Digitale Privatsphäre? Geht das überhaupt? Diskussion mit Jacob Appelbaum.

Die Europäische Union bereitet gerade eine neue Datenschutz-Richtlinie vor, die sogar eine Grundverordnung werden könnte an, Wiener Jus-Student_innen um Max Schrems verklagen Facebook, immer mehr Datenschützer_innen warnen vor zunehmenden Angriffen auf unsere Privatheit und Bürgerrechten.

Zugleich mehren sich aber auch die Stimmen, die sagen: Die User und Userinnen pfeifen doch auf den Datenschutz, man sieht es jeden Tag auf Facebook und Co. Es wird Zeit, dass wir das neue digitale Zeitalter als Teil der Lebensrealität wahrnehmen und uns einfach daran gewöhnen, dass mehr Privates öffentlich ist, als jemals zuvor. Post Privacy nennt sich eine dieser Denkrichtungen.

Privatsphäre im Digitalen Zeitalter – Geht das überhaupt noch?

Darüber diskutieren wir am Mittwoch, den 24.10. um 20 Uhr (Achtung: in Englischer Sprache). Und zwar mit:

Jacob Appelbaum
Internetaktivist aus New York, Experte für Computersicherheit und Unterstützer von WikiLeaks. Er arbeitet derzeit beim Tor-Projekt, einem Netzwerk, das anonymes Surfen im Internet ermöglicht.

Iwona Wisniewska
Journalistin bei derstandard.at in der Redaktion Web

Helge Fahrnberger
Wiener Blogger  der ersten Stunde, Entwickler zahlreicher Digital Maps. Derzeit unterrichtet er am Institut für Publizistik an der Uni Wien und betreibt mit Student_innen den Medien-Watchblog kobuk.at.

Moderation: Marco Schreuder
Netzpolitischer Sprecher und Bundesrat der Grünen

Ort

C3 – Centrum für Internationale Entwicklung
Sensengasse 3
1090 Wien

Zeit

Mittwoch, 24. Oktober 2012 um 20 Uhr

Danke

für die wunderbare Kooperation mit der Grünen Bildungswerkstatt Wien
sowie dem Elevate Festival 2012, Graz.

Warum mich der Friedensnobelpreis für die EU trotzdem bewegt.

Erinnerungen an Europa einst

Ich kann diesen Artikel nicht ohne biografische Anmerkungen beginnen: Geboren in den Niederlanden, aufgewachsen im Salzkammergut, in Wien lebend, mit einem gebürtigen Rumänen verheiratet. Ich erinnere mich, dass Familienreisen in die Niederlande immer mit Grenzübertritten verbunden waren und wir drei Währungen in der Tasche hatten. Oder dass man zu spät feststellte, den Auslands-Krankenschein abzuholen.

Ich erinnere mich noch, dass wir noch in den Neunzigern bei Reisen zu unserem Häuschen in Rumänien zwei Grenzen überwinden mussten. Grenzen, wo man oft wählen musste: Gebe ich dem Grenzbeamten eine Packung Kaffee oder einen 20-DMark-Schein oder will ich mich jetzt eine Stunde lang kontrollieren und schikanieren lassen? Und die Geschichten der Familie, in die ich hinein heiratete. Über Ceauşescu, seinem System und wie mein Mann die Revolution in einem Gefängnis in Timişoara erlebte, weil er mal illegal nach Ungarn hinüber gegangen war.

Ich erinnere mich auch an eine Wanderung zum Abschluss meiner Hauptschule in Bad Ischl, Mitte der 80-er Jahre, als wir mehrere Tage entlang der tschechisch-österreichischen Grenze im Mühlviertel wanderten. Und den Stacheldraht, die Wachtürme, die Warnschilder, die Geschichten über in den Westen Geflohene, die Leib und Leben riskierten.

Und ich erinnere mich an die Geschichten meiner Großväter. Der eine in meinem Geburtsort Putten, Gelderland (NL), der die Razzia 1944 mit Glück überlebte und nicht wie alle anderen Männern Puttens zwischen 17 und 55 ins KZ kam. Oder der andere Großvater, der das Bombardement und die Zerstörung Rotterdams durch die Deutschen erlebte. Und die Geschichten der Gefallenen, der Millionen Tote und der Opfer des totalitären Rassen-Wahnsinns.

Das ist vorbei. Geschichte. Alle Länder, zu denen ich privat einen Bezug haben, sind jetzt Inland. Europa. Nur an der rumänischen Grenze gibt es noch einen kontrollierten Übergang. Dort hängen große Tafel mit einer Hotline, wo man anrufen kann, falls ein Grenzbeamter schwarz Geld kassieren will. Weil auch Rumänien diese Grenzen einmal weg haben will, auch wenn es ein schwieriger Prozess ist.

