Warum der 8. Mai und nicht der 26. Oktober Nationalfeiertag sein muss.

Diesen Blogbeitrag habe ich am 3.5.2010 geschrieben. Da morgen österreichischer Nationalfeiertag ist, stelle ich ihn nochmal nach oben:
Österreich feiert seit 1965 am 26. Oktober den Nationalfeiertag, seit 1967 ist es auch ein gesetzlicher Feiertag.
Der 26. Oktober

Der Grund, warum am 26. Oktober gefeiert wird ist bekannt, wenn man in der Schule aufgepasst hat: Der Staatsvertrag wurde im Mai 1955 unterschrieben. Darin wurde Österreich als souveräner Staat anerkannt, die alliierten Truppen Frankreich, Großbritannien, die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten gingen im Fall Österreich einen anderen Weg, als er etwa in Deutschland gegangen wurde: Dort nämlich mit Zweiteilung des Landes und der (Noch-) Hauptstadt. Durchaus möglich gewesen, dass dies in Österreich auch passiert wäre. Tat es aber nicht, eben weil die vier Staaten Österreich den Staatsvertrag gaben, bzw. dieser verhandelt wurde.
Am 27.7.1955 begann eine 90-Tages-Frist, in er alle Truppen der Signitarstaaten Österreich verlassen haben sollten. Diese Frist endete am 25.10.1955. Am ersten Tag ohne Truppen anderer Länder auf österreichischem Staatsgebiet erklärte der Nationalrat die immerwährende Neutralität Österreichs.
ÖVP-Unterrichtsminister Heinrich Drimmel machte sich besonders stark für diesen Tag als Gedenktag. Bereits am 25.10. erließ er, dass alle Schulen die österreichische Fahne hissen sollten. Im Jahr darauf wurde der 26.10. als Tag der Fahne eingeführt, um eben 1965 zum offiziellen Nationalfeiertag erklärt zu werden.
Das feiern wir also. Nicht die Befreiung vom Nationalsozialismus, sondern den ersten Tag, an dem die Befreier endlich verschwanden. Was ist das eigentlich für eine Haltung, der zu dieser Entscheidung führte?
Der 8. Mai
Am 8. Mai kapitulierte das nationalsozialistische Deutschland vor den Truppen der Alliierten. Frankreich, Großbritannien, Russland, die USA, Kanada und viele andere hatten Europa – und auch Österreich, das sich so gerne als erstes Nazi-Opfer darstellte – vor den Nationalsozialisten befreit. Bis heute gilt dieser Tag in vielen europäischen Ländern als Gedenktag (mit einigen Tagen auf und ab, je nach Befreiungszeitpunkt des Landes).
In den Niederlanden etwa gedenkt man am 4.5. den Toten des 2. Weltkriegs und den Nazi-Opferm, am Tag darauf feiert man die Befreiung von den Nazis. Wer das Gedenken in den Niederlanden schon einmal erlebt hat, bekam wahrscheinlich Gänsehaut, wenn auch viele Jahrzehnte später das Land um Punkt 20 Uhr zwei Minuten völlig still steht – in Restaurants, auf Autobahnen oder im Zugverkehr.
Warum passierte in Österreich so etwas nicht? Warum hat man nicht allen Österreicherinnen und Österreichern die Möglichkeit gegeben, den Toten zu erinnern, an den Terror des Nationalsozialismus zu mahnen, den verfolgten und ermordeten Juden und Jüdinnen, Roma und Sinti, politisch Verfolgten, etc. zu gedenken? Warum feiert man stattdessen das Verschwinden der Befreier?
Ich finde die Entscheidung, am 26. Oktober den Nationalfeiertag zu feiern, inakzeptabel. Es kann das Abziehen der Alliierten nicht als für Österreich wichtiger dargestellt werden, als die Befreiung vor dem Terror des NS-Regimes. Das ist historischer Unfug und vermittelt auch 55 Jahre nach Unterzeichnung des Staatsvertrags die Botschaft, dass die „Befreiung“ von den Alliierten quasi ein Sieg Österreichs wäre, und nicht die Befreiung vom Nationalsozialismus.
Die Tatsache, dass am 26.10. Nationalfeiertag ist, beweist aber auch den enorm schlampigen Umgang Österreichs mit seiner Vergangenheit und seiner historischen Verantwortungslosigkeit.
Anderes Beispiel gefällig?
Wo in diesem Land werden die Menschen, die Verfolgten Opfern des NS-Regimes Schutz gewährten oder jüdische Familien versteckten, gefeiert, geehrt und ihnen Standbilder errichtet? Warum gibt es keine Anne-Frank-Stiftung oder eine ähnliche Einrichtung in diesem Land, die diese Menschen erforscht und ihnen ein Denkmal errichtet? Warum ehrt man nicht die Helden des Alltags, die manchmal klein und vorsichtig doch eine Menge Zivilcourage aufbrachten?
Es wird Zeit, dass Österreich endlich Verantwortung übernimmt, die Wahrheit sagt und die echten Heldinnen und Helden auch als solche wahrgenommen werden (siehe in diesem Blogbeitrag die Artikel zur Wienerin Miep Gies hier, hier und hier).
Den Nationalfeiertag auf den 8. Mai zu verlegen, wäre ein guter Beginn. Ich fordere das!
Verwandter Artikel:
Interview im „David“: Miep Gies, Vergangenheitsbewältigung, politische Motivation und die Niederlande.

 

Foto: Totengedenken (dodenherdenking) am 4.5. in Amsterdam. 

Islam und Politik. Ein Plädoyer für eine Debatte ohne Wahlkampf.

