Michael Häupl und HC Strache werden sich vermutlich sehr freuen, haben sie doch ihr gewünschtes (und absurdes) Duell um Wien ausgerechnet bei der Frage, ob denn die SPÖ eine „Islamistenpartei“* sei, wie die FPÖ meinte. Häupl verlangte heute eine Entschuldigung.Absurd sind beide Äußerungen, aber nehmen wir doch einfach einmal an, man dürfte doch irgendeine Partei hier in der Stadt eine „Islamistenpartei“ nennen. Ich würde diesen zweifelhaften Award ohne zu zögern der FPÖ geben.Warum?Wer als Migrant oder Migrantin nach Wien kommt, wird in diesen Jahren Anderes erleben, als etwa die so genannten „Gastarbeiter“ es in den 70-er Jahren erfahren konnten. Damals dachte man noch, dass die eh wieder alle zurück gehen und man brauchte sie ja gerade irgendwie. Die FPÖ hat aber seit über zwei Jahrzehnten ein Klima der Feindseligkeit geschaffen. Dieser Feindseligkeit haben sich große Teile der ÖVP (Fekter!) angeschlossen. Aber auch die SPÖ meint, der FPÖ hinterher hinken zu müssen und macht fleißig mit beim Beschließen von strengerem Fremden- oder Asylrecht.Das Klima, das sich wie ein Virus verbreitete – die „Ausländer“ seien an allem Schuld – führte zwangsläufig zu einem Besinnen auf andere Werte und andere Vorstellungen innerhalb der zugewanderten Communities. Warum soll ein junger Mensch, dem aufgrund seiner Herkunft keine Karriere ermöglicht wird, sich großartig bemühen, wenn die aufnehmende Gesellschaft ohnehin nur sagt, wie furchtbar diese „Ausländer“ nicht sind? Man kann dies oft sogar bei der 2. Generation beobachten. Die Identitätssuche junger Migrant_innen kann daher von radikalen Kräfte missbraucht werden. Im Grunde treibt die FPÖ junge Menschen in die Fänge dieser radikalen Kräfte. Denn sie hat dieses Klima zu verantworten.Die FPÖ braucht zudem die von ihr als „Parallelwelten“ bezeichnete Gesellschaft. Die FPÖ braucht mehr Kopftücher, Schleier, nicht deutsch sprechende Menschen, um auf diese zeigen zu können: Sehr her! Wir haben es immer gesagt! Sie braucht die Migrant_innen für ihre Stimmenmaximierung. So erklärt sich ja auch, dass die FPÖ absurderweise Plakate wie „Deutsch statt nix verstehen“ affichiert, aber im Gemeinderat nahezu jeden Deutschkurs oder Sprachoffensive ablehnt. Sie will nur Prozente, sonst nix. Mit Politik hat das jedenfalls nichts mehr zu tun.(Weiterführender LINK: Blogbeitrag vom 9.6.2009 „Warum eine FPÖ-Stimme mehr Migration bedeutet.“)Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen. Was wären also die geeigneten Maßnahmen, um eine (übrigens sehr sehr kleine!) Minderheit der Migrant_innen vor den Fängen von radikal-islamistischen Strömungen zu beschützen?Es kann nur bedeuten, Integrations- und Diversitätspolitik endlich ernsthaft anzugehen. Es ist eine harte Arbeit, aber sie MUSS gemacht werden, u.a.:Bildungschancen für alle, und keine Zwei- oder Drei-Klassen-Schulen, sodass bereits Sechsjährige die Arschkarte ziehen und nie eine Chance auf Karriere haben werden.Eine freundliche Aufnahme und Begleitung von Zugewanderten, denen alle Möglichkeiten und Bildungen angeboten werden, deren Qualifaktionen aus dem Herkunftsland anerkannt werden – aber denen auch Grundregeln von Menschenrechten, Demokratie und Gleichbehandlung nahegelegt werden.Die Chance begreifen, was Vielsprachigkeit einer Stadt bedeutet – für die Kultur und für die Wirtschaft!Die 2. und 3. Generation nicht als Migrant_innen sehen, sondern als unsere eigenen Wiener Kinder.Ich kenne kaum ein europäisches Land, in dem etwa beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen kaum Migrant_innen zu sehen sind. Warum wird die ZiB nicht von einem Menschen bosnischer Herkunft