Rudolfsheim-Fünfhaus. Eine Liebeserklärung.

Es ist bereits mein zehntes Jahr in Rudolfsheim-Fünfhaus, dem 15. Wiener Gemeindebezirk. Und als wir hierher zogen war uns noch nicht wirklich klar in welchen Bezirk wir da zogen. Ein Taxifahrer, mit dem ich damals plauderte, fragte mich ob ich verrückt sei. Nirgendwo sonst wäre es so kriminell, unsicher und überhaupt: „Das ist doch kein Bezirk für anständige Menschen!“. Ich schluckte kurz, aber ließ mich auf das Abenteuer ein. Die Aussicht über Wien war und ist einfach zu atemberaubend. Immerhin liegt der 15. Bezirk auf der so genannten Laaer-Berg-Terrasse.
Ghetto, der ärmste Bezirk Wiens, der Bezirk mit dem höchsten Migrant_innenanteil Wiens (2006: 31,8{6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7}), der Bezirk mit der geringsten Lebenserwartung – all das darf man als einer von 71.000 Bewohner und Bewohnerinnen von Rudolfsheim-Fünfhaus oft hören. Und es stimmt irgendwie auch – und trotzdem ist das Bild, das durch solche Fakten vermittelt wird, gleichzeitig so unendlich falsch. Denn der 15. Hieb ist lebendig. Und wie!

Der hohe Anteil an Migranten und Migrantinnen schreckt viele ab sich hier eine Wohnung zu suchen. Die FPÖ feierte hier schon in den frühen 90-er Jahren mit Anti-Ausländer-Propaganda Wahlsiege, konnte aber die hohen Prozentzahlen von 1996 nie mehr wiederholen. Doch Konflikte erlebe ich – subjektiv vielleicht in „meinem Grätzl“ rund um die Ubahn-Station Schweglerstraße – kaum, obwohl man sie nicht wegleugnen kann. Sie nehmen aber ab. Denn die Vielfalt wird mehr geschätzt als gehasst, mehr erlebt als theoretisiert, mehr gelassen wahrgenommen als gewalttätig ausgelebt.

Ob türkische Restaurants oder Feinkostläden, ein sensationeller Thai-Shop oder klassische orientalische Friseure mit Bartrasuren und Haarentfernung mittels Feuer, ob ein Vietnamese oder zwei apulische Köche, die sensationelle Küche aus Süditalien bieten, ob frischer Fisch von der dalmatinischen Küste Kroatien oder das beste Fladenbrot Wiens… All das habe ich ums Eck. Und wer meint, dass sich Ethnien ihre eigenen Shops machen würden, sollte all die Ecken einmal erkunden: Überall bunt gemischtes Publikum: Der Türke, der asiatische Kost genießt, der Österreicher, der sich beim türkischen Barbier einen Bartschnitt gönnt, der Sikh, der im Thai-Shop nach veganem Essen Ausschau hält und die rumänische Familie, die diesmal nicht in ihrem Restaurant am Gürtel – dem Donaudelta – Sarmale essen geht, sondern diesmal österreichische Kost auf der Schmelz mit den albanischen Freunden genießt.

Die Gentrifizierung findet freilich statt. Junge Menschen, die sich keine Wohnung in den Boboville-Bezirken 6, 7 oder 8 leisten können, finden hier gerade noch leistbaren Wohnraum, auch wenn die Preise in den letzten Jahren dramatisch gestiegen sind. Student_innen, Kreative und Jungfamilien entdecken die Vielfalt und ziehen hier nicht trotz, sondern wegen dem bunten Allerlei aus der ganzen Welt her.

Trotzdem: „Rudolfsheim-Fünfhaus ist nichts für Weicheier“, wie es einmal ein Nachbar zusammenfasste. Konflikte, Armut und die Sichtbarkeit von perspektivlosen Jugendlichen, die gerne was zu tun hätten aber nichts zu tun haben, sind vorhanden. Straßenstrich gibt es an vielen Ecken im Bezirk. Konflikte der interkulturellen Art passieren freilich. So spielt sich im 15. Bezirk – besonders in den warmen Monaten – das Leben auf der Straße ab. Der öffentliche Raum wird bis tief in die Nacht belebt, was man als Neuling im Bezirk nur aus Urlaubstagen im Süden kannte. Für Menschen, die ruhig wohnen wollen, ist das freilich nichts. Und diese ärgern sich – manchmal auch zurecht.

Und all das bunt gemischte, arme Menschen und junge Kreative, Student_innen und Arbeitslose, die Konflikte und die Gelassenheit, die Bassena-Wohnungen mit den großzügigen Dachgeschoß-Ausbauten darüber: Jeder der hier wohnt wird anders geerdet. Denn anders als in Boboville ist es nicht der Bezirk der schicken Trends, wo die jungen Aufsteiger und Aufsteigerinnen untereinander in einer scheinbar heilen urbanen Welt bleiben. Nein, hier ist die Stadt mit all ihren Verfehlungen und Chancen, mit all ihren Problemen und mit all ihrem Reichtum sichtbar. Offen und jederzeit und überall sichtbar. Hier täuschen keine Verschönerungen und hübsche Fassaden über Not und Probleme hinweg. Ja, ein Mensch im 15. Bezirk ist anders geerdet. Und meiner Meinung nach gerade dadurch mit einem breiteren Horizont ausgestattet.

Während man anderswo über die ägyptische Revolution theoretisierte, diskutierte ich mit meinen ägyptischen Trafikanten über die Ereignisse, über Mubarak, über Israel, die Palästinenser und die Bombe im Iran, die der persische Flüchtling, der gleichzeitig im Geschäft war, ebenso fürchtet. Der Rücktritt der türkischen Militärspitze wird im Friseursalon heftig diskutiert. Sehen die einen – Linke und Aleviten – damit eine Gefahr für die säkulare Türkei, freuen sich Religiöse darüber, währen die Nationalisten dumme Sprüche klopfen. Und die Sikhs, die sich vom Anschlag auf ihrem Tempel vor etwa 2 Jahren langsam wieder erholen, analysieren den wirtschaftlichen Aufstieg Indiens, während sie dir gleichzeitig ayurvedisches Irgendwas verkaufen wollen. Und die österreichische Dame, die sich täglich im Café Lorenz einfindet und hier seit über 50 Jahren lebt hat auch viel zu berichten und versucht zu verstehen, was aus ihrem Bezirk geworden ist. Auch das eine Lektion in Geschichte.

Rudolfsheim-Fünfhaus ist sicher kein Bezirk, in der jede und jeder es aushält. Aber wer es hier schafft, dem eröffnen sich Perspektiven, die man kaum woanders findet. Und man stellt fest, das es vermutlich keinen lebendigeren Ort in Österreich geben kann. Auch wenn das vielleicht am Ende gar nicht stimmen mag.

Märzstraße in Rudolfsheim-Fünfhaus. Benannt zur Erinnerung an die Opfer der Märzrevolution 1848

Geschichte

Laaer-Berg-Terrasse: So nennt man die Schotterablagerungen, die im Mesozoikum entstanden. Damals war Wien noch von Meer bedeckt. Und das sich zurückziehende Wasser schuf den Wiener Becken, die Flüsse Wien und Donau schufen diese Terrassen. Die Terrasse, auf der sich auch der 15. Bezirk befindet, erstreckt sich vom Laaer Berg bis zum Türkenschanzpark.

