Die FPÖ hat mehr gewonnen, als erwartet wurde. Grund für den Wahlerfolg war auch das Thema, das die FPÖ auf Platz 1 ihres Wahlkampfs gestellt hat: Den Islam (und die Tatsache, dass alle anderen der FPÖ auf den Leim gegangen sind und kein anderes Thema entgegenstellen konnte). Offenbar hat es der FPÖ dabei keineswegs geschadet, mittlerweile nicht mehr allgemein „ausländerfeindlich“ zu sein, sondern mittlerweile in „brave“ und „böse“ Migrant_innen zu unterscheiden. Die „braven“ kommen aus den christlichen Nachbarländern und vom Balkan, die „bösen“ sind muslimische Zuwanderer und Zuwanderinnen. Die FP-Gefolgschaft, die in den 90-ern noch „gegen Ausländer“ votierten, machten eifrig mit und votierten eben jetzt „gegen den Islam“. Erstaunlicherweise gab es innerhalb der FPÖ über diesen Kurswechsel keine (zumindest öffentliche) Diskussion. Gelernt hat die FPÖ dabei von anderen erfolgreichen antiislamischen Parteien, wie Geert Wilders PVV in den Niederlanden. Österreich schwimmt im europäischen Mainstream.Bis 2013 finden in Österreich keine Wahlen mehr statt. Wer nicht will, dass die FPÖ zukünftig noch mehr gewinnt, sollte sich die Sorgen mancher Menschen vielleicht genauer anschauen. Mir ist übrigens schon klar, dass nicht alle (wahrscheinlich nur die wenigsten) FPÖ-Wählerinnen und -Wähler die FPÖ nur aufgrund des Themas Islam wählten. Viele kreuzten sicher auch wieder nur diffus „gegen Ausländer“ die FPÖ an und bekamen den Kurswechsel gar nicht so genau mit (irgendetwas mit „anständigen und unanständigen“ gab’s ja eh immer). Trotzdem glaube ich, dass eine Debatte notwendig wäre.Eine Islamdebatte ist im Wahlkampf allerdings unerträglich. Daher sollten wir die Chance jetzt nützen.Linke DebatteIch glaube, dass eine solche Debatte antirassistisch, antidiskriminierend und demokratisch möglich ist! Ich halte das sogar für dringend notwendig. Es kann nicht sein, dass ein religionskritischer Mensch – also auch ein islamkritischer Mensch – sofort in eine rechte Schublade gesteckt wird. Es kann aber auch nicht sein, dass jemand, der nicht will, dass Kopftuch tragende Frauen diskriminiert werden, in ein relativistische Schublade gesteckt wird, der angeblich Scheuklappen tragen würde. So einfach ist es nämlich nicht. Und daher tut sich die Rechte viel leichter. Denn gegen etwas sein war immer einfacher, als eine differenzierte Debatte zu führen. Aber wie gesagt: 3 Jahre keine Wahlen! Das sollte doch reichen für eine interessante Debatte, die Österreich – mit ein wenig Glück – 2013 ganz woanders stehen lassen könnte.Die politische Linke hat eigentlich viel Erfahrung in Religionskritik. Zwar kommen auch die Freiheitlichen – rein ideologisch – aus einer antiklerikalen Ecke (die mitunter von Ewald ‚wehrhaft christlich‘ Stadler, HC ‚Holzkreuz‘ Strache & Co. konterkariert wurden), aber die Linke war zumeist federführend in religionskritischer Politik – sei es bei den Frauenrechten, den Rechten für Lesben und Schwulen, Fragen rund um Abtreibung, Sexualaufklärung in Schulen, etc. Diesen Kampf gegen religiöse Eiferer – zumeist der römisch-katholischen Kirche – hat die Linke im Laufe des 20. Jahrhunderts sogar für sich entscheiden können. Seit einigen Jahren und Jahrzehnten werden diese Errungenschaften politisch verteidigt. Das macht natürlich auch einen Unterschied aus: War man zuvor Angreifer, ist man nun Verteidiger. Verteidigen ist manchmal schwerer, als anzugreifen. Letzteres sollte man aber nicht nur den Rechten und der Hetze überlassen!DemokratieproblemNun ist der Islam mittlerweile zweitgrößte Religion geworden. Viele Muslime und Musliminnen haben die oben beschriebenen Debatten des 20. Jahrhunderts nicht in dieser Form erlebt, obwohl sie natürlich auch in der Türkei und anderen Ländern vehement geführt werden. Aber: Sie wanderten in ein Österreich ein, das diesen Kampf zwischen Politik und Religion bereits nahezu ausgefochten hatte bzw. unter