Morrissey begleitet mein Leben.

No, it’s not like any other love
This one is different – because it’s us

And if the people stare
Then the people stare
Oh, I really don’t know and I really don’t care

(The Smiths, Hand in Glove, 1983)
Gestern hatte ich die Freude Morrissey im Wiener Konzerthaus zu erleben. Es gibt ja nun einige Popkünstler und -künstlerinnen, die einen 42-jährigen Mann wie mich bereits das ganze Leben lang begleiten. Madonna war immer irgendwie da und nie weg. U2 natürlich, die ich bereits 1987 live erleben konnte. Aber keiner prägte mein Leben so, wie Morrissey und The Smiths es taten.

Meine Teenager-Zeit in den glamourösen 80-er Jahren fiel zusammen mit dem Höhepunkt schwuler Popkunst. Smalltown Boy von Bronski Beat war bahnbrechend für meine Generation. Dann gab es da noch Frankie Goes To Hollywood, Erasure, Soft Cell, usw. Wir hatten damals zwar noch kein Internet, das Coming-outs seit den späten 90-er Jahren ziemlich anders ablaufen lässt.

Aber wir hatten Pop!

Die Musik, die in den Hitparaden war, aus dem Radio trällerte und desses Musikvideos man im Fernsehen sehen konnte (MTV war langsam überall empfangbar – noch in der guten alten englischsprachigen Version) war unser Soundtrack. Der Soundtrack der heutigen 40+ Generation.

Trotzdem war einem jungen Mann wie mich, der für Oscar Wilde und Thomas Mann schwärmte (und erst später begriff warum es ausgerechnet diese Autoren waren), Morrissey und seine Band The Smiths, die mir am meisten bedeuteten. Waren Erasure, Bronski Beat & Co. hitparadentaugliche Nummern, boten The Smiths eine intellektuelle Variante schwulen Pops. Nur, dass diese Band sich zum Unterschied der anderen Acts gar nicht als schwul deklarieren ließ.

The Queen Is Dead war die erste Platte, die ich von The Smiths 1985 kaufte. Und seit Erscheinen dieses Albums war ich Smiths-Fan. Bis heute. Gleichzeitig kaufte ich damals die beiden früheren Platten der Band nach und wusste nicht, dass nur noch ein Studioalbum 1987 folgen sollte. Die Texte trafen mein damaliges Lebensgefühl im Herzen. Es waren die oft depressiven, manchmal ironischen bis zynischen Texte, die Lieder über unerfüllte Liebe, Einsamkeit und Sehnsucht. Das passte nunmal zu einem 16-jährigen, der sich begann für Literatur, seine Sexualität und seine (gefühlte und teilweise eingebildete) Einsamkeit im Landleben zu interessieren und der alles um sich herum, die Politik, die Religion, das Leben und die Gesellschaft, in Frage stellte. Hand In Glove, This Charming Man, Handsome Devil, The Boy With The Thorn In His Side, usw. wurden mein Sondtrack und begleiteten mich überall.

Trotzdem wurde ich bald ein selbstbewusster schwuler Mann. Wurde quasi mehr Jimmy Somerville als Morrissey, der sich nie deklarieren ließ, der nie sagte, er sei schwul, sondern der – ganz im Gegenteil – solche Schubladisierungen in sexuelle Orientierungen immer verachtete. Morrissey war mehr Thomas Mann als schwuler Emanzipierter. Und vielleicht ist es gerade das, was ihn bis heute auch ausmacht. Er war und ist insofern modern, indem er homoerotische Texte schrieb, aber gleichzeitig Klischees, Schubladendenken und so etwas wie eine „schwule Szene“ (in diesem Fall popkulturell gemeint) ablehnte.

Gestern trat also der Mann, der den Soundtrack meines Lebens schrieb, in Wien auf. In der Stadt, in der ich 1988 zog um ein neues, offen schwules Leben zu führen. In dem selben Jahr, in dem Morrissey seine Solo-Karriere ohne Johnny Marr und den Smiths startete. Morrissey begleitete danach also einen erwachsen werdenden Mann und nicht mehr einen pubertierenden Möchtegern-Depressiven am Land. Ich blieb ihm aber treu.

