Gedenken im Internet. Eine Ausstellung über den 10. Mai 1940.

Auf der Website www.wo2online.nl kann der_die Besucher_in die Geschehnisse des 10. Mai 1940 und den darauf folgenden fünf Tagen am Bildschirm nochmal „erleben“.
Zuerst befindet man sich in einer niederländischen Wohnung. Es ist der 10.5.1940 um 3:55 Uhr. Durch die Wohnung wandernd (und klickend) können Tageszeitungen dieses Tages gelesen werden und Radioberichte gehört werden. Zeitzeug_innen (von Schauspieler_innen aus historischen Quellen vorgelesen) berichten von ihren Erlebnissen. Durch Klick auf die Türe kommt man auf die Straße und sieht die Fallschirmjäger. Danach öffnet sich eine Karte der Niederlande. Auf dieser kann die Besetzung des Landung durch Nazitruppen während der 5 Tage verfolgt werden und mittels Klick auf Einzelstationen Details abgefragt werden – etwa warum welche Brücke wichtig war oder über den Massenselbstmord von Juden in Amsterdam.
Dieses Projekt wurde von 18 Institutionen und Museen ermöglicht und soll in den nächsten Jahren noch ausgebaut werden. Zudem liefert die Site Links zu weiterführenden Informationen oder bietet Schulen Material an.
Ich habe bislang noch keine bessere Website gesehen, die auch jungen Menschen des 21. Jahrhundert (für die der Zweite Weltkrieg und Nazigräuel sehr weit weg sind) einen Zugang dieser Art ermöglicht. Absolut empfehlenswert!
Leider ist die Site bislang ausschließlich auf Niederländisch erlebbar. Im Sinne eines Vereinten Europas und grenzübergreifenden Erinnerns, hoffe ich sehr, dass die Website bald in mehreren Sprachen angeboten wird. Neben Englisch wäre wohl besonders die „moffen-Sprache“ Deutsch sinnvoll.
www.wo2online.nl – Zum Starten der Ausstellung auf „start tentoonstelling“ klicken!

Warum ich kein Palästinensertuch oder Kaffiyah trage.

Diesen Beitrag hatte ich noch im Dezember vorbereitet und lag jetzt drei Wochen im Entwurf-Ordner. Mittlerweile ist im Gazastreifen der Krieg ausgebrochen und ich habe mir kurz überlegt, ob ich diesen Beitrag noch veröffentlichen soll. Ich entschied mich rasch dafür.
Ein Grund, warum ich das tue, ist die merkwürdige Sympathie, die ich hierzulande für die Hamas erlebe. Wenn ich Demo-Aufrufe gegen Israels Gewalt lese, frage ich mich oft: Glauben die Organisator_innen solcher Demos und Online Petitionen tatsächlich, dass die Gewalt ausschließlich von Israels Seite ausging? Kennen diese Leute die Hamas? Glauben diese, dass die Hamas so friedliebend ist? Glauben diese Leute wirklich, dass tote Kinder, die der Weltöffentlichkeit präsentiert werden, ausschließlich durch das (ja: kritisierenswerte und diskussionswürdige) Vorgehen des israelischen Militärs zustande kam, aber nicht durch die Hamas, die ihre Stellungen in Schulen und Krankenhäuser beziehen, um menschliche Schutzschilde zu haben und um die Opfer danach vor die Kameras zu bringen, um die Öffentlichkeit propagandistisch auf ihre Seite zu bekommen? War es nicht die Hamas, die in ihrem TV-Sender gerne davon berichtet, dass Israel vernichtet und jeder Jude getötet werden müsste?
Dazu empfehle ich übrigens den öfteren Besuch von memri.tv, die TV Berichte aus arabischen Ländern ins Englische übersetzt.
Nun aber zum eigentlichen BlogEintrag:

