Alter Kulturkampf: Was zum ABBA-Comeback zu sagen ist.

„ABBA VOYAGE“ – Was zum ABBA-Comeback noch gesagt werden muss, weil sich ein Kulturkonflikt der Achtziger merkwürdig wiederholt:
Als ich in den späten Siebzigern und Achtzigern zur Schule ging, war’s besser man verschwieg dass man ABBA mag. Die Frage „Stones oder Beatles?“ war noch immer zu hören. Aber es war verpönt Musik aufgrund seiner Unterhaltung und positiver Emotionen zu mögen. Man musste es verschweigen. Pink Floyd, Neil Young und Supertramp durfte man lieben, und alle die dies taten trugen dies stolz vor sich her. (Was übrigens schwer in Ordnung war und ist.) Aber wenn man ABBA auch mochte, verschwieg man dies tunlichst. ABBA war peinlich. Song Contest war peinlich. Cancel Culture keine Erfindung der Jetztzeit.
Schon als ABBA 1974 den Eurovision Song Contest gewann, kam ein „kritischer“ Reporter zur Siegesfeier und fragte die Band wie sie sich denn nun anfühle, würden sie doch von eine Schlacht mit 40.000 Todesopfern singen (Waterloo). Und überhaupt: Die Beatles wären doch nie zu sowas wie dem Song Contest gefahren!
Nein, wären sie nicht, weil sie keine Schweden waren, die die Welt erobern wollten.
Doch es begann noch etwas anderes in den Achtzigern und vor allem in den Neunzigern, als ABBA sang- und klanglos verschwand und weiter verschwiegen wurde – denn so hatten wir das ja gelernt – wurde einfache und gute Pop-Unterhaltung nach und nach wieder okay. Lebensbejahung und Party wurde okay. Und das, was die Schwulen in ihren Clubs so hörten, schwappte plötzlich in die Radios und Charts und später auf öffentlich zelebrierten Regenbogenparaden. Und als Erasure dann die EP „ABBAesque“ rausbrachte, war ABBA plötzlich wieder populär. Man durfte es mögen. Man outete sich! Und mittlerweile wird anerkannt, dass sie eigentlich doch ziemlich genial waren. Und eingängig. Und einen ganz ganz eigenen Klang haben.
Aber jetzt, beim Comeback, scheinen manche – besonders viele Männer – noch einmal ihren Ekel ausdrücken zu müssen. Da wird dann über die „alternden Stimmen“ von Agnetha und Frida hergezogen. Es wird hämisch gefragt, wer diese doofen Schweden überhaupt vermisst hätte. Noch einmal wird die Überlegenheitsgeste ausgepackt, mit der man alle ABBA-Fans jegliche Ahnung von Musik abspricht und entwertet. Noch einmal wollen sie so sein wie früher, als sie das Pink Floyd T-Shirt trugen.
Währenddessen machen Agnetha und Frida das einzig richtige: Sie genossen es noch einmal ein Album aufgenommen zu haben, noch einmal diesen Klangzauber von Björn und Benny und den beiden so unterschiedlichen und perfekt harmonisierenden Stimmen erzeugt zu haben – und stellen sich keiner Presse und keiner Öffentlichkeit mehr. Wozu auch.
Ich antworte mittlerweile auf die Frage „Stones oder Beatles?“ (in meinem Fall übrigens eh Beatles) mittlerweile mit leichter Ironie laut und tuntig: ABBA!

Malmö, ich komme! Meine Top 10.

Nachdem ich 2012 auf derstandard.at aus Baku bloggen konnte, werde ich auch dieses Jahr wieder aus Malmö bloggen.

Und nachdem nunmehr alle Beiträge des diesjährigen Eurovision Song Contests fest stehen, mein erstes Fazit und meine Top 10. Man kann aber ruhig behaupten, dass dieser Jahrgang nicht der Beste dieses Jahrzehntz werden wird. Eher das Gegenteil davon.

Aber hier mal meine Top 10 Beiträge für die Ausgabe 2013:

Meine 12 Punkte gehen an Ungarn für dieses wunderbare Stück Musik über die Liebe. Kedvesem heißt nichts anderes als „Mein Schatz“ oder „Sweetheart“.

