These 5: Offen zu leben ist gut. Es gilt nur leider nicht für Alle.

Als ich im Jänner auf das Problem aufmerksam machte, dass durch die Eingetragene Partnerschaft behördliche Zwangsoutings mittels Meldezettel möglich sind, schüttelten manche in der LBST-Community den Kopf: Jetzt arbeiten wir doch seit Jahren daran, dass man dazu stehen soll, sich outen soll, öffentlich bekennen soll. Das sei kein so wesentliches Problem, gäbe es doch wichtigeres und überhaupt: Wer eine EP eingeht, hat auch Rechten und Pflichten, so ist das nunmal. Heteros müssen ja auch ihre Kästchen ankreuzen.Höhepunkt war Gudrun Hauer (HOSI Wien), die mir in einer Radiosendung auf Radio Orange vorwarf, ich würde Lesben und Schwule wieder in den Schrank zurück schicken wollen.Manche Lesben und Schwule haben es halt leichter. Ich zum Beispiel. Man geht offen durchs Leben, befindet sich in einem Umfeld, das mit der Tatsache, dass man schwul oder lesbisch ist, kaum Probleme hat. Diskriminierungen oder blöde Äußerungen sind seltene Ausnahmen und nicht die Regel. Dieses Leben und dieses Umfeld haben sich Lesben, Schwule und Transgender selbst erarbeitet: Sie sind (etwa so wie ich) vom Land in die Stadt gezogen, soziale Netzwerke sind bedeutend und wichtig und auch die Ausbildung und der Job wurden – bewusst oder unbewusst – so gewählt, dass man sich nicht verstecken muss. Der Schritt raus konnte gewagt werden, das Versteckspiel hatte endlich ein Ende! Soweit so gut.Wenn Lesben und Schwule, die positive Beispiele darstellen (und das tun sie!) aber ihre eigene Erfahrungen 1:1 auf andere übertragen wollen, dann wird es komplizierter, weil sie von sich auf andere schließen. Wenn dann aber etwa jemand sagt, er oder sie würde sich am Arbeitsplatz niemals outen, weil es die Karriere gefährden würde oder man täte es lieber nicht in der eigenen Familie, weil das entsetzliche Folgen hätte, werfen sie diesen Menschen gerne Feigheit vor. Vielleicht sagen sie das nicht so direkt, aber denken es sich und kleiden es in etwas blumigeren Worten.Die selbstbewusste Community – und vor allem diese sind in politischen Organsiationen aktiv – übersehen leider oft die unterschiedliche und vielfältige Welt, in denen Menschen leben. Sie ignorieren die Tatsache, dass in manchen Betrieben, in manchen Gesellschaftsschichten mit anderen sozialen oder kulturellen Hintergründen manches halt doch nicht ganz so einfach ist. Und auch nicht immer Schwarz und Weiß. Und von Lesben und Schwulen zu verlangen, diese sie diskriminierende Umwelt zu verlassen, ist halt doch mitunter zu viel verlangt.Um mich nicht falsch zu verstehen: Jede geoutete Lesbe und jeder offen lebende Schwule ist ein Fortschritt und wichtig. Und ja: Lesbisch-schwule-transgender NGOs, Profis, die Politik und alle anderen sollen Mut machen, den Schritt hinaus zu wagen. Sie können auch beispielhaft zeigen, dass ein Leben ohne Versteck, ohne Angst, ohne Selbsterniedrigung besser ist. Aber ob dieser Schritt gewagt wird, muss eine persönliche Entscheidung bleiben. Und die vielen Gründe, warum sich manche eben nicht outen, müssen wahrgenommen, beachtet und respektiert werden. Auch wenn es manchmal schwer fällt…Ein türkischer Schwuler hat mir diesen Gedanken einmal sehr fein mitgeteilt. Sinngemäß:“Meine Eltern würde mich enterben und verstoßen, wenn ich ihnen sage, dass ich schwul bin. Ich liebe sie aber trotzdem. Sie sind auch nur Opfer einer traditionell weitergegebenen Homophobie, und ich kann ihnen keine Schuld geben, habe eher Mitleid, weil sie nicht den Weg zur Freiheit gehen können, so wie ich es außerhalb der Familie tue. Schuld daran hat die Geschichte, die Kultur, die Religion, die Tradition. Irgendwann werde ich es ihnen sagen, aber der Weg dorthin ist noch ein langer. Alleine schaffe ich es nicht. Dazu müsste in der Türkei eine breitere Debatte beginnen.“(Diese Sätze könnte übrigens genauso gut von einem Österreicher oder sonst jemanden stammen.)