moderiert? Das ist dieses Klima, das ich meine – geschürt von der FPÖ, beschleunigt durch Krone-Leserbriefe und Fekterscher Innenpolitik (im Fall des nicht existierenden ZiB-Moderators auch verschuldet durch den ORF selbst), das sich in diesem Land auf widerwärtige Art festgesetzt hat.Zudem: Wer globale Migrationsströme verstehen will und dagegen etwas unternehmen möchte, wird nicht umhin können, unser Wirtschaftssystem und den Klimawandel zu berücksichtigen – und verstehen, dass hier der Grund fürMigration liegt. Die Kürzung von Hilfsgeldern für arme Staaten ist also auch nicht die Lösung, sondern bewirkt genau das Gegenteil. Erstaunlicherweise ist es wieder die FPÖ, die keine armen Regionen in der Welt Geld geben will. Was allerdings mehr globale Migration bedeuten würde.*Ich lege natürlich Wert darauf, hier festzuhalten, dass radikale Strömungen innerhalb des Islams eine kleine Minderheit ist. Das Pauschalieren, den Islam insgesamt als Böse zu bezeichnen (und andere Religionen auszusparen oder gar – siehe Holzkreuz – sie gegen den Islam zu benutzen) ist einfach falsch. Radikale Kräfte sind ein Problem, und dem gehört natürlich auch politisch begegnet.
Michael Häupl
Wien will's nicht wirklich wissen. Warum ich die Volksbefragung boykottieren werde.
In diesem Blogbeitrag habe ich bereits meine Haltung zur Volksbefragung kundgetan. In den Wochen danach habe ich sehr intensiv darüber nachgedacht, ob ich zur Volksbefragung gehen werde und das eine oder andere mit „ja“ oder „nein“ beantworten soll, oder eben nicht. Ich habe mich entschieden, die Volksbefragung zu boykottieren und nicht hinzugehen.
Warum?
Eine große Motivation, warum ich ursprünglich zur Volksbefragung gehen wollte, ist mein tiefer Respekt vor der Demokratie. Volksbefragungen sind also ein wunderbares und viel zu selten angewandtes Mittel der Demokratie. Das Problem ist nur: Die Fragestellungen sind derart suggestiv, die Beantwortung bereits derart in der Fragestellung beeinflusst, dass genau diese Volksbefragung das Gegenteil von Demokratie darstellt. Es ist eine Verhöhnung der Demokratie! Das bedeutet schlussendlich, dass der soeben angesprochene Respekt vor der Demokratie sich nur gegen diese Volksbefragung richten kann.
Die Fragen
Gehen wir noch einmal die Fragen durch, um meine Haltung im Detail zu erklären:
1. Im Jahr 2000 wurde durch den Bundesgesetzgeber die Möglichkeit abgeschafft, Hausbesorger anzustellen. Eine bundesgesetzliche Neuregelung ist seither nicht zustande gekommen. Sind Sie dafür, dass in Wien die Möglichkeit geschaffen wird, neue HausbesorgerInnen (mit modernem Berufsbild) einzustellen? JA NEIN
Gleich im ersten Satz wird Schuld zugewiesen, nämlich der Bund. Der regelt das nämlich. Was bedeutet also die Frage? Wenn – was anzunehmen ist – so etwa 90 {6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7} mit „Ja“ abstimmen, was hat das dann für eine Konsequenz? Ein Resolutionsantrag des Wiener Gemeinderats, in dem der Bund aufgefordert wird wieder Hausbesorger_innen zu ermöglichen kann jetzt auch abgestimmt werden und kostet keine 7 Millionen Euro. Wahrscheinlich wäre eine überwältigende Mehrheit dafür. Was soll das also? Oder möchte Wien alle Kosten übernehmen? Warum wird das dann nicht gesagt? Und was sollen moderne Hausbesorger_innen eigentlich können? Sind das wieder Blockwarte wie zur Jahrhundertwende (die um 1900, teilweise noch die um 2000), oder sollen sie ein völlig neues Jobprofile bekommen? Sollen das auch sozial ausgebildete Menschen sein? Fragen über Fragen, die bitteschön zuerst beantwortet werden sollen, bevor irgend jemand da ein „Nein“ oder „Ja“ ankreuzt.