10 Punkte an niederländische Vögel, die nicht fliegen.

8 Punkte an Norwegens Liebesfütterung.

7 Punkte an der lässig-unwahren Ska-Behauptung Alkohol sei frei aus Griechenland.

6 Punkte an Italiens Versuch das Essenziale zu besingen.

5 Punkte an Islands Behauptung, dass man ein Leben hat.

4 Punkte an Österreichs scheinenden Beitrag.

3 Punkte an Schweden-Pop, mehr für die Komposition, weniger für die Stimme.

2 Punkte an Dänemarks Tränen.

1 Punkt an San Marinos Doppelpack – zwei Lieder in einem. Und das ein Ralph Siegel-Lied in meinen Top 10 landet, überrascht mich sogar selbst.

Wie um Himmels Willen kann man nur Eurovision Song Contest Fan sein?

Vor einigen Jahren saß ich mit Christoph Chorherr im Zug. Irgendwo zwischen Hartberg und Wien fragte er mich plötzlich: „Wie kann man nur Fan des Song Contests sein? Ich verstehe das nicht!“ Ich versprach ihn daraufhin einen Blogbeitrag, aus dem irgendwie nie was wurde. Jetzt, nachdem Österreich sein Comeback feiert, kann ich das endlich nachholen. Denn diese Frage höre ich oft!
Die Frühzeit
 

Der persönliche Bezug begann 1976. Es ist das Jahr, in dem ich – fast schon siebenjährig – Fan wurde. Seitdem habe ich keine Ausgabe verpasst. Meine Eltern übersiedelten mit mir und meiner Schwester Ende 1975 nach Österreich. Und als wir am 3. April 1976 Samstag lange aufbleiben durften wurde der Eurovision Song Contest zum Familienevent. Aufbleiben bis Mitternacht war wie Silvester. Das prägendste war aber: Die Ausgabe 1976 kam aus Den Haag, der Stadt meiner Großeltern und wo ich viel Zeit verbrachte. Und ich konnte die Stadt, die ich so gut kannte, im österreichischen Fernsehen sehen! Und mein neues Land wurde gleich Fünfter. Vielleicht hatte ich mein erstes Europa-Erlebnis. Ich fand das jedenfalls wunderbar. Und als mit der Startnummer 1 gleich die späteren Sieger aus Großbritannien- Brotherhood Of Man mit „Save Your Kisses For Me“ – auftraten, war ich verliebt. In den Song, in den Event, darüber mehr aus den Gastgeber-Länder und -Städte zu erfahren.
Das ist heute noch so. Nur dass ich mittlerweile lieber selbst hinfahre. Aber was lässt mich an diesem Event heute noch so faszinieren?
1. Europas Vielfalt
Kein anderer Event ermöglicht es, sich mit Musik, Sprache und popkulturellem (Trash-) Geschmack europäischer Länder auseinanderzusetzen. Das gibt es einfach bei keinem anderen Bewerb und bei keiner anderen TV-Show. Die Vielfalt Europas wird mit all ihre Höhepunkten und Abgründen hörbar und sichtbar. Welche Sänger_innen und Gruppen wollen für Estland antreten, und was singen die denn dort? Welche Ethnosounds sind gerade in Zypern angesagt? Ohne den ESC hätte ich keinen Grund mich damit zu beschäftigen. Und es macht Spaß!
2. Eine Party für Island und Aserbaidschan
Europa hat so viel und gleichzeitig so wenig gemeinsam. Fußballfeste, Politik, und was noch? Eben. Einmal im Jahr sitzt Europa vor den TV-Schirmen, von Island bis Zypern, von Portugal bis Aserbaidschan und feiert dieselbe Party. Das ist doch nicht nichts. (Übrigens: Australien und Neuseeland feiern immer mit. Der ESC ist dort ungemein populär!
3. Musikstrategien
Die verschiedenen Absichten und Strategien der teilnehmenden Länder ist auch immer spannend zu beobachten. Als Beispiel sei die serbische Siegerin 2007 erwähnt: Marija Šerifović hatte mit ihrem Beitrag „Molitva“ gar nicht die Absicht eine internationale Karriere zu machen. Sie wollte sich einen Namen am Balkan schaffen und dort Star-Status ersingen. Westeuropäische Länder haben im vorigen Jahrzehnt gerne negativ und höhnend über Osteuropa und „politisches Block-Voting“ berichtet. Dabei machten die etwas sehr Interessantes: Sie förderten heimische Künstler und Künstlerinnen, um ihnen eine Karriere in einer Region (z.B. dem Balkan) zu ermöglichen. Schlecht? Immerhin hat Deutschland erst mit Lena diese Idee übernommen. Und es hat funktioniert.
3. Musikstile
Der Variantenreichtum von Stilen ist unfassbar groß. Wer sich bereits mit den ersten Ausgaben des ESC aus den 50-er und 60-er Jahren beschäftigt, wird Unfassbares entdecken, wiederentdecken, lieben und hassen. Sanremo – die Mutter des ESC – war immer auch italienische Vorentscheidung und man hört plötzlich Evergreens wie „Quando quando quando“ oder „Io che non vivo senza te“ (bekannter als „You Don’t Have To Say You Love Me“). Man hört sich schwedische Schlagersänger an, genau so wie Cornelia Froboess, Matt Monro oder eben Udo Jürgens. Manchmal auch in der japanisch gesungenen Version. Herrlich! Und auch heute noch: Metal, Indie-Rock, Balladen und Ethno-Trash wechseln sich ab und eröffnen ein Kaleidoskop. Das gibt’s sonst einfach nirgends.
4. Sprachen
Die Sprachregelung ist beim ESC ein immer noch heiß diskutierte Sache. Und ehrlich: Ich vermisse die Regel, die bis 1998 galt und dass nur offizielle Sprachen eines Landes gesungen werden dürfen. Denn mit Sprachen beschäftigen ist auch beim ESC wunderbar möglich. Vor allem wenn diese Sprachen in einer Sprache verpackt werden, die überall verstanden wird: Musik.
5. Der Homo-Faktor
Der ESC ist ein Event der Lesben und Schwulen. Das ist er aber eben nicht ausschließlich. Die homosexuellen Fans dominieren zwar, haben aber selbst gar keine Lust, den Event als solchen einzuordnen oder den ESC darauf reduzieren zu lassen. Auch die Lesben und Schwulen wollen, dass der ESC eine Party für alle ist! Politische Okkupation (oft mehr als berechtigt!) lesbisch-schwuler Gruppen hat nie so richtig funktioniert. Als 2009 in Moskau eine verbotene Gay Pride den ESC nutzen wollte, um auf sich aufmerksam zu machen, ging das eigentlich in die Hose. Kaum ein ESC Fan ging hin. Das war aber nicht politisches Desinteresse, sondern liegt im Selbstverständnis des ESC: Wenn albanische Familien, türkische Ehemänner mit Frauen, norwegische Teenies, schwule Bären aus Barcelona, eine Lesbengruppe aus Holland und kreischende Tunten aus Deutschland gemeinsam eine Party feiern, trägt der ESC vielleicht mehr zu einem Miteinander bei, als es ein Gay Pride je tun kann. Das sind so die magischen Momente, die man vor Ort erlebt.

