Slowakei – das unbekannte Nachbarland.

Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele Menschen in meinem Wiener Umfeld noch nie in Bratislava waren. Dabei ist es doch etwas Besonderes in einem der zwei Hauptstädte zu leben, die am Engsten weltweit beieinander liegen. Aber in einem war ich auch ein typischer Wiener: Außer Bratislava kannte ich eigentlich nichts von der Slowakei. Bis vorige Woche, als ich mich mit einer Freundin slowakischer Herkunft in ihrem Familien-Holzhaus in einem kleinen verschlafenen Bergdörfchen in der Niederen Tatra zurückzog um einerseits an einem Projekt zu feilen und andererseits die Gegend um Niedere und Hohe Tatra, Zips und Liptau zu erkunden. Und ich war baff erstaunt. Nicht nur, weil ich mit der Reise ins Bergdörfchen auch eine Zeitreise unternahm und glaubte im 19. Jahrhundert zu leben.

Einerseits erstaunte mich die Schönheit der slowakischen Landschaften, andererseits dass Autos mit deutschem oder österreichischem Kennzeichen äußerst rar sind. Man begegnet viele tschechische, slowakische und polnische Touristen und Touristinnen – und das sind schon geschätzte 95{6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7} alles Reisenden vor Ort. Mag sein, dass sich die Slowakei einfach zu schlecht verkauft. Mag sein, dass Tourismusmarketing noch vollkommen unterbelichtet ist. Gerade das ist die große Chance für alle, die gerne individuell reisen, es lieben Städtchen und Landschaften, Berge und Höhlen zu erkunden und dabei das Gefühl genießen, selbst zu entdecken.

Denn eine der Überraschungen der Slowakei ist: Das Land ist ganz schön gebirgig! Der Karpatenbogen, der bis nach Rumänien reicht, findet an der slowakisch-polnischen Grenze seine nördlichsten Ausläufer. Die Hohe Tatra ist für alpengewöhnte Menschen ohnehin ein unglaublicher Anblick. Zwischen Niederer und Hohen Tatra befindet sich nämlich ein sehr großer Grabenbruch – eigentlich eine Tiefebene. Und aus dieser heraus erhebt sich die nur 27 km lange Gebirgskette der Hohen Tatra mit Gipfeln bis zu 2.655 m Höhe (Gerlachovský štít) – ein wahrlich majestätischer Anblick! In der Hohen Tatra wiederum ist es wirklich hochalpin: Gämse, Bären, Luchse und Wölfe leben hier noch, Wander- und Klettertouren aller Art sind möglich. Oder eine Seilbahnfahrt, die man aber Tage zuvor reservieren soll.

Die Liptau-Region kennt der gelernte Österreicher wiederum eher vom Aufstrich. Dass der dem Liptauer zugrunde liegende Streichkäse vom Schaf, den Brimsen (oder slowakisch Bryndza, das wiederum ein Lehnwort aus dem rumänischen Wort für Käse Brânză ist) hier kaufen kann, ist eine Erwähnung wert. Denn wer in diese Region reist, sollte unbedingt die vielen leckeren Käsesorten ausprobieren, samt dem Nationalgericht Brimsennocken (Bryndzové halušky). In der Liptau-Region lohnen sich Abstecher und Wanderungen in die umliegenden Berge der Großen Fatra und der Niederen Tatra, insbesondere ins malerische Demänovatal mit zahlreichen Eishöhlen und Tropfsteinhöhlen, von denen einige besichtigbar sind.

Die Zips-Region erstreckt sich östlich der Hohen Tatra und bringt uns schon in die Ostslowakei. Diese Region weiß mit mittelalterlichen Städtchen zu überraschen und birgt so manchen Kunstschatz, und sogar einen Geysir. Etwa das vollkommen erhaltene Städtchen Levoča oder Leutschau. Dort findet man nicht nur den imposanten höchsten gotischen Altar der Welt vom Meister Paul von Leutschau, sondern auch noch einen Pranger, Stadtmauern und ein unglaublich schönes architektonisches Ensemble.