2. Internationale Studien zeigen, dass die Ganztagsschule der entscheidende Erfolgsfaktor für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie darstellt sowie das Bildungsniveau der Bevölkerung deutlich hebt.
Sind Sie für ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen in Wien ?
JA NEIN
Internationale Studien sind gut und schön. Welche denn? Diese Frage ist das beste Beispiel einer Suggestivfrage. Da könnten wir genau so fragen: Internationale Studien zeigen, dass Schokolade glücklich macht. Wollen Sie ein flächendeckendes Angebot an Schokolade in Wien? Nicht falsch verstehen: Ich bin sehr für Ganztagsschulen! Aber hier wird nicht ein demokratisch legitimes Pro und Contra zugelassen. Hier wird gleich suggestiv vermittelt: Wer „nein“ stimmt ist blöd. So etwas nennt man undemokratisch. Das ist DDR in Reinkultur.
3. Einige Großstädte (z. B. London, Stockholm) haben zur Bewältigung des innerstädtischen Verkehrs eine Einfahrtsgebühr für das Stadtzentrum eingeführt (Citymaut). In Wien konnte durch die Verkehrspolitik (Ausbau öffentlicher Verkehr, Parkraumbewirtschaftung, Wohnsammelgaragen, Ausbau Radwegenetz) in den letzten Jahren der Autoverkehr in der Stadt deutlich reduziert werden.
Soll in Wien eine Citymaut eingeführt werden ?
JA NEIN
Abgesehen davon, dass die Behauptung, der Autoverkehr hätte in den letzten Jahren abgenommen in stadteigenen Studien widerlegt wird: Was für ein Citymaut denn? Da gibt es so unendlich viele Modelle, dass man nicht reinen Gewissens mit „Ja“ oder „Nein“ abstimmen kann! Wo soll denn die Citymaut bezahlt werden? Stadtgrenze? Gürtel? Ring? Rund um Häupls Wohnung? Wie teuer soll sie denn sein? Wie wird sie abgrechnet und wie wird die Privatsphäre geschützt, falls elektronisch abgerechnet wird? Wird es mehr Park & Ride-Anlagen geben? Wie hoch wären die Einnahmen und wohin werden diese investiert? Diese Frage ohne klares Modell zu präsentieren ist purer Schwachsinn und Populismus.
4. In Wien fahren täglich Nachtbusse von 0.30 bis 5.00 Uhr. Ein 24-Stunden-U-Bahn-Betrieb am Wochenende (Freitag und Samstag) kostet pro Jahr 5 Millionen Euro und bewirkt veränderte Fahrtrouten der Nachtbusse an Wochenenden.
Sind sie dafür, dass die U-Bahn am Wochenende auch in der Nacht fährt ?
JA NEIN
Warum werden bei dieser Frage die Kosten erwähnt, aber beispielsweise bei den Ganztagsschulen nicht? Warum sagen die Wiener Linien uns, dass so etwas 2 Millionen Euro kosten würde? Sind diese Zahlen einfach aus dem linken Ärmel geschüttelt? Und warum sollen die Nachtautobusse geändert werden? Wer will und sagt das und wozu? Im übrigen kostet die Volksbefragung fast 7 Millionen Euro. Da könnte man schon eine Zeit lang die U-Bahn in der Nacht probeweise fahren lassen, ohne eine teure Volksbefragung zu initiieren. Die Grünen sind schon lange dafür, die ÖVP mittlerweile auch.
5. Seit 2006 wird in Wien ein freiwilliger Hundeführschein angeboten. Der Hundeführschein ist eine fundierte Ausbildung für Hundehalter/innen, bei welcher der richtige Umgang mit Hunden erlernt wird. Bei der Prüfung müssen die Hundehalter/innen zeigen, dass sie den Hund auch in schwierigen Situationen im Griff haben.
Sind Sie dafür, dass es in Wien für sogenannte „Kampfhunde“ einen verpflichtenden Hundeführschein geben soll ?
