Ein Goldener Rathausmann für Miep Gies, geb. Hermine Santrouschitz

Als ich vor einigen Monaten über den 100. Geburtstag von Miep Gies, als Hermine Santrouschitz in Wien geboren, bloggte (hier), schaffte ich immerhin, dass die Retterin der Tagebücher von Anne Frank auch in ihrer Geburtsstadt nicht vergessen wird. Der Kurier berichtete groß über die Ex-Meidlingerin. Am Rande einer Gemeinderatssitzung im April fragte ich Bürgermeister Michael Häupl, ob er sie nicht ehren könne. Häupl unterstützte das sofort und stellte den sehr selten überreichten Goldenen Rathausmann für Miep Gies zur Verfügung. Zugleich wurde ich gebeten, die Überreichung vorzunehmen. Das geschah heute.
Ich schreibe diese Zeilen gerade in Amsterdam und verbrachte den heutigen Vormittag im Anne Frank-Haus. Die Freude über die Ehrung an Miep Gies war sehr groß und im Haus spürbar! Miep Gies selbst konnte leider nicht anwesend sein. Seit ihrem 100. Geburtstag lebt sie zurückgezogen in einer kleinen nordholländischen Stadt. Der Aufenthaltsort wird von der Anne Frank-Stiftung geheim gehalten, da sie niemanden mehr empfangen will. Aber immerhin: Sie lebt noch alleine und selbstständig, wie mir erzählt wurde. Sie liest täglich zwei Zeitungen (darunter das berühmte ehemalige Widerstandsblatt Het Parool) und macht sich derzeit vor allem über den Rechtsruck in den Niederlanden (Geert Wilders) und in Europa Sorgen. „Die Menschen müssen wieder mehr miteinander reden, man muss wieder zuhören!“ hat sie Teresien da Silva, Leiterin des Archivs und der Sammlungen der Anne Frank-Stiftung, erzählt.
Teresien da Silva war es auch, die den Goldenen Rathausmann heute entgegennahm. Sie bringt ihn morgen zu Miep Gies und meinte, dass sie sicher sehr glücklich sein wird!
Nach der Überreichung bekam ich noch eine wunderbare Führung durch das Anne Frank-Haus an der Prinsengracht. Ich war ja schon häufig dort, aber heute bekam ich erstmals Räume zu sehen, die sonst für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind, und mir eine ziemlich spannende Geschichte erzählten:

1. Das Büro von Otto Frank, das nie verändert wurde und noch original erhalten ist. Darin befindet sich auf dem Schreibtisch auch noch das Radio, das Anne Frank in ihrem Tagebuch erwähnt. Abends schlichen sich die im Hinterhaus Versteckten oft hierher, um BBC Radio zu hören. Über dem Büro befand sich das Versteck, das Hinterhaus. Otto Frank soll manchmal auf dem Boden gelegen sein, um Besprechungen im Zimmer darunter mitzuhören.

2. Die Küche von Otto Franks niederländischer Niederlassung der deutschen Firma Opekta. Opekta war ein Geliermittel fürs Kochen von Marmelade. Otto Frank drehte auch kleine Werbefilmchen für Opekta. In einem der Filme sieht man die junge Miep Gies als „Darstellerin“.
Die Geschichte, die mir aber in beiden Räumen so eindrucksvoll erzählt wurde: Direkt darüber war das Versteck. Und heute noch kann man die Museumsbesucher_innen darüber ganz deutlich hören. Jeder kleinste Schritt ist darunter ganz deutlich und sehr laut zu hören. Deshalb durften die Versteckten auch tagsüber nicht gehen. So sinnlich und echt wie heute, habe ich das noch nie erfahren. Bislang habe ich das nur gewusst.
Es war auf jeden Fall sehr beeindruckend, und ich hoffe, dass auch in Wiener Schulen die Geschichte der Anne Frank, ihrer Familien, den anderen Untergetauchten, den Helfer_innen und der Zeitgeschichte viel und häufig erzählt wird. Österreich-Bezug gibt es nicht nur mit Miep Gies: Ein anderer Helfer, Victor Kugler, wird im Anne Frank-Haus noch immer Österreicher genannt und wurde in Hohenelbe (heute Vrchlabi, Tschechische Republik) geboren, der Wiener Karl Silberbauer verhaftete die Familie Frank und holte sie aus ihrem Versteck, Arthur Seyß-Inquart war Reichskommissar der Niederlande und ebenfalls Österreicher.
Der heutige Tag war in meinem noch jungen politischen Leben schon etwas Besonderes. Vieles habe ich schon gemacht. Diese Aufgabe war aber eine große Ehre. Ich möchte mich daher noch einmal bei Bürgermeister Michael Häupl bedanken, der meine Initiative sofort unterstützte und mir die Gelegenheit gab, dies alles zu tun. Als niederländischer Wiener war mir das eine große Ehre!

