Helma Ton war über sechs Jahre Bürgermeisterin der nord-holländischen Gemeinde Blaricum mit etwa 9000 Menschen. Die Politikerin der niederländischen Grünen (GroenLinks) hatte die Stadtführung in einer sehr schwierigen Periode innegehabt. Instabile Verhältnisse führten (laut dem niederländischem Wikipedia-Eintrag) dazu, dass sie immer wieder Stadtrats-Funktionen innehatte, weil ihr die Kolleginnen und Kollegen ständig davon liefen – nicht ihr davon liefen, sondern eben diesen instabilen Verhältnissen in der Gemeinde. Es war bestimmt ein stressiger Job. Mittlerweile arbeitet die ehemalige Italienisch- und Kunstgeschichte-Studentin als Trainerin und Coach.
Ihre Erfahrung hat Helma Ton verarbeitet und sie startete die Initiative Slow Politics. Auf der Website heißt es ins Deutsche übersetzt:
Slow Politics steht für eine neue Art des Regierens. Einladend. Aus einer offenen und neugierigen Haltung. Fragend, untersuchend und zuhörend. Mit Augenmerk auf Fakten, schwachen Signalen, für das, was gesagt wird oder eben gerade auf das, was nicht gesagt wird. Die Frage hinter der Frage, das Problem hinter dem Problem. ‚Slow‘ bedeutet Aufmerksamkeit. Von reaktiv zu responsiv. Beteiligt und durchdringend.
Slow Politics benützt daher offene Arbeitsgruppen und Social Media: Dialog, appreciative inquiry, World Café, Web 2.0, Twitter, Die Art wie AmericaSpeaks funktioniert, kgotla…
Kommen wir zurück nach Österreich, zu meiner Arbeit in der Wiener Kommunalpolitik, meinen Erfahrungen und Rückschlüsse.
Politik ist mitunter ein rasend schnelles Geschäft. Wenn eine Partei – egal ob regierende oder andere Oppositionspartei – etwas auf den Tisch legt, erwarten sich alle, und hier insbesonders die Medien – dass man ganz schnell eine Antwort parat hat, ob man einen Vorschlag ablehnt oder befürwortet, oder was man vielleicht anders machen möchte. (Dass in der österreichischen Parteien-Unkultur Vorschläge der Anderen grundsätzlich abgelehnt werden, kann ich hier jetzt nicht behandeln und würde einen eigenen Blogbeitrag Wert sein.) Am Besten ist es übrigens überhaupt, die Aussendung rattert 10 Minuten später über die Agenturen. Denn wer nach 14 Uhr aussendet läuft Gefahr nicht mehr wahrgenommen zu werden. Redaktionsschluss und so. Und da passieren schon mal Aussendungen, die man sogar selbst am nächsten Tag fast vergessen hätte, außer man liest sie dann doch in den Zeitungen. Ungeheuer viel Energie wird hier für wenig Produktives verwendet.
Die Initiative Grüne Vorwahlen hat in den letzten Monaten die Diskussion innerhalb und außerhalb der Grünen Wien stark dominiert. Ein wesentlicher (und mein wesentlichster) Bestandteil der Diskussion war die Frage nach demokratischer Partizipation. Aber auch hier wurde das spannende und lohnenswerte Thema schnell zu einem medialen Instrument. Schnell musste es gehen. Hopphopp.
Tatsächlich habe ich den vier Jahren Tätigkeit im Gemeinderat den Eindruck gewonnen, dass es der Alltagspolitik zu oft an Seriosität mangelt. Schnellschüsse und „Sager“ sind oft wichtiger, als das was entwickelt werden könnte und diskutiert werden müsste. Und zwar mit offenem Ausgang!
Slow Politics will aber genau das: Abstand gewinnen, ein Thema mal auf die Seite legen und andere darüber diskutieren lassen, um dann noch einmal mit frischem Blick hinschauen zu können. Und zuzuhören. Es geht auch darum, KnowHow einer Gesellschaft und von Expertinnen und Experten zu nützen, die sonst nie die Möglichkeit haben, an politischen Entscheidungsfindungen teilzunehmen.
Ich glaube die Politik könnte etwas Entschleunigung in vielen Punkten brauchen. Vermutlich kommt man schneller zu Resultaten und hat sie spannender diskutiert, egal ob es im Grätzel passiert, in einem ganzen Land oder in ganz Europa, ob bei Veranstaltungen oder im Web. Die Demokratie braucht Erneuerung und muss sich immer wieder neu erfinden. Das derzeit übliche Parteienhickhack betrachtend, könnte es der Demokratie nur gut tun. Die einzigen, die – zumindest anfangs – murren könnten, wären wohl Journalistinnen und Journalisten mit dem Drang nach „Sagern“. Ich könnte damit vorerst gut leben und würde auch sie einladen doch teilzunehmen. Dann würden vielleicht auch wieder Sachthemen dominieren und nicht unsägliche „Sager“, die eh keine_r mehr hören will…
Link: Slow Politics (Niederländisch)