Pali-Tuch, Pali, Palästinenserschal, Palästinensertuch, Kufiya, Kaffiyah, كوفية
In den Straßen Westeuropas ist das Pali-Tuch wieder voll da. Celebrities, Krocha, Linke, Rechte – in den U-Bahnen, Cafés, in der Schwulenszene oder in der Großraumdisco: sie alle tragen wieder gern das Modeaccessoire aus dem Nahen Osten. Voll in, das Teil! Als ich neulich bei einer Klausur der Grünen Jugend NÖ war, fiel mir ein Flyer in die Hände: Coole Kids tragen kein Pali-Tuch. Das machte mich neugierig.
Der Ursprung des Tuchs ist unpolitisch. Die Kaffiyah war einfach eine Kopfbedeckung der ländlichen Bevölkerung als Schutz gegen die Sonneneinstrahlung, sowie als Schutz gegen Sandstürme, da man sie auch vor dem Mund tragen kann. Sie stammt gar nicht aus Palästina, sondern aus der Stadt Kufa (Irak) und wurde sowohl von sesshaften Bauern als auch von Beduinen im gesamten Nahen Osten getragen.
Politisch wurde das Tuch aber in den 30-er Jahren des 20. Jahrhunderts, als der Großmufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, der dieses Amt von 1921 bis 1948 ausübte, allen Männern befahl die Kaffiyah zu tragen. Gleichzeitig wurde allen Frauen der Schleier befohlen. Dies war ein Zeichen der Palästinenser_innen gegen die britische Besatzung. Nicht-Träger wurden getötet! Der Großmufti befürwortete auch Pogrome gegen Jüdinnen und Juden und war ein erklärter Anhänger des Nationalsozialismus. Er half etwa auch beim Errichten von muslimischen SS-Brigaden in Bosnien. 1941 traf er endlich Adolf Hitler, nachdem er schon nach dessen Machtergreifung 1933 immer wieder versucht hat Nazi-Deutschland als Verbündeten zu bekommen. al-Husseini begann mit dem modernen Antisemitismus in der arabischen Welt.
Warum ist die Kaffiyah sowohl in linken, als auch in rechten Kreisen so beliebt?
Der kriegerische Konflikt im Nahen Osten hat auch in politischen Kreisen Europas tiefe Spuren hinterlassen, seien es die terroristischen Sympathien der Baader-Meinhof-Gruppe mit Palästinenser_innen (eine Generation, die eigentlich gegen die Nazi-Vergangenheit ihrer Eltern revoltieren wollte, um dann doch politisch antisemitisch zu agieren), seien es Rechtsextreme, die das Pali-Tuch als antisemitisches Symbol tragen oder sie so genannte „anti-imperialistische“ Linke. Und so findet man bei so manchen Demos dieser Tage eine merkwürdige Allianz zwischen rechts und links.
Das Tragen des Palästinensertuchs ist aber nicht einfach ein emanzipatorischer Akt und ein Symbol gegen Unterdrückung. Sie ist aber auch kein bedeutungsloses Modeaccessoire. Die Kaffiyah ist vor allem ein Symbol des Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit, Islamismus, Rassismus und Nationalismus. Das wurde aus einem einst harmlosen Tuch von Bauern…
Wärme deinen Hals daher besser mit was anderem…

עזרא Esra (Hebr.) = Hilfe

Zum Abschluss des Gedenkjahres haben die Grünen Wien in ihrer Ausgabe der Zeitung Wien direkt einen Artikel von mir veröffentlicht, den ich hier online stelle:
 
 
Im Schatten lauter Gedenkveranstaltungen arbeitet eine Initiative, die Opfer des Nationalsozialismus hilft.

Esra ist hebräisch und bedeutet frei übersetzt „Gottes Hilfe“. Am bekanntesten ist der Name durch das Buch Esra im Alten Testament, aber auch im Koran findet er Erwähnung. Esra war Nachfolger des Hohepriesters Aron und lebte nach der Zeit der babylonischen Gefangenschaft und der Zerstörung Jerusalems. Im Jahr 458 v.Chr. zog Esra mit Vollmachten des Perserkönigs Artaxerxes nach Jerusalem und nahm 1.496 Menschen in die alte Heimat mit. Er schaffte neue Rechte und Strukturen in der wieder aufzubauenden Jerusalemer Gemeinde und half maßgeblich mit, Exiljuden zurück nach Jerusalem zu bringen. 

2.400 Jahre später

Die jüdische Gemeinde Wiens galt im 19. Jahrhundert als besonders liberal und assimiliert. Sie war fester Bestandteil der Wiener Gesellschaft. Ihr Erfolg versprechender Weg, der in der Aufklärung am Ende des 18. Jahrhunderts begonnen hatte, führte 1938 in die Katastrophe. Zahlreiche Nachkommen empfanden sich nicht mehr als Jüdinnen und Juden. Manche konvertierten zum Christentum, viele empfanden sich als ÖsterreicherInnen und WienerInnen und fühlten sich durch die Nationalsozialisten nicht gefährdet. Nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland brauchten die Verbrecher des Hitler-Regimes aber nur wenige Wochen und Monate, um Vermögen zu beschlagnahmen, Menschen in Konzentrationslager zu transportieren und sie bestialisch zu ermorden. Nur wenige überlebten oder konnten fliehen. Tempel und Bethäuser fielen 1938 den Verwüstungen der Novemberpogrome zum Opfer.