Ein paar Dörfer gab es schon länger hier. Reindorf wird schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts erwähnt. Braunhirschen (früher Dreihaus) und Rustendorf entstanden im 17. Jahrhundert nach der zweiten Türkenbelagerung. Im 19. Jahrhundert erfolgte dann in der berühmten Gründerzeit – als Wien im Zuge der Industriellen Revolution eine Millionenmetropole wurde – die dichte Bebauung und die Dörfer und die Beubauten wurden zu Rudolfsheim, benannt nach Kronprinz Rudolf. Der 15. Bezirk war mal der 14. Bezirk, wurde dann wieder mit anderen zusammengelegt und fand seine heutigen Bezirksgrenzen erst 1992. Die Geschichte Österreichs spiegelt sich im 15. Bezirk wieder, der im Grunde immer einer armer Arbeiterbezirk war. Hier fanden 1848 während der März-Revolutionen die blutigsten Auseinandersetzungen statt, zwei Synagogen (Turnertempel und Storchenschul) wurden einst gebaut und während der Novemberpogrome 1938 zerstört (siehe Projekt Herklotzgasse 21 hier), ein k.u.k. Exerzierfeld befand sich dort, wo sich nun auf der Schmelz eine Kleingartenanlage befindet. Zuletzt wurde der 15. Bezirk auch Verkehrsknotenpunkt. Das begann 1858 mit dem Westbahnhof und setzt sich fort bis 1994, als die U3 den 15. Bezirk erreichte. Der Bau der Stadthalle (1953-58) war für Rudolfsheim-Fünfhaus prägend.

Einige Tipps für den 15. Bezirk (vorwiegend nördlicher Teil):

Kristal Herrenfriseur – Märzstraße 44: Türkische Bartrasuren, Modellrasur und Haarschnitt zum sensationellen Preis.
Good Morning Vietnam! – Märzstraße 29: Vietnamesische Küche mitten im 15. Hieb.
Pizzeria Ristorante Il Tavoliere – Goldschlagstraße 34: Apulische Küche vom Feinsten!
Bäckerei und Feinkost Ünsal – Märzstraße 44: das vielleicht beste Fladenbrot Wiens und hervorragendes Sortiment von Obst und Gemüse.
Schutzhaus zur Zukunft: Riesiger Garten, beste österreichische Küche auf der Schmelz.
Konoba Pescaria – Goldschlagstraße 22: Feinster dalmatinischer Fisch!
Talad Thai – Schweglerstraße 15: Hervorragender Thai Shop mit Spezialitäten und Imbiss.
Kent Restaurant – Märzstraße 39: Der türkische Gourmet-Klassiker mit drei Restaurants in Wien. Schöner Gastgarten, günstig und gut.
Diwan Holzkohlengrill – Märzstraße 51: Ein weiterer guter Türke im 15. Bezirk.
Café Lorenz – Märzstraße 37: Liebenswürdiges Wiener Café, fest in Frauenhand. Zum Tageszeitungslesen in zuckerlrosa Ambiente.
Eissalon di Jimmy – Kardinal Rauscher-Platz 7: Gloggnitzer Eismacher mit Filiale im 15. Bezirk. Bestes Cookies-Eis Wiens!
Café Amadeus – Märzstraße 4: Uriges Beisl mit viel Live-Musik gleich hinter dem Urban Loritz-Platz.
Blue Tomato – Wurmsergasse 21: Jazzmusik vom Feinsten, tropischer Garten und viele Köstlichkeiten.
Restaurant Donaudelta – Sechshauser Gürtel 7: Nicht direkt im meinem Grätzl, aber das beste rumänische Restaurant Wiens!

Wenn Lesben und Schwule heiraten.

In New York City können Lesben und Schwule mittlerweile heiraten. Und so wie in (fast) allen Ländern ist diese Öffnung eine politisch hochumstrittene. Die New York Times hat mittlerweile eine Galerie online gestellt.

Screenshot: nytimes.com

Liebe Gegner und Gegnerinnen einer solchen Öffnung für gleichgeschlechtliche Paare, liebe Konservative, Erzkonservative, Hyperreligiöse aller Glaubensrichtungen, und all ihr, die ihr uns das Leben immer so schwer wie möglich machen wollt: Schaut euch die Galerie einfach mal an. Ist das so schlimm? Muss man sich davor fürchten?

Danke an Susanne Zöhrer aka The Sandworm für den Hinweis.

Passend dazu auch der wunderbare Blogbeitrag hier mit fabelhaften Fotos und dem nicht weniger fabelhaften Satz: „Political protests are always a little more fun when the protesters are a little more fabulous.“

Wie konnte aus dem Wort Opfer ein Schimpfwort werden?

„Du Opfer“ hörte ich heute einen Jugendlichen schimpfen. Er nannte ihn nicht nur so, sondern seine gesamte Körperhaltung, sein Gesichtsausdruck und seine danach folgenden Sätze drückten Abscheu und Ekel aus.

Wie konnte aus einem Wort wie Opfer eigentlich ein Schimpfwort werden? Dieser Gedanke belastet mich schon den ganzen Tag, und heute Abend fand ich dann die Zeit und schaute auf Wikipedia nach. Dort konnte ich schnell feststellen, dass ich nicht der Einzige bin, der sich über die Wandlung des Wortes Opfer sorgen macht.

Opfer. Das bedeutet für mich immer, dass jemand unschuldig zu Schaden kam. Ein Opfer war für mich immer jemand, mit dem man Mitleid hatte, dem man helfen soll, weil es in einen Zustand geraten ist, wo man wirklich niemanden sehen will.

Nun gut, kann man natürlich einwenden, jede Zeit und jede Jugendsprache hatte so seine eigenen Worte, die von Anderen, vor allem Ältere, nicht verstanden oder abgelehnt wurden. Aber ein so tragischer Anlass, in der jemand zum Opfer wird, und dann dieses Wort für Verachtung zu verwenden… Nein, das kann und will ich nicht akzeptieren. Jemanden als Opfer abzustempeln geht einfach nicht! Das macht mich richtig betroffen.

Werden wir gerade zu Opfer einer gesellschaftlich gefährlichen Entwicklung? Wie seht ihr das? Eure Meinung diesbezüglich würde mich wirklich interessieren (Update & Anm.: Eure Meinung interessiert mich natürlich immer! ;))

Morrissey begleitet mein Leben.

No, it’s not like any other love
This one is different – because it’s us

And if the people stare
Then the people stare
Oh, I really don’t know and I really don’t care

(The Smiths, Hand in Glove, 1983)
Gestern hatte ich die Freude Morrissey im Wiener Konzerthaus zu erleben. Es gibt ja nun einige Popkünstler und -künstlerinnen, die einen 42-jährigen Mann wie mich bereits das ganze Leben lang begleiten. Madonna war immer irgendwie da und nie weg. U2 natürlich, die ich bereits 1987 live erleben konnte. Aber keiner prägte mein Leben so, wie Morrissey und The Smiths es taten.

Meine Teenager-Zeit in den glamourösen 80-er Jahren fiel zusammen mit dem Höhepunkt schwuler Popkunst. Smalltown Boy von Bronski Beat war bahnbrechend für meine Generation. Dann gab es da noch Frankie Goes To Hollywood, Erasure, Soft Cell, usw. Wir hatten damals zwar noch kein Internet, das Coming-outs seit den späten 90-er Jahren ziemlich anders ablaufen lässt.

