„Diese Broschüre manipuliert und indoktriniert und will Kinder umerziehen. Dagegen verwehren wir uns.“
Die unfassbarste Aussage des Abends kam zum Schluss, als niemand mehr etwas entgegnen konnte. Obige Sätze waren der Schlusssatz der Sendung Pro und Contra auf Puls 4 (Stream der gestrigen Sendung), bei der ich auch zu Gast war. Thema: Die Aufklärungsbroschüre „Ganz schön intim“ (PDF) des Vereins Selbstlaut. Das Unterrichtsministerium hatte die Broschüre finanziert. Und das passt Frau Gudrun Kugler-Lang, Theologin, Fundamentalistin, Abtreibungsgegnerin, frühere ÖVP-Kandidatin in Wien und ihrem Netzwerk angeblicher „besorgter Eltern“ nicht. Sie wartete bis zum Schluss um ihre und die ihrem Netzwerk rund um Weihbischof Andreas Laun übliche Ideologie kundzutun, wie sie im obigen Zitat erschütternd offenbar wird.
Zuvor zeigte sie ihre NLP-Schulung, wie es widerlicher nicht mehr geht. Immer ein bisschen Verständnis vorgaukeln, sich höflich für ein Statement bedanken, um dann wieder im Subtext kundzutun: Homosexualität soll in den Schulen ein Tabu bleiben, Randgruppe bleibt Randgruppe. Und immer wieder wurde suggeriert, wir würden von einer Broschüre für 6 bis 12-jährige Kinder reden. Dass es sich bei „Ganz schön intim“ um eine pädagogische Hilfe für Lehrer_innen geht und mitnichten um eine Broschüre für Kinder wurde kontinuierlich ausgeblendet, so oft die anderen Diskussionsteilnehmer_innen auch darauf hinwiesen.
Die angeblich besorgten Eltern in den Medien
Über die ideologischen Hintergründe des Netzwerkes der angeblich „besorgten Eltern“ haben Medien kaum recherchiert. Besorgte Eltern sind einfach eine coole Geschichte, dachte sich da wohl so mancher Redakteur und Redakteurin. Da bohrt man dann lieber nicht genau nach. Da sind Umfragen, wie sie der Kurier machte, einfach besser verkaufbar. Und man kann in der Geschichte dann auch noch das schön diffamierende Wort Machwerk verwenden, wenn man die Broschüre meint, so wie es Kurier-Redakteur Nihad Amara macht. Besorgte Eltern klingt so super nach Bürger_inneninitiative. Das verkauft sich besser.
Oder vielleicht hat man auch gar nicht recherchiert.
Nur wenige Medien durchschauten das perfide Spiel von Gudrun Kugler-Lang und ihren christlichen Eiferern. NEWS etwa deckte die Machenschaften und sogar die von Frau Kugler-Lang selbst ausgearbeiteten Kommunikationsstrategien auf, die sie im Fall dieser Broschüre genau so anwendete. Der Humanistische Pressedienst und Christoph Baumgarten hat auch (hier) recherchiert.
Soll man den Kugler-Langs dieser Welt eine Plattform bieten?
Paul Aigner bloggt auf Querg’schrieben zur gestrigen Sendung. Und ich stimme dem ersten Teil völlig zu. Dann schreibt er:
Demokratischer Diskurs ist nicht, wenn Alle gar alles sagen dürfen, was ihnen in den Kram passt. Demokratie verlangt auch, dass systematische grobe Respektlosigkeiten gegenüber großen Gruppen von Menschen erst gar keine Plattform bekommen. Zensur wäre, Gudrun Veronika Kugler das Mikro abzudrehen. Sie erst gar nicht einzuladen, wäre ein Zeichen journalistischer Verantwortung gewesen.
Nun liegt es mir fern Journalist_innen zu sagen wen sie einladen dürfen, und wen nicht. Aber der Gedanke als Denkanstoß hat schon etwas für sich, wenn… Ja, wenn die Empörung bei ein paar fanatisierten Hetzer_innen geblieben wäre! Allerdings ist die Strategie von Frau Kugler, Kugler-Lang (oder wie immer sie jetzt heißt) ja voll aufgegangen. Ein paar Leserbriefe, ein paar Pressekontakte (Die Presse!) und schwupps: Schon hat man ÖVP, FPÖ und BZÖ instrumentalisiert. Und daher ist es sehr wohl ein politisches Thema, das man behandeln muss.