Notwendige Hilfe

Aus historischen Ereignissen kann die Menschheit bis heute lernen. In der Antike brauchte es nach der babylonischen Gefangenschaft des jüdischen Volkes Strukturen und Rechte, um Jüdinnen und Juden aus dem Exil zurück nach Jerusalem zu bringen. Esra war derjenige, der diese Aufgabe übernahm. Er gründete eine neue jüdische Gemeinde.

In Österreich gab es nach 1945 nur wenig derartige Unterstützung. Zahlreiche umstrittene Restitutionsfälle, mangelnde Einladungen, die alte Heimat wiederzusehen bzw. in sie zurückzukehren, sowie die fehlende Hilfe für NS-Opfer beschäftigen das Nachkriegsösterreich bis heute.  Die unterbliebene Unterstützung zeigt sich auch im erbärmlicher Umgang mit kulturhistorischen Stätten jüdischen Lebens – insbesondere den alten jüdischen Friedhöfen.

Es bedurfte wieder eines Esra, um Menschen zu helfen, die verfolgt worden waren und traumatische Erfahrungen gemacht hatten. ESRA ist in diesem Fall kein Mensch, sondern ein psychosoziales Zentrum, das seit 1997 an jener Stelle angesiedelt ist, an der sich einst die größte jüdische Synagoge befand: in der Tempelgasse 5 im 2. Wiener Bezirk. Bis zu seiner Gründung war es aber noch ein schwieriger Weg. Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) sah sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. Es galt sowohl die Folgen der Katastrophe der Shoah von 1938 bis 1945 als auch die in den 70er Jahren einsetzende Migration von vor allem sowjetischen JüdInnen zu bewältigen. 

Das psychosoziale Zentrum ESRA

ESRA wurde nach vielen Jahren der Vorbereitung 1994 gegründet. Mit Unterstützung der Republik Österreich und der Stadt Wien schuf die IKG damit eine innovative und moderne Form ihrer Sozialarbeit. Sie deckt nicht nur die bisher geleistete Sozialarbeit der jüdischen Gemeinde ab, sondern kann darüber hinaus auf die vielfältigen psychischen, sozialen, integrationsspezifischen und rechtlichen Fragen Einzelner eingehen. ESRA kann Menschen nach ihren jeweiligen individuellen Bedürfnissen betreuen.

Holocaust-Überlebende finden in der Tempelgasse (bei Gebrechlichkeit auch zuhause) besonders umfangreiche Unterstützung in Form von  Sozialarbeit, Hilfe im Alter oder rechtlichen Auskünften zu Restitution und Entschädigungsansprüchen. Erfahrung und der Umgang mit Überlebenden der Shoah – und die damit verbundene Traumaforschung sowie der sozialarbeiterischen Umgang mit traumatischen Katastrophen – sind besonders hervorzuhebende Qualitäten von ESRA. Die Erfahrungen des psychosozialen Zentrums der IKG haben sogar dazu geführt, dass ESRA auch bei Katastrophen wie dam Lawinenunglück in Galtür, beim Seilbahnunglück in Kaprun, bei der Tsunami-Katastrophe in Asien und beim Geiseldrama von Beslan helfen konnte. ESRA verfügt über einzigartiges Wissen sowie über kompetente und multilinguale MitarbeiterInnen aus den Bereichen der Medizin, Psychologie und Sozialarbeit.

Das Zentrum ist in zwei Hauptbereiche eingeteilt: Die Ambulanz, als erste Säule, bietet medizinische, therapeutische und pflegerische Angebote. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt in der Betreuung und Behandlung von jüdischer MigrantInnen und Holocaust-Überlebenden. ESRA legt besonderen Wert darauf, dass nicht nur jüdische NS-Opfer behandelt werden, sondern dass alle Opfer des Terrorregimes Hitlers betreut werden. Auch Roma und Sinti, politisch Verfolgte, Kärntner SlowenInnen, Opfer der Euthanasie, Zeugen Jehovas, Homosexuelle und andere. Zur Ambulanz gehört sowohl die neurologische  als auch die psychosoziale Behandlung und Beratung, allgemein-medizinische Hilfestellungen, Betreuung durch diplomiertes Pflegepersonal, Psychotherapie, Traumabehandlung, Supervision, psychologische Betreuung und Behandlung, Palliativ-Behandlung und -Beratung sowie eine Memory Clinic.

Die zweite Säule ist die Sozialberatung. Diplomierte SozialarbeiterInnen bieten mannigfaltige Betreuungsformen an, unter anderem Hilfe in der Integration von MigrantInnen, Hilfe bei Entschädigungsansprüchen (Opferfürsorgegesetz, Entschädigungen aus Deutschland, Pensionsansprüche, usw.), Unterstützung im Alter (Vermittlung sozialer Dienste, Pflegegeldanträge, Tagesheimstätten, Vermittlung von SeniorInnenwohnheimen und Pflegeheimen, usw.), Hilfe bei Wohnungsangelegenheiten (z.B. Beratung zur Erlangung von Gemeindewohnungen), Hilfe bei finanziellen oder familiären Problemen, sowie eine Rechtsberatung.