Aber wir hatten Pop!

Die Musik, die in den Hitparaden war, aus dem Radio trällerte und desses Musikvideos man im Fernsehen sehen konnte (MTV war langsam überall empfangbar – noch in der guten alten englischsprachigen Version) war unser Soundtrack. Der Soundtrack der heutigen 40+ Generation.

Trotzdem war einem jungen Mann wie mich, der für Oscar Wilde und Thomas Mann schwärmte (und erst später begriff warum es ausgerechnet diese Autoren waren), Morrissey und seine Band The Smiths, die mir am meisten bedeuteten. Waren Erasure, Bronski Beat & Co. hitparadentaugliche Nummern, boten The Smiths eine intellektuelle Variante schwulen Pops. Nur, dass diese Band sich zum Unterschied der anderen Acts gar nicht als schwul deklarieren ließ.

The Queen Is Dead war die erste Platte, die ich von The Smiths 1985 kaufte. Und seit Erscheinen dieses Albums war ich Smiths-Fan. Bis heute. Gleichzeitig kaufte ich damals die beiden früheren Platten der Band nach und wusste nicht, dass nur noch ein Studioalbum 1987 folgen sollte. Die Texte trafen mein damaliges Lebensgefühl im Herzen. Es waren die oft depressiven, manchmal ironischen bis zynischen Texte, die Lieder über unerfüllte Liebe, Einsamkeit und Sehnsucht. Das passte nunmal zu einem 16-jährigen, der sich begann für Literatur, seine Sexualität und seine (gefühlte und teilweise eingebildete) Einsamkeit im Landleben zu interessieren und der alles um sich herum, die Politik, die Religion, das Leben und die Gesellschaft, in Frage stellte. Hand In Glove, This Charming Man, Handsome Devil, The Boy With The Thorn In His Side, usw. wurden mein Sondtrack und begleiteten mich überall.

Trotzdem wurde ich bald ein selbstbewusster schwuler Mann. Wurde quasi mehr Jimmy Somerville als Morrissey, der sich nie deklarieren ließ, der nie sagte, er sei schwul, sondern der – ganz im Gegenteil – solche Schubladisierungen in sexuelle Orientierungen immer verachtete. Morrissey war mehr Thomas Mann als schwuler Emanzipierter. Und vielleicht ist es gerade das, was ihn bis heute auch ausmacht. Er war und ist insofern modern, indem er homoerotische Texte schrieb, aber gleichzeitig Klischees, Schubladendenken und so etwas wie eine „schwule Szene“ (in diesem Fall popkulturell gemeint) ablehnte.

Gestern trat also der Mann, der den Soundtrack meines Lebens schrieb, in Wien auf. In der Stadt, in der ich 1988 zog um ein neues, offen schwules Leben zu führen. In dem selben Jahr, in dem Morrissey seine Solo-Karriere ohne Johnny Marr und den Smiths startete. Morrissey begleitete danach also einen erwachsen werdenden Mann und nicht mehr einen pubertierenden Möchtegern-Depressiven am Land. Ich blieb ihm aber treu.

Wenn also ein 42-jähriger Mann im Jahr 2011 ein Morrissey Konzert besucht, dann ist es natürlich eine Reminiszenz an die Jugend, an früher. Aber gleichzeitig auch ein Fest meiner Generation. Und dass dann viele Menschen zu sehen waren, die noch gar nicht geboren waren als ich Smiths-Singles und LP’s kaufte, zeigt, dass seine Musik und seine Lyrics nach wie vor funktionieren. Dass seine Texte nie an Aktualität, an Kraft und an Ironie verloren haben.

Trotzdem hat sich etwas geändert. Als Erwachsener, der sein Leben selbstbewusst lebt, schwärmt man weniger für einen Popkünstler. Er ist zwar immer noch Held, doch mittlerweile stelle ich auch Morrissey mitunter in Frage. Obwohl ich ihn verehre. Bis heute. Erwachsenenpop halt.

Ein dringender Appell an die Bundesregierung!

Seit 1. Jänner 2010 gibt es in Österreich die Eingetragene Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare, was freilich immer noch besser ist als gar keine Regelung. Ich will jetzt meine immer noch aktuell akute Kritikpunkte zu diesem Gesetz nicht wiederholen, denn eine eigene Schublade („Ghetto-Gesetz“), boshafte Regelungen wie Nachname statt Familienname, Bindestrichverbot, Adoptionsverbot, Fortpflanzungsverbot, etc. sind oft erörtert worden. Und immer noch furchtbar genug. Nein, es geht mir heute um etwas Anderes:

Die Hinterbliebenenpension!

Prinzipiell sind Eingetragene Partner_innen der Ehe bei der Hinterbliebenenpension vollkommen gleichgestellt. Was erstmal super klingt. Nur wurde in der Gesetzgebung etwas Wesentliches vergessen, was eine Diskriminierung ohnegleichen darstellt. Und zwar noch in vielen Jahren!

Die Anspruchsberechtigung für eine Hinterbliebenenpension (noch immer besser bekannt als Witwen- bzw. Witwerpension) hängt von mehreren Faktoren ab: Alter, ob eine Pension bereits bezogen wurde, wie lange man zusammen verheiratet/verpartnert war, etc. Eine sehr gute Auflistung dazu gibt es auf der hervorragenden Plattform www.partnerschaftsgesetz.at, das von mehreren NGOs online gestellt wurde und alle Rechtsfragen zur EP behandelt.

Wie man in der Liste der oben genannten Website nachprüfen kann, ist es notwendig für manche Pensionsansprüche 10 Jahre verheiratet/verpartnert gewesen zu sein.

Was bedeutet das?

Das bedeutet, dass bis zum Jahr 2020 Eingetragene Partner und Partnerinnen nicht mit der Ehe gleichgestellt sein können, weil sie gar nicht insgesamt 10 Jahre verpartnert gewesen sein können, weil es die EP eben erst seit 1.1.2010 gibt! Heiraten konnte man vor dem 1.1.2010 – allerdings ausschließlich heterosexuell. Das macht einen gewaltigen Unterschied.

Lebensrealität

Aus meiner langjährigen politischen Erfahrung weiß ich, dass es vor allem zwei Typen von Paaren gab, die vor dem 1.1.2010 jahrelang auf eine Regelung hofften, bangten, zitterten und sich einsetzten: Binationale Paare mit einem Partner oder einer Partnerin aus einem Nicht-EU-Land. Und ältere Personen (oder Personen, die schwer krank waren), die ein Alter oder ein Gesundheitszustand erreicht hatten, in der sie endlich das Erbe, Pensionen, das gemeinsam Aufgebaute und Erreichte geregelt wissen wollten.

Vor allem Letztere werden also durch die Regelungen der Hinterbliebenenpension nach wie vor diskriminiert. Und zwar in einem Moment, in der eine Hälfte eines Paares ohnehin die schwerste Zeit durchmachen muss: Den Tod des Partners oder der Partnerin, mit dem/der man sein Leben verbrachte und alles teilte. Und dann kommt also der Staat und sagt „Ätschpätsch, du hast keinen Anspruch“? Und das bis 2020 – noch neun Jahre? Das darf doch nicht wahr sein!

