Warum ich mich vom SK Rapid Wien abwende.

Die Rapid! Als ich 1988 nach Wien kam und schlussendlich 1991 im 14. Bezirk landete, um dort einige Jahre zu leben, wurde ich bald vom Mythos Rapid erfasst. Ein Nachbar meinte, wenn man schon im 14. wohnen würde, dürfte man quasi keinen Meldezettel ausfüllen, wenn man nicht grün-weiß sei. Also ging ich ein paar Mal mit ins Stadion und wurde so zu einem Unterstützer der Hütteldorfer. Das Wort Fan fiel mir damals (und fällt mir heute) noch schwer.

Foto ©Ballesterer: Cupspiel Vienna-Rapid, 2006 auf der Hohen Warte. Die wunderbare Zeitschrift Ballesterer machte eine Reportage über einen schwulen Fußballfan – nämlich mich – in ihrer themenspezifische Ausgabe „Dieses Heft ist schwul“ (Artikel darüber online hier).
Wenn man – so wie ich – in vielen Regionen Europas aufwächst, hat man nicht die typische Biografie eines üblichen Fußballfans, der irgendwo geboren wurde und Zeit seines Lebens Anhänger eines Klubs bleibt. In den Niederlanden geboren (mit einer echten Feyenoorderin als Mutter), im Salzkammergut aufgewachsen, wo es nun nicht wirklich einen Klub gab, den ich vollen Herzens unterstützen konnte, und eben nach Wien gekommen. Oranje blieb ich freilich. Roots quasi. Aber im Klubfußball war es die Rapid, die mir sowas wie ein fußballerisches Willkommen aussprach. Ich nahm das Angebot an – integrationswillig wie ich war.

Ich gewann Freunde, Freude und feierte Feste, trauerte bei Niederlagen. Aber trotzdem gab es in Hütteldorf immer wieder etwas, das ein mulmiges Gefühl zurück ließ:

Zum einen war bald klar, dass Rapid Problemfans hat. Fans, die mehr auf Probleme, Zündeln, Gewalt und Hooliganismus wert legten und legen. Fans, die gerne T-Shirts trugen wie „Tod und Hass dem FAK“ oder die Sprüche – seien es einzeln oder gar im Chor – los ließen, die eindeutig antisemitisch, rassistisch oder homophob waren. Klar passierte es ein paar Mal, dass ich mich umdrehte und einen anderen Fan anschnauzte und sagte: „Hey, es gibt auch schwule Rapid-Fans! Was soll das?“, aber die Gruppendynamik vor Ort ist eben so, wie es ist. Man schweigt, überhört und denkt (oder hofft?), dass es sich nur um ein paar Idioten handelt und nicht der Mehrheitsmeinung entspricht.

Und genau hier liegt das Problem!

Nach dem berühmt-berüchtigten Platzsturm am 22. Mai dieses Jahres beim Wiener Derby, hatte ich komischerweise Hoffnung. Hoffnung, dass die Vereinsführung von Rapid endlich begreift, dass sie ein Problem hat. Dass die Verantwortlichen Konsequenzen ziehen, und die Probleme nicht mehr unter dem Teppich kehren. Dass es nicht sein kann, dass man Ordner engagiert, die Hass-Parolen unter ihren Jacken tragen und dass es nicht okay ist, dass immer wieder Tod, Hass oder sonstwas gepredigt wird. Dass Rapid endlich begreift, dass Fußball da ist, um den Sport selbst zu feiern – nämlich das Wunderbare am Fußball: Mannschaftsgeist und das damit zusammen hängende soziale Verhalten, das Integrative des Fußballs, die Jugend- und Nachwuchsförderung, dass es verstanden wird, dass die Gesellschaft Wiens vielfältig ist und dem entsprechend auch der Fußball, dass Papa, Mama und kleine Kinder im Hanappi-Stadion willkommen sind, und dass es nicht sein kann, dass man sich um die Sicherheit der Kinder Sorgen machen muss. Und dass man den Gegner mit Respekt behandelt, denn ohne „Gegner“ nunmal auch kein Fußball!

Und ich hoffte, dass andere Fanklubs – deren es zahlreiche gibt! – endlich aufstehen, aufbegehren und laut und deutlich sagen: So nicht! Es gibt doch grün-weiße Akademiker? Wo ist denn deren Stimme? Warum sagen die nicht endlich: wir wollen die Rapid feiern, ohne dieses ganze Gewaltding und den Hass.

Was passierte anstatt dessen?

Weder der Fanbeauftragte der Rapid, noch die Vereinsführung zogen persönliche Konsequenzen. Das Personal blieb gleich. Wetten, dass es in der Saison 2011/12 so weiter gehen wird wie bisher? Dass die selben Sprüche gesungen werden, die selben Ordner im Stadion stehen werden, die selben Fanclubs (dezimiert um ein paar Wenige, denen man halt ein Stadionverbot ausspricht, damit man das Gefühl vermittelt, eh was zu tun) gröhlen werden? Dass noch immer Hassparolen überwiegen werden? Und die anderen Fanklubs? Die scheinen total kapituliert zu haben und resignieren. Vermutlich werden sie das auch in der Zukunft machen.

Eine andere Fußballkultur ist möglich.

