#Aufschrei, Netzfeminismus und neue Netzwerke: Wer besetzt den digitalen Raum?

Die Grüne Bildungswerkstatt Wien organisiert in Kooperation mit der Grünen Frauenorganisation und mit mir als netzpolitischer Sprecher der Grünen eine Podiumsdiskussion am 27. Mai 2013 zum Thema:

Wer besetzt den digitalen Raum?

#Aufschrei, Netzfeminismus und neue Netzwerke

Wir möchten uns im Rahmen dieser Veranstaltung die Präsenz von Frauen im Web und Social Media genauer ansehen. Anknüpfend an die durch #Aufschrei gestartete Debatte möchten wir diskutieren, inwiefern Web 2.0 eine Möglichkeit für Frauen bietet, sich den „malestream“ entgegen zu stellen.

Bietet das Netz neue Möglichkeiten zur feministischen Organisation?

Wie gehen wir mit (sexualisierten) Übergriffen im Netz und auf netzpolitischen Veranstaltungen um?

Wie kann eine feministische Praxis im Netz aussehen?

Begrüßung: Marco Schreuder (Bundesrat und netzpolitischer Sprecher der Grünen)

Moderation und kurzer Input: Martina Wurzer (Gemeinderätin und Sprecherin der Grünen Frauen Wien)

Am Podium diskutieren:

Sigi Maurer (ehem. ÖH-Vorsitzende und NR-Kandidatin der Grünen)
Ingrid Brodnig (Redaktuerin der Wochenzeitung FALTER)
Brigitte Theissl (Bloggerin)
Michaela Amort (Marketing Managerin, Bloggerin)

Wann: 27. Mai 2013, 19:00

Wo:  C3  – Centrum für Internationale Entwicklung, Sensengasse 3, 1090 Wien

Marion Kipiani: IDAHO 2013 wird in Georgien zum Tag der Homophobie

Heute ein Gastbeitrag von Marion Kipiani, die in der georgischen Hauptstadt Tiflis lebt:

Die kleine Kaukasus-Republik Georgien ist ein äußerst gastfreundliches, ethnisch und kulturell vielfältiges Land. Die GeorgierInnen rühmen sich gerne ihrer Toleranz im Angesicht dieser Vielfalt. Allerdings haben die meisten von ihnen auch eine ganz klare Vorstellung darüber, was „georgische Identität“ bedeutet: Patriotismus, das Festhalten an traditionellen Werten und, in den meisten Fällen, der orthodoxe Glaube. Die georgisch-orthodoxe Kirche, von vielen GeorgierInnen als die Bewahrerin georgischer Kultur und Sprache während der Sowjetzeit verehrt, hat großen Zuspruch in der Gesellschaft und versteht sich immer noch als Hüterin von Tradition und nationalen Werten. Der Patriarch (in Georgien „Katholikos“ genannt) Ilia II genießt mit über 90 Prozent einen Beliebtheitswert in der Bevölkerung, von dem die meisten PolitikerInnen nur träumen können. In diesem Kontext tut sich eine Gruppe besonders schwer: die LBGT-Community, im hiesigen Sprachgebrauch meist als „sexuelle Minderheiten“ bezeichnet.

Seit einigen Jahren bemüht sich eine kleine Anzahl von AktivistInnen, besonders ums die NGO „Identoba“ (Identität), in der georgischen Gesellschaft ein stärkeres Bewusstsein und Toleranz für die Rechte homosexueller, bisexueller und Transgender-Personen zu schaffen. Obgleich der Versuch einer „Gay Pride“ in der georgischen Hauptstadt im Jahr 2012 von einer Gruppe orthodoxer Fanatiker tätlich angegriffen wurde, entschied sich „Identoba“, auch für den 17. Mai 2013 zu einer kleinen, friedlichen Veranstaltung im Zentrum von Tbilisi (Tiflis) aufzurufen. Die meisten Menschen, die an der auf Facebook angekündigten Veranstaltung teilnehmen wollten, waren entweder Mitglieder der LBGT-Community, Menschenrechts-AktivistInnen oder einfach für mehr Toleranz und eine pluralistische Gesellschaft eintrendende GeorgierInnen.