Appell an die Bundesregierung

Starten Sie eine Initiative zur Novellierung des EP-Gesetzes! Gönnen Sie den homosexuellen Paaren, die nach dem 1.1.2010 eine Eingetragene Partnerschaft eingegangen sind eine Chance, denn die können nun echt nichts dafür, dass die Bundesregierung erst spät – über 20 Jahre nach Dänemark – eine Regelung für gleichgeschlechtliche Paare geschaffen hat. Sollten diese Paare nachweisen können, dass sie die sonst in der Ehe notwendigen Jahre zusammen gelebt haben, an der selben Adresse lebten, eine Lebensgemeinschaft führten und ohnehin füreinander sorgten (ohne das der Staat das damals so genau wissen wollte), dann sollten diese Jahre angerechnet werden.

Alles Andere nennt man schlicht: Unmenschlich und diskriminierend – insbesondere für unsere ältere Generation! Denn wer vor 2020 stirbt hinterlässt einen Partner oder eine Partnerin ohne Ansprüche und wird munter weiter ungleich behandelt.

Wie die katholische Kirche am Glücksspiel mitverdient.

Es ist nichts Unbekanntes, was ich hier blogge. Aber wenn ich mich in meinem Bekanntenkreis umhöre und frage, ob jemand weiß, dass die österreichische römisch-katholische Kirche an Roulette, Spielautomaten, Black Jack, Poker und Co. mitverdient, dann weiß das erstaunlicherweise kaum jemand. Diese Beteiligung ist aber Tatsache, wenn auch offensichtlich eine wenig bekannte.

Glücksspiel in Österreich

Wenn es um öffentliche und politische Diskussionen rund um das Thema Glücksspiel geht, dann wird meistens über das so genannte „Kleine Glücksspiel“ gesprochen, also die Automaten, an denen man sitzt, Geld einwirft und je nach Zufall etwas gewinnt oder verliert. Die Casinos Austria bieten auch Automatenhallen an. Wie man pathologisches Spielen aus den „Spielhöllen“ entfernt, ist bei allen großen Glücksspielanbietern mittlerweile ein großes Thema, bei den Casinos Austria ebenso, wie bei der (meistens in diesem Zusammenhang genannten) Firma Novomatic. (siehe Website „Spiele mit Verantwortung“ der Casinos Austria, sowie Responsible Gaming der Novomatic).

Die Casinos Austria haben in diesen Debatten einen Vorteil: Noch immer haben sie das Image eines staatlich gelenkten Betriebs, das alleine schon deshalb besonders kontrolliert sei. Was allerdings längst nicht mehr stimmt, denn die Casinos Austria sind eine privatisierte Aktiengesellschaft. Zu einem Drittel ist sie allerdings indirekt noch in staatlichem Besitz, weil die Münze Österreich (die wiederum der Nationalbank gehört), mit diesem Anteil an den Casinos Austria beteiligt ist und somit der zweitgrößte Aktionär ist. Der Rest ist Privatbesitz. Viele Beteiligungen an den Casinos Austria führen übrigens zum Raiffeisen Konzern (wie man hier nachlesen kann, auch welche weiteren Beteiligungen es gibt samt Grafik. Anm.: Ich habe allerdings den Hintergrund und die Glaubwürdigkeit der Betreiber von spiele-info.at noch nicht überprüft, die Beteiligungen sind jedenfalls richtig dargestellt).

Die Beteiligung der Kirche

Eine der Aktionäre der Casinos Austria ist das private Bankhaus Schelhammer & Schattera AG. Diese ist gleich doppelt an den Casinos Austria beteiligt. Zum einen ist die Bank über 10 {6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7} an der Medial Beteiligungs Ges. m. b. H. beteiligt, die wiederum zu etwa einem Drittel an den Casinos Austria beteiligt ist – und somit der größte Aktionär der österreichischen Casinos ist. Zum anderen ist das private Bankhaus auch zu mehr als 5 {6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7} direkt an den Casinos Austria beteiligt und ist somit der viertgrößte Aktionär.

Das Portfolio und die Produktpalette des Bankhauses Schelhammer & Schattera AG liest sich prinzipiell interessant. Besonders die christlichen Werte werden auf ihrer Website oder in ihrem Geschäftsbericht betont, aber auch die Sorgfalt der ethischen Prinzipien, der Nachhaltigkeit und des sozial und ökologisch verantwortungsbewussten Handelns sind bemerkenswert. Ich würde alles sofort unterschreiben und tatsächlich liest sich vieles im Geschäftsbericht oder auf der Website höchst spannend, interessant und vernünftig.

Wem gehört aber die Bankhaus Schelhammer & Schattera AG? Sie sagt es selbst und nennt sich auch die Bank der Kirche:
„Als älteste Privatbank in Wien fühlen wir uns der Tradition verpflichtet. Mit einem Anteil von rund 85{6f8c26ad3fabc3ab9e5403d0d68a89bc5a2f8a366172fd8ffa8095b282dbc8a7} des Aktienkapitals bilden Institutionen der römisch-katholischen Kirche Österreichs unsere Kernaktionäre. Die besondere Verantwortung der Kirche in sozialen und ethischen Belangen bestimmt auch unser Handeln. In unserer Geschäftspolitik orientieren wir uns an langfristigen Werten und den Kernprinzipien der Nachhaltigkeit.“
In ihrem Geschäftsbericht 2010 (Download hier) dürfen dann auch viele Geistliche zu Wort kommen und überhaupt hat man den Eindruck ein offizielles Organ der Kirche zu lesen. Am Cover ist ein Kirchenraum zu sehen. Das Vorwort wird vom Präsidenten des Aufsichtsrats, Abt Mag. Ambros Ebhart, geschrieben, der gleichzeitig Abt des Stiftes Kremsmünster ist. Wir erfahren, dass im Aufsichtsrat auch Geistliche zu finden sind, etwa P. Erhard Rauch, Generalsekretär der Superiorenkonferenz. Im Beirat des Bankhauses sind dann bekannte Namen zu finden: Die Diözesanbischöfe Dr. Alois Schwarz, Dr. Paul Iby, Dr. Ludwig Schwarz, Dr. Egon Kapellari, DDr. Klaus Küng, die Weihbischöfe DDr. Helmut Krätzl und Dr. Ferenc Cserháti, der Militärbischof Mag. Christian Werner, die Äbte Bruno Hubl, Wolfgang Peter Wiedermann, Mag. Gregor Henckel Donnersmarck, Columban Luser, usw.

Eines wird jedoch im Geschäftsbericht nicht erwähnt: Die Beteiligung an den Casinos Austria. In einem Interview mit dem FORMAT 2009 war die Antwort des Generaldirektors von Schelhammer & Schattera, Komm.-Rat Helmut Jonas, auf die Frage, wie das denn nun mit den Beteiligungen an den Casinos sei, eine sehr ausweichende Antwort. Eine, die offensichtlich nicht hochspielen will, sondern das in Wahrheit gerne versteckt und nicht weiter beachtet sehen will. Er antwortete:
„Diese Beteiligung ist für uns kein großes Thema mehr.“
Schelhammer & Schattera macht übrigens nichts Illegales. Das Bankhaus darf sich freilich an Casinos oder andere Glücksspielgeschäfte beteiligen. Dass es aber im Hintergrund die römisch-katholische Kirche ist, die an den Gewinnen der Roulette-Tischen, der Automatenzimmer, der Jackpot Casinos, der Black Jack- und Pokerräume beteiligt ist und Geld damit verdient, finde ich jedenfalls höchst bemerkenswert.

