Jetzt melden sich alle mit Analysen, Gedanken und Pläne zu Wort. Daher möchte ich auch meine Gedanken in Worte fassen. Und dies bevor die Wahlkarten-Ergebnisse bekannt werden. Die werden unser Grünes Plus noch ein bisschen plussiger machen. Da bin ich mir sicher. Aber schon mal jetzt:
1. Das Abschneiden der Grünen
Ich habe es gestern so ausgedrückt: Ich bin in Applaus-Stimmung. Nicht in Jubel-Stimmung. Und zu jubeln gab es ja auch nicht viel. Und zwar aus diesen Gründen:
Ab 13{6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7} wollte ich mich freuen, ab 14{6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7} wollte ich mich sehr freuen, ab 15{6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7} jubeln. Das wurde nicht ganz erreicht. Auch wenn ich mich über das Plus wirklich freue.
Inwiefern die Grünen auch ländliche Regionen erobern können bleibt eine offene Frage, obwohl viele dachten, wir hätten das spätestens seit der Kärntner und der Salzburger Wahl geschafft. Unsere Wähler_innenschaft bleibt vorwiegend urban, weiblich und gut gebildet.
Dass die Grünen bei Unter-30-Jährigen so gut abschneidet gibt Hoffnung für die Zukunft. Die Demographie spricht für uns.
Dass Eva Glawischnig eine gute Nummer 1 der Grünen ist, hat sie in diesem Wahlkampf bewiesen. Ich finde, sie hat das ganz, ganz hervorragend gemacht. Ebenso Bundesgeschäftsführer Stefan Wallner und Kampagnen-Chef Martin Radjaby. Ich kann mich an keinen professionelleren und so hervorragend organisierten Wahlkampf erinnern. Ich kann mich nicht erinnern, dass so viele Grüne so gerne, engagiert, motiviert und zeitgleich so wenig verkrampft wahlgekämpft haben. Die Stimmung innerhalb der Grünen war ausgezeichnet. Darauf können wir bauen.
Trotzdem darf und muss man über nicht ganz erreichte Ziele sprechen. Nicht um dann Köpfe rollen zu sehen (dazu sehe ich bei den Grünen überhaupt keinen Anlass!), sondern wie man sich inhaltlich besser positionieren kann und Kompetenzen in den nächsten fünf Jahre stärker erarbeiten kann. Was schon zu meinem nächsten Punkt führt:
Gefühlt habe ich es in diesem Wahlkampf hin und wieder, geäußert habe ich es intern auch: Der Antikorruptions-Wahlkampf war definitiv richtig. Es war der Humus, warum so viele Menschen neugierig waren, wer denn nun eigentlich diese Grünen sind, und was sie zu bieten haben. Und hier hat vielleicht die Draufgabe gefehlt. Das inhaltliche Angebot. Das sagt sich leicht, I know. Aber vielleicht müssen wir daran noch intensiver arbeiten. Damit diese vielen Menschen nicht nur bereit sind, bei den Grünen das Kreuzerl zu machen, sondern damit sie es auch tun.
Und der letzte Punkt betrifft den Spin der „Verbotspartei“. Warum der funktionierte, verstehe und weiß ich nicht. Aber gehört habe ich es oft. Auch bei vielen potenziellen Grün-Wähler_innen. Ob Kindergarten oder Ganztagsschule: Es ging um ein Angebot, das wir allen, die es brauchen, sichern wollten. Daraus wurde dieser Spin, der besorgniserregend aufging. Damit müssen wir umgehen und gegensteuern. Denn immerhin sind es Parteien wie die ÖVP, FPÖ und zur Zeit auch die Neos, die etwa Lesben und Schwulen immer noch das Heiraten verbieten wollen. Dieser Spin gehört demnächst noch genauer analysiert. Dazu fiele mir noch viel ein. Eine Herausforderung auf jeden Fall.
2. Die letzte Chance der Ex-Großen Koalition
Es wird wohl wieder rot-schwarz geben. Alles deutet darauf hin. Und im Grunde wäre es wohl das vernünftigste, wenn dies geschieht, weil ein schwarzblaustronach-Experiment kann die Republik sicher nicht brauchen. Andererseits ist das auch nichts Neues. Österreich hat seit den 80-er Jahren eine GroKo (mit Ausnahme des schwarzblau/orangen Experiments 2000-2006, das wir nur noch als die Korruptionsregierung in Erinnerung behalten werden). Und immer wieder hat uns rot-schwarz nach der Denkzettel-Wahl, die wir ja fast immer hatten, versprochen, es werde alles anders. Um dann genau nichts zu ändern.