2002 wurde ich mit anderen Grünen Andersrum von den Freund_innen der Friedhofstribüne zu einem Spiel des Wiener Sportklubs eingeladen. Um ein Zeichen gegen Homophobie im Fußball zu setzen. Die Friedhofstribüne informierte den „gegnerischen“ Fanklub des FC Lustenau. Die Gastmannschaft wurde mit einem herzlichem Applaus begrüßt und die Fans zur anschließenden Party eingeladen. Es gab keinen einzigen Song, keinen einzigen Ruf, nichtmal einen Rülpser, der gegen den FC Lustenau gerichtet war. Ich traute meinen Augen und Ohren nicht. So etwas hatte ich echt noch nie erlebt!

Nun ist das ja mit dem Fußball so eine verflixte Sache: Anhängerschaft wechselt man ja nicht wie ein Hemd. Das „gehört sich“ einfach nicht. Also blieb ich Sympathisant des Wiener Sportklubs und ging nach wie vor zu Rapid-Spielen. Das änderte sich auch (noch) nicht, als wir 2006 beim Spiel Wiener Sportklub gegen Parndorf die Aktion wiederholten.

Doch seit dem 22.5.2011 habe ich jede Hoffnung verloren. Zumindest was Rapid betrifft. Und zwar als jemand, der daran glaubt, dass Fußball integrativ wirken kann, Aufgaben jenseits des sportlichen übernehmen kann und ein Grätzl – ja eine ganze urbane Region – zusammen bringen kann, für erwachsene Männer ebenso attraktiv sein kann, wie für Frauen und Kinder. Und dass eine Vereinsführung die verdammte Pflicht hat, Hass, Antisemitismus, Rassismus und Homophobie klar zu verurteilen.

Natürlich ist mir klar, dass der Platzsturm vor allem (auch) gegen die Vereinsführung und die enttäuschende sportliche Leistung der Rapid in der vorigen Saison gerichtet war. Aber wo soll das noch hinführen? Wollen wir wirklich eine Fußballkultur, in der Väter und Mütter Angst um die Sicherheit ihrer Kinder haben müssen? Eine Fußballkultur, in der der Gegner abschätzig und mit Hass begrüßt werden, statt mit Respekt? Der SK Rapid Wien hat in den letzten Jahren hier vollkommen versagt. Und scheint auch nicht wirklich etwas zu ändern wollen, wenn man sieht, dass das Personal das Gleiche bleibt.

Deshalb wende ich mich mit Grauen und Enttäuschung vom SK Rapid Wien ab.

Gestern war die Generalversammlung des demokratisch organisierten Wiener Sportklubs. Ich war als Gast dabei. In Vorgesprächen konnte ich meine Haltung und Meinung zur Fußballkultur im Allgemeinen und zum Sportklub im Besonderen kundtun. Und – obwohl noch (!) nicht einmal Mitglied – wurde ich gebeten kooptiert in den Vorstand des Wiener Sportklubs zu gehen.

Ich nahm das Angebot dankend an. Nicht nur wegen dem Wiener Sportklub nahm ich das Angebot gerne an. Sondern vor allem und auch, weil ich immer noch an die integrative Kraft des Fußballs glaube. Oder glauben will.

Henryk M. Broders verquere Logik.

In der deutschen Welt-Online greift Henryk M. Broder in seinem Artikel Der Papst lässt keine Schwulen steinigen die Lesben- und Schwulencommunity frontal an, vor allem den deutschen LSVD. Hintergrund sind angekündigte Demonstrationen gegen den Papst-Besuch in Deutschland.

Prinzipiell halte ich die oft bewusst provokant formulierten Äußerungen Henryk M. Broders für nicht selten intelligent und regen zu Debatten an. Das ist einer Demokratie zuträglich. Daher darf er sich so äußern, wie er sich äußert. Allerdings: Wenn man schon provozieren will, dann muss man auch mit Gegendarstellungen und Gegenmeinungen rechnen. Und aus meiner Sicht sind Broders Äußerungen schlicht verquer und dumm.

Ich halte Broders Äußerungen übrigens nicht für deshalb dumm, weil er bekennender Hetero ist wie beispielsweise queer.de das in seinem Artikel betont. Im Gegenteil. Ich finde es sogar gut, wenn sich Heteros und Heteras Gedanken über die lesbisch-schwule Emanzipation und der aktuellen Lage machen. Und das als Journalisten auch schreiben.

Ich halte es für deshalb dumm und bin deshalb von Broder enttäuscht, weil ich gerade ihm die Bedeutung universeller Menschenrechte zugetraut hätte, ihm bessere Vergleiche mit anderen Gruppen zugetraut hätte und weil ich davon ausgegangen bin, dass Broder Geschichtsverständnis hat, was er in diesem Artikel vollends vermissen lässt.

Broders merkwürdige Vergleiche

Hier ein Beispiel über Broders Vergleiche in seinem Artikel:
„Man muss tatsächlich zugeben, dass die Rechte von Lesben, Schwulen und Transgender nicht an der Spitze der politischen Agenda des Papstes stehen. So wie er sich nicht hauptsächlich um die Versorgung der Juden mit koscheren und der Moslems mit halal Lebensmitteln kümmert. Auch die Anliegen der Vegetarier, der Nichtraucher und der Anonymen Alkoholiker werden von ihm nicht mit dem Ernst vertreten, den diese Gruppen von ihm erwarten. Der alte Herr im Vatikan kann sich eben nicht um alles kümmern.“
Wie bitte? Meint Broder, dass lesbisch oder schwul sein eine religiöse Frage ist, wie sein Vergleich mit Muslimen und Juden vermuten lässt? Oder findet er doch, dass lesbisch oder schwul sein eine persönliche und freie Lebensentscheidung wäre – und nicht etwa etwas, wofür man nichts kann? Dieser Satz sagt leider mehr über Broders Ahnungslosigkeit als über die Lesben- und Schwulencommunity. Weder ist Homosexualität eine Religion, noch ein bewusster Lebensstil etwas zu essen oder nicht zu inhalieren. Und schon gar keine Krankheit à la Alkoholismus. Dass Broder diese Dinge in einem Atemzug nennt ist schlicht ungeheuerlich. Da hat jemand wohl über ein Thema geschrieben, über das er sich noch nie Gedanken gemacht hat oder sich jemals informiert hätte. Anders lässt sich so etwas nicht erklären.