Abgerundet wird das Angebot durch gesellschaftliche und kulturelle Angebote. Am Mittagstisch kann um wenig Geld ein koscheres Menü eingenommen werden, im Café kann bei koscherem Kuchen, Kaffee und Tee mitunter auch die eine oder andere Ausstellung mit Kunstwerken bewundert werden. Im Sommer 2008 fand ein spezielles Sommerkino statt. 

 

Gedenkjahr 2008 und ESRA

Das offizielle Österreich gedachte im Jahr 2008 der Ereignisse vom 12. März 1938 und deren katastrophalen Folgen. Dabei wurden bei Gedenkveranstaltungen seltsame Sachen gesagt, Österreich als Opfer stilisiert oder eine Menge Geld in Events investiert. Im Schatten dieser pompösen Selbstdarstellungen arbeitet ESRA weiter – still aber effektiv.

Daher ist es Zeit, ESRA besonders hervorzuheben, denn die Erfahrungen und wissenschaftlichen Ergebnisse dieser einzigartigen Einrichtung führten zu einer Kompetenz, die in Österreich ihresgleichen sucht. Denn Hilfe heißt auf hebräisch Esra und kommt schlussendlich allen zugute.

Psychosoziales Zentrum Esra
Tempelgasse 5, 1020 Wien
www.esra.at
(Bei Besuchen aufgrund der Sicherheitsvorkehrungen bitte Ausweis mitnehmen)

 

kreuz.net – oder wenn Katholizismus faschistoide Züge trägt

60 Jahre Menschenrechte – Teil 7:
Eine Woche lange habe ich Menschenrechtsverletzungen gegen Lesben und Schwule weltweit angeprangert. Warum habe ich das getan und andere ausgeblendet?
Lesben- und Schwulenrechte werden in den meisten Ländern der Welt nach wie vor nicht als Menschenrecht anerkannt. Kulturell und religiös bestimmte Vorurteile machen Fortschritte in diese Richtung so schwierig. Daher habe ich den Fokus auf diesen Aspekt gelegt. Freilich gäbe es zum Thema Menschenrechte noch tausend andere Aspekte zu beleuchten…
Kommen wir zum Abschluss zu etwas Österreichischem. kath.net heißt eine österreichische Website, die Katholische Nachrichten in die Welt tragen will. kreuz.net eine andere. Im ersten Moment klingt das noch vernünftig und fein. Warum sollen Katholik_innen auch nicht Neuigkeiten in die Welt tragen und sich vernetzen? Und manche Beiträge sind durchaus lesenswert. Aber…
Die Betreiber_innen der kreuz & kath.net-Websites sind erfüllt von fanatischem Gedankengut und scheuen sich nicht, ihre radikal fundamentalistischen religiösen Ansichten mit faschistoiden Zügen zu vermitteln. Vor allem Homosexuelle sind prinzipiell pervers, entartet und sollten sich gefälligst in die Hölle schleichen, so der Grundtenor zahlreicher Beiträge (die auf rainbow.at im Diskussionsforum in der Rubrik „Politik“ unter dem Motto Homo-Hölle vom User Queerulant hervorragend gelistet wurde).
Noch vor einigen Wochen war ich baff erstaunt, als auf kreuz.net über unseren Grünen Gedenk-Spaziergang Mit offenen Augen – im Gedenken an 70 Jahre Pogrome, 70 Jahre Anschluss und 60 Jahre Menschenrechte – berichtete. Dass eine Station auch an die lesbischen und schwulen Opfer des NS-Terrors erinnerte, brachte kreuz.net folgendermaßen:
„An der vierten Station schlägt die Stunde des Berufs-Homos Marco Schreuder (39). Er wird seine ‘grün’-perverse Logik benützen, um einen von ihm erfundenen „Terror gegen Lesben und Schwule“ als natürliche Verlängerung der nationalsozialistischen Judenmorde zu beschwören. 
 

kreuz.net sagt hier laut und deutlich: der NS-Terror gegen Lesben und Schwulen sei erfunden. Das grenzt schon nicht mehr an nationalsozialistische Wiederbetätigung. Meiner Meinung nach IST das Wiederbetätigung. Im Namen einer Religion. Der ganze Beitrag hier.

Kornblumen im Nationalrat.