Hat das einen Nobelpreis verdient?

Wenn noch vor über zwanzig Jahren einige Kilometer östlich von Wien eine Grenze verlief, die unüberwindbar war, wenn im Kalten Krieg atomares Wettrüsten Angst und Schrecken verbreitete, wenn nur zwei Generationen vor mir Großväter sich gegenseitig abknallten – millionenfach, und dies überwunden werden konnte: Dann sage ich laut und deutlich: Ja!

Denn die europäische Einigung ist einzigartig in der modernen Menschheitsgeschichte. Staaten, die sich jahrhundertelang in Feindschaft gegenüber standen und Kriege führten (es gibt nicht wenige, die den 30-Jährigen Krieg 1618-48 als die Urkatastrophe, quasi den eigentlichen Ersten Weltkrieg bezeichnen), und die sich entschieden haben, diese Form der Auseinandersetzung zu beenden und stattdessen in Frieden und ohne Waffen zu kooperieren: Dann sage ich laut und deutlich: Ja!

Ein Nobelpreis als Erinnerung – und als Vision

Wie immer man den Nobelpreis für die Europäische Union auch sehen mag, die Entscheidung in Oslo darf jeden Bürger und jede Bürgerin in Europa dazu veranlassen einfach einmal darüber nachzudenken, wo wir leben, und wie wir unsere Nachbarn mittlerweile begegnen, aber auch was nicht passt und wie jede und jeder einen Beitrag leisten kann.

Die Europäische Union ist alles Andere als perfekt. Wie soll es auch anders sein? Es wäre vollkommen illusorisch zu glauben, dass ein Projekt, wie es die Menschheit in der Moderne noch nie gesehen hat, das Paradies auf Erden bedeutet. So waren Verheißungen von „blühenden Landschaften“ (Helmut Kohl, 1989) wohl kontraproduktiv. Europa ist harte Arbeit und eine Kooperation in Vielfalt – mit vielen Sprachen, Kulturen, Meinungen, Weltanschauungen, Religionen usw.

Kritik an Europäische Politik ist wichtig, weil das Fundament Europas nur Demokratie und Menschenrechte sein kann. Das bedeutet auch, dass wir an Europa weiter basteln und bauen müssen, dass wir nie zufrieden sein können, immer kritisieren müssen – sei es das Aushebeln demokratischer Kontrollen in der Eurokrise, sei es die Austeritätspolitik, das unerträgliche Ausmaß an Jugendarbeitslosigkeit, die uns nicht egal sein kann, sei es die horrende Anzahl an toten Flüchtlingen, die versuchten verzweifelt nach Europa zu kommen und von Frontex abgewehrt werden, sei es die (fehlende) Bedeutung des Europäischen Parlaments, sei es die Aufgabenteilung zwischen nationalstaatlichen Kompetenzen und europäischen Kompetenzen, sei es vor allem auch die Konzentration auf eine Wirtschaftsunion und das Fehlen einer Kultur-, einer Menschenrechts-, einer Demokratie- (Ungarn!) und einer Sozialunion.

Bei all den erhitzten Diskussionen, den Streit um Positionen (Hey Leute, Streit gehört nunmal zur Demokratie dazu!), den Empörungen und den zurecht schockierenden Meldungen und Bildern aus Griechenland, Spanien oder Portugal: Wir müssen uns zwischendurch erinnern, wie unsere Großväter dieses Europa noch erlebten und uns erinnern, dass Europa noch vor kurzem ein zweigeteilter Kontinent war. Und sollte der Nobelpreis uns alle daran erinnern wollen, dann ist das gut so. Und dann kann man auch europäische Politik kritisieren und daran arbeiten, dass es besser wird. Nicht jede Kritik ist automatisch antieuropäisch, sondern sehr oft proeuropäisch.

Und wenn ich am Ende noch einen Wunsch Richtung Oslo richten darf: Ich wünsche mir 27 Bürger und Bürgerinnen aus allen 27 EU-Staaten, die sich an die Gräuel des Zweiten Weltkriegs erinnern, mögen den Preis entgegen nehmen.

PlanetRomeo: Ein stiller Internet-Gigant wird 10.