JA NEIN
Ich gebe zu, da kenne ich mich bei diesem Thema nicht besonders gut aus. So wird es wohl fast allen Menschen ohne Hund gehen, die sich mehr über Kot ärgern. Aber: Wann wird ein Hund ein Kampfhund? Und warum sollen Menschen bei Nicht-Kampfhunden nicht auch einen Führschein machen müssen? Können die nicht auch in schwierige Situationen kommen? Alle Hunderassen können belästigen, auch wenn sie nicht auf Kampf trainiert sind. Skurilles Detail am Rande: Die Frage ist völlig falsch formuliert. Denn gefragt wird, ob es für „Kampfhunde“ einen Hundeführschein geben soll. Gemeint sind wohl die Hundehalter_innen. 😉
Gibt es also einen Grund zur Volksbefragung zu gehen? Nein, soweit ist mir klar. Denn diese Volksbefragung gefährdet wichtigste demokratische Grundregeln: Pro & Kontra, Debatte, Klarheit worüber abgestimmt wird, offen und neutral formulierte Fragen. Das ist nur ein Wahlkampfgag. Dafür fast 7 Millionen Euro Steuergeld auszugeben ist ein Wahnwitz. Darüber das Volk zu befragen geht aber erst am 10.10.2010. Denn dann wählt Wien einen neuen Landtag und Gemeinderat.
Volksbefragung der SPÖ Wien: Demokratie à la DDR
Volksbefragungen sind ein wunderbares direkt-demokratisches Instrument, vor dem man Respekt und Hochachtung haben muss. Als leidenschaftlicher Demokrat war ich von der Idee einer Volksbefragung zu mehreren Themen und mit mehreren Fragestellungen anfangs begeistert – obwohl mir klar war, dass die Wiener Volksbefragung der SPÖ Wien, die vor kurzem angekündigt wurde, so knapp vor dem Wahltermin am 10.10.2010 ein Wahlkampfmittel ist, und wohl weniger ein ernsthafter demokratischer Prozess. Meine Befürchtungen haben sich heute in dramatischer Weise bewahrheitet. Die Unverschämtheit der SPÖ ist nicht zu fassen (und kostet so nebenbei fast 7 Millionen EURO). Im Grunde fehlt nur noch, dass die Wiener SPÖ bei ihrer großspurig angekündigten Volksbefragung ein riesengroßes Kästchen für das von ihr gewünschten Ergebnis gestaltet und ein dementsprechendes kleineres Kästchen daneben.
Aber da die Leser_innen meines Blogs sich am besten selbst ein Bild machen kann, hier die heute im Gemeinderat als Antrag eingebrachten Fragen, über die die Wiener Bevölkerung abstimmen soll:
1. Im Jahr 2000 wurde durch den Bundesgesetzgeber die Möglichkeit abgeschafft, Hausbesorger anzustellen. Eine bundesgesetzliche Neuregelung ist seither nicht zustande gekommen.
Sind Sie dafür, dass in Wien die Möglichkeit geschaffen wird, neue HausbesorgerInnen (mit modernem Berufsbild) einzustellen?
JA NEIN
2. Internationale Studien zeigen, dass die Ganztagsschule der entscheidende Erfolgsfaktor für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie darstellt sowie das Bildungsniveau der Bevölkerung deutlich hebt.
Sind Sie für ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen in Wien ?
JA NEIN
3. Einige Großstädte (z. B. London, Stockholm) haben zur Bewältigung des innerstädtischen Verkehrs eine Einfahrtsgebühr für das Stadtzentrum eingeführt (Citymaut). In Wien konnte durch die Verkehrspolitik (Ausbau öffentlicher Verkehr, Parkraumbewirtschaftung, Wohnsammelgaragen, Ausbau Radwegenetz) in den letzten Jahren der Autoverkehr in der Stadt deutlich reduziert werden.
Soll in Wien eine Citymaut eingeführt werden ?
JA NEIN
4. In Wien fahren täglich Nachtbusse von 0.30 bis 5.00 Uhr. Ein 24-Stunden-U-Bahn-Betrieb am Wochenende (Freitag und Samstag) kostet pro Jahr 5 Millionen Euro und bewirkt veränderte Fahrtrouten der Nachtbusse an Wochenenden.
Sind sie dafür, dass die U-Bahn am Wochenende auch in der Nacht fährt ?
JA NEIN
5. Seit 2006 wird in Wien ein freiwilliger Hundeführschein angeboten. Der Hundeführschein ist eine fundierte Ausbildung für Hundehalter/innen, bei welcher der richtige Umgang mit Hunden erlernt wird. Bei der Prüfung müssen die Hundehalter/innen zeigen, dass sie den Hund auch in schwierigen Situationen im Griff haben.