Der Papst – Hauptverantwortlicher oder nicht?

Broder kritisiert das Bündnis Der Papst kommt!, in dem eben auch der LSVD vertreten ist, weil sie den Papst als Hauptverantwortlichen für die weltweite Unterdrückung von Lesben und Schwulen bezeichnet. Und weiter:
„Kaum anzunehmen, dass in Ländern, deren Bürger nicht einmal das Recht haben, ihre Meinung frei zu äußern, ein Wort des Papstes etwas bewirken würde, das die Lage der Lesben, Schwulen und Transgender verbessern könnte.“
Welche Veränderungen ein Papst in der Weltpolitik erreichen kann, ist unter Historiker_innen eigentlich unumstritten: Ohne einen polnischen Papst und seine Reisen nach Krakau oder Warschau wären die Umwälzungen 1989 vermutlich nicht passiert. Da sind sich nahezu alle einig. Das wissen sogar nicht-christliche oder atheistische Menschen.

Viel wichtiger aber, dass es der Vatikan war, der sich explizit immer wieder gegen UNO-Resolutionen ausgesprochen hat, die eine Entkriminalisierung von Homosexualität weltweit forderten. Aus dem Vatikan waren in solchen Momenten Sätze zu hören, die unmissverständlich waren: Solche Resolutionen würden einen „Niedergang des traditionellen Ehebegriffs und moralischer Werte“ bedeuten. Anders gesagt: Dem Vatikan waren – offiziell! – in solchen Fällen Länder lieber, die Homosexuelle verfolgen, einsperren oder gar umbringen, als eine Entkriminalisierung, weil es die von ihr gehüteten „moralischen Werte“ zu sehr bedrohen würde. Noch im Jahr 2010 bezeichnete der aktuelle Papst Benedikt XVI. in einem Interview-Buch mit Peter Seewald Homosexualität als „gegen Gottes Wille“ und als „moralisch nicht richtig“. Da befindet sich der Vatikan ideologisch näher zum Iran als zum liberalen Staat.

Broder scheint das okay zu finden. Oder er scheint die offiziellen Äußerungen des Vatikans zum Thema gar nicht zu kennen. Das hätte ich mir nicht von ihm erwartet. Ehrlich nicht. Denn anders als zu Fragen (und den dummen Vergleichen) wie Alkoholismus, Vegetarier oder anderer Religionen, äußert sich der Vatikan ständig zum Thema Homosexualität! Seit nahezu 2000 Jahren macht sie das und trug zu einer langen – sehr langen – Verfolgung bei. Bis heute. Lernen Sie Geschichte, Herr Broder!

Noch eine Anmerkung: Hätte Broder übrigens die Frage gestellt, ob sie Zuspitzung der Demos gegen den Papst (persönlich) sinnvoll seien, oder aber ob es nicht gescheiter wäre, gegen die Dogmen der Kirche insgesamt zu demonstrieren: Ja, das wäre okay gewesen und eine durchaus sinnvolle Fragestellung. Aber darum geht es Broder nicht. Auch darüber zu diskutieren, wie zersplittert und zerstritten die Kirche gerade in dieser Frage ist, wäre eines Blickes würdig gewesen. Wir – vor allem die lesbischen und schwulen Menschen, die in einer katholischen geprägten Umgebung leben –wissen, dass es in der Kirche viele liberale und humanistische Stimmen gibt. Und eben genauso heftig und brutal die Gegenstimmen, die sich immer wieder Gehör schaffen. Insbesondere aus dem katholischen Hauptquartier im Vatikan.

Menschenrechte sind nicht national

Dann erklärt uns Broder, wie rosa das Leben der Lesben und Schwulen doch sei. In Deutschland zumindest:
„Konnte sich jemand vor nur 20 Jahren vorstellen, dass es eines Tages einen offen schwulen Außenminister, einen bekennenden schwulen Regierenden Bürgermeister, eine AG für Lesben, Schwule und Bisexuelle in der CDU/CSU geben würde, nur eine Generation nachdem Franz-Josef Strauß ausgerufen hatte, er wäre lieber ein kalter Krieger als ein warmer Bruder?“
Und dann kommen noch so tolle Beispiele, etwa die TV-Dokusoap Bauer sucht Frau, weil dort ein Bauer auch mal einen Mann suchen dürfe. Ist Ihnen das unangenehm, Herr Broder? Möchten Sie lieber in einem Land leben, wo das nicht passiert? Nein, das traue ich Henryk M. Broder nicht zu, möchte ich an dieser Stelle betonen. Aber warum erwähnt er das dann extra? Vermutlich weil es doch gar nicht so selbstverständlich ist, wie man gemeinhin glauben mag. Ich erinnere nur mal an das Tamtam rund um Alfons Haiders Tanz mit einem Mann hierzulande – einem übrigens sehr katholisch geprägten Ländchen (siehe Brief an Lauda hier).