sich ausmachte. Oder sie interessierten sich schlicht nicht für Debatten die zwischen Kirche und Politik geführt wurden. Das ging sie ja schlussendlich auch nichts an: Sie durften ja nicht wählen, also mitbestimmen, waren demokratisch ausgeschlossen und christlich waren sie auch nicht. Was ging sie also Österreich an? Oder der Papst? Das Land lud sie nicht ein, mitzudiskutieren. Zurecht machen immer mehr Experten und Expertinnen darauf aufmerksam, dass das Hauptdefizit der so genannten Integrationspolitik vielmehr ein demokratiepolitisches Problem ist. Menschen, die nicht teilhaben dürfen, nehmen eben auch nicht teil. Der Profiteur dieser Politik: Die FPÖ, denn die braucht im Grunde nicht-integrierte Zuwanderer und Zuwanderinnen zur Stimmenmaximierung.Was ist der Islam überhaupt?Ich kann diese Frage in einem vermutlich ohnehin zu langen Blogbeitrag leider nicht vertiefen. Trotzdem muss diese Frage zumindest angestreift werden, denn sie ist sehr wichtig. Zum Unterschied zur römisch-katholischen Kirche – die in Österreich nunmal eine Art Richtschnur ist – kennt der Islam keinen Vatikan, keinen Papst, keine so klar definierte Hierarchie (was ja eigentlich symphatisch ist).Es gibt auch andere wesentliche Unterschiede, die in jeder so genannten Islamdebatte berücksichtigt werden müssen:Entstand etwa das Christentum als Minderheit in einem anderen System und musste lernen, innerhalb dieses Systems zu überleben („Gib dem Caesaren, was des Caesars, und gib Gott, was Gottes ist.“) schuf der Prophet Mohammed mit seiner neuen Religion gleich eine irdische Macht, also ein staatlich-juristisches System. Daher wird auch Juristisches wesentlich stärker angesprochen (Scharia).In der Folge sind Islamgelehrte nicht nur Theologen, sondern eben auch Rechtsgelehrte und daher ist eine Unterscheidung zwischen Rechtsstaat und Religion im Islam bedeutend schwieriger. Den Islam gibt es so gar nicht. Viele Schulen haben sich entwickelt, und bereits kurz nach Mohammeds Tod stritten sich die Nachfolger. Die Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten passierte bereits in der Frühzeit. Der Streit über viele Standpunkte setzt sich bis heute fort. So gibt es Fatwas, die Selbstmordanschläge als Teufelswerk bezeichnen. Trotzdem gibt es auch den Islamismus. Mustafa Kemal ‚Atatürk‘ versuchte die Trennung zwischen Staat und Religion radikal und nationalistisch umzusetzen. In der heutigen Türkei Erdoğans wird diese Trennung wieder in Frage gestellt.Der Islam hatte viele völlig unterschiedliche Perioden und eine historische Auseinandersetzung lohnt sich allemal. So war der Islam etwa im Mittelalter der westlich-europäischen Kultur sowohl kulturell als auch wissenschaftlich weit überlegen. Zudem gab es im Islam oftmals eine wesentlich tolerantere Haltung gegenüber andere Religionen, als dies etwa christliche Länder in ihrer Geschichte an den Tag legten.Die Entstehung und Bedeutung des „politischen Islam“ ist spätestens seit 9/11 ein Riesenthema, wenn nicht DAS Thema. Und tatsächlich ist der politische Islam eine der größten Bedrohungen und Probleme der Welt – und des Islams! In der Frage des politischen Islams entsteht derzeit die wohl größte Bruchlinie innerhalb des Islams. Und so glaube ich etwa, dass der von vielen als „Clash of Civilizations“ bezeichnete Konflikt, der von radikalen Islamisten ausgeht, nicht unbedingt ein Kampf des Islams gegen den Westen ist, sondern vielmehr ein inner-islamischer Richtungsstreit, der über und daher auch im Westen geführt wird.<