Ich habe nur einige Beispiele von Reiszielen genannt. Zumindest die, die ich gesehen habe. Und lernte viel von europäischer Geschichte, denn die Slowakei und diese Regionen haben viele Geschichten zu erzählen: Slawische, ungarische, deutsche, polnische, Roma- und jüdische Geschichte. Sie erzählt von Zeiten der Reformation insbesondere mit den eindrucksvollen evangelischen Holz- oder Artikularkirchen, die so aussehen, weil sie nicht anders gebaut werden durften. Und sie erzählt natürlich auch vom Habsburger Reich.

Die Slowakei ist jedenfalls eine Entdeckungsreise wert.

Tipps und Links:

Deutschsprachige Informationen zu Urlaub in der Slowakei: slowakei.com
Seilbahnen und Züge in der Hohen Tatra (auch im Winter): vt.sk
Informationen zur nahen Hauptstadt Bratislava: visit.bratislava.sk

Integrationspolitik einst und heute am Beispiel der tschechischen Minderheit.

Im kommenden Wien-Wahlkampf wird die Integrationspolitik und alles, was mit Migrantinnen und Migranten zu tun hat, wohl eines der zentralen Themen sein. So erwarte auch ich mir wieder grausliche und verhetzende Wahlplakate der FPÖ und eine aufgeheizte Stimmung, die eine differenzierte und lösungsorientierte Sichtweise kaum möglich machen wird, da es im zugespitzten Wahlkampf nur noch um schwarz und weiß geht – geschürt und unterstützt von den Medien.

Dabei war Wien immer schon ein Anziehungspunkt für Zuwanderung, umso befremdlicher, dass diese Tatsache nach wie vor verneint wird. Glücklicherweise ist Historiker_innen dieses Thema vermehrt bewusst und so wird etwa Prinz Eugen von Savoyen in der aktuellen Ausstellung im Belvedere besonders als Migrant dargestellt. In Wahrheit war er sogar ein Flüchtling; Asylwerber wie das heutzutage heißen würde.

Daher lohnt sich ein Blick in unsere eigene Stadtgeschichte sehr! Zum Beispiel anhand der tschechischen Minderheit:

Alle Jahreszahlen und Daten im Detail über die tschechische Minderheit hier wiederzugeben, würde zu weit führen, daher verweise ich lieber auf diesen hervorragenden Wikipedia-Artikel zum Thema.

Aber ohne Geschichte funktioniert es nicht, also:

König Ottokar II. Přemysl (Foto oben) stellt wohl so etwas wie den Beginn der großen tschechischen Wiener Geschichte dar. Im 13. Jahrhundert wanderten die ersten Menschen aus Böhmen und Mähren ein, um in Wien zu leben. Ottokar wollte immerhin das Babenberger-Erbe annehmen (Babenberger, die übrigens eigentlich Popponen hießen und aus Franken eingewandert waren). Als der König in der Schlacht in Dürnkrut 1278 sein Leben verlor, wurde er in der Minoritenkirche aufgebahrt und später in Prag beigesetzt. Sein Herz ist aber bis heute in Wien. Sein Tod und seine Niederlage schaffte auch den Aufstieg einer weiteren zugewanderten Familie: Habsburg. Der tschechischen Minderheit sollte eine wechselhafte aber dauerhafte Geschichte mit Wien verbinden. Das gilt bis heute. Noch immer wird in Tschechien gesagt: Wien, die zweitgrößte tschechische Stadt der Welt. Um die Jahrhundertwende dürfte das sogar gestimmt haben, waren doch rund 300.000 der fast 2 Millionen Wienerinnen und Wiener tschechischer Herkunft.

Was tat die Stadt in all den Jahren mit ihrer tschechischen Minderheit? Hier wird es vor allem interessant, da man die Integration dieser Minderheit wohl zurecht als erfolgreich bezeichnen kann. Gibt es also etwas in unserer eigenen Geschichte, das uns etwas lehren kann? Ich meine ja, inbesondere was die Sprachförderung angeht.