6. Migration
Migrant_innen, deren Sprachen und Musikstile, die etwa bei uns auf Wiens Straßen und Nachtclubs Einzug gehalten haben, werden auf der Bühne dargebracht und in den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten gezeigt. Das passiert ja eigentlich so gut wie nie – außer vielleicht auf Okto. Dieser Aspekt wurde bisher nur beim „Diaspora-Voting“ sichtbar – etwa, dass Länder wie Deutschland oder Österreich beim Voting traditionell der Türkei und Serbien viele Punkte geben (was seit Wiedereinführung der Juries und ihrer 50{6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7}-igen Einflussnahme auf das Endergebnis ohnehin wieder weniger bedeutend wurde). Positive Aspekte diesbezüglich werden noch viel zu wenig wahrgenommen und gesehen. Bzw. gehört.
Ich könnte jetzt noch viel mehr ausführen – etwa, dass man sich einmal im Jahr mit unzähligen Freunden und Freundinnen aus allen möglichen Ländern trifft, dass man in einer ESC Host-City die Schwulenbars nicht mehr wiedererkennt und was da lost ist, wie wunderbar es ist Städte kennenzulernen, in die man wohl sonst nicht fahren würde (Ehrlich: Düsseldorf stand nie auf meiner Liste!) – und und und….

Ja, der Eurovision Song Contest. Wenn es ihn nicht gäbe, man müsste ihn erfinden. Es gibt ihn aber mittlerweile seit 1956! Diese TV-Tradition ist ja auch nicht nichts….
Aber jetzt halte ich Nadine Beiler die Daumen. Jawohl!

Foto: Türkische Fans, israelische Fans und ich mit isländischer Fahne machen Party in Oslo, Mai 2010