Warum ich mich vom SK Rapid Wien abwende.

Die Rapid! Als ich 1988 nach Wien kam und schlussendlich 1991 im 14. Bezirk landete, um dort einige Jahre zu leben, wurde ich bald vom Mythos Rapid erfasst. Ein Nachbar meinte, wenn man schon im 14. wohnen würde, dürfte man quasi keinen Meldezettel ausfüllen, wenn man nicht grün-weiß sei. Also ging ich ein paar Mal mit ins Stadion und wurde so zu einem Unterstützer der Hütteldorfer. Das Wort Fan fiel mir damals (und fällt mir heute) noch schwer.

Foto ©Ballesterer: Cupspiel Vienna-Rapid, 2006 auf der Hohen Warte. Die wunderbare Zeitschrift Ballesterer machte eine Reportage über einen schwulen Fußballfan – nämlich mich – in ihrer themenspezifische Ausgabe „Dieses Heft ist schwul“ (Artikel darüber online hier).
Wenn man – so wie ich – in vielen Regionen Europas aufwächst, hat man nicht die typische Biografie eines üblichen Fußballfans, der irgendwo geboren wurde und Zeit seines Lebens Anhänger eines Klubs bleibt. In den Niederlanden geboren (mit einer echten Feyenoorderin als Mutter), im Salzkammergut aufgewachsen, wo es nun nicht wirklich einen Klub gab, den ich vollen Herzens unterstützen konnte, und eben nach Wien gekommen. Oranje blieb ich freilich. Roots quasi. Aber im Klubfußball war es die Rapid, die mir sowas wie ein fußballerisches Willkommen aussprach. Ich nahm das Angebot an – integrationswillig wie ich war.

Ich gewann Freunde, Freude und feierte Feste, trauerte bei Niederlagen. Aber trotzdem gab es in Hütteldorf immer wieder etwas, das ein mulmiges Gefühl zurück ließ:

Zum einen war bald klar, dass Rapid Problemfans hat. Fans, die mehr auf Probleme, Zündeln, Gewalt und Hooliganismus wert legten und legen. Fans, die gerne T-Shirts trugen wie „Tod und Hass dem FAK“ oder die Sprüche – seien es einzeln oder gar im Chor – los ließen, die eindeutig antisemitisch, rassistisch oder homophob waren. Klar passierte es ein paar Mal, dass ich mich umdrehte und einen anderen Fan anschnauzte und sagte: „Hey, es gibt auch schwule Rapid-Fans! Was soll das?“, aber die Gruppendynamik vor Ort ist eben so, wie es ist. Man schweigt, überhört und denkt (oder hofft?), dass es sich nur um ein paar Idioten handelt und nicht der Mehrheitsmeinung entspricht.

Und genau hier liegt das Problem!

Nach dem berühmt-berüchtigten Platzsturm am 22. Mai dieses Jahres beim Wiener Derby, hatte ich komischerweise Hoffnung. Hoffnung, dass die Vereinsführung von Rapid endlich begreift, dass sie ein Problem hat. Dass die Verantwortlichen Konsequenzen ziehen, und die Probleme nicht mehr unter dem Teppich kehren. Dass es nicht sein kann, dass man Ordner engagiert, die Hass-Parolen unter ihren Jacken tragen und dass es nicht okay ist, dass immer wieder Tod, Hass oder sonstwas gepredigt wird. Dass Rapid endlich begreift, dass Fußball da ist, um den Sport selbst zu feiern – nämlich das Wunderbare am Fußball: Mannschaftsgeist und das damit zusammen hängende soziale Verhalten, das Integrative des Fußballs, die Jugend- und Nachwuchsförderung, dass es verstanden wird, dass die Gesellschaft Wiens vielfältig ist und dem entsprechend auch der Fußball, dass Papa, Mama und kleine Kinder im Hanappi-Stadion willkommen sind, und dass es nicht sein kann, dass man sich um die Sicherheit der Kinder Sorgen machen muss. Und dass man den Gegner mit Respekt behandelt, denn ohne „Gegner“ nunmal auch kein Fußball!

Und ich hoffte, dass andere Fanklubs – deren es zahlreiche gibt! – endlich aufstehen, aufbegehren und laut und deutlich sagen: So nicht! Es gibt doch grün-weiße Akademiker? Wo ist denn deren Stimme? Warum sagen die nicht endlich: wir wollen die Rapid feiern, ohne dieses ganze Gewaltding und den Hass.

Was passierte anstatt dessen?

Weder der Fanbeauftragte der Rapid, noch die Vereinsführung zogen persönliche Konsequenzen. Das Personal blieb gleich. Wetten, dass es in der Saison 2011/12 so weiter gehen wird wie bisher? Dass die selben Sprüche gesungen werden, die selben Ordner im Stadion stehen werden, die selben Fanclubs (dezimiert um ein paar Wenige, denen man halt ein Stadionverbot ausspricht, damit man das Gefühl vermittelt, eh was zu tun) gröhlen werden? Dass noch immer Hassparolen überwiegen werden? Und die anderen Fanklubs? Die scheinen total kapituliert zu haben und resignieren. Vermutlich werden sie das auch in der Zukunft machen.

Eine andere Fußballkultur ist möglich.

2002 wurde ich mit anderen Grünen Andersrum von den Freund_innen der Friedhofstribüne zu einem Spiel des Wiener Sportklubs eingeladen. Um ein Zeichen gegen Homophobie im Fußball zu setzen. Die Friedhofstribüne informierte den „gegnerischen“ Fanklub des FC Lustenau. Die Gastmannschaft wurde mit einem herzlichem Applaus begrüßt und die Fans zur anschließenden Party eingeladen. Es gab keinen einzigen Song, keinen einzigen Ruf, nichtmal einen Rülpser, der gegen den FC Lustenau gerichtet war. Ich traute meinen Augen und Ohren nicht. So etwas hatte ich echt noch nie erlebt!

Nun ist das ja mit dem Fußball so eine verflixte Sache: Anhängerschaft wechselt man ja nicht wie ein Hemd. Das „gehört sich“ einfach nicht. Also blieb ich Sympathisant des Wiener Sportklubs und ging nach wie vor zu Rapid-Spielen. Das änderte sich auch (noch) nicht, als wir 2006 beim Spiel Wiener Sportklub gegen Parndorf die Aktion wiederholten.

Doch seit dem 22.5.2011 habe ich jede Hoffnung verloren. Zumindest was Rapid betrifft. Und zwar als jemand, der daran glaubt, dass Fußball integrativ wirken kann, Aufgaben jenseits des sportlichen übernehmen kann und ein Grätzl – ja eine ganze urbane Region – zusammen bringen kann, für erwachsene Männer ebenso attraktiv sein kann, wie für Frauen und Kinder. Und dass eine Vereinsführung die verdammte Pflicht hat, Hass, Antisemitismus, Rassismus und Homophobie klar zu verurteilen.

Natürlich ist mir klar, dass der Platzsturm vor allem (auch) gegen die Vereinsführung und die enttäuschende sportliche Leistung der Rapid in der vorigen Saison gerichtet war. Aber wo soll das noch hinführen? Wollen wir wirklich eine Fußballkultur, in der Väter und Mütter Angst um die Sicherheit ihrer Kinder haben müssen? Eine Fußballkultur, in der der Gegner abschätzig und mit Hass begrüßt werden, statt mit Respekt? Der SK Rapid Wien hat in den letzten Jahren hier vollkommen versagt. Und scheint auch nicht wirklich etwas zu ändern wollen, wenn man sieht, dass das Personal das Gleiche bleibt.