These 4: Die Gleichstellungsdebatte ist an einem toten Punkt angelangt.

Konzentrieren wir uns bei dieser These mal auf „die Heteros“, was an sich ein furchtbar generalisierender Ausdruck ist, ich weiß. Aber mir geht es um den Zugang zu „unserem“ Thema der Gleichstellung. Auf der einen Seite gibt es zahlreiche Heteros, die überhaupt kein Problem mit Lesben und Schwulen haben (manchen ist es sogar schlicht wurscht), auf der anderen Seite diejenigen, die Lesben und Schwule als völkische Bedrohung, als Sünder_innen oder aus anderen Gründen Pfuigack finden.Die ersten wundern sich schon lange, dass die komplette Gleichstellung noch immer nicht da ist, weil es entweder eh wurscht ist, oder eine soziale/demokratische/menschenrechtliche Grundfrage ist oder einfach aufgrund der Tatsache, da sie mit LBSTs verwandt oder befreundet sind. Diese Gruppe kann die Diskussion über die Gleichstellung nicht mehr hören, beschäftigt sie sich doch eh seit Jahren damit und darf es sich seit den 80-er Jahren anhören. Sie schüttelt höchstens nur noch den Kopf über die Anderen. Oder wundern sich nur noch, dass es nicht schon länst soweit ist.Die Gegner_innen jeglicher Gleichstellung, die Lesben und Schwule keine rechtliche Gleichstellung zuerkennen wollen – besonders Radikale (aus der Ecke des Klerikalfaschistischen oder einfach nur Faschistischen) wollen sie lieber psychiatrieren oder in Lager stecken – können das Thema auch nicht mehr hören, denn sie lehnen nunmal grundlegend ab. Das ist eine Überzeugungsfrage, sei es relgiös oder weltanschaulich.Beide haben aber etwas gemeinsam: Sie können’s nicht mehr hören, die Positionen sind einzementiert. Das Thema kommt nicht kaum noch an. Überdruss pur, was die Gleichstellungsdebatte stark gefährdet und sie an einem toten Punkt ankommen ließ. Oder?Ein Lichtblick aber: Diejenigen, die die Sache nur erledigt haben wollen sind in der Mehrzahl.

These 3: So etwas wie eine lesbisch-schwule Community gibt es kaum.

3.1. Szene- versus Klemmschwester oder Party- versus Schranklesbe

Es gibt zwei Möglichkeiten, als Lesbe oder Schwuler durch die Welt zu gehen (Ich spreche hier jetzt übrigens nur von solchen Menschen, die ihre eigene Bi-, Trans- oder Homosexualität akzeptiert haben und muss bei dieser These diejenigen, die ihre Sexualität verinnerlicht ablehnen vernachlässigen): Man steht dazu und sagt es seiner Umwelt, oder man verschweigt es. Natürlich gibt es auch hier einige Stufen dazwischen, aber um die These zu vereinfachen, belasse ich es bei den beiden äußersten Polen.

Ich behaupte, das Letztere nach wie vor die große Mehrheit darstellen. Wer Studien verfolgt, wie viele Menschen gleichgeschlechtliche Erfahrungen haben oder hatten (sogar wenn es sich mehrheitlich um solche Erfahrungen handelt), und wie viele Menschen geoutet durchs Leben gehen und eine lesbische, schwule oder transsexuelle Identität offen leben, so klaffen die Zahlen weit auseinander. Sind es im ersten Fall immer über 10{6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7}, stellen die offen Lebenden noch immer eine Minderheit der Minderheit dar. Merkwürdigerweise wird diese Tatsache oft verschwiegen.