Sind Sie dafür, dass es in Wien für sogenannte „Kampfhunde“ einen verpflichtenden Hundeführschein geben soll ?
JA NEIN
Die Suggestiv-Formulierungen, die den Fragen voran gestellt werden, machen diese Volksbefragung zur demokratiepolitischen Farce. In einem Stil, den man eigentlich nur aus DDR-Zeiten kennt, werden Behauptungen aufgestellt, die mehr oder weniger die Abstimmung vorab klar machen – fast schon als Befehl. Dabei wird auch noch die Unwahrheit behauptet, etwa wenn gesagt wird, dass die Stadt ja so erfolgreich beim reduzieren des Auroverkehrs in der Innenstadt wäre. Stimmt einfach nicht! Oder wenn bei der Gesamtschule (ich bin dafür!) schon vorab gesagt wird: So ist’s gescheit, wie Studien sagen! Das ist Suggestion pur.
Es fehlen Pro und Kontras, Fragen und Behauptungen vorab werden nicht neutral formuliert.
So funktioniert Demokratie nicht, Wiener SPÖ! Mit diesen Formulierungen hat die SPÖ ihren Respekt vor der Direkt-Demokratie bewiesen: Sie hat nämlich keinen! SO funktioniert Demokratie im 21. Jahrhundert nicht mehr. Partizipation schaut anders aus.
Der 100. Geburtstag von Miep Gies, Retterin der Anne Frank-Tagebücher und gebürtige Wienerin, wurde überall gefeiert. Nur nicht in Wien.
Miep Gies, am 15.2.1909 als Hermine Santrouschitz (auch Santruschitz geschrieben) in Wien geboren, feierte vor kurzem ihren 100. Geburtstag. Sie half der Familie von Anne Frank in ihrem Versteck in Amsterdam und rettete die berühmten Tagebücher des jüdischen Mädchens. Ob in den Niederlanden, in Israel oder in den USA: Überall wird sie als Heldin gefeiert. In Wien fehlt allerdings eine offizielle Würdigung. Das will ich ändern.
Als gebürtiger Niederländer ist mir dir Geschichte von Miep Gies seit meiner Kindheit vertraut. Umso überraschter bin ich immer wieder, dass in Wien kaum jemand weiß, dass sie eine gebürtige Wienerin ist. Miep Gies ist ein Musterbeispiel von Zivilcourage und Menschlichkeit. Daher beantragte ich vor einigen Tagen sowohl bei Bürgermeister Michael Häupl als auch bei Bundespräsident Heinz Fischer, Miep Gies offiziell zu würdigen und zu ehren. Immerhin ist sie der letzte noch lebende Mensch, der Anne Frank noch persönlich kannte.
Diesen Vorschlag hat auch der KURIER in seiner morgigen Ausgabe (3.4.2009) aufgenommen und berichtet darüber (leider nicht online), worüber ich mich sehr freue, da der Artikel sicher eine Hilfe dabei ist. Der Bundespräsident hat mir übrigens schon mitteilen lassen, dass eine Ehrung auf dem Weg ist. Was sehr erfreulich ist!
Der Wien-Bezug Anne Franks ist übrigens vielschichtiger, als den meisten Wiener_innen bekannt sein durfte. Auch der Mann, der 1944 die Familie Frank und die anderen untergetauchten Juden verhaftete, war ein Wiener: SS Oberscharführer Karl Silberbauer. Der war übrigens bei der Verhaftung völlig verdutzt, als Miep Gies sagte. „Sie sind ein Wiener! Ich auch.“ Das rettete Miep Gies im übrigen vor einer Verhaftung. Dabei ließ es die tapfere Frau aber auch nicht. Denn danach versuchte sie Silberbauer zu bestechen, damit er die Familie Frank freilässt.
Meine Kolleg_innen bei den Meidlinger Grünen, insbesondere Klubobmann Andreas Stöhr, und ich werden jedenfalls mit einigen Wünschen an die Stadt und an den Bezirk herangehen:
Benennung des Steinhage-Parks in Anne Frank-Park: Der Park zwischen Korbergasse (in Haus Nummer 12 lebte Miep Gies vor ihrer Reise in die Niederlande) und Steinhagegasse wird demnächst neu gestaltet. Zu diesem Anlass beantragen die Meidlinger Grünen die Umbenennung in Anne Frank-Park. Bislang ist keine Gasse oder Straße in Wien nach Anne Frank benannt.