Im Vorfeld rief der georgisch-orthodoxe Patriarch Ilia II die Regierung dazu auf, die Veranstaltung zu verbieten, und bezeichnete Homosexualität als „Krankheit“ und „Anomalie“. Georgiens Premierminister Bidzina Iwanischwili erwiderte öffentlich, dass alle BürgerInnen ungeachtet ihrer Identität das Recht hätten, friedlich für ihre Belange zu demonstrieren. Die Polizeikräfte würden den LGBT-Flashmob vor einer angekündigten Gegendemonstration orthodoxer Geistlicher und Gläubigen schützen.

Zu dem Flashmob vor dem alten Parlamentsgebäude auf Tbilisis zentralem Rustaveli-Boulevard kam es allerdings nicht. Bereits seit den Vormittagsstunden hatte die mehrere tausend Personen zählende Gegendemonstration den Veranstaltungsort regelrecht besetzt. Die LGBT-AktivistInnen entschieden daraufhin, sich einige hundert Meter entfernt zu versammeln. Kurz vor 13 Uhr durchbrachen orthodoxe Geistliche und ihre AnhängerInnen den Polizeikordon und stürmten den Platz, auf dem wenige Dutzend Menschen für die Rechte von Homosexuellen, Bisexuellen und Transgender-Personen demonstrierten. Der Mob aus Geistlichen im Talar, älteren Frauen, welche die LGBT-AktivistInnen mit Nesselschlägen „heilen“ wollten, und jungen Männern entweder im „Urban-Guerilla-Outfit“ (Kapuzenpullis und vor den Mund gebundenen Bandanas) oder in der Tracht der kaukasischen Bergbevölkerung mit traditionellen Dolchen am Gürtel, ging unter Parolen wie „Lasst sie nicht entkommen!“ und „Tötet sie alle!“ auf die friedlichen Demonstranten los.

Fotostrecke auf Civil Georgia: http://civil.ge/eng/category.php?id=87&size=wide&gallery=92

Fotostrecke auf Eurasianet.org: http://eurasianet.org/node/66984

Die Polizeikräfte bemühten sich, die LGBT-AktivistInnen so schnell als möglich in öffentlichen Bussen und Minibussen unter- und damit in Sicherheit zu bringen. Die wütende Menge der GegendemonstrantInnen verfolgten jedoch sogar die Fahrzeuge, als diese versuchten, sich einen Weg durch die engen Nebenstraßen zu bahnen. In blindwütigem Hass attackierte ein Mob einen Minibus mit Flaschen und Steinen. Direkt neben uns wurde eine junge Frau – wie sich später herausstellte, eine Radiojournalistin – von einem Pflasterstein am Kopf getroffen und von Polizisten in einem Hauseingang in Sicherheit gebracht.

Wütender Mob attackiert einen Minibus mit LGBT-AktivistInnen – YouTube: https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=_f4lMuAhORU

Auf dem zentralen Rustaveli-Boulevard marschierten die Gegendemonstranten, unbehindert von den Sicherheitskräften, auf und ab. Junge Männer, denen die Kampfeslust geradezu ins Gesicht geschrieben stand, waren auf der Suche nach „pederastebi“ (wie Homosexuelle in Georgien abwertend bezeichnet werden). Etwa einen Kilometer vom ursprünglichen Veranstaltungsort entfernte machte eine Menge mehrer hundert orthodoxer Extremisten regelrecht Jagd auf einige LGBT-AktivistInnen, welche sich mit Not in einen Supermarkt retten konnten. Das Geschäft wurde vom Mob umzingelt, und die AktivistInnen musstem vom georgischen Ombudsmann unter Polizeischutz aus dem Laden eskortiert werden. Das Büro der LGBT-NGO „Identoba“ wurde angeblich ebenfalls von den Gegendemonstranten belagert. Insgesamt wurden nach Angaben des georgischen Gesundheitsminister 28 Personen verletzt, darunter auch Journalisten und Einsatzkräfte.

Was bleibt?