Da sich viele derjenigen, die nicht geoutet durchs Leben gehen, trotzdem immer wieder ins queere Netzwerk und Infrastruktur begeben, klaffen die Unterschiede deutlich hervor. Geoutete lernen Ungeoutete kennen und irgendwie versteht man einander nicht, denn die einen finden die Nichtgeouteten feig oder unterstellen ihnen verinnerlichte Homophobie (was manchmal, aber eben nicht immer zutrifft), während die Nichtgeouteten die offen lebenden Schwulen und Lesben als Bedrohung wahrnehmen, weil sie so gar nicht leben wollen, weil z.B. Verlustängste (Job, Familie, Freundeskreis) überwiegen oder andere Netzwerke einfach eine bedeutendere Rolle im Leben einnehmen als die LBST-Welt. Besonders queere Migrant_innen rutschen oft in ein Doppelleben.

3.2. Kompromisslose versus Zufriedene

Die politische queere Szene hat sich ebenso auseinander dividieren lassen. Auf der einen Seite gibt es diejenigen, die eine völlige und kompromisslose Gleichstellung wollen, die meinen, nur wenn alles gleich behandelt und gestellt ist, kann man von einer Gleichstellung sprechen. Diese Gruppe (in Österreich etwa das RKL, Die Grünen Andersrum, u.a.) gehen auch von einem aufklärerischen und antidiskriminierenden Weltbild aus: Auch wenn es schlechte Gesetze gibt, müssen alle vor diesem gleich gestellt sein, da nur das dem demokratischen Grundprinzip entspricht, damit eben alle gleich sind. Änderungen dieser Gesetze sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und betrifft auch Heteros.

Dem gegenüber stehen die Zufriedenen, die meinen, Lesben und Schwule haben eine eigene Lebenswelt, sind tatsächlich ‚anders‘, daher haben sie auch andere Gesetze zu haben, da das heterosexuelle Weltbild mit dem homosexuellen ohnehin nicht übereinstimmt, dass Lesben und Schwule etwas besseres verdient hätten als die Heteros (so argumentiert etwa Kurt Krickler und die HOSI Wien), und daher Sonderregelungen ausschließlich für Lesben und Schwule durchaus angebracht sind. Die Zufriedenen haben zwar noch in den 80-er und 90-er Jahren etwa gegen §209 (unterschiedliche Schutzalterbestimmung bis 2002) gearbeitet, finden aber etwa unterschiedliche Altersregelungen in EPG im Vergleich zur Ehe in Ordnung.

Auch in der Wirtschaft sind die Zufriedenen erkennbar: Zahlreiche Firmen setzen mittlerweile auf „Diversity Managment“, was sicherlich ein Fortschritt darstellt. Gleichzeitig birgt das Konzept auch eine Gefahr, die ich so umschreiben möchte: Spielten die Bosse und Aufsichtsräte – alle männlich, weiß und heterosexuell – vor 20 Jahren gemeinsam am Golfplatz, erzählten sie sich gegenseitig gerne, wie ungeeignet Frauen für die Führungsetagen und Lesben und Schwule überhaupt pfui sind. Jetzt – 20 Jahre später – erzählen sie sich, welche Gender Mainstreaming- und Diversity Management-Konzepte sie eingeführt haben – aber es sind immer noch die selben weißen, heterosexuellen Männer, die da am Golfplatz spielen. In die Führungsetagen haben es weder Frauen, schon gar keine Lesben noch Schwule gebracht (Ausnahmen bestätigen die Regel). Wenn es um den Machtsanspruch geht, hört sich jedes Gender Mainstreaming und jedes Diversity Konzept auf – was übrigens nicht nur Lesben, Schwule und Transgender zu spüren bekommen, sondern auch etwa Zugewanderte und deren Nachfahren sowie andere diskriminierten Gruppen.