Die FPÖ hat mehr gewonnen, als erwartet wurde. Grund für den Wahlerfolg war auch das Thema, das die FPÖ auf Platz 1 ihres Wahlkampfs gestellt hat: Den Islam (und die Tatsache, dass alle anderen der FPÖ auf den Leim gegangen sind und kein anderes Thema entgegenstellen konnte). Offenbar hat es der FPÖ dabei keineswegs geschadet, mittlerweile nicht mehr allgemein „ausländerfeindlich“ zu sein, sondern mittlerweile in „brave“ und „böse“ Migrant_innen zu unterscheiden. Die „braven“ kommen aus den christlichen Nachbarländern und vom Balkan, die „bösen“ sind muslimische Zuwanderer und Zuwanderinnen. Die FP-Gefolgschaft, die in den 90-ern noch „gegen Ausländer“ votierten, machten eifrig mit und votierten eben jetzt „gegen den Islam“. Erstaunlicherweise gab es innerhalb der FPÖ über diesen Kurswechsel keine (zumindest öffentliche) Diskussion. Gelernt hat die FPÖ dabei von anderen erfolgreichen antiislamischen Parteien, wie Geert Wilders PVV in den Niederlanden. Österreich schwimmt im europäischen Mainstream.Bis 2013 finden in Österreich keine Wahlen mehr statt. Wer nicht will, dass die FPÖ zukünftig noch mehr gewinnt, sollte sich die Sorgen mancher Menschen vielleicht genauer anschauen. Mir ist übrigens schon klar, dass nicht alle (wahrscheinlich nur die wenigsten) FPÖ-Wählerinnen und -Wähler die FPÖ nur aufgrund des Themas Islam wählten. Viele kreuzten sicher auch wieder nur diffus „gegen Ausländer“ die FPÖ an und bekamen den Kurswechsel gar nicht so genau mit (irgendetwas mit „anständigen und unanständigen“ gab’s ja eh immer). Trotzdem glaube ich, dass eine Debatte notwendig wäre.Eine Islamdebatte ist im Wahlkampf allerdings unerträglich. Daher sollten wir die Chance jetzt nützen.Linke DebatteIch glaube, dass eine solche Debatte antirassistisch, antidiskriminierend und demokratisch möglich ist! Ich halte das sogar für dringend notwendig. Es kann nicht sein, dass ein religionskritischer Mensch – also auch ein islamkritischer Mensch – sofort in eine rechte Schublade gesteckt wird. Es kann aber auch nicht sein, dass jemand, der nicht will, dass Kopftuch tragende Frauen diskriminiert werden, in ein relativistische Schublade gesteckt wird, der angeblich Scheuklappen tragen würde. So einfach ist es nämlich nicht. Und daher tut sich die Rechte viel leichter. Denn gegen etwas sein war immer einfacher, als eine differenzierte Debatte zu führen. Aber wie gesagt: 3 Jahre keine Wahlen! Das sollte doch reichen für eine interessante Debatte, die Österreich – mit ein wenig Glück – 2013 ganz woanders stehen lassen könnte.Die politische Linke hat eigentlich viel Erfahrung in Religionskritik. Zwar kommen auch die Freiheitlichen – rein ideologisch – aus einer antiklerikalen Ecke (die mitunter von Ewald ‚wehrhaft christlich‘ Stadler, HC ‚Holzkreuz‘ Strache & Co. konterkariert wurden), aber die Linke war zumeist federführend in religionskritischer Politik – sei es bei den Frauenrechten, den Rechten für Lesben und Schwulen, Fragen rund um Abtreibung, Sexualaufklärung in Schulen, etc. Diesen Kampf gegen religiöse Eiferer – zumeist der römisch-katholischen Kirche – hat die Linke im Laufe des 20. Jahrhunderts sogar für sich entscheiden können. Seit einigen Jahren und Jahrzehnten werden diese Errungenschaften politisch verteidigt. Das macht natürlich auch einen Unterschied aus: War man zuvor Angreifer, ist man nun Verteidiger. Verteidigen ist manchmal schwerer, als anzugreifen. Letzteres sollte man aber nicht nur den Rechten und der Hetze überlassen!DemokratieproblemNun ist der Islam mittlerweile zweitgrößte Religion geworden. Viele Muslime und Musliminnen haben die oben beschriebenen Debatten des 20. Jahrhunderts nicht in dieser Form erlebt, obwohl sie natürlich auch in der Türkei und anderen Ländern vehement geführt werden. Aber: Sie wanderten in ein Österreich ein, das diesen Kampf zwischen Politik und Religion bereits nahezu ausgefochten hatte bzw. unter sich ausmachte. Oder sie interessierten sich schlicht nicht für Debatten die zwischen Kirche und Politik geführt wurden. Das ging sie ja schlussendlich auch nichts an: Sie durften ja nicht wählen, also mitbestimmen, waren demokratisch ausgeschlossen und christlich waren sie auch nicht. Was ging sie also Österreich an? Oder der Papst? Das Land lud sie nicht ein, mitzudiskutieren. Zurecht machen immer mehr Experten und Expertinnen darauf aufmerksam, dass das Hauptdefizit der so genannten Integrationspolitik vielmehr ein demokratiepolitisches Problem ist. Menschen, die nicht teilhaben dürfen, nehmen eben auch nicht teil. Der Profiteur dieser Politik: Die FPÖ, denn die braucht im Grunde nicht-integrierte Zuwanderer und Zuwanderinnen zur Stimmenmaximierung.Was ist der Islam überhaupt?Ich kann diese Frage in einem vermutlich ohnehin zu langen Blogbeitrag leider nicht vertiefen. Trotzdem muss diese Frage zumindest angestreift werden, denn sie ist sehr wichtig. Zum Unterschied zur römisch-katholischen Kirche – die in Österreich nunmal eine Art Richtschnur ist – kennt der Islam keinen Vatikan, keinen Papst, keine so klar definierte Hierarchie (was ja eigentlich symphatisch ist).Es gibt auch andere wesentliche Unterschiede, die in jeder so genannten Islamdebatte berücksichtigt werden müssen:Entstand etwa das Christentum als Minderheit in einem anderen System und musste lernen, innerhalb dieses Systems zu überleben („Gib dem Caesaren, was des Caesars, und gib Gott, was Gottes ist.