Der blinde Hass und die Gewaltbereitschaft der GegendemonstrantInnen, unter ihnen eine große Anzahl orthodoxer Geistlicher, hat in vielen GeorgierInnen Bestürzung und Scham hervorgerufen. Am Samstag versammelten sich Demonstranten vor dem Regierungsgebäude in Tbilisi und forderten, die Verantwortlichen für den Gewaltausbruch müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Bereits am Freitag Nachmittag kam es in Kutaisi, einer Stadt ca. 200 km westlich von Tbilisi, zu einer Solidaritätskundgebung mit den angegriffenen LGBT-AktivistInnen.

Die Regierung reagierte unterdes verhalten. In einer Aussendung verurteilte Premierminister Iwanischwili den Gewaltausbruch. Das Innenministerium kündigte eine Untersuchung der Vorfälle an. Nur der georgische Ombudsmann, Utscha Nanuaschwili, fand scharfe Worte und erklärte, die Gegendemonstranten hätten offensichtlich von Beginn an geplant, die Veranstaltung der LGBT-Community gewaltsam zu stören. Nanuaschwili kritisierte auch das Unvermögen der Sicherheitskräfte, die AktivistInnen zu schützen und ihre friedliche Veranstaltung zu ermöglichen.

Und die georgisch-orthodoxe Kirche? Patriarch Ilia II distanzierte sich von der Anwendung von Gewalt. Allerdings, so sagte er in einer Fernsehansprache am Freitag Abend, sei Homosexualität eine „Sünde vor Gott“ und sollte daher nicht „propagiert“ werden.

Auf Facebook und Twitter lässt sich dieser Tage verbreitet die Meinung lessen, es sei den orthodoxen Extremisten wohl kurzfristig gelungen, die LGBT-Veranstaltung zu unterbinden, sie hätten sich selbst und ihrer Sache langfristig jedoch eher geschadet. Es bleibt zu hoffen, dass der bestürzende Ausbruch von Hass und Gewalt tatsächlich in der georgischen Gesellschaft zu einer breiteren und tiefergehenden Auseinandersetzung mit den Thema der sexueller Selbstbestimmung ganz allgemein führt. Bis Georgien zu einer konsolidierten und stabilen Demokratie wird, in der die Rechte und der Schutz aller Identitätsgruppen fest verankert und breit akzeptiert sind, wird es wohl noch eine Weile dauern. Das hat uns nicht zuletzt der 17. Mai wieder in Erinnerung gerufen.
Marion Kipiani, geb. 1981, ist Österreicherin und lebt seit Sommer 2009 in Tbilisi. Sie arbeitet seit Anfang dieses Jahres als Koordinatorin für ein Südkaukasus-Projekt des Norwegischen Helsinki-Kommittees zum Thema Menschenrechte und Konflikttransformation und war zuvor auch für lokale NGOs in diesen Bereichen tätig.

Aserbaidschans Präsident kommt nach Wien. Das sagt die Opposition.

Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev wird im Mai Wien besuchen. Das an Erdöl und Gas reiche Land stand vor einem Jahr unter internationaler medialer Beobachtung, als der Eurovision Song Contest in der boomenden Hauptstadt Baku stattfand. Oppositionelle Gruppen und Menschenrechtsaktivist_innen nahmen diese internationale Aufmerksamkeit zum Anlass um auf demokratiepolitische Probleme aufmerksam zu machen. In ihrem Büro zeigten sie Bilder von Deportationen von Hausbewohner_innen, die gewaltsam aus ihren Häusern entfernt wurden, damit die schon zuvor geplante „Crystal Hall“ samt Zufahrtsstraßen rechtzeitig fertig gebaut werden konnte, und veröffentlichten Namen und Fotos von Journalist_innen, Blogger_innen und Aktivist_innen, die sich in Gefangenschaft befanden (und zu einem großen Teil immer noch befinden).

Der Aktivist Rasul Jafarow war Mitbegründer der Bewegung Sing for Democracy, die Sprachrohr der Menschenrechtsbewegung wurde. Von den im Vorjahr teilnehmenden Künstler_innen war es nur die spätere schwedische Siegerin Loreen, die sich für die Arbeit der Opposition interessierte und die Organisationen besuchte.