Aber viel mehr wiegt die Tatsache, dass Menschenrechte – freilich auch die von Lesben, Schwulen und Transgendern – universell zu gelten haben. Broder erwähnt selbst in seinem Artikel Uganda als ein Beispiel. Wer die Debatten um einen Anti-Homosexuellen-Gesetz in diesem afrikanischen Land verfolgt hat, weiß wie sehr dort mit christlichen Moralvorstellungen argumentiert wird. Bis zur Verteidigung einer Todesstrafe, die immer noch von einzelnen Politiker Ugandas unterstützt wird. Ob ein deutliches Wort des Papstes geholfen hätte? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Schweigen hat aber ganz bestimmt nicht geholfen, Herr Broder. Das wissen Sie genauso gut wie der Papst selbst.

Die Lesben und Schwulen Deutschlands können sich zurecht freuen in einem sogar für europäische Verhältnisse liberalen Staat zu leben, in dem lesbische Tatort-Kommissarinnen genauso möglich sind wie schwule Außenminister. Aber zu meinen, man habe sich als Interessensvertretung nur für die Belange im eigenen Land zu interessieren, ist natürlich Humbug. Zumal jeder und jede weiß, dass es auch in den liberalsten Ländern wie den Niederlanden oder Deutschland noch immer Tragödien gibt – etwa weil sich jemand in einer streng religiösen Familie outet. Immer noch europäischer Alltag. Noch lange nicht überwunden.

Der Hinweis auf den Iran

Im letzten Satz schreibt Broder:
„Würden sich die im Anti-Papst-Bündnis vereinten 33 Organisationen in den nächsten drei Monaten um die Opfer der iranischen „Justiz“ kümmern, könnten – vielleicht – ein paar Leben gerettet werden. Immerhin ist im Vatikan lange keine Ehebrecherin gesteinigt und kein Schwuler aufgehängt worden.“
Da hat er natürlich recht, ich verstehe nur den Zusammenhang mit seinem vorher geschriebenen Geschwurbel nicht.

Eine Frage, Herr Broder: Ist Ihnen eine Aussage des Papstes, der die Ermordung von Lesben und Schwulen im Iran verurteilt, bekannt? Ich kenne solch eine Aussage nicht! Und ja freilich haben Lesben und Schwulen auch gegen die Verfolgung und Ermordung von Lesben und Schwulen zu demonstrieren, wenn sie nicht im Namen der katholischen Kirche verfolgt werden, sondern aufgrund anderer religiös-fundamentalistischen Gründen oder irgendwelcher kranken Rassen- oder völkischen Theorien. Aber der Papst und die römisch-katholische Kirche steht eben auch in der hitsorischen Tradition der Verfolgung. Das zu negieren, ist – wie gesagt – dumm und zeugt von kompletter Ahnungslosigkeit über die Geschichte der Homosexuellen-Verfolgung.

Subtext

Und ich komme nicht umhin einen Subtext in Broders Artikel herauszulesen: Ihm sind die Lesben und Schwule, die da jetzt in Deutschland überall sichtbar und öffentlich werden, scheinbar unangenehm. Herr Broder, ich fürchte Sie haben da wirklich ein persönliches Problem.

Das neue FPÖ-Parteiprogramm aus queerer Sicht.

Dieses Wochenende war aus lesbisch-schwul-transgender Sicht der Höhepunkt des Jahres. In Wien gingen rund 110.000 Menschen auf die Straße, um an der Regenbogenparade teilzunehmen. Lesben, Schwule, Transgender, Bisexuelle und zahlreiche solidarische Heterosexuelle demonstrierten für ein vielfältiges Österreich, das alle sexuelle Orientierungen akzeptieren, respektieren und rechtlich gleichstellen will. Damit verknüpft das Motto Show your face, das allen Mut machen soll, zu ihrer sexuellen Freiheit zu stehen und einzufordern.

Apropos Freiheit.

Am selben Wochenende hielt die FPÖ Parteitag in Graz. Dort wurde das neue Parteiprogramm beschlossen. In 10 freiheitlichen Leitsätzen wird die Politik der Freiheitlichen Partei festgelegt. Über vieles wurde bereits in den Medien ausführlich berichtet und reflektiert. Aus Sicht der Lesben und Schwulen ist besonders der 4. Leitsatz interessant:

„Die Familie als Gemeinschaft von Mann und Frau mit gemeinsamen Kindern ist die natürliche Keimzelle und Klammer für eine funktionierende Gesellschaft und garantiert zusammen mit der Solidarität der Generationen unsere Zukunftsfähigkeit.“
Den einen oder anderen Punkt mag man dann in den Erläuterungen zum 4. Leitsatz vielleicht noch gut heißen, zum Beispiel, dass Frauen und Männer chancengleich behandelt werden sollen – allerdings ohne Gender Mainstreaming, wie dann gleich darauf noch extra betont werden muss.

Dann heißt es:

„Die Familie, geprägt durch die Verantwortung der Partner und der Generationen füreinander, ist Grundlage unserer Gesellschaft. Die Lebensgemeinschaft von Mann und Frau wird durch das Kind zur Familie. Wer alleinerziehend Verantwortung übernimmt, bildet mit den Kindern eine Familie.“
Alleinerzieher_innen haben also nochmal Glück gehabt. Gerade noch werden sie von der FPÖ knapp als Familie anerkannt. Aber Regenbogenfamilien? No way. Patchworkfamilien werden übrigens auch nicht erwähnt. Wenn also beispielsweise eine Frau aus einer früheren heterosexuellen Beziehung Kinder hat, dann eine Frau kennenlernt und mit ihr den Rest ihres Lebens als Familie verbringen will – so ist das keine Familie. Auch wenn der leibliche Vater guten Kontakt zur neuen Familie pflegt und Teil dieser ist. So meint zumindest die FPÖ. Sie definiert die Norm, alles andere wird schlicht nicht akzeptiert. Das ist die Kernaussage.