Worum’s eigentlich geht
Und genau darum ging es übrigens immer in der gesamten Diskussion (und es ging nur am Rande um die Broschüre, die diente nur als Projektion): Den Launs, Kuglers und all den anderen Hetzer_innen geht es darum Mehrheiten zu finden, die wieder das konservative Bild der katholischen Kirche hochhalten. Es geht darum, dass diese Netzwerke natürlich spüren, dass die Gesellschaft längst liberaler geworden ist, längst einen entspannteren Zugang zu Sexualität hat, längst Liebe und Sexualität nicht unbedingt als immer zusammen gehörende Sache wahrnimmt, die auch mal One Night Stands okay findet, die mit Lesben und Schwulen schlicht keine Probleme mehr hat und die Haltung der Erzkonservativen auslacht.
Allerdings ist diese Mehrheit leise geworden. Denn man kann solche Moraldiskussionen eigentlich schon nicht mehr hören. Oder wie es eine Facebook-Userin auf der Facebook-Seite der Moderatorin Corinna Milborn ausdrückte: „Eine Diskussion aus dem vorigen Jahrhundert. Sorry ohne mich!“ Das eröffnet den Kuglers dieser Welt die Möglichkeit den öffentlichen Diskurs wieder zu dominieren, obwohl sie eine kleine Splittergruppe sind. Die liberale aufgeklärte Gesellschaft ist in diesem zutiefst bedeutsamen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen einfach lahmarschig geworden. Muss man leider sagen. Denn wo sind die großen Debatten über ein modernes Partnerschaftsrecht? Ein moderneres Eherecht, weil das jetzige aus dem Jahr 1938 stammt? Darüber, ob Partnerschaft und Familie noch unbedingt mit Sexualität kombiniert gesehene werden muss (im Eherecht gibt es immer noch die Pflicht zur Treue!). Es interessiert traurigerweise kaum.
Beispiel?
Man möge nur meinen Blogbeitrag vom 21.11. lesen. Beim Antidiskriminierungsgesetz, der den rechtlichen Diskriminierungsschutz aufgrund der sexuellen Orientierung mit dem der ethnischen Herkunft gleichstellen will, war es die Bischofskonferenz, die in einer Stellungnahme meinte, das sei unnötig und man könne das nicht vergleichen. Die ÖVP nahm diese Argumentation auf. Genau so wie sie es jetzt rund um die Aufklärungsbroschüre machte.
ÖVP unter Spindelegger – oder das erzkatholische Comeback
Dass die ÖVP gesellschaftspolitisch extrem nach rechts rutschte ist augenfällig. Es ist auch nicht mehr Josef „Perspektivengruppe“ Pröll Parteichef, sondern Michael Spindelegger, Mitglied des Ordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem. Der Spindelegger, der einst – bevor die Eingetragene Partnerschaftsgesetz eingeführt wurde – erklärte warum Lesben und Schwule am Standesamt nichts verloren hätten:
„Weil am Standesamt der Eindruck erweckt wird, es sei eine Ehe. Es ist aber keine Ehe. Und es ist ja so, dass am Standesamt zur schönen Jahreszeit besonders gerne geheiratet wird – das führt automatisch zum Kontakt zwischen heterosexuellen und homosexuellen Paaren. Ob das so gut ist, sei dahingestellt.“
Und morgen wird im Nationalrat das Personenstandsgesetz verabschiedet. In der alle Ungleichbehandlungen der Eingetragenen Partnerschaft einzementiert werden. Und die SPÖ wird mitstimmen.
Voller Sieg für Laun, Kugler und Co.
Meine Performance
Meine Performance gestern in der TV-Sendung war keine Glanzleistung. Ich hatte mir vorgenommen ruhig zu bleiben, gelassen zu blieben, mich auf Argumente zu verlassen. Doch als ich bermerkte, dass mein Einstieg, in dem ich das ultra-konservative Netzwerk aufdecken wollte, schnell wieder verpuffte und sich Frau Kugler immer noch als besorgte Mutter inszenieren konnte und niemand sonst deutlich machte, dass es sich bei diesem Netzwerk um eine perfekt organisierte katholische Fanatiker-Gruppe handelte, wurde ich unruhig. Und ich bekam interessanterweise Sodbrennen während der Sendung, was mich übrigens wirklich zusätzlich plagte.
Ich war einer fanatisierten Hetz-Truppe ausgesetzt, die auf kein Argument einging, sondern nur in der NLP-Technik so tat als ob. Ich war einer ÖVP-Politikerin ausgesetzt, die nicht beurteilen wollte ob Lesben und Schwule gute Eltern sein können, aber auch nicht erklären wollte, warum die ÖVP Adoption oder Insemination verbietet und sonst im Grunde nur Kuglers Thesen nachbetete, nur in etwas schlechterem NLP.
Ich wurde am Ende etwas aggressiv. Verständlich, meinten viele auf Twitter. Aber eigentlich wollte ich gelassen drüber stehen. Es gelang mir leider nicht. Man möge es mir verzeihen.
Das Sodbrennen war eine Stunde nach der Sendung übrigens wieder verschwunden.