Eine Delegation des Bundesrats war vorige Woche in Brasilien. Prinzipiell finde ich es richtig, dass Außenpolitik nicht nur eine Aufgabe der Exekutive (also des Außenministeriums) ist, sondern auch Parlamente hier aktiv sind. Bislang konnte ich nur Delegationen in Wien begrüßen. Brasilien war meine erste Reise als Mitglied der Präsidiale.
Die Wahl des Ziellandes war ausgezeichnet. Denn Brasilien gehört mit Indien und China (die so genannten BRIC-Staaten) zu den aufstrebenden globalen Mächten. Die Wirtschaft boomt, das brasilianische Selbstbewusstsein steigt und immerhin ist Brasilien der wichtigste Wirtschaftspartner Österreichs in Südamerika. Wie sich Österreich als EU-Mitglied in dieser neuen Welt mit mehreren wirtschaftlichen und politischen Machtzentren positioniert, wird eine der großen Aufgaben der Zukunft sein.
So eine Reise ist übrigens ganz und gar keine Erholungsreise. Es blieb uns zwar Zeit uns Rio de Janeiro anzuschauen und auch mal einen Hüpfer in den Atlantik zu machen, aber so ein Reiseprogramm ist dicht. Wir waren zwei Tage in Brasilien, zwei in Rio de Janeiro und ebenso zwei Tage in São Paulo.
Die Hauptthemen der Reise waren Umweltpolitik und erneuerbare Energie, Verkehrspolitik, Russland/Ukraine, Soziales und Frauenpolitik.
Brasilia
Der Senat
Die erste Station war naturgemäß unsere „Schwesterkammer“, der Senat in der Hauptstadt Brasilia. Brasilien ist ein föderaler Staat mit sehr starken Bundesstaaten, durchaus vergleichbar mit den USA. Anders als in Europa üblich, entscheidet nicht die Einwohner_innenzahl der Bundesstaaten die Anzahl der Senator_innen, sondern jeder Staat entsendet grundsätzlich drei Abgeordnete.
Ein Thema, das gleich von Anfang an prominent sichtbar, aber auch angesprochen wurde: Der geringe Frauenanteil in Brasiliens Parlament, was vor allem seitens einer Senatorin angesprochen wurde. Dies dürfte vor allem auf das starke Persönlichkeitswahlrecht zurückzuführen sein. In Brasilien stehen weniger Parteien, als vielmehr Kandidat_innen im Mittelpunkt. Parteien werden daher im Laufe einer Karriere auch oft gewechselt.
Neben Treffen mehrere Senator_innen war vor allem das Treffen mit Senator Jorge Viana aus der Amazonas-Region interessant. Er selbst war auch Bürgermeister und daher vor allem an ökologische und nachhaltige Energie- und Verkehrspolitik interessiert – bundesstaatlich als auch kommunal. Der Anteil der erneuerbaren Energie ist in Brasilien – vor allem Dank der Wasserkraft – sehr hoch. Allerdings wurde in den letzten Jahren vor allem in Windenergie investiert, erstaunlicherweise sehr wenig in Photovoltaik. Daher war Viana sehr an die Idee der „Bürgerkraftwerke“ Wiens interessiert, an Fördermodelle für Solarenergie und Abfallverbrennung mit der Möglichkeit von Fernwärme bzw. Fernkühlung.
Auch der Zustand des Regenwalds war natürlich Thema, ist dies doch ein Umweltthema von globaler Dimension. Hier hat Brasilien gelernt umzudenken. Umweltthemen spielen überhaupt in der brasilianischen Politik eine erhebliche Rolle. Uns wurde versichert, dass sehr bald der Wendepunkt erreicht sein wird, in dem nicht mehr darüber berichtet wird, wie viel Regenwald abgeholzt wurde, sondern wie viel nachgewachsen ist.
An uns gestellte Fragen betrafen vor allem die Gas-Abhängigkeit Österreichs aus Russland und dem Transit-Land Ukraine. Dass Österreich zu 60{6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7} von russischem Gas abhängig ist, schien große Besorgnis auszulösen.