Mit anderen Worten: Gesellschaftlich real existierende Lebensformen werden von der FPÖ ausgegrenzt. Sie verdienen die Bezeichnung Familie nicht.

Doch im nächste Absatz geht es klar zur Sache:

„Wir bekennen uns zur Vorrangstellung der Ehe zwischen Mann und Frau als besondere Form des Schutzes des Kindeswohls. Nur die Partnerschaft von Mann und Frau ermöglicht unserer Gesellschaft Kinderreichtum. Ein eigenes Rechtsinstitut für gleichgeschlechtliche Beziehungen lehnen wir ab.“
Die in unendlich vielen Diskussionen gestellte Frage, was denn nun mit heterosexuellen Paaren sei, die heiraten und keine Kinder haben wollen oder tragischerweise nicht können, wird freilich auch im FP-Programm nicht beantwortet. Homosexuelle sind offensichtlich die Bösen, die gesellschaftlich nutzlos sind.

Ein eigenes Rechtsinstitut für gleichgeschlechtliche Paare wird von der FPÖ kategorisch abgelehnt. Ein Institut, das es bekanntlich im österreichischen Recht bereits gibt – mit noch zahlreichen diskriminierenden Sonderbestimmungen. Aber was bedeutet die Ablehnung der FPÖ für Lesben und Schwule, die planen eine Eingetragene Partnerschaft einzugehen? Oder für bereits eingetragene Partner und Partnerinnen? Zumal ja die FPÖ in Umfragen derzeit die stärkste Partei ist und demnächst den Kanzler stellen könnte?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass Samstag auf der Wiener Ringstraße auch viele freiheitlich wählende Lesben, Schwule, Transgender, Bisexuelle und Heterosexuelle demonstrierten und dabei waren. Die tun das aus möglicherweise anderen Gründen. Auch mir persönlich sind schon viele FPÖ-Wähler_innen in der Community begegnet. Diese sollten aber jetzt wirklich dringend nochmal nachdenken darüber, was sie da tun. Bei allem Verständnis für den Stillstandsfrust, der dieses Land derzeit lahmzulegen scheint, aber Rückschritte und Ausgrenzung kann doch wohl nicht das Ziel dieses Landes sein!

"Bored in Saudi-Arabia"

Vieles ist über die arabischen Revolutionen geschrieben worden. Auch ich habe unter anderem hier bereits dazu geschrieben, wobei mich vor allem die sozialen Netzwerke im Internet als neue demokratische Basis interessierten und interessieren.

Aber was wir – aus unserer westlichen Perspektive – auch schreiben, es wird wohl nur teilweise der Wahrheit gerecht. Lassen wir also einmal einen jungen Saudi namens Alaa Wardi selbst erzählen, wie er sein Leben so sieht. Wie frustriert er ist, in Saudi-Arabien zu leben – und wie frustriert er ist, dass ihm der Westen auch keine Perspektive anbieten will, obwohl er dazu bereit wäre. Naturgemäß auf YouTube:

Danke an Ben Dagan, der das Video postete und mich aufmerksam machte.

Politische Nachwirkungen der Gewalt in Split.

Erschütternde Bilder gingen um die Welt (siehe Fotostrecke hier). Im kroatischen Split demonstrierten rund 300 Teilnehmer_innen der ersten CSD-Parade für die rechtliche und gesellschaftliche Akzeptanz von Lesben, Schwulen und Transgendern. Und 10.000 demonstrierten gegen diese Demonstration und skandierten unter anderem „Tötet die Homos“.

Kroatien ist ein Beitrittsland. Nur knapp vor den Ereignissen in der inoffiziellen Hauptstadt Dalmatiens kündigte die EU-Kommission an, Kroatien könnte wohl 2013 der Europäischen Union beitreten. Diese Beitrittsperspektive war vermutlich vor allem der Grund, dass die kroatische Regierung die Gewalt in Split unmissverständlich verurteilte. Die Polizei in Split bereitete sich auf den Einsatz vor und  beschützte die 300 Demonstrant_innen so gut sie konnten. Es bestand angesichts der Beitrittsmöglichkeit Handlungsbedarf und klare Signale an die EU.

Die niederländische Botschafterin in Kroatien – Stella Ronner-Grubačić, selbst Teilnehmerin am CSD in Split – meinte nach den Ereignissen, dass Kroatien bis zum EU-Beitritt ein Monitoring brauche. Die Niederlande würde darauf bestehen. Im Europäischen Parlament gibt es auch einen Kroatien-Berichterstatter. Dieser heißt Hannes Swoboda und ist bekanntermaßen österreichischer Sozialdemokrat. Er korrigierte die niederländische Diplomatin. Swoboda ist über den „Vorfall“ lapidar „nicht glücklich“, meint aber, dass solche Ausschreitungen in jedem EU-Land vorkommen. Aha? Er war offensichtlich noch nie auf der Wiener Regenbogenparade, oder in Berlin, Amsterdam, Köln oder sonstwo. Zudem meint er, es sei nicht fair, und es sei nur Stimmungsmache gegen den Beitritt Kroatiens, und man möge diesen Vorfall doch bittschön isoliert betrachten.