3.3. Queer versus Tradition

In akademischen Kreisen spielt die Queer Theory eine große Rolle. Nichtdestotrotz leben auch zahlreiche Lesben, Bisexuelle, Schwule und Transgender – wahrscheinlich die überwiegende Mehrheit – in klassischen Rollenverständnissen ihrer weiblichen oder männlichen Identität. Sogar bei Transgender lässt sich hier eine Spaltung feststellen: Sind manche Transgender (allerdings eine Minderheit) bei der Anpassung des Geschlechts radikal und sogar der Meinung, dass nur eine völlige Geschlechtsanpassung zu einer neuen „gegengeschlechtlichen“ Identität führen kann, finden andere die vielen Aspekte zwischen männlich und weiblich besonders wichtig, da es nämlich mehr gibt als nur ausschließlich weiblich oder ausschließlich männlich. Für letztere überwiegt das soziale Geschlecht.

Queere Menschen verstehen sich als Menschen, die die Heteronormativität überwunden haben. Dazu zählen sich übrigens auch viele Heteras und Heteros. Klassisch als Lesben und Schwule lebende Menschen wiederum erfahren sich selbst durchaus als Hetero-Gegenpol. Das sind zwei völlig unterschiedliche Perspektiven auf die Gesellschaft.

3.4. Rollenbilder

Gemeinsam bleibt allen schwulen Männern, dass sie in einer Männerwelt nicht als „echte Männer“ wahrgenommen werden, was dazu führt, dass in heterosexuell-männlichen Netzwerken besondere Vorsicht angebracht scheint und Outings seltene Ausnahmen darstellen (z.B. Fußball, Militär, etc.). Lesben werden ebenso gerne nicht als „echte Frauen“ wahrgenommen – interessanterweise vor allem von heterosexuellen Männern – , was dazu führt dass Lesben gerne übersehen, marginalisiert und als nicht bedeutend dargestellt werden. Transgender entsprechen wiederum ohnehin keinem klassischem Rollenbild einer bipolaren Geschlechterwelt und werden auch von Lesben und Schwulen oftmals nicht als „Männer“ oder „Frauen“ wahrgenommen und ausgegrenzt. So haben transsexuelle Frauen im FZ-Beisl im WUK noch immer keinen Zugang.

Lesben, Bisexuelle, Schwule und Transgender sind in diesen Fragen mitten in einer gesamtgesellschaftlichen Debatte angelangt, haben es aber teilweise noch gar nicht begriffen. Hier hat die moderne Frauenbewegung und die Emanzipation eine große Rolle gespielt und unglaublich viel geleistet. Gleichzeitig befindet sich der Mann – glaubt man Psycholog_innen und Soziolog_innen – in einer Krise um seine Stellung in der Gesellschaft. Das alles hat auch zur Krise des schwulen Mannes geführt: Einerseits musste er immer sein „Mann sein“ beweisen, andererseits steht auch die Männlichkeit an sich in einer Sinnkrise, ja werden schwule Männer gerade durch die Krise des Mannes als Feindbild gesehen, da sie – aus Sicht des heterosexuellen traditionellen Mannes – diese Rolle des Mannes ja an sich bedrohen.

(Dass ich hier die Frage des Frauen-Rollenbilds nicht konkreter anspreche, liegt freilich in meiner persönlichen Betrachtung der Sachlage. Ich wäre dankbar, wenn hier eine Frau eine These oder Gegenthese als Gastkommentar hinzufügen möchte.)

These 2: Das Einlullen in ein "Ist eh alles in Ordnung"-Gefühl stellt eine Gefahr dar.