“) schuf der Prophet Mohammed mit seiner neuen Religion gleich eine irdische Macht, also ein staatlich-juristisches System. Daher wird auch Juristisches wesentlich stärker angesprochen (Scharia).In der Folge sind Islamgelehrte nicht nur Theologen, sondern eben auch Rechtsgelehrte und daher ist eine Unterscheidung zwischen Rechtsstaat und Religion im Islam bedeutend schwieriger. Den Islam gibt es so gar nicht. Viele Schulen haben sich entwickelt, und bereits kurz nach Mohammeds Tod stritten sich die Nachfolger. Die Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten passierte bereits in der Frühzeit. Der Streit über viele Standpunkte setzt sich bis heute fort. So gibt es Fatwas, die Selbstmordanschläge als Teufelswerk bezeichnen. Trotzdem gibt es auch den Islamismus. Mustafa Kemal ‚Atatürk‘ versuchte die Trennung zwischen Staat und Religion radikal und nationalistisch umzusetzen. In der heutigen Türkei Erdoğans wird diese Trennung wieder in Frage gestellt.Der Islam hatte viele völlig unterschiedliche Perioden und eine historische Auseinandersetzung lohnt sich allemal. So war der Islam etwa im Mittelalter der westlich-europäischen Kultur sowohl kulturell als auch wissenschaftlich weit überlegen. Zudem gab es im Islam oftmals eine wesentlich tolerantere Haltung gegenüber andere Religionen, als dies etwa christliche Länder in ihrer Geschichte an den Tag legten.Die Entstehung und Bedeutung des „politischen Islam“ ist spätestens seit 9/11 ein Riesenthema, wenn nicht DAS Thema. Und tatsächlich ist der politische Islam eine der größten Bedrohungen und Probleme der Welt – und des Islams! In der Frage des politischen Islams entsteht derzeit die wohl größte Bruchlinie innerhalb des Islams. Und so glaube ich etwa, dass der von vielen als „Clash of Civilizations“ bezeichnete Konflikt, der von radikalen Islamisten ausgeht, nicht unbedingt ein Kampf des Islams gegen den Westen ist, sondern vielmehr ein inner-islamischer Richtungsstreit, der über und daher auch im Westen geführt wird.< /span>Wie gesagt (bevor ich heftig kritisiert werde): es ist thematisch jetzt nur angestreift und es gibt zahlreiche genauere Berichte, Bücher und Studien dazu – und ja: Es ist total inkomplett, umstritten und vieles braucht eben genau das: Debatte!Eine progressive DebatteWie könnte also – daraus schlussfolgernd – eine moderne Debatte, die auch von Links und progressiv geführt werden kann, aussehen?Der Schlüssel liegt wohl darin, Menschenrechte als individuelle Freiheit zu definieren. Dass das Hauptrecht eines Menschen darin liegt, sich persönlich entfalten zu dürfen. Darin enthalten ist die freie Ausübung der Religion ebenso, wie diese Religion ablehnen zu dürfen. Schutz vor Diskriminierungen müssen für die Karriere einer Kopftuch tragenden Frau ebenso gelten, als für eine Frau, die das Kopftuch ablegen möchte und deshalb von ihrer Familie ausgegrenzt oder bedroht wird.Kurzum: Die Freiheit der Religionsausübung ist ebenso wichtig, wie die Freiheit genau diese Religionen kritisieren zu dürfen. Das würde auch bedeuten, nicht die elende Einteilung der Bevölkerung seitens der FPÖ zu folgen: diese Gruppe hier, jene Gruppa da, die wir dann schön gegeneinander aufhetzen.Es müssten doch Musliminnen und Muslime für ein westlich-humanitäres und aufgeklärtes Staatswesen zu gewinnen sein, wenn klar ist, dass eine freie Religionsausübung selbstverständlich ist – als Teil der individuellen Freiheit? Gleichzeitig muss aber auch klar gemacht werden, dass jede und jeder diese Religion kritisieren darf, verlassen darf, ablehnen darf oder was auch immer. Das beinhaltet naturgemäß auch eine Ablehnung am radikalen Islamismus und dem politischen Islam.Am Ende muss dies aber alles auch bedeuten, dass Muslimmen und Muslime stärker eingebunden werden müssen: In unsere politischen Debatten, in unser demokratisches System an sich. Das würde wohl vieles entschärfen.Und wenn wir denn endlich auch eine offizielle muslimische Religionsgemeinschaft hätten, die nicht aus einer kleinen Clique rund um Anas Shakfeh besteht, die nur von einem Mini-Bruchteil gewählt wird, sondern von einer breiten Mehrheit getragen ist, dann gäbe es auch eine Chance, dass wir vorwärts kommen. Denn Demokratie zu wollen und auch anzubieten, bedeutet auch, diese von der IGGÖ einzufordern. Dann würde sich die Frage islamischer Religionslehrer und -lehrerinnen ebenso lösen lassen. Am Ende – oder vielleicht sogar besser am Anfang – müssten wohl auch unsere Universitäten islamisch-theologische Lehrstühle und Institute anbieten. So verhindern wir, dass Islam-Gelehrte aus dem Ausland importiert werden müssen. Die Politik muss aber den Mut haben, dies alles auch einzufordern und anzubieten. Und dies würde bestimmt alles gegen den Willen der FPÖ gemacht werden. Denn die ist meistens gegen solche Maßnahmen.Die so genannte Islamdebatte kann von der Linken gewonnen werden. Sie müsste sich nur trauen, sie offensiver zu führen, sie nicht den Rechten zu überlassen und das Thema ‚politischer Islam‘ und Islamismus anzupacken. Denn den orthodoxen Islam anzupacken, die Ungleichbehandlung von Frauen und Männer, der verkorksten Haltung zu Homosexualität, usw.: Ja das gehört auch behandelt. Und das ist doch bei der Kirche auch gelungen, auch wenn wir teilweise noch heute heftig diskutieren. Warum soll die Linke das beim Islam nicht machen, und die liberalen und aufgeklärten Kräfte, die es im Islam sehr wohl gibt – mit ins Boot holen?Ist eine Islamdebatte an sich nicht schon eine Kapitulation?Natürlich ist die so genannte ‚Islamdebatte‘ eine von der Rechten geführten. Und diese Debatte so zu bezeichnen wird von vielen als linke Kapitualition vor der Rechten gesehen. Das kann ich auch verstehen.Am Ende muss eben die progressive Linke auch sagen: Das, was wir mit der Kirche ausgefochten haben – und immer noch ausfechten – müssen wir mit allen Religionen ausfechten, die eine individuelle Freiheit des Menschen ablehnen oder in Frage stellen. Oder die eine Gleichstellung aller Menschen ungeachtet ihrer Herkunft, Geschlecht, sexuelle Orientierung, usw. ablehnen. Denn Gleichstellung ist ein Grunprinzip der Demokratie. Und diese ist Garantie für eine aufgeklärte Demokratie. Und eine aufgeklärte Demokratie ist ein Garant für die freie Religionsausübung! Sie verlangt „nur“ gewisse Grundregeln.