Foto oben: Überreichung des Goldenen Rathausmannes an Teresien da Silva, die ihn morgen an Miep Gies geben wird.

Öffentlich zugänglicher Augartenspitz ist tot. Jetzt kommt ein Zaun.

Am hervorragenden Blog unser Augartenspitz wird berichtet, wie die WEGA; eine Spezialeinheit der Polizei, die Besetzung auflöste. Die Leute, die Widerstand als Bürgerpflicht sahen und sich für ihr Grätzel und den öffentlichen Raum einsetzten, haben meine größte Hochachtung.Dieser Satz aus dem Blog, der kurz nach polizeilicher Räumung geschrieben wurde, ist eine hervorragende Zusammenfassung:Es ist einfach deprimierend, wenn man zuschauen muss, wie der Öffentlichkeit der öffentliche Raum geraubt wird. Und das von den sogenannten „Freunden und Helfern“ im Auftrag der Burghauptmannschaft, die das Gelände, das nicht ihr gehört, nur für die Allgemeinheit verwalten soll.Es ist ein Skandal, wie in diesem Land und dieser Stadt mit dem öffentlichen Raum umgegangen wird. Man denke nur an Halbschalen und Gewista, Museumsqaurtier und Verbote, Kommerzialisierung statt mehr Freiraum, usw.Die große Hoffnung aber: Es gibt Widerstand. Es gibt immer mehr Bewusstsein darüber: „Hallo, dieser öffentlicher Raum gehört mir!“ Und das ist gut so. Nehmt ihn euch zurück!

Wozu überhaupt eine Regenbogenparade?

Seit 1996 findet in Wien alljährlich die Regenbogenparade statt. Sie gedenkt den Aufständen in New York vor genau 40 Jahren, als Lesben, Schwule, Transvestiten und Freunde sich gegen Razzien und Willkür der Behörden wehrten.