Jetzt werden sie aber was tun müssen, wenn sie 2018 (oder davor) nicht untergehen wollen: Reformbereitschaft, Dialogbereitschaft, Bereitschaft auch Oppositionsanträge zu unterstützen, statt sie grundsätzlich immer abzulehnen, das Ende der Aufteilung der Republik, echte Korruptionsbekämpfung und -verhinderung, etc.
Ich bin mal gespannt. Wenn SPÖ und ÖVP sich aber nur noch vor der FPÖ fürchtet, droht ein Rechtsruck ohnegleichen. Das würde aber nur der FPÖ helfen, sicher nicht SPÖ und ÖVP. Und das wäre das Ende einer ehemals großen Koalition, die eigentlich eh niemand so recht will.
3. Das Dirty Campaigning der ÖVP
Die ÖVP war immer schon berüchtigt für ihren schmutzigen Wahlkampf. Und wer ÖVP-Accounts auf Twitter folgte, konnte sehen, wie Gift und Galle gespuckt wurde. Purer Hass gegen die Anderen war das Motto des ÖVP-Wahlkampfs. Wobei „die Anderen“ waren vor allem Rot und Grün. Gegen die wurde gefibelt, getwittert, plakatiert und gehetzt. Die FPÖ wurde dafür verschont. Warum eigentlich?
Ich bin mir sicher, dass die Leute von solchen Schmutzkübel-Kampagnen und Hetzereien die Schnauze voll haben. Die ÖVP macht seit Jahren – insbesondere aber seit der Wien-Wahl 2010, seit der „Mahü“ und in diesem Nationalratswahlkampf – nur noch Hass-Wahlkampf. Und wurde dafür mehrmals abgestraft. Zurecht. Ob sich was ändert? Ausgerechnet Karlheinz Kopf forderte gestern eine „neue politische Kultur“. Dies möge er bitte in internen Sitzungen fordern und nicht im TV.
4. Die Neos
Ich habe sie unterschätzt, nahezu ganz Rest-Österreich auch. Ich gratuliere den NEOS zum Einzug ins Parlament. Und da ich noch bevor ich ein Grüner bin vor allem ein Demokrat bin, finde ich den Einzug demokratiepolitisch spannend. Und sicher werden ÖVP und Grüne darüber nachdenken müssen, wieso sie etwas nicht anbieten konnten, das scheinbar die Neos für viele attraktiv machte. Und dabei meine ich jetzt nicht, dass die Grünen Positionen von den Neos übernehmen sollen.
Trotzdem bleibt meine Enttäuschung aufrecht, dass eine so genannte liberale Partei, Lesben und Schwule gegenüber nicht liberal ist, und etwa die Ehe (noch?) nicht öffnen will. Aus meiner Sicht ein krasser Etikettenschwindel.
5. Die Rechte
Was wir in Wahlen seit Ende der 80-er beobachten konnten (außer bei der Knittelfeld-Wahl 2002): Das rechte Lager ist stark und schafft es ihr Potenzial abzuschöpfen. Denn so stark die FPÖ wird, ebenso stark wird das Anti-FPÖ-Lager. Ich bin mir sicher, dass bei einer Wahl, bei der man die Partei wählen soll, die man am wenigsten mag, die FPÖ haushoch gewinnen würden (was auch SPÖ und ÖVP berücksichtigen sollten, bevor sie einen Rechtsruck vom Zaun brechen).
Die Gefahr wird aber vor allem groß, wenn es nur noch eine rechtspopulistische Partei gibt. Wenn BZÖ- und Stronach-Stimmen zur FPÖ wandern. Denn dann könnte sie schon bei der nächsten Wahl mit rund 30{6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7} am ersten Platz stehen, während 70{6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7} diese Partei zutiefst ablehnt. Und trotzdem würde sie diese 70{6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7} in Geiselhaft nehmen. Ein äußerst beunruhigender Gedanke. Genau so beunruhigend, dass für so viele Österreicher_innen offener Rassismus (trotzdem?) wählbar ist.
More to come I guess…
Ich hätte noch mehr zu schreiben. Zum Beispiel über die Gefahr, dass die „Empörungs-Shitstorm-Kultur“ auf beunruhigende Weise die Politik erreicht hat. Dass nicht mehr Inhalte und Standpunkte debattiert wird, sondern aufgehetzt, persönlich angegriffen und Gift und Galle gespuckt wird. Das tut uns allen nicht gut. Auch dazu hoffentlich bald mehr hier – und in vielen anderen Medien. Da müssen wir nämlich echt gegensteuern!