Lesben und Schwule im Jahr 2010 haben es an sich nicht schlecht (sofern man in einem westlichen, freien Land wohnt). Es gibt Infrastruktur satt: Bars, Clubs, Saunen, Buchhandlungen, Sexshops, Cafés, Internetportale und Medien: Man kann eintauchen in eine lesbisch-schwule-transgender Welt, ist vernetzt, ist nicht alleine, kann sich amüsieren, mal jemanden aufreißen, findet jede Vorliebe (egal ob Doris Day-Fanclub oder irgendein seltener sexueller Fetisch) und man kann mittlerweile nicht nur einen Abend, sondern auch sein ganzes Leben in der Community verbringen. Das ist doch was!Im Grunde konnte einer unterdrückenden heterosexistischen Mehrheitsgesellschaft nichts Besseres passieren, als ein lesbisch-schwules Netzwerk, das in sich funktioniert. Den Lesben, Schwulen und Transgendern natürlich auch nicht. Ist das ein Agreement? Jeder lebt in seiner Welt und schaut so wenig wie möglich Kontakt zum anderen Ufer zu haben?Die Gefahr:Wer sich im lesbisch-schwulen Netzwerk aufhält, übersieht mitunter die anderen Netzwerke und was dort abgeht. Und umgekehrt. Bis die Existenz dieser Netzwerke sogar vergessen ist. Es scheint alles in Ordnung zu sein, was zu einer fatalen „Ich bin beschützt“-Stimmung führen kann, denn eine „feindliche“ Außenwelt dringt in diese Infrastruktur nur selten bis gar nicht ein, obwohl sie existiert. Sie wird nur nicht mehr oder kaum noch wahrgenommen. Oder diese andere Welt geht einem schlicht nichts mehr an.Nun sind Communities, Schutzräume, etc. nichts Schlechtes. Ich benütze etwa das Wort Ghetto grundsätzlich nicht, denn in einem Ghetto wohnt man vor allem unfreiwillig. Die lesbisch-schwule Infrastruktur wurde aber von uns selbst geschaffen, ist also freiwillig. Sprich: Community.Vielen Lesben und Schwulen scheint zudem oft gar nicht mehr aufzufallen, in zwei völlig getrennten Welten zu leben: Auf der einen Seite ist man beruflich der seriöse Finanzberater, abends und wochenends lässt man die Sau raus. Prinzipiell ist dagegen auch nichts einzuwenden, aber dass die Balance in beiden Welten bestehen zu können ein fragiler ist, wird gerne übersehen. Man gewöhnt sich halt daran.So toll es ist, dass wir all unsere Lokale, Websites und Co. benützen können: Übersehen wir besser nicht, was sonst noch los ist. Sonst wachen wir aus einem bösen Traum wieder auf. Übertreibe ich? Berlin hat mittlerweile wieder fast so viele lesbisch-schwule Lokale, wie es sie in den 30-er Jahren des 20. Jahrhunderts gegeben hat. In Berlin rechnete niemand damit, dass diese jungen Nazis mal was werden würden. Man ignorierte sie lieber und feierte Party…

These 1: Regenbogenparaden sind gut für die Szene. Die Botschaft kann aber gegen uns verwendet werden.

Was haben sie uns gebracht, die CSD- und Regenbogenparaden dieser Welt?

Das Gute an den jährlichen Demozügen in vielen Großstädten der freien Welt: Die Community kommt zusammen und feiert sich selbst. Das darf und soll sie auch. Die Community kommt zusammen und gedenkt den Aufständen in New York 1969 und stärkt sich damit gegenseitig den Rücken: Sich wehren lohnt sich, man muss sich nicht alles gefallen lassen. Zudem stehen sie symbolisch für unsere täglichen kleinen Parädchen (Sag ich’s jetzt oder sag ich’s nicht?) Das ist gut so. Im besten Fall helfen sie Lesben und Schwulen auch in ihrem Umfeld offener damit umzugehen.

Die Paraden werden aber auch als Demonstration gewertet, als Kundgebung für mehr Gleichstellung, gegen Homophobie, für Respekt und Akzeptanz. Das geht einer Gesellschaft dann plötzlich als Ganzes an, und diesen Anspruch pflegen Paraden mittlerweile auch. Die Parade wird somit aus einer Community-Feier zu einem allgemein gültigen Anspruch an Gesellschaft und Politik. Und da stellt sich die Frage: Wie wollen wir diese Botschaft vermitteln, die auch verstanden wird? Die Sprache der lesbisch-schwulen Community wird jedenfalls nur von wenigen verstanden.

Warum?