Sehr interessante Links zum Thema Kornblume gibt es heute auf Helges Blog HIER. Wäre es bei der FPÖ aber bloß beim Tragen der Blume, die großdeutsches und antisemitisches Gedankengut symbolisiert, geblieben. Nein, die Damen und Herren im Nationalrat hatten kein Problem damit ein Mitglied einer rechtsextremen Burschenschaft zum Dritten Nationalratspräsidenten zu wählen.
Und das ist für mich wirklich das Empörendste! Dass die FPÖ reihenweise Burschenschafter in ihren Reihen hat, die sich als deutsche Volksgenossen empfinden und mit nationalsozialistischem Gedankengut ganz gut leben können, ist sattsam bekannt und traurig genug. Aber dass Abgeordnete der staatstragenden und der Republik eigentlich verpflichtenden Parteien SPÖ und ÖVP kein Problem damit haben, solch einen Mann in eine staatstragende Rolle zu wählen, ist mir unbegreiflich.
Heute fällt es mir schwer zur Tagesordnung überzugehen. Die Wahl Martin Grafs, aber vor allem das achselzuckende Hinnehmen von rechtsextremen Gedankengut im österreichischem Nationalrat erfüllt mich mit Sorge. Großer Sorge!
Wohin dieses Gedankengut auch führt, wurde heute auch deutlich. Nicht einmal mehr geheim wählen scheint man zu dürfen: Wahlkuverts werden markiert! Das ist ein Angriff auf die Demokratie, denn die geheime Wahl ist etwas, wofür in anderen Ländern noch immer ums Leben gekämpft wird. Und hier einst gekämpft wurde…

Sehr persönliche Notizen zum Tod Jörg Haiders.

