Als ich vor einigen Wochen gefragt wurde, ob ich das Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich annehmen möchte, habe ich tatsächlich kurz nachgedacht. Denn hat nicht jede 24-Stunden-Pflegerin den mehr verdient? Jede Pflegekraft in Covid-Stationen? Ich habe mich jedoch für die Annahme entschieden und das Ehrenzeichen am 27. Juni von Bundesratspräsidenten Christine Schwarz-Fuchs überreicht bekommen.
Ich bin sehr froh, dass die Laudatorin, meine langjährige Wegbegleiterin und Vorbild Ulrike Lunacek, ehemalige Nationalratsabgeordnete, Europa-Abgeordnete, Vizepräsidentin des Europaparlaments und Staatssekretärin, dies auch so schön zusammengefasst hat. Ich kam aus einer Ecke, die nicht erwarten durfte einmal so eine Anerkennung zu erhalten. Denn ich kam aus einer Ecke der Gesellschaft die immer für Anerkennung kämpfen musste. Als niederländische Familie die nicht katholisch war sondern Jehovas Zeugen, als Familie mit einer NS-Terror-Erfahrung (sowohl mein Großvater in Putten, siehe „Der Fall Putten“ als auch mein anderer Opa im zerstörten Rotterdam), als eben nicht muttersprachlich deutschsprachig, nicht in Vereinen etc. – und dann als offen schwuler Mann als es in Österreich noch gar nichts gab, keine rechtliche Anerkennung und meine niederländische Ehe nicht anerkannt wurde. Ich bin ja auch gerade deshalb in die Politik gegangen. Ja, ich habe das Ehrenzeichen angenommen. Weil ich mich änderte? Ich glaube schon dazu beigetragen zu haben dass sich Österreich ebenso ändert.
Ulrike Lunacek hat die Laudatio gehalten. Sie war so lieb und hat mir ihre Skizzen und Stichworte zu ihrer Rede zukommen lassen, damit alle, die nicht dabei sein konnten, nachlesen können.
Ich möchte mich davor aber bei allen bedanken, die mich über all die Jahre begleitet haben. Mein Mann, meine Familie, meine Freund:innen, meine Mitarbeiter:inne, den Grünen in Wien und Österreich, meinen Bundesratskolleg:innen und und und. Ich hab euch lieb.
Skizze der Laudatio von Ulrike Lunacek:
Großes Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik
Verleihung BR Marco Schreuder, Parlament, 27.6.2022S.g. Fr. Bundesratspräsidentin Schwarz-Fuchs,
werte Ehrengäste,
lieber Herr Bundesrat, lieber Marco!
Ein Holländer in Österreich – ich habe ihn als Marco van Putten kennengelernt, als er mich 2001 für Bussi zu den EU-Sanktionen gegen Ö interviewte, weil da ja auch die immer noch vorhandene Diskriminierung schwuler Männer (§209) gegolten hat.
Wer war das denn? Und was war das für ein Name?
Er klärte mich dann auf, dass er sich diesen Künstlernamen – nach seinem holländischen Geburtsort – für seine Artikel zugelegt hatte. Und dass er in Wirklichkeit Schreuder heißt – holländisch S-chreuder ausgesprochen!
Ja, Marco Schreuder ist Migrant.
Kommt aus Familie, die geprägt war vom „Nicht-Dazuzugehören“. Sie waren zwar beliebt aber nicht ganz integriert, immer „anders“.
Eine Familie, die aus den Niederlanden (Marco Schreuder ist 1969 in Putten geboren) nach Bad Ischl zieht, wegen der Berge, und er, der dann 1988 nach Wien studieren geht. Klingt schick und nach Wohlstand – NL, Bad Ischl, Wien – nicht wahr?
Dem war nicht so: Vater war Hackler, arbeitete am Bau, die Mutter Hausfrau. klassische Geschlechterrollen-Verteilung und ganz und gar nicht reich.
Marco ging in Volksschule Russbach bei St. Wolfgang und dann Hauptschule und Tourismusschule Bad Ischl.
Im Salzkammergut bekannt als „die Holländer“ (Vater behielt seinen Akzent immer, Mutter Mama ihren Rotterdamer Zungenschlag bis heute) – übrigens als Gastarbeiter Aufenthaltsgenehmigung, auch Auto-Nummernschild (blaurot) wies sie als solche aus.
Nicht teilgenommen am örtlichen Vereinswesen. Wurden auch nie eingeladen. Dennoch fühlten sie sich wohl.
Noch was kam dazu: Eltern nicht katholisch oder evangelisch, zwei recht einflussreiche Religionen im Salzkammergut. Marco wurde als Zeuge Jehovas erzogen. Lernte darüber auch KZ-Überlebende kennen, denn Zeugen Jehovas waren auch verfolgt worden – so etwa der Nachbar Leopold Engleitner, der 7 Jahre KZ überlebte.
Marco Schreuder begann als Jugendlicher die Geschichte Geburtsdorfes Putten zu erkunden – und zu verstehen: Er erinnerte sich, dass seine dortigen Schulkollegen (die ersten paar Monate ging er noch in Putten in die Volksschule) Omas, aber keine Opas hatten. Er selbst hatte Glück: sein Opa wurde bei der Razzia 1944 nicht mitgenommen, als Nazis den gesamten Ort niederbrannten. Die Männer wurden alle ins KZ gebracht, wo der größte Teil ermordet wurde oder unter schrecklichen Umständen starb. Glück seines Großvaters: als Nazi ins Haus kam, sah er ihn mit zwei kleinen Buben – Marcos Vater und Onkel – am Schoß sitzen, drehte sich um, ging wieder und sagte den anderen: hier ist keiner.
Mutter wiederum ist Rotterdamerin, wurde in der von den Deutschen zertrümmerten und niedergebombten Stadt geboren. Großeltern mütterlicherseits erzählten verbittert von dieser Zeit. Und vom Hungerwinter 1944.
An all das erinnerte Marco sich v.a. im ö Gedenkjahr 1988. In Schule mitbekommen, dass seine Großeltern andere Geschichten, nämlich antifaschistische, erzählten als die Großeltern seiner österreichischen Freunde – die erzählten von Grossvätern mit SS-Vergangenheit. ABER super Schule, wurde gut unterrichtet, auch über NS-Zeit.
Damals bemerkte er: bin schwul, nicht von einem Tag auf den anderen, es dauerte eine Weile. Und so richtig frei leben konnte er erst als er 1988 nach Wien ging, Arbeit und Studium. Arbeiten nötig, denn Vater starb 1989 bei einer Kletterei. Wie wichtig Sozialstaat war wurde ihm damals klar: Stipendium!
Zuerst Kunstgeschichte. Die Liebe zur Kunst und Kultur ist sehr ausgeprägt! Schon in Kindheit blätterte er gerne durch die Bücher mit niederländischer Malerei aus dem 17. Jahrhundert. Und dann war eine Italien-Reise mit Familie 1987 ausschlaggebend: Uffizien, Michelangelo, Sixtinische Kapelle: aus letzterer wollte er vor lauter Staunen nicht mehr rausgehen!
Leidenschaft für Oper (Elektra Premiere Staatsoper), Musik und Theater begann in Wien.
jobbte Wiener Festwochen und in einem Schwulenlokal.
versuchte Aufnahmeprüfung Max-Reinhardt-Seminar, um Theaterregie zu studieren. Rechnete sich gar keine Chancen aus. Um ihn herum 80 Bewerber:innen, viele mit total viel Erfahrung. Er hatte keine, aber hatte ein Konzept fürs „Käthchen von Heilbronn“ und die „Dreigroschenoper“. Und siehe da: als einer von drei wurde er aufgenommen!! Seine Diplominszenierung wurde dann sogar in Moskau noch einmal von ihm inszeniert – da fuhr sogar Erni Mangold mit nach Moskau!
Damals lernte er auch Cornel kennen – in Community-Bar, die es heute nicht mehr gibt. Er zog bei ihm vor über 26 Jahren ein – und nie wieder aus – und das wird hoffentlich auch noch lange so bleiben!
Da er ohne Geld zu verdienen (und Praktika oder Assistenzen waren damals – und viele wahrscheinlich heute noch/wieder – unbezahlt) nicht Lehrjahre in den D sprachigen Theaterhäusern sammeln konnte, arbeitete er zunehmend für Medien- und Kultur-Institutionen – und begann auch für LGBT-Magazine zu schreiben. Anfangs vor allem über Kultur, aber politische Überzeugung (Gerechtigkeit ohne Ausgrenzung) schlug immer mehr durch – und so bewarb er sich 2001 bei einer jungen nicht amtsführenden Stadträtin:
- Maria Vassilakou!
Eine von 4 Personen innerhalb der Grünen die ihn „mehr als alle anderen“ geprägt haben:
Vassilakou erzählte mir: Marco und ich waren gemeinsam im Gefängnis😂. Nicht als Gefangene natürlich. Damals unter Schwarz-Blau Vorhaben: Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft in Rumänien einsperren zu lassen!
Marco organisierte kurzerhand 2004 eine Delegation mit österreichischen Redakteuren (darunter Florian Klenk), sie fuhren nach Rumänien und besuchten ein Gefängnis – „Wie die Hunde“ hieß der Artikel, den Klenk dann im Falter darüber schrieb…
Diese Story charakteristisch für seine Begabung: Dinge zu organisieren, und nicht nur bei Worten oder Plänen steckenzubleiben sondern kurzentschlossen zur Tat zu schreiten.
Und: Marco ist ein Vernetzungsgenie. Gezeigt bei Arbeit in und mit Grüne Andersrum: Zu Beginn vor 25 Jahren noch relativ klein, mit ihm und durch ihn vervielfachten sich die Mitglieder – und GA wurde zur größten Teilorganisation der Grünen, lobt ihn Maria Vassilakou (im Gespräch mit UL).Ein Beispiel für Marco Schreuders Kreativität: Aktion Pink Sheep vor der ÖVP-Zentrale: Motto „We are family“, wir (Lesben, Schwule, Bi, TransPersonen) gehören auch zur Familie und wollen gleichen Rechte. Echte (Bio!)Schafe und ein (mit abwaschbarer Farbe!) Pink gefärbtes Schafbei (angemeldeter!) Aktion vor der ÖVP-Zentrale in der Lichtenfelsgasse: Wir wollen gleiche Rechte!
Auch geprägt wurdest du, so erzähltest du, Marco, mir: von unserem jetzigen und hoffentlich auch künftigen Bundespräsidenten – damaligem Parteichef
- Alexander Van der Bellen, der mir über dich sagte: „Ich habe Marco Schreuder erlebt als kompetenten BR, stets gut aufgelegt, loyal, intelligent und witzig“)
- Und auch den dritten, Christoph Chorherr, habe ich gefragt – und er meinte: „so lange in der Politik, und immer noch so ein sensibles Herz“ – denn im Job Politik sei esschwierig, Wärme, Sensibilität und Humor zu bewahren, ohne zynisch zu werden.
Die Vierte im Bunde bin ich. Und sage dazu: Vielleicht hat Tatsache, dass Marco nicht zynisch geworden ist, auch damit zu tun, dass er eine eigene Firma gegründet hatte, schon bevor er die 2. Zeit im BR (zw. 2015-2019 nicht) begann, dass er nämlich nicht mehr Berufspolitiker sein wollte und will. Ein eigenes, nicht von unvorhersehbaren Aufs und Abs wie in der Politik, begleitetes Standbein zu haben, war und ist ihm wichtig.
Zurück zu den Nuller Jahren: 2005 kandidierte Marco Schreuder für Wiener Landtag und Gemeinderat und war (2005-2010) erster offen schwuler Politiker Österreichs – nach mir als erste offen lesbische Politikerin (damals im NR) 10 Jahre zuvor. Auch diese Art des Pionier/Pionierin-Seins verbindet uns.
Bevor er kandidieren konnte: mußte zwei Dinge tun:
- Staatsbürger werden
- Vorher in Amsterdam noch schnell seinen Mann heiraten, denn wer wusste damals schon, wann das in Österreich möglich sein würde? (14 Jahre dauern!!)
Am 18.4.2005 wurde Marco Österreicher. Und danach wurde er gewählt und wurde Politiker. Sagt selbst: „Zu seinem eigenen Erstaunen“, war nicht am Plan.
Was in der Politik gemacht? Nicht nur LGBT – zu diesen Themen wurde er ja zwangsläufig dauernd gefragt, oftmals auch darauf reduziert (das kennen wir beide).
Einer deiner Erfolge in diesem Bereich: schon mit GA „Zeigen wir Homophobie die Rote Karte – einmal beim Wiener Sportclub auf dem Fussballplatz – das einzige Mal wo ich jemals in der Mitte eines Fussballfeldes stand!
Und in last years: wesentlich beigetragen, dass ÖFB LGBTI Ombudsstelle einrichtet.
Hier muss ich auch einen wesentlichen Konfliktpunkt zwischen uns beiden erwähnen: Anfang der Nullerjahre diskutierten wir bei Grüne Andersrum, ob wir die Ehe öffnen oder ein neues, modernes Partnerschaftsgesetz für alle (moderner als die Ehe, die zB. immer noch die Pflicht zum gemeinsamen Wohnsitz beinhaltet) wollen. Er war fürs Erstere, ich fürs Zweitere. Wir diskutierten heftig – und einigten uns schließlich darauf, dass wir beides fordern ;-). Und wir beauftragten eine Anwältin, einen Gesetzesvorschlag für ein Partnerschaftsgesetz zu arbeiten, das wir Grüne dann – 2004 – in den NR einbrachten. Es dauerte noch bis 2009, dass die Eingetragene Partnerschaft beschlossen wurde.
ABER AUCH:
Kulturpolitik –
zB. Ökolog. Bauweise Renovierung Wien Museum beteiligt
- Erinnerungspolitik, und hier vor allem die Rettung des Jüdischen Friedhofs Währing (später gemeinsam mit Jennifer Kickert)
- Netzpolitik und politische Fragen zum Internet und Technologie, als sie noch niemand stellen wollte.
- Später auch Wirtschaftspolitik aus Sicht von EPUs und prekären Bedingungen – selbst in grünroter Oase in WiKa- Fachgruppe Kommunikation – tätig – mitten im schwarzen Imperium 😉
Wrd. Auszeit Politik: Firma gegründet – geht um Storytelling – kannst du ja ausgezeichnet 😉
zB. auch Projekt wie Conchita Wursts Werdegang einige Jahre betreut – da haben wir auch zusammengearbeitet, und es ist uns gelungen, dass Conchita Wurst im Oktober 2014 im Brüssel im Europaparlament aufgetreten ist – und viele Menschen begeistert hat!
Und heute?
Arbeit Bundesrat – jetzt auch besonders als Fraktionsobmann: macht Freude und Spaß, u.a. weil breite Themenpalette abdecken kann – als genialer Netzwerker und kreativer Geist, der Marco Schreuder ist, ist das verständlich!
Er möchte kein Berufspolitiker mehr sein, und das ist gut so. Auch ich spüre im Umgang mit dir, in der Freundschaft, die uns verbindet, dass da eine gewisse Zufriedenheit in deinem Leben zu spüren ist.
Was du dir aus Kindheit/Jugend erhalten hast und du immer noch magst (nicht nur als Foto auf Whats App): Liebe zu den Bergen! Und Engagement für Gerechtigkeit. Dass niemand wegen irgendwas ausgegrenzt wird – gerade heute wieder mehr nötig, wo nationalistische engstirnige Regierungen weltweit, auch in EU, das Gegenteil von Weltoffenheit und Vielfalt predigen und tun.
Berge und Gerechtigkeit haben was gemeinsam: Die Mühen der Ebene bzw. des Anstiegs – und meistens nur kurze Gipfel/Erfolgserlebnisse. Doch soviel mensch auch bei den Mühen der Ebene sich plagt und lernt: die Gipfelerlebnisse belohnen, und lassen es uns Menschen immer, immer, immer wieder versuchen und tun.
Die Energie dafür, die hast du auch heute noch, nach mehr als 20 Jahren im politischen Umfeld.
Lieber Marco, ich wünsche dir, dass dir diese Energie noch lange erhalten bleibt – und sage dir ein herzliches Dankeschön für alles, was du geleistet und erreicht hast –
Und beglückwünsche dich herzlich
zur Verleihung des Großen Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um unsere Republik!
Fotos: ©Parlamentsdirektion/Anna Rauchenberger