Deshalb wende ich mich mit Grauen und Enttäuschung vom SK Rapid Wien ab.

Gestern war die Generalversammlung des demokratisch organisierten Wiener Sportklubs. Ich war als Gast dabei. In Vorgesprächen konnte ich meine Haltung und Meinung zur Fußballkultur im Allgemeinen und zum Sportklub im Besonderen kundtun. Und – obwohl noch (!) nicht einmal Mitglied – wurde ich gebeten kooptiert in den Vorstand des Wiener Sportklubs zu gehen.

Ich nahm das Angebot dankend an. Nicht nur wegen dem Wiener Sportklub nahm ich das Angebot gerne an. Sondern vor allem und auch, weil ich immer noch an die integrative Kraft des Fußballs glaube. Oder glauben will.

Henryk M. Broders verquere Logik.

In der deutschen Welt-Online greift Henryk M. Broder in seinem Artikel Der Papst lässt keine Schwulen steinigen die Lesben- und Schwulencommunity frontal an, vor allem den deutschen LSVD. Hintergrund sind angekündigte Demonstrationen gegen den Papst-Besuch in Deutschland.

Prinzipiell halte ich die oft bewusst provokant formulierten Äußerungen Henryk M. Broders für nicht selten intelligent und regen zu Debatten an. Das ist einer Demokratie zuträglich. Daher darf er sich so äußern, wie er sich äußert. Allerdings: Wenn man schon provozieren will, dann muss man auch mit Gegendarstellungen und Gegenmeinungen rechnen. Und aus meiner Sicht sind Broders Äußerungen schlicht verquer und dumm.

Ich halte Broders Äußerungen übrigens nicht für deshalb dumm, weil er bekennender Hetero ist wie beispielsweise queer.de das in seinem Artikel betont. Im Gegenteil. Ich finde es sogar gut, wenn sich Heteros und Heteras Gedanken über die lesbisch-schwule Emanzipation und der aktuellen Lage machen. Und das als Journalisten auch schreiben.

Ich halte es für deshalb dumm und bin deshalb von Broder enttäuscht, weil ich gerade ihm die Bedeutung universeller Menschenrechte zugetraut hätte, ihm bessere Vergleiche mit anderen Gruppen zugetraut hätte und weil ich davon ausgegangen bin, dass Broder Geschichtsverständnis hat, was er in diesem Artikel vollends vermissen lässt.

Broders merkwürdige Vergleiche

Hier ein Beispiel über Broders Vergleiche in seinem Artikel:
„Man muss tatsächlich zugeben, dass die Rechte von Lesben, Schwulen und Transgender nicht an der Spitze der politischen Agenda des Papstes stehen. So wie er sich nicht hauptsächlich um die Versorgung der Juden mit koscheren und der Moslems mit halal Lebensmitteln kümmert. Auch die Anliegen der Vegetarier, der Nichtraucher und der Anonymen Alkoholiker werden von ihm nicht mit dem Ernst vertreten, den diese Gruppen von ihm erwarten. Der alte Herr im Vatikan kann sich eben nicht um alles kümmern.“
Wie bitte? Meint Broder, dass lesbisch oder schwul sein eine religiöse Frage ist, wie sein Vergleich mit Muslimen und Juden vermuten lässt? Oder findet er doch, dass lesbisch oder schwul sein eine persönliche und freie Lebensentscheidung wäre – und nicht etwa etwas, wofür man nichts kann? Dieser Satz sagt leider mehr über Broders Ahnungslosigkeit als über die Lesben- und Schwulencommunity. Weder ist Homosexualität eine Religion, noch ein bewusster Lebensstil etwas zu essen oder nicht zu inhalieren. Und schon gar keine Krankheit à la Alkoholismus. Dass Broder diese Dinge in einem Atemzug nennt ist schlicht ungeheuerlich. Da hat jemand wohl über ein Thema geschrieben, über das er sich noch nie Gedanken gemacht hat oder sich jemals informiert hätte. Anders lässt sich so etwas nicht erklären.

Der Papst – Hauptverantwortlicher oder nicht?

Broder kritisiert das Bündnis Der Papst kommt!, in dem eben auch der LSVD vertreten ist, weil sie den Papst als Hauptverantwortlichen für die weltweite Unterdrückung von Lesben und Schwulen bezeichnet. Und weiter:
„Kaum anzunehmen, dass in Ländern, deren Bürger nicht einmal das Recht haben, ihre Meinung frei zu äußern, ein Wort des Papstes etwas bewirken würde, das die Lage der Lesben, Schwulen und Transgender verbessern könnte.“
Welche Veränderungen ein Papst in der Weltpolitik erreichen kann, ist unter Historiker_innen eigentlich unumstritten: Ohne einen polnischen Papst und seine Reisen nach Krakau oder Warschau wären die Umwälzungen 1989 vermutlich nicht passiert. Da sind sich nahezu alle einig. Das wissen sogar nicht-christliche oder atheistische Menschen.

Viel wichtiger aber, dass es der Vatikan war, der sich explizit immer wieder gegen UNO-Resolutionen ausgesprochen hat, die eine Entkriminalisierung von Homosexualität weltweit forderten. Aus dem Vatikan waren in solchen Momenten Sätze zu hören, die unmissverständlich waren: Solche Resolutionen würden einen „Niedergang des traditionellen Ehebegriffs und moralischer Werte“ bedeuten. Anders gesagt: Dem Vatikan waren – offiziell! – in solchen Fällen Länder lieber, die Homosexuelle verfolgen, einsperren oder gar umbringen, als eine Entkriminalisierung, weil es die von ihr gehüteten „moralischen Werte“ zu sehr bedrohen würde. Noch im Jahr 2010 bezeichnete der aktuelle Papst Benedikt XVI. in einem Interview-Buch mit Peter Seewald Homosexualität als „gegen Gottes Wille“ und als „moralisch nicht richtig“. Da befindet sich der Vatikan ideologisch näher zum Iran als zum liberalen Staat.

Broder scheint das okay zu finden. Oder er scheint die offiziellen Äußerungen des Vatikans zum Thema gar nicht zu kennen. Das hätte ich mir nicht von ihm erwartet. Ehrlich nicht. Denn anders als zu Fragen (und den dummen Vergleichen) wie Alkoholismus, Vegetarier oder anderer Religionen, äußert sich der Vatikan ständig zum Thema Homosexualität! Seit nahezu 2000 Jahren macht sie das und trug zu einer langen – sehr langen – Verfolgung bei. Bis heute. Lernen Sie Geschichte, Herr Broder!

Noch eine Anmerkung: Hätte Broder übrigens die Frage gestellt, ob sie Zuspitzung der Demos gegen den Papst (persönlich) sinnvoll seien, oder aber ob es nicht gescheiter wäre, gegen die Dogmen der Kirche insgesamt zu demonstrieren: Ja, das wäre okay gewesen und eine durchaus sinnvolle Fragestellung. Aber darum geht es Broder nicht. Auch darüber zu diskutieren, wie zersplittert und zerstritten die Kirche gerade in dieser Frage ist, wäre eines Blickes würdig gewesen. Wir – vor allem die lesbischen und schwulen Menschen, die in einer katholischen geprägten Umgebung leben –wissen, dass es in der Kirche viele liberale und humanistische Stimmen gibt. Und eben genauso heftig und brutal die Gegenstimmen, die sich immer wieder Gehör schaffen. Insbesondere aus dem katholischen Hauptquartier im Vatikan.