1755 herrscht der aufgeklärte Josef II. Er lernt tschechisch bei Johann Wenzel Pohl (oder Jan Václav Pól). Er führt die tschechische Sprache auch in der Militärakademie in Wiener Neustadt ein. Es folgte die erste große Einwanderung abseits des Adels mit seinem Gesinde.
1761 erscheint die erste tschechische Zeitung in Wien. Im 2. Bezirk sind Gottesdienste in tschechischer Sprache nachgewiesen.
1775 wird ein tschechischer Lehrstuhl an der Wiener Universität eingeführt.
1778 tritt auf der Wieden (heute der 4. und Teile des 10. Bezirks) eine kaiserliche Verordnung in Kraft, die vorschreibt, dass alle Verlautbarungen zweisprachig zu erscheinen haben.
1820 werden die Dienste in der Kirche Maria am Gestade tschechischsprachig.
In der Gründerzeit (wie die Industrialisierung hierzulande bezeichnet wird) benötigte Wien zahllose Arbeitskräfte und die kamen vorzugsweise aus Tschechien und der Slowakei, sozusagen als Gastarbeiter des 19. Jahrhunderts. Die zweite große Einwanderungsbewegung setzte ein.
1848 werden tschechische Theaterstücke aufgeführt, ab 1850 auch regelmäßig im Theater in der Josefstadt. 1863 entstand der tschechische Theaterverein Pokrok.
1856 wird der erste tschechische Verein Slovanský zpěvácký spolek gegründet.
1865 entstand der Gesangsverein Lumír, der bis heute existiert.
Das Staatsgrundgesetz von 1867 erlaubt jedem „Volksstamm“ Schulen zu gründen. Allerdings kämpfen die Tschechen um die Anerkennung als „Volksstamm“.
1872 wurde der Schulverein Komenský gegründet und gründete zahlreiche Schulen. Bis heute existiert noch eine bilinguale Schule im 3. Bezirk.

1880 besteht Wien zu 65{6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7} aus zugewanderten Menschen, vor allem aus Tschechien, der Slowakei und Schlesien. Volkszählungen dieser Zeit sind äußerst ungenau. So wanderten etwa 1918 mehr Menschen in die neu gegründete Tschechoslowakei aus, als sich davor als Tschechisch oder Slowakisch definierten. Dabei blieben aber auch sehr viele dieser Minderheiten in Wien.
Am Ende des 19. Jahrhundert verstärt sich der Trend zum Nationalismus. Der tschechische oder ungarische Nationalismus wird in Österreich gerne als Anfang vom Ende des habsburgischen Vielvölkerstaats bezeichnet. In Wien verstand man es aber auch Nationalismus zu schüren. So wurden etwa „Kostkinder“ (heute: Pflegekinder) plötzlich nicht mehr bei Familien untergebracht, die zuhause tschechisch sprachen. Unter Bürgermeister Lueger verschärfte sich diese Politik: so musste man etwa ab 1897 als Gemeindebediensteter ein Bekenntnis zur deutschen Sprache ablegen, ab 1901 musste man sich sogar zur deutschen Umgangssprache bekennen.
Rund um 1920 waren die Tschechen mit einem Nationalratsabgeordneten, 8 Wiener Gemeinderäten und 41 Abgeordneten in den Bezirken vertreten. In den Bezirksvertretungen waren sie drittstärkste Kraft.
1923, fünf Jahre nach Gründung der Tschechoslowakischen Republik, zeigt sich im Wiener Gemeinderat Johann Klimeš besorgt, dass nach wie vor die Österreichische Staatsbürgerschaft Bedingung für die Aufnahme bei der Wiener Berufsfeuerwehr ist. Im selben Jahr bekannten sich bei einer Volkszählung 79.278 als Tschechisch und 2.066 als Slowakisch.
Der Verbot der Sozialdemokratie 1934 war für viele Tschechen und Tschechinnen ein herber Schlag, standen doch viele der Sozialdemokratie nahe.
1938 versuchten die tschechischen Vereine den Nationalsozialisten den Wind aus den Segeln zu nehmen und warben etwa für ein „Ja“ bei der Volksabstimmung über den Anschluss Österreichs. Repressalien traten trotzdem bald ein. Zwar konnten sich Vereine weiter entfalten, die Komenský-Schulen wurden aber 1940 geschlossen, tschechische Zeitungen erschienen keine mehr. Viele Tschechen und Tschechinnen engagierten sich sowohl in linken, als auch in bürgerlichen Widerstandsgruppen.
In der Nachkriegszeit kehrten wieder viele in die Tschechoslowakei zurück, was sich aber mit der Machtergreifung der Kommunisten im Heimatland änderte. Der kalte Krieg erfasste auch die tschechische Minderheit in Wien, die sich in regimetreue und -kritische Gruppen spaltete. Der Streit lähmte die politische Arbeit und die tschechische Minderheit verschwand langsam aus dem Bewusstsein der Wiener Bevölkerung, obwohl etwa noch in den Jahren 1948 und 1949 tschechischsprachige Sendungen auf Ö2 ausgestrahlt wurden. Die Volkszählungen dieser Zeit sind aufgrund fragwürdiger Fragestellungen kaum ernst zu nehmen.
1964 eröffnet die Komenský-Schule wieder die Pforten. Von den zahlreichen Schulen ist aber nur noch eine übrig geblieben. Diese ist aber bis heute äußerst aktiv und bietet Unterricht in den Sprachen Tschechisch, Slowakisch und Deutsch an. Seit kurzem gesellt sich teilweise auch Ungarisch dazu.
Im Volksgruppengesetz 1972 wurden die tschechischen und slowakischen Volksgruppen anerkannt. Dies geschah wohl auch unter dem Eindruck der Flüchtlingen nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968.
Mit dem Sturz des kommunistischen Systems 1989 wächst auch wieder das Selbstbewusstsein der etwa 5.000 bis 20.000 Tschech_innen in Wien.