Die Person und das Phänomen Jörg Haider war ein Hauptgrund, warum ich ein politischer Mensch wurde. Wenn wohl auch nicht so, wie er es hätte haben wollen. Ich entwickelte nämlich Widerstand – vor allem gegenüber einer Politik, die er verkörperte. Da es in den Medien genug Erinnerungen und Rückblicke gibt, veröffentliche ich hier lieber sehr, sehr persönliche Gedanken zum plötzlichen Tod Haiders. Das tue ich, weil er nun einmal prägend für mein Leben war und ich – heute an seinem Todestag – nicht darüber schweigen kann und will. Denn mein politisches Bewusstsein wäre ohne Jörg Haider nicht so, wie es ist.
Das Salzkammergut.
Was Jörg Haider und ich gemeinsam haben ist die Region, in der wir aufwuchsen. Er südlich von Bad Ischl – in Bad Goisern; ich ab meiner Volksschulzeit westlich davon – zuerst in St. Wolfgang, dann in Bad Ischl. Der Unterschied: Er wuchs in einer nationalsozialistisch geprägten Familie auf, ich in einer zugewanderten Familie, die zwar nicht ganz als „Gastarbeitsfamilie“ galt, denn NiederländerInnen waren irgendwie keine „bösen Ausländer“, aber ich begriff sehr bald, was es heißt zuhause eine andere Sprache zu sprechen als in der Schule – und was es heißt zur Muttersprache den Kontakt zu verlieren ohne die neue Sprache (anfangs) perfekt zu beherrschen.
Das Salzkammergut war immer schon geprägt von Gegensätzen. Ein Teil des Salzkammerguts ist katholisch. der südliche Teil im oberösterreichischen Teil ist aber seit der Gegenreformation fast ausschließlich evangelisch. Einerseits gab und gibt es noch immer zahlreiche Verherrlicher der NS-Zeit, andererseits war gerade im Inneren Salzkammergut auch eine starke Widerstandsgruppe aktiv (noch heute werden viele Orte traditionell rot regiert). Einerseits war das Salzkammergut – dank kaiserlicher Traditionen und Tourismus – geprägt von Weltoffenheit und langer kultureller Tradition, andererseits gab es aber auch ländliche Strukturen und Abschottungstendenzen. Das Salzkammergut war und ist eine Region der Gegensätze. Was alle im Salzkammergut eint – und wohl auch Haider und mich einte: Die Liebe zur wunderbaren Natur, den Seen, die Berge, des kulturellen Reichtums. Vielleicht ist letzteres ohnehin die klassische Heimatliebe. Who knows?
Die Mittachtziger.
Die 80-er Jahre waren prägend in meinem Leben und machten mich zu einem politischen Menschen. Ich konnte mich zwar noch an Kreisky erinnern, aber das war bevor ich wirklich politisch wurde. Das passierte erst so richtig ab 1984, und da spielt Jörg Haider sehr bald eine Rolle. Jetzt muss ich aber etwas ausholen…
Denn es waren drei Ereignisse, die mich vor allem prägten:
1. Hainburg: Als noch sehr junger Bub, der aber schon eigenständiges Denken entwickeln konnte, war ich von dem Widerstand, der in Hainburg – weit weg im Osten Österreichs –  passierte, sehr beeindruckt. Widerstandsgeist gefiel mir. Sich nicht alles gefallen lassen, sondern auch mal aufmucken, wenn einem das Gewissen oder der Gerechtigkeitssinn sagt, dass man sich wehren muss… Das imponierte.
2. Tschernobyl: 1986. Meine Eltern waren gerade bei ihren Eltern in den Niederlanden. Meine Schwester und ich wurden – und das fanden wir toll! – zum ersten Mal als alt genug angesehen, allein auf uns selbst aufzupassen, denn mitfahren ging nicht, denn wir mussten ja in die Schule. Da passierte das Unglück in der damaligen Sowjetunion.
Ich erinnere mich noch an die erste Meldung in den Morgennachrichten, als von einer radioaktiven Wolke die Rede war. Irgendwo auf den Weg nach Skandinavien. Kurz darauf wurden wir eingeschult: Schuhe draußen stehen lassen, nicht in Sandkasten spielen, uvm. Das war ein traumatisches Erlebnis. Man konnte die Gefahr nicht sehen, nicht riechen, nicht anfassen. Sie war aber da.
Ich wollte kurz danach auch zu den Anti-Wackersdorf Demos, fand aber keine Mitfahrgelegenheit, was ich sehr bedauerte. Ich weiß auch bis heute nicht, ob mir meine Eltern das überhaupt erlaubt hätten.
3. Waldheim – Haider – Gedenkjahr: In der selben Woche, als in der Ukraine ein Reaktor explodierte, wurde in Österreich ein neuer Bundespräsident gewählt. Die Wahl wurde von Kurt Waldheim gewonnen. Als davor seine Vergangenheit Hauptthema des Wahlkampf wurde, begann ich mich für die Geschichte Österreichs, aber auch für meine eigene Geschichte zu interessieren. Woher komme ich? Was bin ich? Wer sind meine Feinde? Wo finde ich Allianzen? Ganz normale Gedanken eines nach Identität suchenden Pubertierenden… Ich fragte also nach – insbesonders 1988, als auch in meiner Schule das so genannte Gedenkjahr mit großem Aufwand betrieben wurde und wofür ich heute noch dankbar bin.
Ich war 6 Jahre alt, als meine Eltern die Niederlande verließen um in Österreich zu leben. Nun fand ich plötzlich heraus, dass meine Großeltern die NS-Zeit ja erlebt hatten und wollte wissen, wie das damals war. Da fand ich heraus, dass mein Geburtsort Putten eines der am härtesten bestraften Gemeinden der Niederlande war. Die Nazis brannten bei der so genannten Razzia von Putten im Oktober 1944 nach einem Attentat das Dorf nieder und alle Männer, deren sie habhaft wurden, verschleppten sie in Konzentrationslager. Mein Großvater wurde mit großem Glück verschont. Meine Großeltern mütterlicherseits wiederum kamen aus Rotterdam und berichteten von den Zerstörungen der alten stolzen Hafenstadt und dem Leid während der NS-Zeit. Und da wurde mir – im Zuge des Wahlkampfs 1986 bis zum Gedenkjahr 1988 – bewusst, dass meine Eltern in ein Land gezogen waren, in denen die Männer lebten, die meinen Großeltern, meinem Dorf, der Stadt meiner Mutter, das angetan hatten. Ich sah zum ersten Mal Gedenkbücher meines Geburtsortes und fand einige mit dem Namen Schreuder unter den Opfern. Österreich war plötzlich nicht nur ein schönes Land. Es legte sich ein Schatten über meine Liebe zu Österreich. Die Liebe aber blieb.
Gleichzeitig gehörten meine Eltern den Jehovas Zeugen an – eine Religion in der ich aufwuchs (die ich auch bald verlassen sollte, aber vor der ich durchaus Respekt habe). Unser Nachbar und „Glaubensbruder“ war der heute noch lebende Leopold Engleitner, der sechs Jahre KZ überlebte und darüber mit großem Engangement berichtete – und heute 103-jährig noch immer berichtet.
