Ich spüre den gestrigen Wahlsonntag noch in meinen Knochen. Die extreme Rechte hat einen fulminanten Wahlsieg gefeiert; progressive, weltoffene sowie staatstragende Parteien haben verloren. Fakt.
Was mich gestern ärgerte, war vor allem, dass JournalistInnen, Bundespräsidenten (und wie sie alle heißen) das getan haben, was sie immer nach einer Wahl tun: Man möge doch bitteschön bald eine neue Regierung bilden. So als wäre gestern nichts geschehen. Was wir aber jetzt brauchen sind grundlegende Debatten. Debatten über Österreich in Europa und in der Welt. Und Debatten über die wirklich großen globalen Aufgaben.
Denn gestern geschah etwas, das mehr als nur Beachtung verdient. 30 {6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7} der ÖsterreicherInnen haben FPÖ und BZÖ gewählt (Da tröstet es kaum, dass offensichtlich 70 {6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7} nichts mit der Politik der Rechtsaußen-Parteien anfangen können). Diese Wählerinnen und Wähler plump als Nazis, Rassisten und Ewiggestrige abzustempeln halte ich für falsch, auch wenn diese Bezeichnungen individuell leider oft zutreffen. Ich glaube, dass Rechts aus anderen Gründen gewählt wurde. Die Kernfrage lautet seit gestern: Will Österreich globale Lösungen, internationale Kooperation und Weltoffenheit? Oder Isolation und Ausstieg aus dieser internationalen Zusammenarbeit?
Vor allem den Großparteien SPÖ und ÖVP – aber auch uns Grünen – ist es nicht gelungen Österreich in den großen globalen Fragen der Zeit zu positionieren. Im Gegenteil: Diese essentiellen Fragestellungen wurden unter Wachteleier, Pendlerpauschalen und Steuerreformen versteckt. Natürlich ist die Steuerreform oder der Umgang mit PendlerInnen wichtig. Aber „nur“ nationale Themen im Wahlkampf zuzulassen, weil die großen globalen Aufgaben zu kompliziert oder heikel sind, ist ein gefährlicher Weg. Und alle spielten mit: Medien und Parteien.
Die FPÖ und das BZÖ konnten mit einfachen Parolen eine klare Haltung zum Ausdruck bringen: Österreich soll sich isolieren! Brüssel ist böse, Österreich ist nicht in Europa, sondern Europa ist woanders, Grenzen sind gut, Migration mag ein globales Phänomen sein, das es zu lösen gilt, aber bitte nicht bei uns! Basta. Das sind klare Botschaften.
Was haben die staatstragenden (ehemaligen) Großparteien – und auch die Grünen – dem entgegengestellt?
Die SPÖ hat versucht mit Hilfe der Kronenzeitung den Spagat zwischen Weltoffenheit und Isolationismus zu schaffen und wird in den nächsten Jahren damit beschäftigt sein diese diametral entgegengesetzten Lösungsansätze zu vereinen (und dabei kläglich scheitern, was man mit Sicherheit annehmen kann). Am Ende wird die Sozialdemokratie entscheiden müssen, welche Seite sie einnimmt – die des Isolationismus oder des Internationalismus.
Die ÖVP schlitterte in ein Desaster, weil sie traditionell eine Partei der Bauern und Konservativen ist, andererseits aber international agieren will. Man muss der ÖVP sogar zugute halten, zumindest versucht zu haben, internationale Aufgaben wahrzunehmen und hat mitunter Lösungswillen gezeigt. An die große Glocke hing sie das freilich auch nicht. Die ÖVP scheiterte, weil sie seit Jahren politische Eitelkeit bis zum Äußersten trieb und mit keiner anderen Partei mehr konstruktiv arbeiten kann und will. Deswegen verlor sie!
Die Grünen wiederum hatten einige Themen, die auf globale Herausforderungen und Phänomene aufmerksam machten: Bildung als Chance im internationalen Wettbewerb, Klimawandel, Abhängigkeit von Gas und Öl und somit von Russland und dem Nahen Osten, Migration als globales Phänomen. Aber diese Themen waren keine Wahlkampfthemen, weil der Isolationismus den Wahlkampf bereits von Anfang an dominierte. Zudem waren wir nicht in der Lage, diese Themen in den Vordergrund zu stellen. Das war unter anderem das Scheitern der Grünen.
Welche Rolle spielen die Medien?
Wir müssen über die Medienrealität Österreichs reden. Denn diese ist desaströs und qualitativ am Abgrund. Dies gilt leider auch für so genannte Qualitätsmedien und insbesondere für den ORF. Dass eindimensionale Themen und einfache Sager dominieren, liegt insbesondere an den Medien.
Hier könnte ich auch von einigen Beispielen aus meiner ganz alltäglichen kommunalpolitischen Erfahrung berichten. Wenn ich was-auch-immer öffentlich kommuniziere, bitten sie mich am Ende: „Und jetzt noch einen Sager!“ Und da muss es schon gut fahren. Am Besten man pinkelt einem Kollegen oder einer Kollegin einer anderen Fraktion ans Bein – und schwuppdiwupp – schon hat man eine schöne Schlagzeile. Auch so kann Demokratie sich schwächen.
In den letzten 10 Jahren kamen Äußerungen Grüner PolitikerInnen über die Frage mit welcher Partei sie am ehesten könnten, groß in die Medien. Wenn die selben Grünen PolitikerInnen ein durchdachtes Programm präsentierten: Keine G’schicht. Und somit keine Öffentlichkeit. Keine Debatte.
Ich schließe also daher mit der Aufforderung an alle, die Meinung haben müssen (Politik und WählerInnen) und MeinungsvermittlerInnen (Medien aber auch etwa LehrerInnen des Fachs ‚Politische Bildung‘), einmal zu überprüfen, ob sie nicht zu einer Destabilisierung der eigenen Arbeit und der Demokratie beitragen. Und dann reden wir einmal darüber: Wollen wir Österreich in einer internationalen Kooperation arbeiten lassen, um die globalen Themen anzugehen oder sollen wir in die Isolation gehen?
DAS wär doch mal eine Volksabstimmung wert…