Solidarische Ökonomie
Ein sehr interessantes Treffen hatten wir dann mit dem Staatssekretär für solidarische Ökonomie Prof. Paul Israel Singer, einem gebürtigen Wiener Juden, der 1940 als Kind mit seinen Eltern vor den Nazis fliehen musste. Dass es so ein Staatssekretariat überhaupt gibt, ist ja doch sehr außergewöhnlich (wobei Brasilien weit über 35 Ministerien hat – auch aus Gründen der „Versorgung“ vieler Parteiinteressen, wie uns überall hinter vorgehaltener Hand erzählt wurde). Die Aufgabe von Prof. Singer ist vor allem Armut zu bekämpfen, Kleinbauern, die nicht gegen die großen bestehen können, unter die Arme zu greifen (indem der Staat etwa deren Produkte abkauft) oder Menschen, die aus Not Müll sammeln, genau damit eine wirtschaftliche Grundlage zu geben.
Homosexualität und Menschenrechte
Auf meinem Wunsch hin konnte ich dann mit der Botschafterin Marianne Feldmann dann noch Senator Paulo Paim treffen, zuständig für die Kommission für Menschenrechte. Eingetragene Partnerschaften sind in vielen Bundesstaaten bereits möglich. Adoptionsrecht und Recht auf medizinisch unterstützte Fortpflanzung für gleichgeschlechtliche Paare wurden von Gerichtshöfen (vergleichbar mit Österreich) legalisiert. Brasilien hat in Fragen der Gleichstellung enorme Fortschritte erreicht – eigentlich wie ganz Südamerika hier eine rasante Entwicklung hatte. Das Klima in Brasilien ist durchaus liberal – aber es kommt leider auch zu vielen Hassverbrechen und erschreckende Zahlen von Morde an Homosexuellen, die auch ganz offen angesprochen wurden. Ein wirkliches Rezept dagegen gibt es leider noch nicht, aber immerhin Problembewusstsein.
Durchaus stolz erzählen Brasilianer_innen auch gerne, dass die Gay Pride in São Paulo die weltweit größte ihrer Art ist.
Zudem sprachen wir auch die Themen der Menschen- und Bürgerrechte der indigenen Völker an – was allerdings nicht wirklich beantwortet wurde – sowie die Frage der Grund- und Bürgerrechte im digitalen Zeitalter, also vor allem Datenschutz und Datenhoheit. Letztere Fragen erzielten aber mehr Fragezeichen in den Augen. Dieses Thema als Grundrechtsfrage schien den brasilianischen Senat noch nicht wirklich erreicht zu haben.
Rio de Janeiro
Energie und Stadtteilentwicklung
Energiepolitik und Stadtteilentwicklung stand im Zentrum unseres Rio-Besuchs. Begonnen haben wir die Tour mit dem „Rio-Energy-Hauptstadt“-Programm. Der große Anteil an erneuerbarer Energie in Rio wurde wieder herausgestrichen. Aber auch Öl und Gas spielen hier nach wie vor eine Rolle, da diese vor der Küste Rios gewonnen werden. Auch ein Atomkraftwerk mit 2 (demnächst 3) Reaktoren spielt eine Rolle. Es werden aber in Brasilien keine neuen Atomkraftwerke mehr gebaut, wurde uns versichert.
Danach ging es in die alte Hafenstadt „Porto Maravilha“, wo Rio etwas ganz außergewöhnliches gemacht hat: Eine auf Stelzen gebaute Stadtautobahn wurde abgerissen. Der Stadtteil um den Hafen soll komplett neu gestaltet werden – mit Grünraum, Boulevards, Begegnungszonen, Kulturzentren und Museen, sozialem und privatem Wohnbau, einer neuen Straßenbahn, etc. Bis zu den olympischen Spielen 2016 will man damit fertig sein.
Favelas
Am nächsten Tag ging es in die Favela „Babilonia“. Wobei die Brasilianer_innen das Wort Favela, das Elendsviertel bedeutet, mittlerweile vermeidet, und lieber von Communities spricht. Das soziale Mammutprojekt der Stadt Rio zielt darauf hin, die Favelas nicht mit Gewalt, sondern mit nachhaltiger sozialer Veränderung in die Stadt zu integrieren und der Kriminalität Herr zu werden: Wasserversorgung, Straßenbau, Hausnummernvergabe, sozialer modernen und ökologischer Wohnbau, etc. In vielen Favelas – so etwa in Babilonia – gelegen auf den Hügeln über der Copa Cabana – ist das auch durchaus gelungen. Mittlerweile übernachten auch Tourist_innen dort in günstigen und authentischen Wohnungen, so mancher Favela-Bewohner machte ein Restaurant auf, für die man mittlerweile tagelang im voraus einen Tisch reservieren muss.