Trotzdem: Danke!

Die Wahl ist geschlagen, ich bin wohl ab Ende des Jahres nicht mehr im Wiener Gemeinderat. Die Chancen, dass ich nachrücke sind zwar theoretisch noch gegeben, aber eher unwahrscheinlich.Ich werde jetzt keine Analyse machen, was notwendig wäre, um die Grünen, die Stadt und das Land erblühen zu lassen. Ideen habe ich, und die werde ich sicher auch hier weiter kundtun. Man möge mir verzeihen, dass ich jetzt keinen öffentlichen Schnellschuss mache.Ich möchte mich aber vor allem bedanken! Ich habe in den letzten Wochen unglaubliche Unterstützung erfahren und weiß, dass es viele Menschen gibt, die meine Arbeit schätzen und mich dabei unterstützten. Also. Shout outs to:den (bisher) 620 Menschen, die mir eine Vorzugsstimme gegeben haben (ohne die Stimmen in den Wahlkreisen mitzurechnen), und mich daher zum viert erfolgreichsten Grünen Wiens machten. Darauf bin ich schon stolz. Ein 4. Platz hinter den nunmal medial prominenteren Alexander Van der Bellen, Maria Vassilakou und Christoph Chroherr erreicht zu haben.“meinen“ Mitarbeiter_innen, allem voran dem ganzen Pressebüro, Peter Kraus, Hansi Eitler, Daniela Birk, Willi Dolleschall, Sabine Pfeifer, Maria Sofaly, Rosi, Harry, und und und. Ihr werdet mir am meisten fehlen, aber ich bin sicher: Wir sehen uns öfter, als euch lieb sein wird!Den Aktivist_innen der Grünen und den Grünen Andersrum, die im Wahlkampf sehr aktiv waren: Stefan, Ursula, Peter, Ewa, Petra, Susi, Erik und und und. Ich bleibe Euer Sprecher und werde meinen Kampf für ein queeres Wien sicher nicht aufgeben!Den vielen Blogger_innen, der Twitteria und den zahlreichen Freund_innen und Freunden, die auf ihren Blogs, über Twitter, Facebook, per Email, per öffentlichen Aufrufen (Danke vor allem Karl Pfeifer!), per Telefon oder im Direktgespräch versuchten, Menschen zu mobilisieren und mich und die Grünen unterstützten.Peter Fuchs und den freien Plakatierern.Meinen Kolleginnen und Kollegen bzw, Mit-Kandidat_innen im Gemeinderat – alt und neu.Dem Infra-Team der Lindengasse, dem Grafik-Team und allen, die dort dafür sorgten, dass Regenbogenfahnen irgendwo geliefert wurden, dass meine Plakate gut aussahen, etc.Ralf Strobl, Eva Urthaler, Miriam Höhne, Manuel Simbürger und Team für ein unfassbar schönes Q:G Projekt. Das war ein Highlight!Den Menschen, die mir zuhören wollten und denen ich zuhören durfte, egal wo sie gerade von mir erwischt wurden – auf der Straße, bei Beisltouren oder sonstwo.meinem Mann und meinen engsten Freunden und Freundinnen, die mich im Wahlkampf aushalten mussten.den Menschen, mit denen ich im Wahlkampf coole Projekte machte: Emanuel Danesch, Paul Poet, Tina Walzer, Niki Kunrath, und viele mehr.Und last but not least: Maria Vassilakou, eine Freundin, eine hervorragende Spitze und sicher nicht diejenige, die für das Minus verantwortlich ist, sondern dafür verantwortlich ist, dass wir von einem tiefen Tief in ein weniger tiefes Tief fielen.Ich habe sicher jemanden vergessen. Sorry.Nicht bedanken tue ich mich bei den (paar) Grünen, denen ihre eigene Profilisierungsneurose wichtiger ist, als das Grüne Projekt, an das ich immer noch glaube.Und zuletzt sei versichert: Ich werde weiter kämpfen, meinen Mund nicht halten, aktiv bleiben, mich einsetzen, manchmal anecken und keine Ruhe geben. Meine Zukunft kenne ich zum jetztigen Zeitpunkt noch nicht (Jobangebote gerne hierher mailen :)), aber ich schmiede, denke und ja: ich muss auch ab und an eine Träne wegwischen. Zum Beispiel beim Schreiben dieser Zeilen. Dazu stehe ich, denn ich habe den Job verdammt gerne gemacht.Traurig aber, dass… Nein, das erzählt euch Oliver Ritter auf seinem Blog: LINKUnd ja: Comments welcome!Euer Marco!

Ich bitte um deine Stimme. Mit Vorzug.

Der (vermutlich) letzte Blogbeitrag vor der Wahl. Hat was Feierliches.

Seit mehreren Wochen bin ich in der Stadt und im Netz unterwegs, um für eine Grüne Stimme zu werben. Am Sonntag seid dann ihr dran und habt das schönste demokratische Recht überhaupt (auch wenn’s ja prinzipiell etwas demokratischer zugehen könnte, als „nur“ alle fünf Jahre ein Kreuzerl zu machen).
Das Kreuzerl bei den Grünen zu machen: Das sollte doch eine gute Wahl sein. Gerade 2010. Gerade in Wien. Warum? Hier ein paar Gründe:

Weil Maria Vassilakou tatsächlich eine außerordentliche Politikerin ist. Wer die Diskussionen im TV verfolgt hat, wird das bestätigen können. Und da ich seit Jahren mit ihr befreundet bin: Sie ist so, wie im TV!
Weil weitere Jahre einer von der SPÖ absolut regierten Stadt noch weniger Kontrolle bedeutet und noch mehr Machtrausch.
Weil es wahrscheinlich ist, dass die SPÖ die Absolute verliert und sich zwei ganz konkrete Fragen stellen: Soll die SPÖ mit der ÖVP oder mit den Grünen koalieren?
Weil rotgrün nur kommt, wenn Grün gestärkt wird.
Und weil rotschwarz die Koalition des Stillstands und der Blockade ist. Die Bundesregierung zeigt es ja. Ich sage nur: Bildungs-, Verwaltungs-, Gesundheitsreform, usw. Wer will das noch?
Weil es viele kompetente Grüne Menschen gibt, denen Stadtrat-Posten und Umsetzungskraft mehr als zuzutrauen ist.
Und das wichtigste blöderweise am Ende. Weil die Grünen viele wichtige Positionen haben, die der Stadt gut tun: Demokratie, Menschenrechte, Klimaschutz, Sozialpolitik, usw.

