In diesem Blogbeitrag habe ich bereits meine Haltung zur Volksbefragung kundgetan. In den Wochen danach habe ich sehr intensiv darüber nachgedacht, ob ich zur Volksbefragung gehen werde und das eine oder andere mit „ja“ oder „nein“ beantworten soll, oder eben nicht. Ich habe mich entschieden, die Volksbefragung zu boykottieren und nicht hinzugehen.
Warum?
Eine große Motivation, warum ich ursprünglich zur Volksbefragung gehen wollte, ist mein tiefer Respekt vor der Demokratie. Volksbefragungen sind also ein wunderbares und viel zu selten angewandtes Mittel der Demokratie. Das Problem ist nur: Die Fragestellungen sind derart suggestiv, die Beantwortung bereits derart in der Fragestellung beeinflusst, dass genau diese Volksbefragung das Gegenteil von Demokratie darstellt. Es ist eine Verhöhnung der Demokratie! Das bedeutet schlussendlich, dass der soeben angesprochene Respekt vor der Demokratie sich nur gegen diese Volksbefragung richten kann.
Die Fragen
Gehen wir noch einmal die Fragen durch, um meine Haltung im Detail zu erklären:
1. Im Jahr 2000 wurde durch den Bundesgesetzgeber die Möglichkeit abgeschafft, Hausbesorger anzustellen. Eine bundesgesetzliche Neuregelung ist seither nicht zustande gekommen. Sind Sie dafür, dass in Wien die Möglichkeit geschaffen wird, neue HausbesorgerInnen (mit modernem Berufsbild) einzustellen? JA NEIN
Gleich im ersten Satz wird Schuld zugewiesen, nämlich der Bund. Der regelt das nämlich. Was bedeutet also die Frage? Wenn – was anzunehmen ist – so etwa 90 {6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7} mit „Ja“ abstimmen, was hat das dann für eine Konsequenz? Ein Resolutionsantrag des Wiener Gemeinderats, in dem der Bund aufgefordert wird wieder Hausbesorger_innen zu ermöglichen kann jetzt auch abgestimmt werden und kostet keine 7 Millionen Euro. Wahrscheinlich wäre eine überwältigende Mehrheit dafür. Was soll das also? Oder möchte Wien alle Kosten übernehmen? Warum wird das dann nicht gesagt? Und was sollen moderne Hausbesorger_innen eigentlich können? Sind das wieder Blockwarte wie zur Jahrhundertwende (die um 1900, teilweise noch die um 2000), oder sollen sie ein völlig neues Jobprofile bekommen? Sollen das auch sozial ausgebildete Menschen sein? Fragen über Fragen, die bitteschön zuerst beantwortet werden sollen, bevor irgend jemand da ein „Nein“ oder „Ja“ ankreuzt.
2. Internationale Studien zeigen, dass die Ganztagsschule der entscheidende Erfolgsfaktor für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie darstellt sowie das Bildungsniveau der Bevölkerung deutlich hebt.
Sind Sie für ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen in Wien ?
JA NEIN
Internationale Studien sind gut und schön. Welche denn? Diese Frage ist das beste Beispiel einer Suggestivfrage. Da könnten wir genau so fragen: Internationale Studien zeigen, dass Schokolade glücklich macht. Wollen Sie ein flächendeckendes Angebot an Schokolade in Wien? Nicht falsch verstehen: Ich bin sehr für Ganztagsschulen! Aber hier wird nicht ein demokratisch legitimes Pro und Contra zugelassen. Hier wird gleich suggestiv vermittelt: Wer „nein“ stimmt ist blöd. So etwas nennt man undemokratisch. Das ist DDR in Reinkultur.
3. Einige Großstädte (z. B. London, Stockholm) haben zur Bewältigung des innerstädtischen Verkehrs eine Einfahrtsgebühr für das Stadtzentrum eingeführt (Citymaut). In Wien konnte durch die Verkehrspolitik (Ausbau öffentlicher Verkehr, Parkraumbewirtschaftung, Wohnsammelgaragen, Ausbau Radwegenetz) in den letzten Jahren der Autoverkehr in der Stadt deutlich reduziert werden.