Ulrike Lunacek, bekanntlich Grüne und offen lesbische Abgeordnete im Europaparlament fand darauf klare Worte und wirft Swoboda „Verharmlosung“ vor (siehe Artikel hier).

Hier offenbart sich leider erneut eine Krise, die innerhalb der Europäischen Union zunehmend sichtbar wird und vor allem mit der Identität der EU zu tun hat. Wofür steht sie? Was ist ihr Leitbild und was die Grundprinzipien? Sind Menschenrechte so ein Grundprinzip? Die Verurteilung von Gewalt gegen Minderheiten? Oder sind die wirtschaftlichen Perspektiven so wichtig, das sie über alles andere stehen? Wenn man Swobodas Äußerungen weiterdenkt, dann scheint das so zu sein: Gewalt, die auf den Straßen stattfindet, ist zwar ein böser „Vorfall“, aber hat nichts mit Beitrittsverhandlungen zu tun.

Was sind denn dann die Voraussetzungen für einen Beitritt?

Wer mich kennt weiß, dass ich ein glühender Befürworter der europäischen Integration bin. Ich glaube auch, dass die Integration des Balkans notwendig und wichtig ist. Aber nach den Ereignissen in Split frage ich mich schon, welche Voraussetzungen erfüllt sein sollen. Bekanntlich nützen nationalistische Strömungen – gerne und oft organisiert über Fußballklubs (vergleiche dieses serbische Beispiel) – viele Gelegenheiten, um die pro-europäischen Regierungen zu destabilisieren.

Ich bin erfreut, dass die kroatische Regierung sich klar gegen die Gewalt äußerte. Aber von der Europäischen Union erwarte ich mir – als Unionsbürger – dass man mir reinen Wein einschenkt, dass man mir klar vermittelt:

ob ein Beitrittskandidat so starke gewaltbereite nationalistische Strömungen hat, dass sie die europäische Integration langfristig schaden könnten,
ob Staaten, die noch vor wenigen Jahren noch Krieg führten, diese historisch und gesellschaftlich aufgearbeitet haben,
ob langfristig und legislativ die Menschenrechte in diesen Ländern auch in vollem Umfang beschützt werden (Was wenn zB. Nationalisten regieren? Das gilt im übrigen durchaus auch für westeuropäische Länder).

Diese klare und ausgewogene Berichterstattung erwarte ich aber vor allem von einem gewählten Mandatar, der parlamentarischer Berichterstatter (!) Kroatiens ist. Schönreden halte ich für entbehrlich, gefährlich und kontraproduktiv.

Split hat übrigens eine multikulturelle Vergangenheit – griechisch, römisch, byzantinisch, bosnisch, venezianisch, österreichisch-ungarisch, kroatisch. Der Name entstammt dem griechischen Wort ἀσπάλαθος (Aspalathos), was „spanischer Besen“ bedeutet. Möge ein Besen die schrecklichen Bilder vom 11.6.2011 bald zur Vergangenheit machen:

Talentebörse YouTube.

Das Internet bietet neue Möglichkeiten sein Können zu zeigen, auch wenn man nicht bei einer Plattenfirma oder sonstwo unter Vertrag steht. Das ist mittlerweile längst bekannt. Und langsam spricht sich das auch bei den Labels herum, die einerseits das Internet noch immer gerne als Feind betrachtet, weil Menschen überall und frei Musik downloaden und Videos schauen können. Andererseits werden sie hier auch fündig.

Die Liste der Menschen, die es über YouTube zu einer gewissen Berühmtheit geschafft haben, wird Tag für Tag länger. Da gibt es Tänzer und Tänzerinnen, Gesangsdarbietungen, Video-Blogs u.a. von Menschen, die unfassbar hohe Zugriffe haben. Einige davon schaffen es auch über die YouTube-Welt hinaus bekannt zu werden.

Da wäre zum Beispiel Alexa Goddard und ihr YouTube Channel. Sie promotete ihre Musik und Coverversionen über die Videoplattform und Twitter und fand sich später in den britischen Charts wieder. Auch ein Wiener schaffte den Sprung von YouTube zu einer gewissen Berühmtheit in der Hip Hop Szene. Money Boy covert Turn My Swag On als Dreh den Swag auf und hat unfassbare 11 Millionen Zugriffe (Video). Mittlerweile nimmt er schon Songs mit Sido auf.

Die Liste ließe sich fortsetzen (siehe diese englischsprachige Liste an YouTube Stars auf Wikipedia).

Moderator Andi Knoll macht auf seiner Facebook-Seite und im Hitradio Ö3 auf einen 16-jährigen Tiroler aufmerksam. David aus Zirl singt auf YouTube Fuck You (Forget You) von Cee Lo Green und hat bereits einige Tausend Zugriffe. Auch ein amerikanischer Produzent sah das und hörte gut: Er wollte den Jungen haben. Der aber wollte erst einmal seine Matura machen. Andi Knoll konnte ihn aber dazu überreden, dass er im Herbst in der neuen ORF-Show Die große Chance mitmacht. Ein Star durch YouTube? Zumindest ein Riesentalent, entdeckt im Web 2.o. Seht und hört selbst:

Islands Verfassung wird auf Twitter und Facebook geschrieben.

Island geht voran. In einem außergewöhnlichen Projekt des Crowdsourcings (Deutsch: „Schwarmauslagerung“), wird eine neue Verfassung des Nordatlantikstaates – mit seinen Vulkanen, Gletschern und Papageientauchern – geschrieben. Auf diversen Social Media Plattformen kann jeder Isländer und jede Isländerin Feedback geben, formulieren und diskutieren. Basis bildet die Website Stjórnlagaráð (zu deutsch etwa: Verfassungsrat). Auf Twitter wurde ein dem entsprechender Account eingerichtet, auf Facebook ebenso.