Vorzugsstimme

Ich habe in diesem Beitrag meine Arbeit der letzten fünf Jahre Revue passieren lassen, sowie in diesem und diesem Beitrag meine Vorhaben der nächsten fünf skizziert.

Meine Haltung dürfte bekannt sein: Kulturpolitik, Queerpolitik, Netzpolitik, differenzierte Debatten, keine schnellen Urteile (siehe Israel-Gaza-Beschluss im Gemeinderat), usw.
Ja, ich bitte um Eure Vorzugsstimme.
Dies ist folgendermaßen machbar:
Im Kästchen des „Stadtwahlvorschlags“ kann man meinen Namen (und einen zweiten) eintragen. Das ist die wichtigste Vorzugsstimme.
In den Bezirken 1./4./5./6. sowie im 3. und 15. Bezirk kann man mir eine Vorzugsstimme im Wahlkreis/Bezirk geben. Man kann dort meinen Namen auch in beide Kästchen eintragen.
Man kann mir auch eine Vorzugsstimme geben, ohne eine Partei anzukreuzen. Eine andere Partei ankreuzen, das geht leider nicht, denn dann ist die Vorzugsstimme ungültig.
Eine genauere Anleitung und eine Grafik gibt es am Blog von Christoph Chorherr hier.
Ich bedanke mich bei allen, die mich unterstützen. Ich hab Lust auf Zukunft! Du auch?
Güzel bir gelecek için!