Wenn also ein 42-jähriger Mann im Jahr 2011 ein Morrissey Konzert besucht, dann ist es natürlich eine Reminiszenz an die Jugend, an früher. Aber gleichzeitig auch ein Fest meiner Generation. Und dass dann viele Menschen zu sehen waren, die noch gar nicht geboren waren als ich Smiths-Singles und LP’s kaufte, zeigt, dass seine Musik und seine Lyrics nach wie vor funktionieren. Dass seine Texte nie an Aktualität, an Kraft und an Ironie verloren haben.

Trotzdem hat sich etwas geändert. Als Erwachsener, der sein Leben selbstbewusst lebt, schwärmt man weniger für einen Popkünstler. Er ist zwar immer noch Held, doch mittlerweile stelle ich auch Morrissey mitunter in Frage. Obwohl ich ihn verehre. Bis heute. Erwachsenenpop halt.

Meine drei Lieblingsliebeslieder

Man mag Valentinstag hassen, ignorieren oder feiern: Die Liebe ist ja an sich was Schönes und beschäftigt uns seit es Menschen gibt. Wir schreiben darüber Romane und Gedichte, malten Gemälde und in der Musik spielt die Liebe immer noch die Hauptrolle aller Themen, die je besungen wurden.
Meine drei Lieblingsliebeslieder sind eine subjektive Momentaufnahme, aber ich habe länger darüber nachgedacht:
Platz 3
Jane Birkin & Serge Gainsbourg – Je t’aime… moi n’on plus

Dieses Lied ist so alt wie ich. Als das Lied 1969 erschien war es ein Skandal, was die Verkaufszahlen nur noch mehr steigern ließ. Was ich an diesem Lied so mag: Einerseits war es ein Tabubruch in Zeiten der sexuellen Befreiung. Kaum ein anderer Song zeigt so eindringlich, dass es in der Liebe nicht nur um romantische Gefühle, Blumensträuße und Händchenhalten, sondern eben auch um Sex geht. Andererseits bricht das Lied die Kombination Sex und Liebe ironisch. Schon der Titel lautet ja „Ich liebe dich… ich dich auch nicht“. Manchmal handelt es sich vielleicht doch mehr um Geilheit und weniger um Liebe, aber allzu schnell rutscht einem ein „Ich liebe dich“ raus. Maintenant, viens!

Platz 2
The Smiths – There Is A Light That Never Goes Out
The Smiths waren und sind meine größten Heroen. Das war in meiner Jugend so und stimmt auch jetzt noch. Die Kombination Johnny Marr und Morrissey sind für mich unerreicht, sowohl was die Lied-Kompositionen angeht, als auch die Gitarren-Stimmen-Kombination. Dieses Lied aus dem Jahr 1986 definiert Liebe als etwas so starkes, dass man sogar an jemandes Seite sterben möchte.

Platz 1
Toon Hermans – Lente me
Bitte hört euch das an, auch wenn ihr kein Niederländisch könnt. Gebt dem Lied eine Chance. Vieles dürfte auch für Deutschsprachige zu verstehen sein. Es ist schwer zu erklären, wer Toon Hermans (1916-2000) ist und was er alles kann, wenn man ihn nicht kennt. Conférencier, Kabarettist, Sänger, Komponist, und so vieles mehr. Trotzdem trifft keines dieser Begriffe sein Können nur annähernd. Man lacht sich über seine Komik kaputt, und trotzdem bleiben die Geschichten zeitlos und poetisch. Er schrieb auch Lieder, und Lente me ist eines seiner bekanntesten.
Übersetzbar ist Lente me schon recht schwer. Frühling wird als Verb benützt, also heißt es ungefähr „Ich frühlinge dich“. Und so geht das Lied weiter: „Ich sing dich, ich refrain dich“ heißt es zu Anfang an und die Liebe durchdringt das ganze Leben (Lente me, zomer me, september me), jedes Kunstwerk, das man betrachtet (Ik Rembrandt en ik Breughel je) und was man so alles zu sich nimmt (Ik koffie je en ik thee je).
Nachdem Toon Hermans Frau starb, konnte er dieses Lied nicht mehr singen, weil er sonst in Tränen ausbrechen würde. Vermutlich sagt das alles…
Entschuldigt die kurze Werbung vorab, sollte sie bei euch auftauchen. Das Lied ist nicht mehr auf YouTube zu finden.
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