Hinweisschild am ehemaligen Wohnhaus: Wir werden Gespräche führen, damit am ehemaligen Wohnhaus von Miep Gies in der Korbergasse 12 ein Schild angebracht wird. Diesbezügliche Gespräche mit einigen EigentümerInnen, sowie dem Niederländischem Verein in Wien (De Nederlandse Vereniging Wenen) sind am Laufen.
Offizielle Ehrungen: Der Bürgermeister der Stadt Wien, Michael Häupl, sowie Bundespräsident Heinz Fischer wurden von mir bereits angeschrieben. Darin werden sie ersucht, Miep Gies mit offiziellen Verdienstzeichen zu ehren. Von Michael Häupl hat mit übrigens mündlich zugesichert, dass eine Ehrung schnell ermöglicht werden soll. Der Bundespräsident will es, wie oben beschrieben, auch tun.
Schulprojekte: In Schulprojekten sollte die Geschichte der gebürtigen Wienerin Miep Gies Anlass zu historischer Auseinandersetzung mit den Tagebüchern der Anne Frank, sowie der Geschichte des Nationalsozialismus sein. Wir haben auch die Anne Frank-Stiftung kontaktiert, um herauszubekommen, an welcher Schule Miep Gies war. Denn gerade dort wäre ein Anne Frank-Projekt sehr, sehr schön! Wer Hinweise geben kann, den oder die bitte ich um eine Mail!
Biografie Miep Gies, geb. Hermine Santrouschitz
Kindheit in Wien, Leiden und Amsterdam
Miep Gies wurde am 15. Februar 1909 in Wien geboren. Sie erlebte den Ersten Weltkrieg als Kind einer Arbeiterfamilie. Nach dem Krieg gab es Hunger und Not in Wien. Als 1919 in der Familie ein zweites Kind geboren wurde, ergab sich 1920 eine gute Gelegenheit für die oft kranke Hermine. Die Niederländische Arbeiterberwegung (Nederlandse arbeidersvereniging) ermöglichte österreichischen Kindern aus in Not geratenen ArbeiterInnen-Familien die Möglichkeit, einige Monate in den Niederlanden zu verbringen. Im Dezember 1920 begab sich Hermine nach Holland.
Sie kam in Leiden an, wo sie Aufnahme in der Familie Nieuwenburg fand. Sie fühlte sich wohl, wurde liebevoll umsorgt, hatte wieder zu essen und wurde mittleweile „Miep“ genannt. Bereits 1921 sprach sie so gut Niederländisch, dass sie Klassenbeste wurde. 13-jährig übersiedelte Miep Santrouschitz mit ihrer Pflegefamilie ins Stadtteil Rivierenbuurt in Amsterdam.
1925 besuchte sie mit ihrer Pflegefamilie ihre Eltern und Schwester in Wien. Sowohl sie, als auch ihre Eltern, merkten bald, dass sie sich sehr an die Niederlande gewöhnt hatte und durfte mit der Familie Nieuwenburg nach Amsterdam zurückkehren. Dort schrieb sie – genau wie Anne Frank – intime Gedanken und Notizen, die sie allerdings später aus Scham vernichtete. Mit 18 Jahren verließ Miep die Schule und wurde Sekretärin in einem Textilbetrieb. 1933, mitten in der Weltwirtschaftskrise, wurde sie gekündigt. Sie war einige Monate arbeitslos, als ein Nachbar auf eine Firma hinwies, bei der sie womöglich arbeiten könnte. Die Firma hieß N.V. Nederlandsche Opekta Mij. und war auf das Produkt Opekta spezialisiert, einem Geliermittel, das beim Herstellen von Marmelade benützt wurde. Sie traf den Direktor des Betriebs und bekam den Job. Der Direktor hieß Otto Frank, Vater von Anne Frank.