Im Oktober 2002 tüftelten ein paar schwule Jungs in Berlin rum und machten eine Dating-Plattform. Gayromeo hieß das Ergebnis. Dabei gab es damals schon einiges an Plattformen und durchaus Konkurrenz, allem voran das britische Portal Gaydar. Dass PlanetRomeo, wie das einstige GayRomeo mittlerweile heißt, zu ihrem 10. Geburtstag 1,4 Millionen User haben würden und mehr als nur eine reine Dating-Plattform sein würde, hätten sie damals bestimmt nicht erwartet. Aber auch nicht, dass die mobile Internet-Welt durchaus für neue Herausforderungen und Schwierigkeiten sorgen werden würde. 10 Jahre später gibt es auch bereits alternative Namen für Planetromeo: Die blauen Seiten und etwas ironischer:  Das schwule Einwohnermeldeamt. Der Standort ist aus rechtlichen Gründen mittlerweile Amsterdam.

Ohne Marketing zum deutschsprachigen Marktführer

Der Erfolg von PlanetRomeo ist erstaunlich. Denn PlanetRomeo hat nie großes Tamtam gemacht, keine Werbungen, keine Marketing-Strategien, sondern stellten eigentlich nur eine Website online. Der Trick und das Geheimnis des Erfolges lag anfangs wohl einfach darin, dass man unlimitiert Profile anschauen konnte und unlimitiert Messages schicken konnte. Eine Bezahl-Version gab es zwar kurz nach Gründung, die einige (etwa nicht jugendfreie) Vorteile bot, die Gratis-User aber trotzdem weiterhin eine komfortable Usability garantierte.

Politik

Politisch zeigte sich das Portal auch. User, die in Staaten leben, in denen Homosexualität nach wie vor unter Strafe steht, bekamen kostenlosen SSL-Zugang. Deutsche oder österreichische User müssen dafür etwa die Bezahl-Version in Anspruch nehmen. Aids-Aufklärung ist mittlerweile auch Bestandteil von PlanetRomeo, dafür haben sie allerdings das aktive Suchen nach unsicheren Sex nie verboten.

Mehr als Dating

Branchenbücher mit Lokalen, Shops, etc. und tausende Clubs, die von Politik bis Star Trek, von Aquaristik bis Technik, von Fußball bis sexuelle Vorlieben reichen, ließen PlanetRomeo mehr als „nur“ eine Dating-Plattform werden. Man tauscht sich mittlerweile über alles mögliche aus. Zudem bot PlanetRomeo eine einfache Möglichkeit User als Favoriten zu markieren und so ständig mit seinen Freunden in Kontakt zu bleiben, egal ob aus der eigenen Stadt oder in einem fernen Land – lange bevor es Facebook gab!

Auch als Kommunikationsplattform für öffentliche Personen wurde das Portal genutzt: Der deutsche Grüne Volker Beck bot 2005 etwa „Bürgersprechstunden“ auf PlanetRomeo an.

Die mobile Internet-Welt

Doch in den letzten Jahre drohte PlanetRomeo eine Entwicklung völlig zu verschlafen: Internet wurde zunehmend mobil genutzt und das Design der Website war auf Smartphones einfach vollkommen unbrauchbar. Lange wartete man. Fast zu lange. Zwar hatte ein österreichischer Entwickler eine iPhone-Version gebastelt, die aber von Apple rasch wieder gesperrt wurde, weil es möglich war nicht jugendfreie Darstellungen zu sehen. Doch dann kam die erste offizielle App und seit einigen Tagen eine vollkommen überarbeitete App, die allerdings von Usern heftig kritisiert wird. Man wird sehen, ob sich der bisherige Internet-Gigant hier noch gegen Mobil-Konkurrenten wie Grindr wird behaupten können.

Warum der Erfolg?

Ich glaube, dass der große Erfolg von PlanetRomeo einfach darin liegt, dass die Site nicht perfekt ist, und auch nie perfekt sein wollte. Große monetäre Giganten des Internet wie Parship mit dem Ableger Gay-Parship buttern zwar erhebliche Beträge in Werbung und Marketing, erreichen trotzdem bei weitem nicht die Zahlen von PlanetRomeo. Und wer sich bei einer Konkurrenz anmeldet, hat vermutlich trotzdem zusätzlich ein PlanetRomeo-Profil.

Es waren anfangs schwule Jungs aus der Community, die das Portal aufbauten und das immer noch so. Man hat auf PlanetRomeo nie den Eindruck, ein großer Konzern würde den User umwerben, um Profit zu machen. Und das ist wohl das wahre Geheimnis und der Kern des Erfolgs: Authentizität. Mann bleibt „unter sich“.

Und davon kann jedes Start-Up etwas lernen. Denn man kann auch ganz still und leise ein Gigant werden.