Nach der ökonomischen Krise Islands 2008, in dem das Land pleite ging, folgte eine völlige Neuorientierung des Landes – ganz öffentlich diskutiert. Die Identität des Landes in einer globalisierten Welt wird ebenso hinterfragt, wie die politische Struktur des Landes mit der ältesten noch existierenden parlamentarischen Demokratie (Alþingi, gegründet 930).

Der geplanten neuen Verfassung gingen schon vorab innovative demokratische Prozesse voran (vergleiche diesen Blogbeitrag vom November 2010).

In einem CNN Interview erzählt Katrín Oddsdóttir über die ersten Erfahrungen, wie die Initiatoren und Initiatorinnen mit Ängsten so Manche_r aus der Politik umzugehen hatten, und wie sich das Projekt entwickelt:

Island ist somit das erste Land, das konsequent neue technologische Möglichkeiten nutzt, um demokratische Reformprozesse in Gang zu setzen. Und das gleich mit dem wohl wichtigsten legistischen Dokument, das es in einem modernen Rechtsstaat überhaupt gibt: Die Verfassung!

Das politische Verbotsproblem.

Heute morgen gibt es viel Aufregung im Social Web und in Online-Zeitungen, nachdem Eva Glawischnig vorschlug Zigarettenautomaten zu verbieten. Grundlage der Forderung ist die tatsächlich Besorgnis erregende Tatsache, dass in keinem anderen Land so viele Jugendliche so früh zur Zigarette greifen, wie in Österreich.

Es wurden ja nun schon viele Verbote diskutiert. Im Sommerloch vor zwei Jahre wurde etwa darüber diskutiert, ob das Handytelefonieren in öffentlichen Verkehrsmitteln verboten werden soll. Bettelverbote, Netzsperren, Rauchverbote in Lokalen, Kleidungsvorschriften in Schulen, und und und. Die Liste der (möglicherweise) sinnvollen und sinnentleerten Verboten ließe sich endlos fortsetzen.

Aber woher kommt dieser Drang zum Verbot als politisches Konzept? Was ist da in den letzten Jahren (oder sind es Jahrzehnte?) passiert?

Nur politische Frage?

Möglicherweise ist es gar nicht nur ein politisches Problem, dass Verbote immer stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Vielmehr dürfte es sich um ein gesellschaftliches Phänomen handeln. Denn auch in Bereichen, die nicht politisch organisiert sind, wird immer mehr mittels Verboten organisiert. Checkte man früher einfach in ein Hotel ein, bekommt man heute oft eine ganze Liste an Erlaubtem und Nichterlaubtem. Pissoirs waren früher einfach Pissoirs, heute sind es Regelwerke mit vielen Verbotsschildchen und Piktogrammen. Für das Geschriebene auf der Rückseite von Eintrittskarten zu Veranstaltungen bräuchte man mittlerweile juristische Fachberatung.

Was kann der Staat?

Aber zurück zur Politk. Es fehlt IMHO dazu eine Diskussion, die eine Demokratie unbedingt braucht. Sie findet zwar statt, steht aber bei weitem nicht im Zentrum der öffentlichen Debatte, wo sie meiner Meinung nach hingehört. Wo enden persönliche Freiheiten zugunsten des Allgemeinwohls? Was kann und muss vom Staat und anderen gesetzgebenden Körperschaften geregelt werden, was aber obliegt der Einzelverantwortung und nicht der Politik? Sind laut telefonierende Öffi-Fahrer_innen ein Problem, um das sich die Kommunalpolitik kümmern soll, oder ist das etwas, dass die Öffi-Fahrer_innen bitte selbst untereinander ausmachen sollen? Sind Orte, an denen sich Raucher_innen und Nichtraucher_innen treffen und sich irgendwie arrangieren müssen, eine private Angelegenheit ebendieser Menschen oder muss da der Staat eingreifen? * Mancherorts wird diskutiert, ob man das Essen von Kebabs, Pommes, Leberkässemmel und Co. in Öffis verbieten soll. Wenn einem das denn stört, schreit man dann gleich nach dem Staat – da möge doch bitte endlich die Politik eingreifen – oder kann man als Fahrgast nicht einfach einem Stinker oder eine Stinkerin sagen: Hey, könntest du nicht etwas mehr Rücksicht nehmen?

Anders gefragt: Sollte nicht die Gesellschaft mehr aufgefordert werden, Dinge unter sich zu regeln? Sollte bezüglich des Problems der jugendlichen Raucher und Raucherinnen nicht doch andere Maßnahmen ergriffen werden, als Verbote die das Rauchen möglicherweise nur noch attraktiver machen? In den Schulen, in den Netzwerken der Jugendlichen? Ich kann mich gut an eine Zeit erinnern, in der alle Experten und Expertinnen meinten, dass Verbote eh nichts bringen. Damals war ich noch jugendlich. Warum diese Stimmen leiser geworden sind, weiß ich nicht. Vielleicht werden sie auch einfach nicht mehr gefragt, weil eine Verbotsforderung auch medial „geiler“ ist – ein richtiger Sager eben. Aufklärungsmaßnahmen zu fordern ist – journalistisch gesehen – ziemlich öd und wird gar nicht mehr geschrieben. Ein Politiker, der sowas sagt, kommt medial einfach nicht vor. Allerdings: Ein Sager „Hier hat die Politik nichts zu entschieden. Liebe Gesellschaft, macht euch das doch selber unter euch aus. Diskutieren wir das alle gemeinsam, übernehmen wir alle die Verantwortung“, würde aber auffallen. Mir fehlen solche Statements.