Arbeit für Otto Frank
Mit Otto Frank – der noch alleine in Amsterdam lebte und auf seine Familie, die sich noch in Aachen aufhielt, wartete – verstand sich Miep sehr gut. Er entschuldigte sich für sein holpriges Niederländisch, worauf sie beide sich schnell in ihrer beider Muttersprache unterhielten: Deutsch. In einem Werbefilm für Opekta sah man Miep, wie sie Marmelade einkochte. Sie sprachen viel über Politik und beide waren gegen Hitler, der soeben Reichskanzler wurde und weswegen Frank nach Amsterdam übersiedelte. Die Familie Frank kam bis 1934 nach und lebte fortan in der niederländischen Hauptstadt. 1940 übersiedelte die Firma in ein größeres Haus an der Prinsengracht 263, heute das berühmte Anne Frank-Haus und -Museum.
Jan Gies
Noch in ihrer Zeit in der Textilfabrik lernte Miep Jan Gies kennen, mit dem sie auch ihr liebstes Hobby pflegte: Tanzen und ins Kino gehen. Die Wohnungssuche zu dieser Zeit war enorm schwierig, aber Voraussetzung für eine Hochzeit. Viele Flüchtlinge aus Deutschland und später aus Österreich und Polen kamen nach Amsterdam. 1938 wurde Österreich von den Nazis besetzt. Miep schrieb daraufhin einen Brief an Königin Wilhelmina und bat um die Niederländische Staatsbürgerschaft.
Die NS-Besatzung der Niederlande
1940 wurde die Niederlande von den Deutschen besetzt, Rotterdam zerstört. Otto Frank half damals und fand für Jan und Miep eine Wohnung. Es fehlte nur noch die Hochzeit, für die sie noch zuwenig Geld hatten. Sie waren mittlerweile auch privat mit der Familie Frank befreundet. Anfangs ging das normale Leben in Amsterdam weiter, doch nach und nach wurden Maßnahmen gegen die Juden in Amsterdam gesetzt. Miep machte sich nicht nur um die Familie Frank zunehmend Sorgen, sondern auch um sich selbst: Denn eines Tages wurde sie zum Deutschen Konsulat gerufen. Dort fragte man Miep, die noch immer die Österreichische Staatsbürgerschaft hatte, ob es stimme, dass sie sich geweigert habe in einer NS-Organisation beizutreten. Sie meinte, dass das stimme. Daraufhin wurde ihr mitgeteilt, dass sie in den nächsten drei Monaten nach Wien zurückzukehren habe. Zudem würde in dieser Zeit ohnehin ihr Reisepass ablaufen. Der einzige Ausweg war einen Niederländer zu heiraten, wofür sie jedoch den Auszug aus dem Wiener Geburtsregister benötigte – und darauf wartete man meist bis zu einem Jahr.
Ein Onkel in Wien half, ging aufs Magistrat und traf dort eine Wiener Beamtin, die schon einmal in den Niederlanden war und schöne Erinnerungen behielt. Deshalb beschleunigte sie den Vorgang und Miep hielt sehr bald das benötigte Dokument in Händen. Am 16. Juli 1941 heirateten Miep und Jan Gies. Miep war nun Niederländerin.
Das Versteck an der Prinsengracht
Einige Monate später musste sie erneut „Ja“ sagen. Otto Frank erzählte ihr von seinen Plänen, sich mit anderen befreundeten Personen vor den Nationalsozialisten im Hinterhaus seines Hauses an der Prinsengracht verstecken zu wollen. Miep und Jan versprachen zu helfen und den untergetauchten Personen mit Lebensmittel und Zeitungen zu versorgen. Nicht nur das: Jan und Miep versteckten ab 1943 wiederum auch in ihrem Haus einen untergetauchten niederländischen Studenten, der sich weigerte eine Deutsche Loyalitätserklärung zu unterschrieben.
1942 versteckten sich die Famile Frank (Otto, seine Frau Edith sowie die Töchter Margot und Annelies Marie – kurz Anne) mit der Familie Pels (in Anne Franks Tagebuch Familie van Daan genannt) und Fritz Pfeffer (im Tagebuch Albert Dussel genannt) im Hinterhaus an der Prinsengracht 263.