Was ich in den kommenden fünf Jahren vorhabe. Teil 2

Im 1. Teil habe ich schon skizziert, was meiner Meinung nach in den nächsten fünf Jahren wesentlich für die Stadt ist. In diesem Beitrag möchte ich mich auf „meine“ Ressorts konzentrieren.Netz- und TechnologiepolitikWien kann Vorreiter moderner Technologiepolitik sein, wenn die Stadt sich einen Ruck geben würde. Die Bundesregierung macht es genau falsch rum. Mit der so genannten Transparenzdatenbank sind wir wieder einen Schritt näher zum „gläsernen Bürger“. Parteikassen sollen aber verschlossen werden. Wien kann’s umdrehen: Zuerst die gläserne und transparente Stadt:Ein Informationsfreiheitsgesetz kann dafür sorgen, dass alle Subventionen, Spesen, Studien usw. öffentlich zugänglich sind. So werden auch Doppelinteressen, Lobby-Interventionen und dergleichen öffentlich. Auch die politischen Parteien sollen ihre Kassen öffentlich zugänglich machen.Open Data: Öffentliche Daten müssen auch öffentlich zugänglich sein und verwertbar sein. (Etwa die Fahrplandaten der Wiener Linien – vgl. diesen Blogbeitrag). Der Nutzen wäre optimal: Die Daten und Studien der Regierung und Magistrate werden transparent, die Bürger und Bürgerinnen haben jederzeit Einblick, Entwickler und Entwicklerinnen können aus den Daten neue Anwendungen gestalten, die der Allgemeinheit wieder zur Verfügung gestellt werden.Open Source: Gerade die Stadt soll sich nicht einem Konzern und einem geschlossenen System ausliefern. Eine öffentliche Verwaltung – das Wort „öffentlich“ sagt es ja bereits – soll auf Open Source setzen. Das ermöglicht auch Wiener Entwickler_innen an der technologischen Entwicklung der Stadt zu partizipieren. Das ist somit auch ative Wirtschaftsförderung. Die Kosten sind anfangs etwas höher, amortisieren sich aber sehr bald, da keine Linzenzgebühren mehr anfallen. Open Source ist zudem demokratisch – geschlossene Systeme autokratisch.Safer Surfen: Facebook, Google & Co. sind Massenphänomene geworden – egal ob Seniorin oder Schüler. Es braucht mehr Aufklärung in den Schulen zu den Themen Datenschutz und Umgang mit Technologien. Schüler_innen können binnen Sekunden mit Internet-Tools umgehen, sind aber bei manchen Punkten – etwa bei Privatsphären-Einstellungen – sehr sorglos. Hier muss aufgeklärt werden und Medienkompetenz vermittelt werden. Senior_innen sollen die Möglichkeiten des Internets ebenso nahegelegt werden. Etwa durch spezielle Schulungen.Ich freue mich, dass gleich mehrere Kandidat_innen der Grünen Wien sich für dieses Thema interessieren. Umso besser! Mein Ziel ist es, dass diese Aspekte in allen Ressorts mitgedacht werden. Ein Team der Grünen wird sich dieses Themas annehmen, u.a. Klaus Werner-Lobo, Martina Wurzer und Nikolaus Kunrath – jeweils aus etwas anderen Blickwinkeln.KulturpolitikKulturpolitik wurde in den letzten Jahren zunehmend nur auf Kunstfördervergaben reduziert. Dabei kann Kulturpolitik so vieles mehr sein: Jugend- Integrations- und Sozialpolitik etwa. Das Kulturressort darf nicht wie ein Schrebergarten behandelt werden, sondern muss sich in alle Bereiche einmischen. In die Lehrpläne etwa. Denn Kreativität sollte in den Schulen wieder einen Stellenwert bekommen.Kulturelle Nahversorgung: Je näher zur Ringstraße, umso höher die Kulturförderung pro Quadratkilometer. Das muss geändert werden. In Favoriten oder Simmering soll sich das Leben nicht auf Wohnen, Arbeiten und Shoppen beschränken. Kulturelle Nahversorgung scheint mir sehr wichtig – allerdings als selbst organisierte und nicht als ferngesteuerte Grätzlzentren. Proberäume, Raum für Kreativität und Interkulturalität: All das kann dort verwirklicht werden, sei es in Stadtteilzentren oder in leer stehenden Geschäftslokalen, die zentral angeboten werden. Dazu zählen übrigens auch die Musikschulen.Transkulturalität: Migrant_innen – etwa 40{6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7} der Stadt – dürfen nicht länge raus dem Kulturleben ferngehalten werden. Kulturinstitutionen haben sich hier als erstaunlich starr dargestellt. Im 19. Jahrhundert war es völlig normal, dass im Theater in der Josefstadt tschechischsprachige Theaterstücke aufgeführt wurden. Zu einer Zeit, als es eine starke Zuwanderung aus Tschechien gab. Warum gelingt das 2010 nicht mehr?Zukunftsplan 2020: Kulturpolitik darf nicht erstarren. Wenn nahezu alle Mitteln des Budgets quasi als Tradition den immer selben Institutionen zugute kommen, dann gibt es keinen Raum, kein Geld und keine Ressourcen für Neues. Meine Kulturpolitik bedeutet aber nicht, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben – sondern partizipativ Kulturpolitik immer wieder und immer wieder neu erfinden und neu positionieren.Vereinige Bühnen Wien: Warum kommen andere Städte ohne Subventionen von Musicals aus, Wien muss aber mit aberwitzigen Summen zwei Musicalbühnen subventionieren? Ich habe nichts gegen Musicals, aber die Fördersummen müssen völlig neu bewertet werden. Ebenso die Anzahl der Musicalbühnen.MA7 als Servicecenter: Das Kulturamt könnte soviel mehr sein, als eine reine Beamt_innen-Burg. „Meine“ MA7 wäre ein Straßenlokal, zugänglich, transparent mit Servicecenter, Hilfe bei Ansuchen, Vermitteln von EU-Förderungen, Hilfe bei Buchhaltung und Abrechnungen. Steuergeld-Verschwendung wäre so prophylaktisch abgestellt und alle Wienerinnen und Wiener können sich immer zur Kultur in Wien informieren.Kulturelles Erbe von gestern: Ja, der Jüdische Friedhof muss restauriert werden, so wie unser kulturelles Erbe überhaupt Ernst genommen und gepflegt werden muss.Kulturelles Erbe von morgen: Was Künstler_innen heute schaffen, ist das Erbe von morgen. Ausbildung und das Schaffen einer kreativen Szene ist essenziell für die Zukunft. Lehrpläne, Schulen, Jugendeinrichtungen müssen durchforstet werden, Talente gefördert und Raum zur Verfügung gestellt werden. Hier schließt sich der Kreis zum ersten Punkt.QueerpolitikLesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern geht es im Wien des Jahres 2010 sicher besser, als in den Jahrzehnten davor. Trotzdem: Auch wenn es nunmehr Eingetragene Partnerschaften gibt: Bis zu einer völligen Gleichstellung – etwa durch die Öffnung der Ehe – ist noch ein weiter Weg. Gerade die Kommunalpolitik kann punktuell arbeiten und für mehr Verständnis sorgen und Homophobie aktiv entgegenwirken.Homophobie bekämpfen: Ob eine Stadt Wien-Aktion mit Fußball-Fanclubs, ob Aktionen in Jugendzentren und in Schulen, ob Aufklärung und niederschwellige Beratung: Hier hat die Stadt unendlich viele Möglichkeiten, aktiv Ausgrenzungen und Vorurteile zu begegnen.Mahnmal für die homosexuellen NS-Opfer: es hat bis 2005 (!) gedauert, bis homosexuelle Opfer überhaupt als solche anerkannt wurden. Als beinahe alle Betroffenen schon gestorben war. Umso wichtiger, heute ein zeichen zu setzen. Ebenfalls 2005 wurde von Stadrat Mailath-Pokorny ein Mahnmal versprochen. Bis heute nicht umgesetzt – also: Neustart!Neue Ideen für queeres Leben: Ob ein Wohnprojekt, in dem ätere Lesben und Schwule mit jüngeren zusammenleben, ob betreute Jugend-WGs, in denen lesbische schwule und transidente Jugendliche Schutzraum finden, ob Senior_innenclubs in Seniorenwohnhäuser der Stadt Wien oder queere Netzwerke für Magistrats-Beamte und -Beamtinnen. Die Stadt kann Diversität unterstützen.Die genannten Punkte sind nur einige wenige Punkte und nur ein kleiner Ausschnitt. Aber es soll zeigen, dass ich tatsächlich noch viel – sehr viel – vorhabe. Und es kommen ja noch einige Themen dazu, etwa Tourismus-Politik und Europ
apolitik. Aber dazu ein anderes Mal sicher mehr.