Weil Lesben und Schwule eine eigene Sprache, eine eigene (Sub-)kultur, eine eigene Sicht- und Denkweise entwickelt haben, die sich jahrhundertelang aufgrund des Abschiebens in den Untergrund entwickelt hat, sich aber auch intern oft unterscheidet bzw. widerspricht. In vielen Bereichen hat sich zudem eine eigene schwule „Sprache“ entwickelt, die von Lesben kaum verstanden wird – und umgekehrt. Wenn Drag Queens, Butch-Lesben, Bodygepaintete, schrille Outfits, S/M-Lesben und gestandene Ledermänner paradieren, dann finden wir – die Community selbst – das ganze vielleicht wunderbar vielfältig und feiern genau diese Vielfalt – aber kann diese bunte Sprache von anderen verstanden werden, die diese Szene nicht kennen, ja sogar Angst davor haben? Kann diese Sprache verstanden werden, wenn man aus einer Tradition kommt, die dafür gesorgt hat, dass genau diese Szenen in den Untergrund geschickt wurden? Kann sich ein Außenstehender vorstellen, dass diese Drag Queen auf einem Truck da vorne, die das vielleicht nur einmal im Jahr so zu zelebrieren pflegt, sein eigener Finanzberater ist, mit dem er jeden Tag Geschäfte macht? Wohl kaum.

Die Paraden befinden sich daher in einer veritablen Identitätskrise. Feiern sich Lesben, Schwule und Transgender selbst? Oder stellen wir einen allgemein gültigen politisch-gesellschaftlichen Anspruch? Wenn Letzteres erwünscht wird, sollten wir dringend debattieren, ob wir wirklich Spaß haben, oder nicht vielmehr wütend sein sollen? Ob wir eine heterosexuelle Mehrheitsgesellschaft nicht in einer Sprache ansprechen sollen, die von ihnen auch verstanden wird und sie auch fordert? Vielleicht ist es aber auch gerade die Provokation, die nötig ist – und wenn ja: wie sieht eine erfolgreiche Provokation aus?

Aber eines haben wir bezüglich dem Konzept Paraden nicht gemacht: Darüber breit diskutiert, was sie können soll und welchem Zweck sie dient. Im Moment ist es von allem ein bissl was – nicht Party und nicht Demo, nicht Fisch und nicht Fleisch.

Oder um auf das Beispiel des Finanzberaters zurückzukommen: Was würde den heterosexuellen Außenstehenden wohl mehr verbüffen: Eine gut geschminkte aber unbekannte Drag Queen auf einem Truck oder wenn sein Finanzberater eines Tages plötzlich zu ihm sagt: „Ich habe sie vorige Woche auf der Regenbogenparade gesehen!“

So wunderbar es ist, dass die queere Community sich feiert: Das Feiern kann auch gegen uns verwendet werden, wenn wir uns bewusst als Gegenkonzept einer heteronormativen Welt entgegenstellen. Das ist freilich ein reizvoller Gedanke, aber verstärkt auch Gegensätze. Sie schürt die Unterscheidung zwischen Hetero und Homo sogar. Ist das Ergebnis einer eigenen Eingetragenen Partnerschaft, die Sonderbehandlung für Lesben und Schwule, die eigene Schublade, die Politik und Behörden für uns eingerichtet haben, da sich Rechtliches für Lesben und Schwule von allem Heterosexuellen unterscheiden muss, nicht vielleicht sogar ein Ergebnis unserer eigenen schwul-lesbischen-transgender Arbeit? Ist das der Grund, dass die Organisation, die jährlich die Parade in Wien organisiert, über das Sondergesetz glücklich ist? Ja ist vielleicht sogar der Begriff ‚andersrum‘ etwa bei den Grünen Andersrum nicht sogar kontraproduktiv und müsste es 2010 nicht vielleicht ‚Die Grünen gar nicht anders‘ heißen…?

Genug paradiert? Schluss mit lustig! Thesen zur queeren Gleichstellung nach 2010.

Genug paradiert? Schluss mit lustig!
Die queere Gleichstellung nach 2010. Ein Thesenpapier.