Meine eigene Homosexualität konnte ich damals schon erahnen, aber noch nicht wirklich fassen. Das gelang aber kurz darauf und half mir diese Identitätsfindung voranzutreiben. Mir war bald auch in dieser Hinsicht klar, zu einer potenziellen „Opfergruppe“ zu gehören. Zu einer Minderheit, die gerne diskriminiert und verfolgt wird und wurde.
Und genau in dieser Zeit der persönlichen Entwicklung begann der Aufstieg Jörg Haiders. In den aktuellen Rückblenden kann darüber genug gelesen werden, daher erspare ich mir jetzt die Erinnerungen an 1986, dem deutschnationalen Putsch innerhalb der FPÖ, den Aufstieg, dem Bann von Vranitzky, den Äußerungen zur „ordentlichen Beschäftigungspolitik“, usw.
Ich will aber davon berichten, dass genau diese Äußerungen und die plötzliche Salonfähigkeit rechtsnationaler Ideologien mich echt schockierten. Ich wurde aktiv! Einer meiner ersten Aktionen war diesbezüglich ein Maturaheft einer Parallelklasse in der Tourismusschule Bad Ischl. Darin wurde ein enorm xenophober Text veröffentlicht. Einige meiner Klasse (darunter auch Christine Hartenthaler, die heute erfolgreich das Theaterprojekt muunkompanie betreut) wehrten sich vehement gegen diesen offenen Rassismus und bekamen prompt Unterstützung seitens des Schuldirektors. Das Heft wurde eingestampft. Mein erster politischer Erfolg.
Nach dem politischen Erdbeben in Hainburg und Gründung der Grünen, der Vergangenheitsbewältigung des Landes durch die Diskussionen rund um Waldheim und der Anti-AKW-Bewegung nach dem Trauma Tschernobyl, war mir plötzlich klar: Widerstand kann sich lohnen. Nationalsozialismus, Nationalismus, Andere zu Sündenböcken machende Politik: Das war bald meine Hauptantriebsfeder meines politischen Denkens.
Die Neunziger.
Ich wurde nicht gleich Politiker, aber politisch. Ich hatte noch keine österreichische Staatsbürgerschaft, denn ich hoffte bald irgendwann eine doppelte Staatsbürgerschaft haben zu dürfen. Ich erwartete immer, dass irgendwann die Menschen und die Politik verstehen, dass man zugleich eine österreichische UND eine niederländische Identität haben kann (…darauf warte ich übrigens bis heute).
Jörg Haiders FPÖ eilte von Wahlerfolg zu Wahlerfolg. Er initiierte das so genannte „Ausländer-Volksbegehren“ und ich war eines der vielen Lichter beim so genannten Lichtermeer 1993 (ich trug eine Tafel mit der Aufschrift: Ich bin Ausländer, ich bin schwul, was noch?). Ich war am Max-Reinhardt-Seminar und wir überlegten uns, wie wir in unserer künstlerischen Arbeit auf die neue Rechts-Bewegungen antworten konnten – fanden aber nur unbefriedigende Lösungen. Ein Phänomen, das sich im Kunstschaffen Österreichs leider bis heute fortsetzt – mit einer Ausnahme: der kurz davor verstorbene Thomas Bernhard.
1999 dann der Wahltriumph der FPÖ.
2000 – 2008
Die Regierungsverhandlungen 1999/2000 sind bekannt. Das Ergebnis auch. Auch mein Geburtsland zeigte Österreich die diplomatische kalte Schulter. So sehr ich mich über die Aufnahme einer extrem rechten Partei in die Regierung empörte, empfand ich plötzlich Widersprüche. Ein großer Teil meiner Freundinnen und Freunde wählten grün, liberal, schwarz oder rot – und wurden nun kollektiv mit abgestempelt. Das empfand ich ebenfalls als ungerecht. Ich musste bei vielen Auslandsaufenthalte – besondern in den Niederlanden – einen differenzierteren Blick auf Österreich einmahnen. Es ist vielleicht diese Diskrepanz, die auch irgendwie typisch österreichisch ist: Einerseits die Politik und das Ewiggestrige bekämpfen – andererseits das Land vor banalen Schubladisierungen verteidigen müssen. Ein ständiges zwischen den Stühlen sitzen. Anti-Nationalistisch sein und trotzdem das Land lieben.
Ich kam Ende 2001 in die Politik. Nach den Attentaten in New York und Washington war die politische Diskussion ganz wo anders. Erst später sollte die FPÖ auseinander fallen und mit HC Strache ein Mann groß werden, der den Islam als Hauptfeind aussuchte – um dadurch gleichzeitig eine differenzierte Debatte wieder zu verunmöglichen, da man vor allem mit der Bekämpfung der banalen populistischen Sprüche beschäftigt war, statt sich ernsthaft mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Was bleibt.
Nach Bruno Kreisky ist Jörg Haider sicher einer der prägendsten politischen Figuren Österreichs. Auch einen wirklichen Verdienst kann man ihm zuschreiben. Er trat auch an, um die österreichische Tradition, die das ganze Land in eine rote und eine schwarze Reichshälfte einteilte (von Sportvereinen bis Autofahrerklubs, von Rettungsdiensten bis staatsnahen Betrieben), zu bekämpfen. Das ist ihm sogar in vielen Bereichen gelungen.
Was aber auch bleibt: Eine ernsthafte, sinnvolle und inhaltliche Debatte über die Aufgaben von Integrationspolitik und Zuwanderung wurde durch plumpe Propaganda unmöglich gemacht. Die Klaviatur der Vorurteile wurde so geschickt gespielt, dass bis heute die Auseinandersetzung über diese Vorurteile vorherrscht. Deswegen ist es kaum möglich in einer inhaltlichen und öffentlichen Debatte über Integration ernsthaft zu reden. Mit HC Strache hat er diesbezüglich einen Schüler, der dies ebenso beherrscht und es sogar noch weiter trieb. Auch ein Erbe Haiders…
An seinem heutigen Todestag muss man natürlich vor allem an seine Familie und an seine Angehörige und FreundInnen denken. Der Tod ist schockierend. Der Autounfall unfassbar und passiert mitten in einer spannenden Zeit – weltpolitisch und innenpolitisch.
Es gab aber auch in den Erinnerungen heute etwas äußerst Irritierendes: Seine Äußerungen zur NS-Zeit wurde in den österreichischen Medien wieder unter der Rubrik „Was das Ausland zum Tod Haiders sagt“ gebracht. Dass er den Rechtsstaat missachtete – etwa bei den Orttafeln in Kärnten – wird kaum erwähnt. Warum kann Österreich eigentlich nicht selbst darüber reflektieren, sondern lässt das wieder nur als Außensicht geschehen? Pietät: ja. Verschweigen: nein.
Auch das bleibt von Jörg Haider, einem Mann der mich politische mitprägte.

