Heute morgen gibt es viel Aufregung im Social Web und in Online-Zeitungen, nachdem Eva Glawischnig vorschlug Zigarettenautomaten zu verbieten. Grundlage der Forderung ist die tatsächlich Besorgnis erregende Tatsache, dass in keinem anderen Land so viele Jugendliche so früh zur Zigarette greifen, wie in Österreich.
Es wurden ja nun schon viele Verbote diskutiert. Im Sommerloch vor zwei Jahre wurde etwa darüber diskutiert, ob das Handytelefonieren in öffentlichen Verkehrsmitteln verboten werden soll. Bettelverbote, Netzsperren, Rauchverbote in Lokalen, Kleidungsvorschriften in Schulen, und und und. Die Liste der (möglicherweise) sinnvollen und sinnentleerten Verboten ließe sich endlos fortsetzen.
Aber woher kommt dieser Drang zum Verbot als politisches Konzept? Was ist da in den letzten Jahren (oder sind es Jahrzehnte?) passiert?
Nur politische Frage?
Möglicherweise ist es gar nicht nur ein politisches Problem, dass Verbote immer stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Vielmehr dürfte es sich um ein gesellschaftliches Phänomen handeln. Denn auch in Bereichen, die nicht politisch organisiert sind, wird immer mehr mittels Verboten organisiert. Checkte man früher einfach in ein Hotel ein, bekommt man heute oft eine ganze Liste an Erlaubtem und Nichterlaubtem. Pissoirs waren früher einfach Pissoirs, heute sind es Regelwerke mit vielen Verbotsschildchen und Piktogrammen. Für das Geschriebene auf der Rückseite von Eintrittskarten zu Veranstaltungen bräuchte man mittlerweile juristische Fachberatung.
Was kann der Staat?
Aber zurück zur Politk. Es fehlt IMHO dazu eine Diskussion, die eine Demokratie unbedingt braucht. Sie findet zwar statt, steht aber bei weitem nicht im Zentrum der öffentlichen Debatte, wo sie meiner Meinung nach hingehört. Wo enden persönliche Freiheiten zugunsten des Allgemeinwohls? Was kann und muss vom Staat und anderen gesetzgebenden Körperschaften geregelt werden, was aber obliegt der Einzelverantwortung und nicht der Politik? Sind laut telefonierende Öffi-Fahrer_innen ein Problem, um das sich die Kommunalpolitik kümmern soll, oder ist das etwas, dass die Öffi-Fahrer_innen bitte selbst untereinander ausmachen sollen? Sind Orte, an denen sich Raucher_innen und Nichtraucher_innen treffen und sich irgendwie arrangieren müssen, eine private Angelegenheit ebendieser Menschen oder muss da der Staat eingreifen? * Mancherorts wird diskutiert, ob man das Essen von Kebabs, Pommes, Leberkässemmel und Co. in Öffis verbieten soll. Wenn einem das denn stört, schreit man dann gleich nach dem Staat – da möge doch bitte endlich die Politik eingreifen – oder kann man als Fahrgast nicht einfach einem Stinker oder eine Stinkerin sagen: Hey, könntest du nicht etwas mehr Rücksicht nehmen?
Anders gefragt: Sollte nicht die Gesellschaft mehr aufgefordert werden, Dinge unter sich zu regeln? Sollte bezüglich des Problems der jugendlichen Raucher und Raucherinnen nicht doch andere Maßnahmen ergriffen werden, als Verbote die das Rauchen möglicherweise nur noch attraktiver machen? In den Schulen, in den Netzwerken der Jugendlichen? Ich kann mich gut an eine Zeit erinnern, in der alle Experten und Expertinnen meinten, dass Verbote eh nichts bringen. Damals war ich noch jugendlich. Warum diese Stimmen leiser geworden sind, weiß ich nicht. Vielleicht werden sie auch einfach nicht mehr gefragt, weil eine Verbotsforderung auch medial „geiler“ ist – ein richtiger Sager eben. Aufklärungsmaßnahmen zu fordern ist – journalistisch gesehen – ziemlich öd und wird gar nicht mehr geschrieben. Ein Politiker, der sowas sagt, kommt medial einfach nicht vor. Allerdings: Ein Sager „Hier hat die Politik nichts zu entschieden. Liebe Gesellschaft, macht euch das doch selber unter euch aus. Diskutieren wir das alle gemeinsam, übernehmen wir alle die Verantwortung“, würde aber auffallen. Mir fehlen solche Statements.
Wer Verbote fordert, nimmt der Zivilgesellschaft à la longue auch die Eigenverantwortung. Zu Ende gedacht, wäre der Staat dann für alles zuständig, der einzelne Staatsbürger und die einzelne Staatsbürgerin für nichts mehr. Denn man ruft einfach immer nach dem Staat.
Wer soll Verbote kontrollieren?
Verbote machen übrigens nur Sinn, wenn sie denn auch kontrolliert werden. Zeitgleich stöhnt die Exekutive unter Personalmangel. Zurecht fordert die Gesellschaft, dass Kapitalverbrechen geahndet werden – seien es Steuerhinterziehungen, unfassbar komplizierte Wirtschaftsverbrechen und Korruptionsfälle, Insiderhandel und natürlich Klassiker wie Raub, Mord und Totschlag. Wollen wir wirklich in einer Stadt, einem Staat, einem Europa leben, das alles reglementiert und jedes Detail verbietet und erlaubt? Und wer soll das kontrollieren? Wollen wir wirklich Exekutivbeamte und -beamtinnen an jeder Ecke und in jeder Glasfaserkabel, die alles überprüfen und abstrafen?
Die Grenzen des Staates liegen nunmal auch in ihren budgetären Möglichkeiten und was er damit macht. Gleichzeitig hunderte Verbote zu fordern, sowie zu verlangen, dass diese kontrolliert und exekutiert werden geht nunmal nicht parallel zur Forderung, der Staat möge aufgrund der hohen Verschuldung einsparen und die Verwaltung schlanker machen.
Wir haben also tatsächlich ein Verbotsproblem. Man muss kein Ultraliberaler sein, um das zu erkennen. Die Lösung kann meiner Meinung nach nur die langfristige Stärkung der Zivilgesellschaft sein. Und klar machen: Liebe Bürger und Bürgerinnen, der Staat ist nichts ohne euch. Ihr macht ihn aus. Es gibt Dinge, die müsst ihr selber regeln, vieles natürlich gemeinsam mit der Politik. Wir alle sind Staat. Das wäre im Übrigen auch eine Stärkung der Demokratie an sich.
Und zeitgleich könnten sinnvolle Verbote, die tatsächlich notwendig sind, um etwa das Klima zu retten oder Verbrechen schon im Vorfeld auszuschalten (Korruption zB.) besser bekämpft und exekutiert werden.
*Anm.: Der einzige Grund für mich, den Nichtraucher_innenschutz im Gastgewerbe nachzuvollziehen, war für mich das Personal, das dort stundenlang, tagelang, jahrelang arbeitet.