/span>Wie gesagt (bevor ich heftig kritisiert werde): es ist thematisch jetzt nur angestreift und es gibt zahlreiche genauere Berichte, Bücher und Studien dazu – und ja: Es ist total inkomplett, umstritten und vieles braucht eben genau das: Debatte!Eine progressive DebatteWie könnte also – daraus schlussfolgernd – eine moderne Debatte, die auch von Links und progressiv geführt werden kann, aussehen?Der Schlüssel liegt wohl darin, Menschenrechte als individuelle Freiheit zu definieren. Dass das Hauptrecht eines Menschen darin liegt, sich persönlich entfalten zu dürfen. Darin enthalten ist die freie Ausübung der Religion ebenso, wie diese Religion ablehnen zu dürfen. Schutz vor Diskriminierungen müssen für die Karriere einer Kopftuch tragenden Frau ebenso gelten, als für eine Frau, die das Kopftuch ablegen möchte und deshalb von ihrer Familie ausgegrenzt oder bedroht wird.Kurzum: Die Freiheit der Religionsausübung ist ebenso wichtig, wie die Freiheit genau diese Religionen kritisieren zu dürfen. Das würde auch bedeuten, nicht die elende Einteilung der Bevölkerung seitens der FPÖ zu folgen: diese Gruppe hier, jene Gruppa da, die wir dann schön gegeneinander aufhetzen.Es müssten doch Musliminnen und Muslime für ein westlich-humanitäres und aufgeklärtes Staatswesen zu gewinnen sein, wenn klar ist, dass eine freie Religionsausübung selbstverständlich ist – als Teil der individuellen Freiheit? Gleichzeitig muss aber auch klar gemacht werden, dass jede und jeder diese Religion kritisieren darf, verlassen darf, ablehnen darf oder was auch immer. Das beinhaltet naturgemäß auch eine Ablehnung am radikalen Islamismus und dem politischen Islam.Am Ende muss dies aber alles auch bedeuten, dass Muslimmen und Muslime stärker eingebunden werden müssen: In unsere politischen Debatten, in unser demokratisches System an sich. Das würde wohl vieles entschärfen.Und wenn wir denn endlich auch eine offizielle muslimische Religionsgemeinschaft hätten, die nicht aus einer kleinen Clique rund um Anas Shakfeh besteht, die nur von einem Mini-Bruchteil gewählt wird, sondern von einer breiten Mehrheit getragen ist, dann gäbe es auch eine Chance, dass wir vorwärts kommen. Denn Demokratie zu wollen und auch anzubieten, bedeutet auch, diese von der IGGÖ einzufordern. Dann würde sich die Frage islamischer Religionslehrer und -lehrerinnen ebenso lösen lassen. Am Ende – oder vielleicht sogar besser am Anfang – müssten wohl auch unsere Universitäten islamisch-theologische Lehrstühle und Institute anbieten. So verhindern wir, dass Islam-Gelehrte aus dem Ausland importiert werden müssen. Die Politik muss aber den Mut haben, dies alles auch einzufordern und anzubieten. Und dies würde bestimmt alles gegen den Willen der FPÖ gemacht werden. Denn die ist meistens gegen solche Maßnahmen.Die so genannte Islamdebatte kann von der Linken gewonnen werden. Sie müsste sich nur trauen, sie offensiver zu führen, sie nicht den Rechten zu überlassen und das Thema ‚politischer Islam‘ und Islamismus anzupacken. Denn den orthodoxen Islam anzupacken, die Ungleichbehandlung von Frauen und Männer, der verkorksten Haltung zu Homosexualität, usw.: Ja das gehört auch behandelt. Und das ist doch bei der Kirche auch gelungen, auch wenn wir teilweise noch heute heftig diskutieren. Warum soll die Linke das beim Islam nicht machen, und die liberalen und aufgeklärten Kräfte, die es im Islam sehr wohl gibt – mit ins Boot holen?Ist eine Islamdebatte an sich nicht schon eine Kapitulation?Natürlich ist die so genannte ‚Islamdebatte‘ eine von der Rechten geführten. Und diese Debatte so zu bezeichnen wird von vielen als linke Kapitualition vor der Rechten gesehen. Das kann ich auch verstehen.Am Ende muss eben die progressive Linke auch sagen: Das, was wir mit der Kirche ausgefochten haben – und immer noch ausfechten – müssen wir mit allen Religionen ausfechten, die eine individuelle Freiheit des Menschen ablehnen oder in Frage stellen. Oder die eine Gleichstellung aller Menschen ungeachtet ihrer Herkunft, Geschlecht, sexuelle Orientierung, usw. ablehnen. Denn Gleichstellung ist ein Grunprinzip der Demokratie. Und diese ist Garantie für eine aufgeklärte Demokratie. Und eine aufgeklärte Demokratie ist ein Garant für die freie Religionsausübung! Sie verlangt „nur“ gewisse Grundregeln.