Genug paradiert? Schluss mit lustig! Thesen zur queeren Gleichstellung nach 2010.

Genug paradiert? Schluss mit lustig!
Die queere Gleichstellung nach 2010. Ein Thesenpapier.

Seit vielen Jahren, ja Jahrzehnten, kämpfen Lesben und Schwule weltweit um gesellschaftliche und rechtliche Anerkennung. Es wurden Paraden ins Leben gerufen, demonstriert, provoziert, brav angepasst und vieles mehr. Wir hatten historische Ereignisse und Promis wie Stonewall, Harvey Milk, das erste Rechtsinstitut in Dänemark, Ulrike Lunacek, Alfons Haider, und und und.
Mittlerweile sind wir im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts angelangt. Erstaunlich, dass es aber kaum eine Selbstüberprüfung der Community gibt: Ist unser Kampf, so wie wir ihn führen, richtig geführt? Oder bräuchte es nicht völlig andere Maßnahmen, Begrifflichkeiten, Sprachen und Bilder? Zeit sich neue Fragen zu machen: Wie könnte queere Politik nach 2010 denn eigentlich aussehen? 

 

Einleitung

Nun haben wir sie auch in Österreich: Die Eingetragene Partnerschaft wurde mit 1.1.2010 eingeführt. Lesbische und schwule Paare haben die Möglichkeit ihre Partnerschaft rechtlich absichern zu lassen. Natürlich nicht mit der heterosexuellen Ehe gleichgestellt, denn irgendwelche Unterschiede müssen schon sein. So zumindest die Denkweise der auch in dieser Frage von der ÖVP dominierten Bundesregierung. Also macht man ein Sondergesetz nur für Lesben und Schwule. Ab in eine eigene Schublade mit Euch!

Es haben sich in den ersten Wochen „nur“ 76 Paare eintragen lassen, was zu höhnischen Kommentaren geführt hat: Hätte es eh alles nicht gebraucht, interessiert wohl kaum jemanden, die Homos vögeln ohnehin lieber wild herum, als sich in eine Bindung fürs Leben zu begeben, etc. Und zeitgleich finden einige Lesben und Schwule – sogar eine wichtige NGO – das Gesetz ganz großartig und sagen brav „Danke!“. Dass Lesben und Schwule zumindest jetzt eine Wahlfreiheit haben, wird dabei gerne verschwiegen. Und dazu auch die Tatsache, dass immer weniger Heteros heiraten.

Die rechten Kräfte dieses Landes werden argumentieren, dass Lesben und Schwule nach wie vor nichts zur Gesellschaft beitragen und keine Kinder in die Welt setzen, um das „völkische Erbgut“ weiterzutragen. In Wien denkt die FPÖ sogar darüber nach, ob Aufklärung über Homosexualität an den Schulen nicht gesetzlich verboten werden sollte. Religionen finden Partnerschaftsregelungen unnötig, vermeiden zwar zumeist persönliche oder gehässige Untergriffe (von einigen Ausnahmen abgesehen), aber die Botschaft lautet: Frau, Mann und Kinder sind die Norm und daher förderungswürdig. Alles andere nicht. Also unwürdig. Dass es Lesben und Schwule mit Kinder gibt wird vollkommen ignoriert, weil sich das eh nicht gehört.

Unterdessen diskutieren Länder wie Albanien zwar die Öffnung der Ehe, in Portugal und in Slowenien dürfte es demnächst soweit sein. Allerdings werden wohl auch die Gegner_innen einer Gleichstellung sich vermehrt zu Wort melden, ganz egal ob die Motivation eine religiöse, eine völkische oder eine persönliche ist. Die Letztgenannten sind sogar die größte, weil unbekannteste Gefahr. Sie findet man in allen Lagern, ohne politische Verortung und können überall sein: In deiner Arbeit, in deiner Nachbarschaft, in deinem Freundeskreis und in deiner Familie. Sie sind nicht sichtbar, aber machen sich mitunter bemerkbar mit Sätzen wie „Jetzt habt ihr eh die EP, was wollt ihr denn noch?“ oder „Wir haben jetzt wirklich wichtigere Probleme“ oder „Ihr wollt doch eh immer als ‚anders‘ oder ‚andersrum‘ wahrgenommen werden, also was passt denn schon wieder nicht?“ oder „Lasst uns doch in Ruhe“ oder „Ich trage ja auch meine Sexualität nicht auf einem Silbertablett vor mir her.“

Wie gehen wir mit diesen Rahmenbedingungen um? In den nächsten Tagen und Wochen möchte ich das hier gerne diskutieren und einige Thesen dazu aufstellen. Ich freue mich auf rege Beteiligung.

Foto: Harvey Milk