Seit vielen Jahren, ja Jahrzehnten, kämpfen Lesben und Schwule weltweit um gesellschaftliche und rechtliche Anerkennung. Es wurden Paraden ins Leben gerufen, demonstriert, provoziert, brav angepasst und vieles mehr. Wir hatten historische Ereignisse und Promis wie Stonewall, Harvey Milk, das erste Rechtsinstitut in Dänemark, Ulrike Lunacek, Alfons Haider, und und und.
Mittlerweile sind wir im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts angelangt. Erstaunlich, dass es aber kaum eine Selbstüberprüfung der Community gibt: Ist unser Kampf, so wie wir ihn führen, richtig geführt? Oder bräuchte es nicht völlig andere Maßnahmen, Begrifflichkeiten, Sprachen und Bilder? Zeit sich neue Fragen zu machen: Wie könnte queere Politik nach 2010 denn eigentlich aussehen? 

 

Einleitung

Nun haben wir sie auch in Österreich: Die Eingetragene Partnerschaft wurde mit 1.1.2010 eingeführt. Lesbische und schwule Paare haben die Möglichkeit ihre Partnerschaft rechtlich absichern zu lassen. Natürlich nicht mit der heterosexuellen Ehe gleichgestellt, denn irgendwelche Unterschiede müssen schon sein. So zumindest die Denkweise der auch in dieser Frage von der ÖVP dominierten Bundesregierung. Also macht man ein Sondergesetz nur für Lesben und Schwule. Ab in eine eigene Schublade mit Euch!

Es haben sich in den ersten Wochen „nur“ 76 Paare eintragen lassen, was zu höhnischen Kommentaren geführt hat: Hätte es eh alles nicht gebraucht, interessiert wohl kaum jemanden, die Homos vögeln ohnehin lieber wild herum, als sich in eine Bindung fürs Leben zu begeben, etc. Und zeitgleich finden einige Lesben und Schwule – sogar eine wichtige NGO – das Gesetz ganz großartig und sagen brav „Danke!“. Dass Lesben und Schwule zumindest jetzt eine Wahlfreiheit haben, wird dabei gerne verschwiegen. Und dazu auch die Tatsache, dass immer weniger Heteros heiraten.

Die rechten Kräfte dieses Landes werden argumentieren, dass Lesben und Schwule nach wie vor nichts zur Gesellschaft beitragen und keine Kinder in die Welt setzen, um das „völkische Erbgut“ weiterzutragen. In Wien denkt die FPÖ sogar darüber nach, ob Aufklärung über Homosexualität an den Schulen nicht gesetzlich verboten werden sollte. Religionen finden Partnerschaftsregelungen unnötig, vermeiden zwar zumeist persönliche oder gehässige Untergriffe (von einigen Ausnahmen abgesehen), aber die Botschaft lautet: Frau, Mann und Kinder sind die Norm und daher förderungswürdig. Alles andere nicht. Also unwürdig. Dass es Lesben und Schwule mit Kinder gibt wird vollkommen ignoriert, weil sich das eh nicht gehört.

Unterdessen diskutieren Länder wie Albanien zwar die Öffnung der Ehe, in Portugal und in Slowenien dürfte es demnächst soweit sein. Allerdings werden wohl auch die Gegner_innen einer Gleichstellung sich vermehrt zu Wort melden, ganz egal ob die Motivation eine religiöse, eine völkische oder eine persönliche ist. Die Letztgenannten sind sogar die größte, weil unbekannteste Gefahr. Sie findet man in allen Lagern, ohne politische Verortung und können überall sein: In deiner Arbeit, in deiner Nachbarschaft, in deinem Freundeskreis und in deiner Familie. Sie sind nicht sichtbar, aber machen sich mitunter bemerkbar mit Sätzen wie „Jetzt habt ihr eh die EP, was wollt ihr denn noch?“ oder „Wir haben jetzt wirklich wichtigere Probleme“ oder „Ihr wollt doch eh immer als ‚anders‘ oder ‚andersrum‘ wahrgenommen werden, also was passt denn schon wieder nicht?“ oder „Lasst uns doch in Ruhe“ oder „Ich trage ja auch meine Sexualität nicht auf einem Silbertablett vor mir her.“

Wie gehen wir mit diesen Rahmenbedingungen um? In den nächsten Tagen und Wochen möchte ich das hier gerne diskutieren und einige Thesen dazu aufstellen. Ich freue mich auf rege Beteiligung.

Foto: Harvey Milk