Nun zurück zur Frage: Was können wir lernen?

Am eindruckvollsten ist wohl die noch immer aktive Komenský-Schule. Kinder, die hier zur Schule gehen, beherrschen alle Sprachen perfekt, ihre Muttersprache (manchmal sogar nur noch die Sprache einst zugewanderter Vorfahren), aber auch andere Sprachen. Die Schule beweist, das Förderung der Muttersprache auch das Erlernen weiterer Sprachen erleichtert. Warum soll das bei türkischen, kroatischen, serbischen oder albanischen Kindern nicht auch funktionieren?
Integrationspolitik und Außenpolitik sind immer viel stärker miteinander verwoben, als gemeinhin angenommen. Die Beziehung Österreichs zu einem Land drückt sich auch immer sehr stark in der Beziehung unter den Menschen im eigenen Land aus.
Ausgeprägter Nationalismus hat immer zu Kriegen, Missgunst, sozialen Konflikten und Ungerechtigkeit geführt. Bevor noch der Nationalismus Fuß fassen konnte, lernten sogar Habsburger die Sprache der Zugewanderten.
Die kulturelle Entfaltung ist enorm wichtig. Warum konnten Tschechen im Theater in der Josefstadt einst ihre Sprache hören und erleben, aber warum gibt es heute keine türkischen oder serbischen Theaterstücke auf Wiens Bühnen? Kulturelle Teilhabe muss erst angeboten werden, damit sie auch überall passiert. Erst danach werden die Minderheiten sich auch dür die deutschsprachige Kultur interessieren, wie viele Tschechen und Tschechinnen ja bewiesen haben.

Mir ist klar, dass nicht alles vergleichbar ist. Mir leuchtet ein, dass es zwischen der tschechischen Minderheit und der österreichischen Mehrheitsgesellschaft andere Problemstellungen gab, als etwa zwischen Gruppen unterschiedlicher Religionen. Aber die Geschichte der Tschechen in Wien beweist: Wird die Sprache und die Kultur gefördert, so funktioniert auch Integration. Und am Ende empfinden Wienerinnen und Wiener sogar Powidl, Kolatschen und Bramburi als „ihriges“.

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Wissenschaftsforum Tschechen in Wien
Kulturklub der Tschechen und Slowaken in Österreich
Geschichte der Tschechischen Gottesdienste in Wien
Tschechischer Friedhof in Wien
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