Wer Verbote fordert, nimmt der Zivilgesellschaft à la longue auch die Eigenverantwortung. Zu Ende gedacht, wäre der Staat dann für alles zuständig, der einzelne Staatsbürger und die einzelne Staatsbürgerin für nichts mehr. Denn man ruft einfach immer nach dem Staat.

Wer soll Verbote kontrollieren?

Verbote machen übrigens nur Sinn, wenn sie denn auch kontrolliert werden. Zeitgleich stöhnt die Exekutive unter Personalmangel. Zurecht fordert die Gesellschaft, dass Kapitalverbrechen geahndet werden – seien es Steuerhinterziehungen, unfassbar komplizierte Wirtschaftsverbrechen und Korruptionsfälle, Insiderhandel und natürlich Klassiker wie Raub, Mord und Totschlag. Wollen wir wirklich in einer Stadt, einem Staat, einem Europa leben, das alles reglementiert und jedes Detail verbietet und erlaubt? Und wer soll das kontrollieren? Wollen wir wirklich Exekutivbeamte und -beamtinnen an jeder Ecke und in jeder Glasfaserkabel, die alles überprüfen und abstrafen?

Die Grenzen des Staates liegen nunmal auch in ihren budgetären Möglichkeiten und was er damit macht. Gleichzeitig hunderte Verbote zu fordern, sowie zu verlangen, dass diese kontrolliert und exekutiert werden geht nunmal nicht parallel zur Forderung, der Staat möge aufgrund der hohen Verschuldung einsparen und die Verwaltung schlanker machen.

Wir haben also tatsächlich ein Verbotsproblem. Man muss kein Ultraliberaler sein, um das zu erkennen. Die Lösung kann meiner Meinung nach nur die langfristige Stärkung der Zivilgesellschaft sein. Und klar machen: Liebe Bürger und Bürgerinnen, der Staat ist nichts ohne euch. Ihr macht ihn aus. Es gibt Dinge, die müsst ihr selber regeln, vieles natürlich gemeinsam mit der Politik. Wir alle sind Staat. Das wäre im Übrigen auch eine Stärkung der Demokratie an sich.

Und zeitgleich könnten sinnvolle Verbote, die tatsächlich notwendig sind, um etwa das Klima zu retten oder Verbrechen schon im Vorfeld auszuschalten (Korruption zB.) besser bekämpft und exekutiert werden.

 
*Anm.: Der einzige Grund für mich, den Nichtraucher_innenschutz im Gastgewerbe nachzuvollziehen, war für mich das Personal, das dort stundenlang, tagelang, jahrelang arbeitet.

Eingetragene Partnerschaften und die Marktlücke.

Normalerweise heißt es oft, die Wirtschaft sei in einigen gesellschaftspolitischen Bereichen schneller als die Politik. Oft stimmt das ja auch. Aber die Einführung der Eingetragenen Partnerschaft hat sich offenbar noch nicht so recht rumgesprochen. In der Wirtschaft nämlich.

Neulich erzählte mir eine junge Frau ihre Erlebnisse, als sie zu einer feierlichen Partnerschaftsfeier eingeladen war. Sie klapperte Trafiken, Buchläden und andere Geschenke-Shops ab, um eine Glückwunschkarte zu kaufen. Nirgendwo wurde sie fündig. Manche Trafikanten schauten ganz beschämt, gingen „nach hinten um nachzuschauen“ um dann mitzuteilen: „Na, sowas hamma net!“.

Hier erkennt man ganz gut, dass sich Lesben und Schwule eine gute Infrastruktur aufgebaut haben. Die hätten das Problem nämlich so nicht. Die wüssten, dass sie einfach ins Löwenherz – Wien 9, Berggasse 8 – gehen. Daran erkennt man aber vielleicht auch das darunter liegende Problem, dass vielleicht gleichzeitig auch kein Problem ist, sondern ganz normal:

Dass Communities sich entwickeln, mit allen dazugehörenden Shops, Cafés, Bars und Clubs. Und die, die nicht zur Community gehören, dort gar nicht hingehen wollen, trauen, was auch immer.

Also, liebe Heteros und Heteras. Falls ihr zu einer Eingetragenen Partnerschaft eingeladen seid, dann klappert vorläufig keine Mainstream-Buchläden, Trafiken und Gift-Shops ab, sondern geht ruhig ins Löwenherz. Dort gibt es eine Fülle von Glückwunschkarten für Eingetragene Partnerinnen und Partner.

Zum Beispiel „Typ lustig und süß“:

Oder Typ sarkastisch:

Das ideale Bildchen für Lederkerle:

Oder doch lieber stylish reduziert?

Oder doch etwas traditioneller?

Schwarz/weiß, kopflos (!) und doch traditionell?

Für diejenigen, die gerne alle möglichen Wünsche los werden wollen:

Oder halt so:

Was aber auffällt ist, dass Frauenmotive noch eher selten sind. Auch ein Problem der Wirtschaft? Marktlücke für eine internationale Glückskartenindustrie?

Trotzdem: Bis solche oder ähnliche Glückwunschkarten auch im Mainstream-Handel erhältlich sind, bleibt euch Heteros und Heteras nichts anderes übrig, als doch auch mal einen schwul-lesbischen Buchladen zu besuchen. Er wird euch eh gefallen, glaubt’s mir…