Soll in Wien eine Citymaut eingeführt werden ?
JA NEIN
Abgesehen davon, dass die Behauptung, der Autoverkehr hätte in den letzten Jahren abgenommen in stadteigenen Studien widerlegt wird: Was für ein Citymaut denn? Da gibt es so unendlich viele Modelle, dass man nicht reinen Gewissens mit „Ja“ oder „Nein“ abstimmen kann! Wo soll denn die Citymaut bezahlt werden? Stadtgrenze? Gürtel? Ring? Rund um Häupls Wohnung? Wie teuer soll sie denn sein? Wie wird sie abgrechnet und wie wird die Privatsphäre geschützt, falls elektronisch abgerechnet wird? Wird es mehr Park & Ride-Anlagen geben? Wie hoch wären die Einnahmen und wohin werden diese investiert? Diese Frage ohne klares Modell zu präsentieren ist purer Schwachsinn und Populismus.
4. In Wien fahren täglich Nachtbusse von 0.30 bis 5.00 Uhr. Ein 24-Stunden-U-Bahn-Betrieb am Wochenende (Freitag und Samstag) kostet pro Jahr 5 Millionen Euro und bewirkt veränderte Fahrtrouten der Nachtbusse an Wochenenden.
Sind sie dafür, dass die U-Bahn am Wochenende auch in der Nacht fährt ?
JA NEIN
Warum werden bei dieser Frage die Kosten erwähnt, aber beispielsweise bei den Ganztagsschulen nicht? Warum sagen die Wiener Linien uns, dass so etwas 2 Millionen Euro kosten würde? Sind diese Zahlen einfach aus dem linken Ärmel geschüttelt? Und warum sollen die Nachtautobusse geändert werden? Wer will und sagt das und wozu? Im übrigen kostet die Volksbefragung fast 7 Millionen Euro. Da könnte man schon eine Zeit lang die U-Bahn in der Nacht probeweise fahren lassen, ohne eine teure Volksbefragung zu initiieren. Die Grünen sind schon lange dafür, die ÖVP mittlerweile auch.
5. Seit 2006 wird in Wien ein freiwilliger Hundeführschein angeboten. Der Hundeführschein ist eine fundierte Ausbildung für Hundehalter/innen, bei welcher der richtige Umgang mit Hunden erlernt wird. Bei der Prüfung müssen die Hundehalter/innen zeigen, dass sie den Hund auch in schwierigen Situationen im Griff haben.
Sind Sie dafür, dass es in Wien für sogenannte „Kampfhunde“ einen verpflichtenden Hundeführschein geben soll ?
JA NEIN
Ich gebe zu, da kenne ich mich bei diesem Thema nicht besonders gut aus. So wird es wohl fast allen Menschen ohne Hund gehen, die sich mehr über Kot ärgern. Aber: Wann wird ein Hund ein Kampfhund? Und warum sollen Menschen bei Nicht-Kampfhunden nicht auch einen Führschein machen müssen? Können die nicht auch in schwierige Situationen kommen? Alle Hunderassen können belästigen, auch wenn sie nicht auf Kampf trainiert sind. Skurilles Detail am Rande: Die Frage ist völlig falsch formuliert. Denn gefragt wird, ob es für „Kampfhunde“ einen Hundeführschein geben soll. Gemeint sind wohl die Hundehalter_innen. 😉
Gibt es also einen Grund zur Volksbefragung zu gehen? Nein, soweit ist mir klar. Denn diese Volksbefragung gefährdet wichtigste demokratische Grundregeln: Pro & Kontra, Debatte, Klarheit worüber abgestimmt wird, offen und neutral formulierte Fragen. Das ist nur ein Wahlkampfgag. Dafür fast 7 Millionen Euro Steuergeld auszugeben ist ein Wahnwitz. Darüber das Volk zu befragen geht aber erst am 10.10.2010. Denn dann wählt Wien einen neuen Landtag und Gemeinderat.