Foto: Das Lichtermeer 1993 (SOS Mitmensch). Ein Beispiel, wie Jörg Haider nicht nur seine AnhängerInnen, sondern auch diejenigen, die seiner Politik eine klare Absage erteilten, mobilisierte. 

Ein gelungener Zeitzeugenfilm: Karl Pfeifer – Zwischen den Stühlen

Soeben komme ich von der Filmpremiere des dokumentarischen Interview-Films Zwischen allen Stühlen – Lebenswege des Journalisten Karl Pfeifer. Um mich hier nicht in filmkritische Äußerungen zu vertiefen (und zwei der FilmemacherInnen sind meine NachbarInnen Maria Pohn-Weidinger und Ingo Laugaas – Gratuliere was ihr aus einem € 7000 Budget gemacht habt!), sei nur kurz gesagt: Ich bin extrem beeindruckt! Mit ungeheurem Einfühlungsvermögen wird das Leben von Karl Pfeifer gezeigt. Und was für ein Leben!
Da kommt ein 10-jähriger jüdischer Bub in Baden bei Wien rein rational drauf, dass es Gott gar nicht geben kann, flieht vor den Nazis nach Ungarn, von dort nach Palästina, wo er im Kibbuz lebt. Dort erhofft er sich einen sozialistischen Staat zu erkämpfen und schließt sich dem Israelischen Unabhängigkeitskrieg an, um wieder nach Österreich zurück zu kehren. Als jüdischer Heimkehrer wissen die Behörden nicht, was sie tun sollen und verhören den jungen Mann. Nach dem Krieg versucht er immer wieder Österreich zu verlassen (Schweiz, London, Neuseeland), aber immer wieder kommt er nach Österreich – das Land, das ihn einst verjagte und doch nicht loslassen will.
In den 80-er Jahren wird er Journalist und kann überzeugende Reportagen aus Ungarn schreiben und seinem einst selbst gelebten sozialistischen Traum die Realität hinterm Eisernen Vorhang als Spiegel vorhalten, denn er hat gute Kontakte zu Intellektuelle und DissidentInnen in Budapest. Noch in den 2000-er Jahren hält er der österreichischen Politik den Spiegel vor. Unermüdlich kämpft er – auch als Redakteur der Gemeinde der Israelitischen Kultusgemeinde – gegen Nazi-Verharmlosungen und Nähen österreichischer Politiker (zB. eines Kärntner Landeshauptmannes) zu nationalsozialistischem Gedankengut.
Das tragische an dieser Geschichte ist freilich, dass Zeugen wie Karl Pfeifer immer seltener werden. Daher hoffe ich sehr, dass Karl Pfeifer noch viele Jahre leben kann, denn ein mutiger Mann, der trotzdem seinen Humor nicht verloren hat, kann man gerade in diesem Land nicht missen! Nachträglich Glückwünsche zum 80. Geburtstag.
Unbedingt anschauen:
Website des Films