Das ATV-Spektakel: Sowohl-als-auch-Politik

Mein lieber Kollege Christoph Chorherr schreibt in seinem Blog (hier) mehrere Gründe, warum er die gestrige Sendung Meine Wahl auf ATV für gefährlich hält.Ich bin einmal (selten genug :-)) anderer Meinung als Christoph Chorherr. In Zeiten, in denen Politik – insbesondere die Kommunalpolitik! – froh sein kann, wenn sie 6 bis 9 Sekunden O-Ton in den Nachrichten bekommt, in Zeiten, in denen Politik weniger diskursiv als emotional bewertet wird, in Zeiten in denen die Politikverdrossenheit zunimmt, halte ich ein Hauptabendformat, wie ATV ihn gestern präsentierte, für legitim.Im täglichen Straßenwahlkampf begegne ich viele – allzu viele Menschen – die sich darüber beklagen, dass sie die Inhalte und Positionen der Parteien nicht kennen oder erkennen. Und sie lesen täglich auf Plakaten, die ja eigentlich das Hauptthema der jeweiligen Parteien kommunizieren sollten, nur Plattitüden wie „Frischer Wind“, „Es geht auch anders“, „Er glaubt an euch“, „Kraft der Mitte“ oder „Jetzt geht’s um Wien“. Das sind keine politischen Programme, und tatsächlich sind die Grünen Plakate die einzigen, die Programme kommunizieren: Öffi-Tarif, Wohnpolitik und Bildungspolitik etwa.In der gestrigen Sendung auf ATV konnten alle Spitzenkandidat_innen ganz konkrete Themen ansprechen, auf sehr konkrete Fragen antworten und sich untereinander austauschen – und ja: untergriffig befetzen. Michael Häupl und HC Strache entscheiden sich für Untergriffe („Konsumgewohnheiten“ oder „Weinseligkeit“), während Christine Marek zwar spröde aber sachpolitisch und Maria Vassilakou erfreulich visionär, klar und zielgerichtet ihre Positionen vermitteln konnten, ohne diese Untergriffigkeit der zwei Männer. Das war die Entscheidung und das Verhalten der vier Spitzen und nicht des Fernsehens.Politik hatte viel Zeit, kommuniziert zu werden. War das wirklich so schlimm? Okay, über die Auswahl des Publikums könnte man noch diskutieren, aber da alle vier Parteien gleich viele Personen und Schlachtenbummler_innen mitnehmen konnten, hatte das TV-Event sogar etwas demokratisches. Selten habe ich in meiner Laufbahn Michael Häupl als einen politischen Mitbewerber erlebt. Meistens trägt er einen Bürgermeister-Nimbus mit sich mit und meint und vermittelt, er stehe ohnehin über allem anderen. Gestern war das schon ganz etwas anderes! Plötzlich war er nur einer von vieren und nicht der Übervater à la Kim Jong-Il.Chorherr meint zudem, das Sendeformat sei eine „Als-ob-Politik“, eine TV-Inszenierung als anti-aufkärerischer politischer Akt. Das mag stimmen (auch mich störte das Inszenieren als Gladiator_innen), aber kann Politik nicht „Sowohl-als-auch“ sein?Ich meine ja: Politik darf „Sowohl-als-auch“ sein. Wenn denn tausende Menschen sich erst durch solche Sendungen politisch bewegen und interessieren lassen und sich nicht für tiefgründigere Diskussionen mit komplizierten Abwägungen von Thesen und Gegenthesen begeistern lassen, so ist dieses TV-Formal legitim. Dass dies so ist, ist ja ein gesellschaftliches und politisches Problem – eine Bildungsfrage – aber das darf man nicht einem TV-Sender vorwerfen.Am Ende schreibt Christoph Chorherr, dass er große Erwartungen in diskursive Medien – wie etwa dem Web 2.0 – hat. Da bin ich absolut seiner Meinung. Nur ist die Welt, sind Wahlmotive, sind Zugänge zu politischen Diskussionen in einer vielfältigen Gesellschaft eben genau so vielfältig. Diskursive, hintergründige Diskussionen werden durch das ATV-Format ja nicht abgeschafft oder in Frage gestellt! Es gesellt sich einfach ein neues Format zu den bereits bekannten und weniger bekannten Formaten. Das entspricht nunmal unserer gesellschaftlichen Realität. Es liegt an der Politik für eine diskursiv neugierige Gesellschaft zu sorgen. Und wenn das Minderheitenprogramm ist, dann sollte man etwa im Fach „Politische Bildung“ an den Schulen anfangen und nicht bei einer Privatfernseh-Anstalt.Politik sollte – so weit es geht – breite Publikumsschichten ansprechen und klar machen, dass das, was sie da reden, allen was angeht und möglichst jede und jeder wählen gehen soll. Und da brauchen wir natürlich auch die ganze Vielfalt der Kommunikation: Von Blogs bis Symposien, von Zeitungen bis eben unterhaltsame TV-Formaten.Und: Was Politiker und Politikerinnen aus einem Format machen, liegt immer noch an sie selbst und nicht unbedingt am TV-Format. Machen sie daraus ein grausliches Alphatier-Duell unter der Gürtellinie (Häupl, Strache), oder versuchen sie eher trocken Sachpolitik zu machen (Marek), oder versuchen sie Hoffnung, Visionen und Ideen zu vermitteln (Vassilakou): Es ist deren Entscheidung.Die Fragen der Moderator_innen fand ich übrigens sogar sehr okay und würde ich mit im staubtrockenen und mittlerweile völlig schnarchigen ORF wünschen, auch wenn ich noch nie erlebt habe, dass so lange über Hundstrümmerl diskutiert wurde. Aber sogar das fand ich dann ganz unterhaltsam und interessant. Also: Why not?Darf Politik unterhaltsam sein? Ja, finde ich. Soll das als Grundprinzip gelten? Nein, natürlich nicht – aber so lange Politik in dieser Form viele Interessent_innen findet, ist es legitim. Und warum es gerade bei solchen TV-Formaten „funktioniert“ ist eben eine gesamtgesellschaftliche Frage.Mir ist es lieber, es interessieren sich mehr Menschen für Politik, als dass sie auseinander driftet in einem Elite-Denken von Menschen, die diskursiv politisieren wollen und einem Teil, die es „denen da oben“ nur noch irgendwie und diffus zeigen wollen. Es gibt genug Grauzonen dazwischen. Politik darf vielfältig kommunizieren, so wie die Gesellschaft eben tickt.Und wenn man sich über eine Richtung dieser Gesellschaft sorgen macht, dann sollte man das politisch angehen.Im übrigen bin ich auf Maria Vassilakou sehr stolz! Ein paar Gespräche im (druchaus unentschlossenem) Freundeskreis bestätigt mir, dass sie gestern punkten und überzeugen konnte.

Gastkommentar zum FP-Comic und zur Türkenbelagerung: Straches Sagenklitterung!