Menschenrechte sind nicht national

Dann erklärt uns Broder, wie rosa das Leben der Lesben und Schwulen doch sei. In Deutschland zumindest:
„Konnte sich jemand vor nur 20 Jahren vorstellen, dass es eines Tages einen offen schwulen Außenminister, einen bekennenden schwulen Regierenden Bürgermeister, eine AG für Lesben, Schwule und Bisexuelle in der CDU/CSU geben würde, nur eine Generation nachdem Franz-Josef Strauß ausgerufen hatte, er wäre lieber ein kalter Krieger als ein warmer Bruder?“
Und dann kommen noch so tolle Beispiele, etwa die TV-Dokusoap Bauer sucht Frau, weil dort ein Bauer auch mal einen Mann suchen dürfe. Ist Ihnen das unangenehm, Herr Broder? Möchten Sie lieber in einem Land leben, wo das nicht passiert? Nein, das traue ich Henryk M. Broder nicht zu, möchte ich an dieser Stelle betonen. Aber warum erwähnt er das dann extra? Vermutlich weil es doch gar nicht so selbstverständlich ist, wie man gemeinhin glauben mag. Ich erinnere nur mal an das Tamtam rund um Alfons Haiders Tanz mit einem Mann hierzulande – einem übrigens sehr katholisch geprägten Ländchen (siehe Brief an Lauda hier).

Aber viel mehr wiegt die Tatsache, dass Menschenrechte – freilich auch die von Lesben, Schwulen und Transgendern – universell zu gelten haben. Broder erwähnt selbst in seinem Artikel Uganda als ein Beispiel. Wer die Debatten um einen Anti-Homosexuellen-Gesetz in diesem afrikanischen Land verfolgt hat, weiß wie sehr dort mit christlichen Moralvorstellungen argumentiert wird. Bis zur Verteidigung einer Todesstrafe, die immer noch von einzelnen Politiker Ugandas unterstützt wird. Ob ein deutliches Wort des Papstes geholfen hätte? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Schweigen hat aber ganz bestimmt nicht geholfen, Herr Broder. Das wissen Sie genauso gut wie der Papst selbst.

Die Lesben und Schwulen Deutschlands können sich zurecht freuen in einem sogar für europäische Verhältnisse liberalen Staat zu leben, in dem lesbische Tatort-Kommissarinnen genauso möglich sind wie schwule Außenminister. Aber zu meinen, man habe sich als Interessensvertretung nur für die Belange im eigenen Land zu interessieren, ist natürlich Humbug. Zumal jeder und jede weiß, dass es auch in den liberalsten Ländern wie den Niederlanden oder Deutschland noch immer Tragödien gibt – etwa weil sich jemand in einer streng religiösen Familie outet. Immer noch europäischer Alltag. Noch lange nicht überwunden.

Der Hinweis auf den Iran

Im letzten Satz schreibt Broder:
„Würden sich die im Anti-Papst-Bündnis vereinten 33 Organisationen in den nächsten drei Monaten um die Opfer der iranischen „Justiz“ kümmern, könnten – vielleicht – ein paar Leben gerettet werden. Immerhin ist im Vatikan lange keine Ehebrecherin gesteinigt und kein Schwuler aufgehängt worden.“
Da hat er natürlich recht, ich verstehe nur den Zusammenhang mit seinem vorher geschriebenen Geschwurbel nicht.

Eine Frage, Herr Broder: Ist Ihnen eine Aussage des Papstes, der die Ermordung von Lesben und Schwulen im Iran verurteilt, bekannt? Ich kenne solch eine Aussage nicht! Und ja freilich haben Lesben und Schwulen auch gegen die Verfolgung und Ermordung von Lesben und Schwulen zu demonstrieren, wenn sie nicht im Namen der katholischen Kirche verfolgt werden, sondern aufgrund anderer religiös-fundamentalistischen Gründen oder irgendwelcher kranken Rassen- oder völkischen Theorien. Aber der Papst und die römisch-katholische Kirche steht eben auch in der hitsorischen Tradition der Verfolgung. Das zu negieren, ist – wie gesagt – dumm und zeugt von kompletter Ahnungslosigkeit über die Geschichte der Homosexuellen-Verfolgung.

Subtext

Und ich komme nicht umhin einen Subtext in Broders Artikel herauszulesen: Ihm sind die Lesben und Schwule, die da jetzt in Deutschland überall sichtbar und öffentlich werden, scheinbar unangenehm. Herr Broder, ich fürchte Sie haben da wirklich ein persönliches Problem.

Das neue FPÖ-Parteiprogramm aus queerer Sicht.

Dieses Wochenende war aus lesbisch-schwul-transgender Sicht der Höhepunkt des Jahres. In Wien gingen rund 110.000 Menschen auf die Straße, um an der Regenbogenparade teilzunehmen. Lesben, Schwule, Transgender, Bisexuelle und zahlreiche solidarische Heterosexuelle demonstrierten für ein vielfältiges Österreich, das alle sexuelle Orientierungen akzeptieren, respektieren und rechtlich gleichstellen will. Damit verknüpft das Motto Show your face, das allen Mut machen soll, zu ihrer sexuellen Freiheit zu stehen und einzufordern.

Apropos Freiheit.

Am selben Wochenende hielt die FPÖ Parteitag in Graz. Dort wurde das neue Parteiprogramm beschlossen. In 10 freiheitlichen Leitsätzen wird die Politik der Freiheitlichen Partei festgelegt. Über vieles wurde bereits in den Medien ausführlich berichtet und reflektiert. Aus Sicht der Lesben und Schwulen ist besonders der 4. Leitsatz interessant:

„Die Familie als Gemeinschaft von Mann und Frau mit gemeinsamen Kindern ist die natürliche Keimzelle und Klammer für eine funktionierende Gesellschaft und garantiert zusammen mit der Solidarität der Generationen unsere Zukunftsfähigkeit.“
Den einen oder anderen Punkt mag man dann in den Erläuterungen zum 4. Leitsatz vielleicht noch gut heißen, zum Beispiel, dass Frauen und Männer chancengleich behandelt werden sollen – allerdings ohne Gender Mainstreaming, wie dann gleich darauf noch extra betont werden muss.

Dann heißt es:

„Die Familie, geprägt durch die Verantwortung der Partner und der Generationen füreinander, ist Grundlage unserer Gesellschaft. Die Lebensgemeinschaft von Mann und Frau wird durch das Kind zur Familie. Wer alleinerziehend Verantwortung übernimmt, bildet mit den Kindern eine Familie.“
Alleinerzieher_innen haben also nochmal Glück gehabt. Gerade noch werden sie von der FPÖ knapp als Familie anerkannt. Aber Regenbogenfamilien? No way. Patchworkfamilien werden übrigens auch nicht erwähnt. Wenn also beispielsweise eine Frau aus einer früheren heterosexuellen Beziehung Kinder hat, dann eine Frau kennenlernt und mit ihr den Rest ihres Lebens als Familie verbringen will – so ist das keine Familie. Auch wenn der leibliche Vater guten Kontakt zur neuen Familie pflegt und Teil dieser ist. So meint zumindest die FPÖ. Sie definiert die Norm, alles andere wird schlicht nicht akzeptiert. Das ist die Kernaussage.