Allerdings sind erst einige wenige Favelas nachhaltig umgestaltet worden und zu lebenswerteren Stadtteilen umgewandelt worden. Der Großteil der Viertel warten darauf noch. Bei unserer Abreise aus Brasilien waren Medienberichte zu lesen, in denen wieder von Schießereien zu lesen war – und eine Favela in der Nähe des Flughafens wurde vom Militär besetzt. Die FIFA lässt grüßen.
Exportschlager Kultur
Dass Österreich einen enormen Exportschlager hat, der in keiner Wirtschaftsbilanz zu finden ist, wurde auch in Rio deutlich: Die Kultur. Die österreichische Botschaft hat das Kulturfestival „15 x Áustria“ auf die Beine gestellt. Neben Konzerte der Wiener Klassik und einer Thonet-Ausstellung wurden auch viele Filme gezeigt. Neben – für uns wohl eher banal wirkenden – Filme wie „Sissi“ oder „Sound of Music“ wurden aber auch spannende Projekte ins Leben gerufen. Etwa österreichische Kinderfilme, die gemeinsam mit Schulen projektiert wurden.
São Paulo
Zuguterletzt ging es in die Wirtschaftsmetropole Südamerikas, der größten Stadt der südlichen Hemisphäre mit seinen 20 Millionen Einwohner_innen in der Metropolregion. Und so zeigt sich die Stadt auch: Weniger schön als Rio, dafür schneller, geschäftiger und mit seinen hunderten von Wolkenkratzern auch höher.
Österreichische Firmen haben sich zahlreich niedergelassen und so betreibt die Wirtschaftskammer hier eine Außenstelle. Die Anfragen der österreichischen Unternehmer_innen sind dabei sehr mannigfaltig, wie uns der Wirtschaftsdelegierter Ingomar Lochschmidt erzählte: Von Steuerfragen bis rechtliche Fragen, von Fragen über Messeauftritten bis Kontakte.
Wir besuchten das österreichische Werk Böhler Welding (voest alpine). Danach das Parlament des Bundesstaats São Paulo und danach die (trotzkistische) Vizebürgermeisterin Nádia Campeão.
Vor allem der letztere Termin war äußerst spannend und die Vizebürgermeisterin sprach gar nicht um den heißen Brei herum: Das größte Problem der Metropole ist der öffentliche Verkehr, der – wie in ganz Brasilien – total vernachlässigt wurde. Es gibt zu wenig U-Bahnen, zu wenig Schnellzüge usw. Straßenbahnen scheinen in Brasilien (mit Ausnahme der Hafenstadt in Rio) überhaupt kein Thema zu sein. Menschen verbringen Stunden um Stunden im Autoverkehr um überhaupt in die Arbeit und wieder nach Hause zu kommen. Auch das war – neben der Gesundheitsversorgung und der Bildung – eines der großen Themen der Demonstrationen gegen die Fußball-WM. Und alle Politiker_innen, die wir trafen, sagten auch ganz unverblümt: Da haben die Demonstrierenden schlicht recht. Da müssen wir was tun. Zumal der Verkehrskollaps zunehmend auch die Stadt gefährdet: Manche Betriebe verlassen deshalb schon die Stadt ins Landesinnere.
Ein Kulturprogramm – das Kunstmuseum und das Afro Brazil Museum rundeten den Besuch ab. Vor allem letzteres Museum sollte Pflichtprogramm für jeden europäischen Brasilien-Reisenden sein. Denn auch wir neigen noch immer dazu die Geschichte Südamerikas aus einer europäischen Perspektive zu sehen und zu betrachten. Dieses Museum zeigt die Perspektive der ehemaligen Sklaven aus Afrika, ihren Beitrag zur brasilianischen Kultur und ihre Geschichte. Die übrigens eine sehr erfolgreiche ist. Und so darf im Museum freilich auch Pelé nicht fehlen.