Anlässlich des Besuchs von Aserbaidschans Staatspräsident Ilham Aliyev in Wien fragten wir, Grüne Wiener Gemeinderätin Monika Vana und Bundesrat Marco Schreuder, Rasul Jafarow nach den aktuellen Problemen seines Landes.

Aserbadschans Präsident Alijew wurde 2012 von der OCCRP (Organized Crime and Corruption Reporting Project) als „korruptester Mann des Jahres 2012“ nominiert. Kannst du uns erzählen warum?

Es ist offenkundig, dass Präsident Alijew und seine Familie zutiefst korrupt sind. So haben Funktionäre, inklusive der Präsident selbst seit er an der Macht ist, keine Einkommenserklärung vorgelegt. Alijew selbst hat 2005 eine Beschlussfassung unterzeichnet, die aber genau das vorschreibt. 2011 haben die Washington Post, und Anfang 2012 der CNBC Materialen veröffentlicht, die belegen, dass der Präsident und seine Familienmitglieder Besitztümer, Häuser, Villen in Dubai und anderen Regionen besitzen. Kahdija Ismayilova, eine der wenigen investigativen Journalist_innen, hat 2012 auch über Großprojekte in Aserbaidschan recherchiert und nachgewiesen, dass Firmen des Präsidenten und seiner Familienmitglieder den „Flag Square“ gebaut haben und Geld aus dem Staatsbudget ausgegeben haben. Die Töchter des Präsidenten sind Eigentümerinnen von Mobilfunkanbietern in Aserbaidschan und Goldadern in Gadabay, einer kleinen Region in Westaserbaidschan. Aufgrund dieser Fakten hat OCCRP Alijew als „korruptesten Mann des Jahres 2012“ nominiert.

Denkst du, dass in Aserbaidschan freie Wahlen und eine demokratische Machtverschiebung möglich sind?

Ich möchte wirklich gern daran glauben, aber es scheint als ob das nicht leicht sein wird. Gesetzliche Änderungen, die Versammlungsfreiheit und NGOs betreffen, Verhaftungen von vielen Kritiker_innen seit Jahresbeginn 2013, ein de facto Verbot Veranstaltungen – sogar in geschlossenen Örtlichkeiten – zu organisieren, Druck auf Journalist_innen und Online-Aktivist_innen zeigt, dass das gegenwärtige Regime einmal mehr plant die Wahlen zu fälschen. Trotz diesen Restriktionen gibt es noch immer einige neue oppositionelle und junge Bewegungen im Land. Das Regime wird von internationalen Organisationen und einigen westliche Staaten kritisiert und die Zivilgesellschaft versucht noch immer aktiv eine wichtige Rolle in der Verbesserung der Situation zu spielen. Also hoffen wir das Beste.
Um demokratische Wahlen zu haben, sollte Ilham Alijew übrigens gar kein Kandidat sein, weil das gegen die Verfassung wäre. Ich glaube, so wie viele unabhängige Jurist_innen und Mitglieder der Republikanischen Alternativen Bewegung, dass – obwohl die Verfassung 2009 verändert wurde und das Verbot, dass eine Person mehr als zwei Mal gewählt werden kann, außer Kraft gesetzt worden ist – Alijew dennoch kein Recht hat zu kandidieren. Und zwar weil er unter den Verfassungsbestimmungen von 2008 gewählt wurde (da die Wahlen 2008 waren), also vor den Änderungen von 2009. Daher können die neuen Regelungen der Verfassung nicht für Ilham Alijew gelten, da diese für neue Kandidat_innen bestimmt sind. Daher habe ich, sollte Alijew Kandidat sein, ernsthafte Bedenken ob der Durchführung von freien und fairen Wahlen.

Wie würdest du die Frauenrechte in Aserbaidschan beschreiben?

Unsere Gesellschaft ist ziemlich konservativ und das beeinflusst die Frauenrechte in Aserbaidschan negativ. Es ist vor allem in den Regionen und ländlichen Gebieten in Aserbaidschan sehr schwierig. In vielen Fällen ist es für Frauen nicht möglich ihre eigenen Lebensentscheidungen zu treffen. Es gibt viele Fälle, in denen 14-, 15-, 16-Jährige bereits verheiratet werden. In diesen Fällen haben sie nicht viele Alternativen hinsichtlich Ausbildung, Arbeit oder die Wahl des Jobs, etc. Gleichzeitig gibt es auch ein anderes Gesicht unserer Gesellschaft, vor allem in der Hauptstadt Baku. Da haben Frauen nicht die oben genannten Probleme. Sie leben ziemlich unabhängig. Als Folge davon gibt es jetzt viele Frauen, die in hohen Positionen in den Ministerien oder im Parlament arbeiten. Wenn wir die Situation vom Standpunkt der generellen Menschenrechte aus analysieren, sollte ich sagen, dass es weder für Männer noch für Frauen einfach ist. Wenn du zum Beispiel die Regierung kritisierst und du eine Frau bist, kannst du sehr leicht ins Visier der Regierung kommen.

Man hört eine Menge über Umweltverschmutzung durch die Öl- und Gasindustrie in Aserbaidschan. Unternimmt die Regierung irgendetwas dagegen? Ist das überhaupt ein Thema für die Opposition und Medien?

Es ist kein Hauptthema der Opposition oder der Medien in Aserbaidschan. Es gibt einige gute NGOs, die sich mit Umweltthemen befassen, aber es reicht nicht aus, um es in der Gesellschaft breit zu thematisieren. Der Grund dafür ist, dass Opposition, Zivilgesellschaft und Medien vor allem an sozio-politischen Belangen beteiligt sind und viele Menschen glauben, dass diese wichtiger als Umweltthemen sind. Einige meinen, dass wir zuerst auf Demokratie und auf „good governance“ im Land fokussieren sollten bevor wir uns den Umweltthemen widmen können. Es ist traurig, aber gleichzeitig Realität. Das Ausmaß der Verschmutzung aufgrund der Öl- und Gasindustrie ist derzeit nicht katastrophal, aber die Regierung sollte mehr dagegen unternehmen. Wir sehen, dass sie von Zeit zu Zeit Bäume pflanzen, und das war’s dann schon.

Aserbaidschan ist bekannt als ein Land, welches sich in ständigem Konflikt mit seinem Nachbarn Armenien befindet. Hat das generelle Auswirkungen auf die Gesellschaft? Kannst du diese Auswirkungen beschreiben?

Es beeinflusst sehr negativ! 20 Prozent des aserbaidschanischen Landes sind von armenischen Truppen okkupiert, etwa eine Million Aserbaidschaner_innen wurden zu Inlandsflüchtlingen. Es ist leicht zu sehen und zu verstehen, dass dieser Konflikt zumindest das Leben dieser Menschen sehr negativ beeinflusst. Ich denke ein anderer negativer Einfluss dieses Konflikts ist, dass das gegenwärtige Regime die Gesellschaft mit dem Konflikt manipuliert.
Wenn die Gesellschaft andere wichtige Themen zur Sprache bringt, reagiert die Regierung als hätten wir nur ein Problem – und zwar den Konflikt mit Armenien: Zuerst müssten wir dieses Problem lösen und dann können wir über andere Themen nachdenken. Bedauerlicherweise beobachte ich diese Rhetorik von Seiten der Regierung seit den letzten zehn Jahren.

In einer internationalen Studie des Pew Research Center, welche in allen Ländern mit muslimischem Bevölkerungsanteil durchgeführt wurde, war Aserbaidschan das Land mit der höchsten Rate zugunsten von Rechtsstaatlichkeit und nur 8 Prozent würden demnach Scharia-Gesetze unterstützen. Glaubst du, dass dieser Befund eine Hoffnung für demokratische Veränderungen ist?

Wir haben immer die Hoffnung auf demokratische Veränderungen, und die Ergebnisse dieser Studie belegen dies wieder. Aserbaidschan hatte eine kurze Phase der Unabhängigkeit zwischen 1918 und 1920, direkt nach dem Ersten Weltkrieg. Wir hatten damals eine demokratische Regierung. Frauen besaßen das Wahlrecht, es gab freie und faire Wahlen und die Gesellschaft war liberal. Und sie blieb bis heute liberal! Ich will damit sagen, dass wir eine Tradition der Demokratie und liberalen Gesellschaft haben und es ist nicht leicht diese zu zerstören. Daher ist das Ergebnis dieser Studie Realität und das gibt uns große Hoffnung für mehr demokratische Veränderungen in der nahen Zukunft.

Welche Gruppen sind die wichtigsten oppositionellen Gruppen in Aserbaidschan?

Die oppositionellen Jugendgruppen sind sehr wichtig für unsere Gesellschaft und unser Land. Ich denke sie werden eine wesentliche Rolle in der Demokratisierung Aserbaidschans spielen. Ich kann NIDA Civic Movement, Azad Genclik (Free Youth Organisation), Musbet Deyishiklik (positive Changes Youth Organization) und junge AktivistInnen ohne Zugehörigkeit erwähnen.
Meiner Meinung nach wächst die Republican Alternative Movement (REAL Movement) und wird zu einer beliebten oppositionellen Gruppe, die sich in naher Zukunft in eine politische Partei umwandeln wird. Die Bewegung ist erst kürzlich 2009 gegründet worden und begann seit den Parlamentswahlen 2010 aktiv zu werden. Präsidentschaftskandidat und Vorsitzender der Bewegung, Ilgar Mammadov, wurde illegal verhaftet weil er nach Ismayilli ging, eine Region in Aserbaidschan wo im Jänner 2013 Unruhen stattfanden. Er interessierte sich für die Probleme der Menschen vor Ort und verfolgte aufmerksam die Situation. Die Regierung beschuldigte ihn die Unruhen in Ismayilli organisiert zu haben. Ilgar Mammadov kritisierte das 2009 durchgeführte Referendum, wodurch es eine Beschränkung  auf eine wählbare Person gab; er kritisierte das Parlament und nannte es Anfang 2013 einen Zoo. REAL Movement ist die wichtigste und aktivste Gruppe, welche die Information verbreitet, dass Ilham Alijew nicht das Recht hat für die kommenden Wahlen zu kandidieren, zumindest aus der rechtlichen Perspektive.
Und ich muss die Azerbaijan Popular Front Party und Musavat Party erwähnen, deren Mitglieder aktiv gegen die Diktatur in Aserbaidschan kämpfen, trotz eines riesigen Drucks des Regimes. Neben dem Druck der Regierung finde ich, dass diese Parteien sehr große politische Fehler gemacht haben, durch welche sie jetzt geschwächt sind.

Wie kann eine Stadt wie Wien, ein Land wie Österreich oder die Europäische Union die Demokratie in Azerbaijan unterstützen?

Ich denke Europa sollte hinter Werten wie Respekt für Menschenrechte, Demokratie, „good governance“ und Transparenz stehen. Vor allem Länder, die Mitglieder der Europäischen Union sind, wie Österreich, sollten bei internationalen Foren mehr über Menschenrechtsprobleme in Aserbaidschan reden, zumal Aserbaidschan ein Mitglied des Europarats und der OSZE ist. Europäische Politiker_innen im Europarat sollten aufmerksamer gegenüber den Menschenrechten in Aserbaidschan sein und die Regierung auffordern die Situation zu verändern und dabei nicht zögerlich agieren. Mir hat die Position der europäischen Medien vor und während des Eurovision Song Contest 2012 sehr gefallen, die bemüht waren, Menschenrechtsthemen aufzugreifen. Theoretisch kann Aserbaidschan diesen Wettbewerb wieder gewinnen und wir werden dasselbe Interesse von Europa erwarten. Aserbaidschan wird Gastgeber der ersten Europäischen Olympischen Spiele sein, was wiederum Aufmerksamkeit nach Aserbaidschan bringen wird. Europa sollte diese Möglichkeit nützen hinsichtlich der Erläuterung der Wichtigkeit von Menschenrechten und Demokratie. Wenn Ilham Alijew nach Europa reist und Treffen mit europäischen PolitikerInnen hat, müssen diese Menschenrechtsthemen aufwerfen und nicht nur über Geschäfte und Energiesicherheit reden.