Mit anderen Worten: Gesellschaftlich real existierende Lebensformen werden von der FPÖ ausgegrenzt. Sie verdienen die Bezeichnung Familie nicht.

Doch im nächste Absatz geht es klar zur Sache:

„Wir bekennen uns zur Vorrangstellung der Ehe zwischen Mann und Frau als besondere Form des Schutzes des Kindeswohls. Nur die Partnerschaft von Mann und Frau ermöglicht unserer Gesellschaft Kinderreichtum. Ein eigenes Rechtsinstitut für gleichgeschlechtliche Beziehungen lehnen wir ab.“
Die in unendlich vielen Diskussionen gestellte Frage, was denn nun mit heterosexuellen Paaren sei, die heiraten und keine Kinder haben wollen oder tragischerweise nicht können, wird freilich auch im FP-Programm nicht beantwortet. Homosexuelle sind offensichtlich die Bösen, die gesellschaftlich nutzlos sind.

Ein eigenes Rechtsinstitut für gleichgeschlechtliche Paare wird von der FPÖ kategorisch abgelehnt. Ein Institut, das es bekanntlich im österreichischen Recht bereits gibt – mit noch zahlreichen diskriminierenden Sonderbestimmungen. Aber was bedeutet die Ablehnung der FPÖ für Lesben und Schwule, die planen eine Eingetragene Partnerschaft einzugehen? Oder für bereits eingetragene Partner und Partnerinnen? Zumal ja die FPÖ in Umfragen derzeit die stärkste Partei ist und demnächst den Kanzler stellen könnte?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass Samstag auf der Wiener Ringstraße auch viele freiheitlich wählende Lesben, Schwule, Transgender, Bisexuelle und Heterosexuelle demonstrierten und dabei waren. Die tun das aus möglicherweise anderen Gründen. Auch mir persönlich sind schon viele FPÖ-Wähler_innen in der Community begegnet. Diese sollten aber jetzt wirklich dringend nochmal nachdenken darüber, was sie da tun. Bei allem Verständnis für den Stillstandsfrust, der dieses Land derzeit lahmzulegen scheint, aber Rückschritte und Ausgrenzung kann doch wohl nicht das Ziel dieses Landes sein!

Politische Nachwirkungen der Gewalt in Split.

Erschütternde Bilder gingen um die Welt (siehe Fotostrecke hier). Im kroatischen Split demonstrierten rund 300 Teilnehmer_innen der ersten CSD-Parade für die rechtliche und gesellschaftliche Akzeptanz von Lesben, Schwulen und Transgendern. Und 10.000 demonstrierten gegen diese Demonstration und skandierten unter anderem „Tötet die Homos“.

Kroatien ist ein Beitrittsland. Nur knapp vor den Ereignissen in der inoffiziellen Hauptstadt Dalmatiens kündigte die EU-Kommission an, Kroatien könnte wohl 2013 der Europäischen Union beitreten. Diese Beitrittsperspektive war vermutlich vor allem der Grund, dass die kroatische Regierung die Gewalt in Split unmissverständlich verurteilte. Die Polizei in Split bereitete sich auf den Einsatz vor und  beschützte die 300 Demonstrant_innen so gut sie konnten. Es bestand angesichts der Beitrittsmöglichkeit Handlungsbedarf und klare Signale an die EU.

Die niederländische Botschafterin in Kroatien – Stella Ronner-Grubačić, selbst Teilnehmerin am CSD in Split – meinte nach den Ereignissen, dass Kroatien bis zum EU-Beitritt ein Monitoring brauche. Die Niederlande würde darauf bestehen. Im Europäischen Parlament gibt es auch einen Kroatien-Berichterstatter. Dieser heißt Hannes Swoboda und ist bekanntermaßen österreichischer Sozialdemokrat. Er korrigierte die niederländische Diplomatin. Swoboda ist über den „Vorfall“ lapidar „nicht glücklich“, meint aber, dass solche Ausschreitungen in jedem EU-Land vorkommen. Aha? Er war offensichtlich noch nie auf der Wiener Regenbogenparade, oder in Berlin, Amsterdam, Köln oder sonstwo. Zudem meint er, es sei nicht fair, und es sei nur Stimmungsmache gegen den Beitritt Kroatiens, und man möge diesen Vorfall doch bittschön isoliert betrachten.

Ulrike Lunacek, bekanntlich Grüne und offen lesbische Abgeordnete im Europaparlament fand darauf klare Worte und wirft Swoboda „Verharmlosung“ vor (siehe Artikel hier).

Hier offenbart sich leider erneut eine Krise, die innerhalb der Europäischen Union zunehmend sichtbar wird und vor allem mit der Identität der EU zu tun hat. Wofür steht sie? Was ist ihr Leitbild und was die Grundprinzipien? Sind Menschenrechte so ein Grundprinzip? Die Verurteilung von Gewalt gegen Minderheiten? Oder sind die wirtschaftlichen Perspektiven so wichtig, das sie über alles andere stehen? Wenn man Swobodas Äußerungen weiterdenkt, dann scheint das so zu sein: Gewalt, die auf den Straßen stattfindet, ist zwar ein böser „Vorfall“, aber hat nichts mit Beitrittsverhandlungen zu tun.

Was sind denn dann die Voraussetzungen für einen Beitritt?

Wer mich kennt weiß, dass ich ein glühender Befürworter der europäischen Integration bin. Ich glaube auch, dass die Integration des Balkans notwendig und wichtig ist. Aber nach den Ereignissen in Split frage ich mich schon, welche Voraussetzungen erfüllt sein sollen. Bekanntlich nützen nationalistische Strömungen – gerne und oft organisiert über Fußballklubs (vergleiche dieses serbische Beispiel) – viele Gelegenheiten, um die pro-europäischen Regierungen zu destabilisieren.

Ich bin erfreut, dass die kroatische Regierung sich klar gegen die Gewalt äußerte. Aber von der Europäischen Union erwarte ich mir – als Unionsbürger – dass man mir reinen Wein einschenkt, dass man mir klar vermittelt:

ob ein Beitrittskandidat so starke gewaltbereite nationalistische Strömungen hat, dass sie die europäische Integration langfristig schaden könnten,
ob Staaten, die noch vor wenigen Jahren noch Krieg führten, diese historisch und gesellschaftlich aufgearbeitet haben,
ob langfristig und legislativ die Menschenrechte in diesen Ländern auch in vollem Umfang beschützt werden (Was wenn zB. Nationalisten regieren? Das gilt im übrigen durchaus auch für westeuropäische Länder).

Diese klare und ausgewogene Berichterstattung erwarte ich aber vor allem von einem gewählten Mandatar, der parlamentarischer Berichterstatter (!) Kroatiens ist. Schönreden halte ich für entbehrlich, gefährlich und kontraproduktiv.

Split hat übrigens eine multikulturelle Vergangenheit – griechisch, römisch, byzantinisch, bosnisch, venezianisch, österreichisch-ungarisch, kroatisch. Der Name entstammt dem griechischen Wort ἀσπάλαθος (Aspalathos), was „spanischer Besen“ bedeutet. Möge ein Besen die schrecklichen Bilder vom 11.6.2011 bald zur Vergangenheit machen: