sie Mehrheiten schaffen und Art Koalitionsverhandlungen beginnen. Sie nehmen sich zB. Expert_innen außerhalb der Parteienlandschaften ins Kabinett und schauen welche Persönlichkeiten der anderen Parteien vorhanden sind und nehmen diese in den Vorschlag auf. Dann entscheidet das wahlberechtigte Volk, welches Kabinett regieren soll – nach Koalitionsverhandlungen also. Das würde uns einige unerträgliche Koalitionsfragestellungen in Wahlkämpfen ersparen. Ein ÖVP-Wähler würde dann etwa vorher wissen, ob die ÖVP rechtsextreme Kräfte aus dem Umfeld der FPÖ umgarnen würde, oder eben auch nicht, und nicht nachher überrascht werden.

Als Kontrolle steht dann immer noch der Nationalrat zur Verfügung, den man eben getrennt und zu einem anderen Termin wählt. Midterm-Elections quasi. So gibt es immer die Möglichkeit eine Exekutive zu gewissen Kurskorrekturen zu zwingen und zudem dazu zu bringen, mit der Legislative zu verhandeln. Außerdem gäbe es im Parlament ja keine Koalition, was ständige Verhandlungen bedeuten würde.

Meiner Meinung nach wäre das gut für die Demokratie, die dadurch lebendiger werden würde. Es gibt sicher noch viele Punkte, die ich jetzt unberücksichtigt habe, die tiefer entwickelt werden müssten (oder die von Wissenschaftler_innen längst niedergeschrieben wurden, nur ich kenne die Schriften nicht), usw. Ich denke an Klubzwang, die Frage ob Mitglieder der Exekutive im Wahlkampf der Legislative wahlkämpfen dürfen, die Frage inwieweit auch nicht parteipolitisch organisierte Kabinettsvorschläge zur Wahl antreten können, etc.  Aber so als Basis einer modernen Demokratie wäre das doch denkbar? Vielleicht täusche ich mich auch oder habe etwas übersehen? Ich bin neugierig wie Leser und Leserinnen das sehen…