Als ich neulich das Comic der FPÖ „Sagen aus Wien“ in Händen hielt, fiel mir wieder ein, mit welchen längst widerlegten Thesen wir da konfrontiert werden – noch dazu mit Gewalt und Lügen vermanscht. Also bat ich Historiker Andreas Brunner (QWien – Zentrum für schwul/lesbische Kultur und Geschichte), mit dem wir bereits bei alternativen Führungen durch die Prinz Eugen-Ausstellung im vergangenen Frühjahr arbeiteten. Auch im Belvedere wurde ein herrschaftliches Bild dargestellt. Die Verklärung von Prinz Eugen durch Rechtsradikale und Nazis wurde etwa komplett ausgeblendet, obwohl sich ein Raum mit der Rezeption beschäftigte. Grund genug Andreas Brunner den aktuellen FP-Comic analysieren zu lassen. Ich danke Andreas für den Gastkommentar:

Straches Sagenklitterung

von Andreas Brunner

Nehmen wir Herbert Kickl, den Kommunikationschef der Freiheitlichen, und den anonymen Texter der Sagen aus Wien beim Wort. Kickl verteidigte im Falter den Comic mit den Worten: „Wir wollen einen Beitrag zur Erhaltung der österreichischen Sagenwelt leisten.“ Der Sagendichter warnt uns in einem holprig gereimten Einleitungsgedicht: „Und denkt beim Lesen immer dran/dass vieles heut‘ noch wahr sein kann…“ Unter dem Gedicht im Bild Strahlemann Strache, wie er verlegen am Ärmel Prinz Eugens zupft, der mit einer ausführlichen historischen korrekten Fußnote versehen ist, die ihn als Sieger über das türkische Heer ausweist. Noch täuscht man Volksbildung vor.
Doch gleich die erste Geschichte zeigt, worum es Kickl und Strache geht: Volksverdummung. Es ist nur zu hoffen, dass aufrechte FPÖler/innen ihren Kindern den Schwachsinn nicht zum Lesen geben, denn sollten sie diesen Käse in der Schule verzapfen, werden die schulischen Leistung entsprechend und die Migrantenkinder wieder schuld für das Versagen der eigenen Brut sein.
Die Provokation im historischen Gewand zur offenen Gewalt gegen Muslime (Anzeige der Grünen bei der Staatsanwaltschaft wegen Verhetzung) hat funktioniert, ein weiterer darin was „Volksbildner“ Kickl als historische Wahrheit verkaufen will. Es ist nicht verwunderlich, dass in einer rechten Postille nicht zu lesen ist, dass der schwule Prinz Eugen unter einem FP-Regime in Österreich als Ausländer, der in Frauenkleidern aus Paris geflohen war und dem bei Abschiebung die Todesstrafe drohte, wegen fehlender finanzieller Sicherheiten und fehlender Deutschkenntnisse keine Chance gehabt hätte. Besser passt ins Bild, dass man die historisch widerlegte Geschichte von der Gründung des ersten Wiener Kaffeehauses durch Georg Franz Kolschitzky aufwärmt. Wie schaut denn das aus, in einem rechten Blatt, wenn eine Urwiener Institution von einem armenischen Kaufmann namens Johannes Diodato gegründet wurde.
Natürlich werden in dem FP-Machwerk Türken als blutrünstigen Schlächter dargestellt, aber wie schon in der Prinz Eugen Ausstellung im Belvedere in diesem Frühjahr verschwiegen, dass die christlichen Heere gegenüber Andersgläubigen nicht minder grausam waren. Im Osmanischen Reich herrschte religiöse Toleranz, so gab es zur Zeit Prinz Eugens in Konstantinopel über 40 Synagogen. Aus Wien hatte der katholische Kaiser 1670 alle Juden vertrieben, ließ sich aber schon wenige Jahre später von einem jüdischen Bankier, dem Hoffaktor Samuel Oppenheimer, die Türkenkriege finanzieren.
Da vieles heut‘ noch wahr sein soll, wird die Geschichte des historischen Bürgermeisters während der Belagerung von Wien, Andreas von Liebenberg, gnadenlos verfälscht. Um den heutigen Bürgermeister Michael Häupl denunzieren zu können, macht man aus Liebenberg einen Türkenfreund und Verräter, der die Stadt schon heimlich an die Besetzer verraten hatte, bevor die Besatzer eintrafen. In Wirklichkeit organisierte Liebenberg in der belagerten Stadt die Bürgerwehr und starb zwei Tage vor der Befreiung Wiens. Was an diesen historischen Fälschungen erhaltenswert sein soll, muss Herbert Kickl erst erklären.
In der zweiten Geschichte treibt ein rotgrünes Ungeheuer als Basilisk recht plump sein Unwesen. Warum die ursprüngliche Geschichte fast bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt wurde, bleibt schleierhaft, sie wurde weder lustiger noch spannender. Das Ungeheuer im Brunnen, dem eine wackerer Bäckersgehilfe eine Spiegel vorhält, damit es, von der eigenen Hässlichkeit geschockt, zu Stein wird, ist für die FPÖ natürlich die Möglichkeit einer rot-grünen Regierung in Wien. Danach geht dem Sagenschreiber die Luft aus und enttäuscht das aufgekratzte Publikum. Nicht einmal die originale Liedzeile aus dem Lieben Augustin: „Und selbst das reiche Wien/Hin ist’s wie Augustin“, reizt den Sagenschreiber zu einem müden Witz, die Geschichte vom „Donauweibchen“ gerät zur müden erotischen Fantasie, wenn großbusige Nixen einen Bürgermeister HC Strache erträumen. Dass die Chance den englischen König Löwenherz, den Herzog Leopold V. in Erdberg festnehmen ließ, um dann ein horrendes Lösegeld zu erpressen, als schwulen Weichling, der von seinem Barden Blondel gerettet wird, zu denunzieren, ausgelassen wird, ist wohl der Unbildung des Sagendichters zu schulden.
Auf die sprachlichen Defizite der Sagentexte hat bereits Armin Thurnher in seiner luziden Analyse des pädosexuellen Subtextes der Prinz Eugen Sage dargestellt, manchmal sind sie herzig, wenn aus dem Lieben Augustin ein „mausetoter Mann“ wird, die legen aber auch das Denken des Schreiber offen, wenn er die Türken des Jahres 1683 Bomben auf Wien werfen lässt. Da ist das Bild des muslimischen Attentäters ganz nah.
 

Foto: Andreas Brunner (Copyright: Andreas Brunner, QWien)