Die Motive für viele Teilnehmer, bei der Regenbogenparade mit zu marschieren, sind mannigfaltig. Gehen die einen hin, um für Gleichstellung ihrer Partnerschaften und gegen Diskriminierungen zu demonstrieren, sehen andere in der Parade mehr ein gemeinsames Feiern von Lesben, Schwulen und Transgendern im öffentlichen Raum. Gehen einige dort hin, um sich in ihrem gerade erst vollzogenem Coming-out weniger alleine zu fühlen, wollen andere lieber heterosexuelle Denk- und Rollenmuster mit Provokation begegnen. Die Drag Queens und Bodygepainteten wiederum dominieren das mediale Bild der Parade, sind doch Männer in Frauenkleidern und Federboas oder nackte Menschen halt schönere und buntere Bilder, als in stinknormalen Straßenklamotten teilnehmende Menschen, obwohl letztere in der großen Mehrzahl sind. Die Fotografen sind im übrigen mehrheitlich heterosexuell.
Parade erfolglos?
Das mediale Bild der exaltierten Lesben und Schwulen führt auch oft zu Kritik, durchaus auch aus der Lesben- und Schwulencommunity selbst. Nicht selten wird über die Parade gesagt, sie würde eher abschrecken und der Forderung nach Gleichstellung einen Bärendienst erweisen. Dass es in Österreich noch immer keine Möglichkeit gibt, dass Lesben und Schwule heiraten können, wird dann als Beispiel der Erfolglosigkeit der Parade angeführt. Allerdings ist die Nicht-Umsetzung ja nicht an der Regenbogenparade, sondern allem voran an der ÖVP gescheitert. Aber hat die ÖVP das tatsächlich blockiert, weil auf der Parade bewusst lustvoll und provokant Lebensgefühl und Protest dargestellt werden?
Um die Regenbogenparade wirklich zu begreifen, braucht es allerdings zwei Perspektiven: die historische und die alltägliche.
Im Lokal Stonewall Inn in der Christopher Street, New York City, befanden sich in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 zahlreiche trauernde Menschen, die wenige Stunden davor beim Begräbnis der Schwulenikone Judy Garland teilnahmen. Dementsprechend emotionalisiert waren die Gäste. Als dann nachts die Polizei eine Razzia durchführte, entlud sich der Frust. Das Viertel wehrte sich gegen die Schikanen. Die Stonewall Riots, wie der Aufstand genannt wurde, dauerten mehrere Tage. Historisch wurde das Ereignis allerdings erst im Jahr darauf, als eine Parade im New Yorker Village stattfand, die an die Ereignisse von 1969 erinnerte. Der Christopher Street Day (CSD) war geboren und wurde nach und nach zum wichtigsten Tag der globalen Emanzipationsbewegung von trans-, bi- und homosexuellen Menschen. In Wien heißt der CSD seit ihrer ersten Parade 1996 eben Regenbogenparade.
Die täglichen Parädchen
Der Blick in den Alltag von Lesben und Schwulen zeigt aber noch deutlicher, warum es die Regenbogenparade gibt. Sie zeigt auch, warum es 1970 so wichtig war, auf die Straße zu gehen, denn viele der damals formulierten Anliegen haben sich 40 Jahre später kaum verändert. Lesben und Schwule wollten und wollen sich nicht verstecken müssen, hatten und haben keine Lust, sich zu verstellen und ein Scheinleben zu führen. Sie wollen Akzeptanz und Respekt und merken immer noch häufig, dass sogar das zu viel verlangt ist.
Lesben und Schwule erleben häufig ihre ganz privaten, kleinen und eigenen Regenbogenparädchen. Seien es neue Nachbarn, die nebenan einziehen, seien es neue Kollegen im Büro, sei es ein Taxifahrer, der höflich ein Gespräch beginnen will (nachdem man soeben in der Rosa Lila Villa war) und fragt, wo man denn gerade seinen Abend verbracht habe, oder seien es Schulfreunde, die fragen, ob man denn schon einen Freund oder eine Freundin habe: Überall und zu jeder Zeit müssen Lesben und Schwule sich entscheiden: Sag ich’s oder sag ich’s nicht? Dieses den Alltag ständig begleitende Bewusstsein ist heterosexuellen Menschen freilich fremd.
Noch immer erleben zahlreiche Jugendliche ein Coming-out, ohne dass sie irgend etwas darüber wissen, weil einem weder in den Schulen etwas darüber erzählt wird, und weil die allermeisten Menschen – auch Eltern – immer noch das heterosexuelle Muster als Norm ansehen, und eben genau diese normierten Erwartungshaltungen an Jugendliche weitergegeben werden, was wiederum zu enormen persönlichen Krisen führen kann.
Mut machen!
Die Regenbogenparade sollte daher vor allem eines: Mut machen! Sie soll vor allem den Lesben, Schwulen und Transgendern signalisieren: Sehr her, ihr seid nicht allein. Machen wir uns Mut, seien wir stolz, auf das was wir sind, und lassen wir uns von irgendwelchen religiösen Fundis, rechten Recken und anderen Ignoranten nicht die Freude an unsere eigene Identität nehmen. Erst, wer das begriffen hat, begreift die Regenbogenparade und weiß auch erst dadurch, warum politische Gleichstellung und Antidiskriminierung so notwendig sind.
Die Grünen Andersrum haben übrigens soeben die Publikation Stonewall in Wien herausgegeben, die die lesbisch-schwule-transgender Emanzipation Wiens mit zahlreichen Interviews von Zeitzeugen dokumentiert. Zu bestellen unter andersrum.wien@gruene.at.

Dieser Text wurde für ein Printmedium geschrieben, blieb aber unveröffentlicht. Daher ist der Text nicht geschlechtsneutral formuliert. Ich bitte um Verständnis.