Jan und Miep Gies (im Tagebuch Anne Franks Henk und Anne van Santen genannt) werden zwei der fünf HelferInnen der untergetauchten Menschen. Der Gewürzzweig der Firma wurde mittlerweile in Gies & Co. umbenannt und offiziell wurde Jan Gies Geschäftsführer. Allerdings regelte Otto Frank die Firmengeschicke nach wie vor aus seinem Versteck. Miep Gies betrat jeden Tag als erste das Büro und besuchte die Untergetauchten mit Lebensmitteln und Büchern aus der Bibliothek und holte die Einkaufsliste für den nächsten Tag ab. Jan Gies, der für die Gemeinde Amsterdam arbeitete und Verbindungen zur Widerstandsbewegung hatte, organisierte Wertmarken für die Untergetauchten. Im Laufe des Krieges wurde das Organisieren von Lebensmittel immer schwieriger. Miep Gies musste (mit dem in ihrem Haus versteckten Studenten) für elf Menschen einkaufen.
Am 4. August 1944 saß Miep Gies mit ihren (ebenfalls Familie Frank helfenden) KollegInnen Bep und Johannes Kleiman im Büro an der Prinsengracht, als plötzlich ein bewaffneter Mann in der Tür stand, und seine Pistole auf sie richtete. Jemand hatte die versteckten Menschen im Hinterhaus verraten. Miep Gies sollte ebenfalls verhaftet werden, hatte aber Glück. Der Leiter der Operation war SS Oberscharführer Karl Silberbauer, wie Miep Gies ein gebürtiger Wiener. „Aus persönlicher Symphatie“ entgeht Miep einer Verhaftung.
Die Familie Frank wird in verschiedenen Konzentrationslagern verschleppt. Nur Otto Frank sollte zurückkehren.
Befreiung und nach dem Krieg
Nach der Befreiung der Niederlande und dem Ende des NS-Regimes kehrte nur Otto Frank zurück. Nach seiner Rückkehr lebte er bei Jan und Miep Gies. Er vertraute sie am meisten und ging mit Miep täglich in seine Firma. Als Otto Frank vom Tod seiner Töchter hörte, griff Miep Gies in ihre Schublade und überreichte Otto Frank die von ihr geretteten Tagebücher von Anne Frank mit den Worten „Das ist das Erbe ihrer Tochter Anne“. Sie hatte niemals eine Zeile darin gelesen. Otto Frank übersetzte Teile des Tagebuchs selbst ins Deutsche. Sonntags traf er sich gerne mit jüdischen Freunden aus Amsterdam, die ebenfalls viele Angehörige verloren hatten.
1947 überredete ihn ein Freund, ihm einige Zeilen von Annes Tagebuch zu lesen zu geben. Auch ein Journalist der Zeitung Het Parool, Jan Romein, kannte Fragmente und schrieb darüber einen Beitrag. Otto Frank wurde schließlich überredet, die von Miep Gies geretteten Tagebücher zu veröffentlichen. Das geschah 1947. Miep Gies wollte das Tagebuch „Het Achterhuis“ lange nicht lesen, aber als die zweite Ausgabe erschien las sie das Buch in einem durch. Otto Frank verbrachte mittlerweile seine Arbeit nur noch mit dem Erbe seiner Tochter. Miep Gies kündigte 1947. 1948 wurde nicht nur Juliana neue Königin der Niederlande, sondern Jan Gies gewann eine Summe im Lotto. Mit diesem Geld reisten sie in die Schweiz und besuchten mit Otto Frank auch seine Mutter in Basel. 1949 wurde Miep Gies Mutter und gebar Paul Gies.
Nachdem er sieben Jahre bei Jan und Miep Gies wohnte, ging Otto Frank 1953 nach Basel, wo seine Mutter lebte. Er blieb bis zu seinem Tod 1980 in Kontakt mit der Familie Gies.
1993 starb Jan Gies. Bald darauf übersiedelte Miep Gies in eine kleine Stadt, wo sie bis heute – 100-jährig – bei guter Gesundheit lebt. Sie erhielt mehrere Auszeichnungen in den Niederlanden, in Deutschland und in Israel die Yad Vashem-Auszeichnung. Aus ihrer Geburtsstadt Wien erhielt sie jedoch noch keine Auszeichnungen. Seit dem Tod ihres Mannes tritt Miep Gies nicht mehr öffentlich auf, verbreitet die Geschichte von Anne Frank aber nach wie vor auf der von ihr autorisierten Website www.miepgies.nl.
Foto: Miep Gies im Alter von 99 Jahren, Oktober 2008, Copyright: Anne Frank-Stiftung
Biografie wurde von mir aus den Materialien auf der Website von Miep Gies und aus ihrem Buch „Mein Leben mit Anne Frank“ erstellt.