Warum ein Österreicher nicht bei EADS arbeiten darf.

„Unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge ist in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.
Das Europäische Parlament und der Rat können gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Regelungen für das Verbot solcher Diskriminierungen treffen.“
(Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Artikel 18)
Die britische Firma Computacenter gibt es seit 1981 und ist ein IT-Dienstleister. Mittlerweile hat die Firma Standorte in Großbritannien, Niederlande, Belgien, Deutschland, Frankreich, Spanien und Luxemburg, erwirtschaftete 2010 mehr als 3 Milliarden Euro und beschäftigt über 10.000 Mitarbeiter_innen.

Ein Kunde von Computacenter: Der Luft- und Raumfahrt sowie Rüstungskonzern European Aeronautic Defence and Space Company, kurz EADS, Hersteller der Eurofighter, Eurocopter, Airbus-Flugzeuge usw. Die Skandale und Korruptionsvorwürfe gegen die EADS sind mittlerweile weltbekannt: Die Clearstream II-Affäre in Frankreich, Insidergeschäfte, deutsche Bundespolizisten im Auftrag der EADS in Saudi-Arabien, Verdacht auf Korruption in Südafrika, Rumänien, Deutschland, Indien und Österreich.

In einem der Büros von Computacenter arbeitete ein junger Österreicher, der sich gerne beruflich weiterentwickeln wollte. Es gab im April 2012 eine interne Ausschreibung, die ihn interessierte. Gesucht wurde: „Opportunity for both Level 1 or Level 2 German Speaker Analyst to take part in the training program for Eurocopter in Toulouse and act as trainers for the EADS desk in Barcelona.“

In der Ausschreibung fanden sich allerdings auch eine irritierende Voraussetzung. Gesucht wurde ausschließlich ein Inhaber eines deutschen Reisepasses.

Der Österreicher wollte sich innerhalb der Firma verändern, erfüllte alle sonstigen Kriterien und erkundigte sich, ob er sich – als ohnehin Deutsch Sprechender – nicht doch bewerben könne. Die Antwort war eindeutig:
„Thank you for your interest in this Discovery opportunity. Unfortunately, the Eurocopter security is very strict and we can only have a German national. Although German is your native language, Austria is not part of a NATO country and for this reason it will not be accepted.“
Daraufhin erinnerte sich der junge Österreicher an den Artikel 18 des EU-Vertrags. Darin wird ausdrücklich die Diskriminierung aufgrund der Staatsbürgerschaft innerhalb der EU verboten. Jeder EU-Bürger und jede EU-Bürgerin hat freies Aufenthalts- und Arbeitsrecht in jedem EU-Staat.
Deshalb hakte er am 21.5.2012 nach und zitierte sowohl den EU-Vertrag als auch Richtlinien des Europäischen Rates und fragte wie eine Ausschreibung dermaßen EU-Recht widersprechen könne. Er musste noch eine Mail nachschießen mit der Bitte, seine Fragen doch endlich zu beantworten.
Die erhielt er dann am 29.5.: Alles sei ein Missverständnis, man hätte nur jemanden mit Deutscher Muttersprache gesucht, der Deutschen Dialekt (!) spricht und den NATO-Sicherheitsrichtlinien entsprechen würde:

„Everyone who follows the requirements can apply for the role. Two of the requirements are to be native Geman speaker (German dialect – which was not clear on the advertisement) and the other requirement is to be eligible for NATO Security Clearance.“

Da stellen sich allerdings doch ein paar Fragen, denn die Vorgaben über die Sicherheitsrichtlinien gingen vermutlich vom Kunden EADS aus:

Wieso dürfen bei Eurocopter/EADS nur Mitarbeiter_innen aus NATO-Ländern arbeiten?
Wieso stellt die EADS NATO-Interessen über die Europäische Union und ihren Gesetzen?
Dürfen Österreicher_innen in sensiblen Bereichen des Rüstungskonzerns überhaupt arbeiten – ja oder nein?

Wenn man die EADS fragen würde, würde sie wohl alles verneinen und als Missverständnis darstellen. Dann dürfen sich wohl auch wieder Staatsbürger aus einem neutralen Staat, also auch Österreicher_innen, überall bewerben. Ob sie dann allerdings den Job bekommen, steht wohl auf einem anderen Blatt. Denn die oben genannte Ausschreibung zum Job bei Eurocopter wurde nachträglich geändert und die Voraussetzung „Deutscher Staatsbürger“ entfernt.

Der Österreicher bewarb sich dann übrigens nicht für den Job, wurde aber kurz danach von seiner Firma fristlos gekündigt. Angegebener Grund: 7 Minuten Verspätung und ein grammatikalischer Rechtschreibfehler in einer Email an einen Kunden.
(Anm.: Zum Schutz des jungen Österreichers nenne ich hier seinen Namen nicht. Die Email-Korrespondenz liegt mir vor.)

So nicht, Frau Justizministerin!

Man würde ja meinen, die Politikerinnen und Politiker Europas hätten die ACTA-Lektion vom ersten Halbjahr 2012 gelernt: Verhandlungen, die im engeren oder weiterem Sinne mit dem Internet zu tun haben ohne Konsumentenschützer_innen, ohne Datenschutz-Expert_innen und ohne NGOs der Bürgerrechtsbewegung zu machen: Das geht einfach nicht. Undemokratische Vorgänge ohne alle Beteiligten am Tisch, ohne die Perspektive des freien und neutralen Internets, ohne Vertretung der Bürgerrechte hatten bei ACTA ganz klar verloren. Und zurecht europaweit zu Protesten geführt.

Unserer Justizministerin scheint das völlig kalt zu lassen. Die macht munter weiter, so als ob es ACTA nie gegeben hätte.

Beatrix Karl lädt am 11.12. zu einem Round Table, in der das Urheberrecht diskutiert wird. Was das bedeuten könnte, lässt Schlimmes befürchten: Vorratsdaten sollen gegen Filesharer verwendet werden, wie ein orf.at vorliegendes Arbeitspapier besagt (siehe hier) und Albert Steinhauser und der AK Vorrat bei einem kürzlich statt gefundenem Hearing im Justizausschuss heraushören durften. Eingeladen am 11.12. sind die Verwertungsgesellschaften und die Industrie. Das Konsumentenschutz-Mascherl trägt die Arbeiterkammer. Immerhin. Nicht eingeladen: Netzpolitische NGOs, Bürgerrechts-NGOs, usw.

Sollten die Befürchtungen tatsächlich begründet sein (noch sind die Ergebnisse der geplanten Novelle des Urheberrechts nicht endgültig bekannt), dann darf das Justizministerium mit heftigem Widerstand rechnen. Ich verspreche jedenfalls alles zu tun, um das gemeinsam mit den Grünen zu Fall zu bringen.

Ehrlicherweise erwarte ich mir von einer VP-Justizministerin nicht sehr viel, die schon oft bewiesen hat, dass ihr ein freies und neutrales Internet kaum ein Anliegen ist, und Bürgerrechte schon gar nicht. Die Industrie und viele Anwält_innen freuen sich vermutlich schon auf die Novelle und reiben sich die Hände, droht uns in Österreich eine ähnliche Abmahn-Industrie wie es bei unserem deutschen Nachbarn der Fall ist. Und sie dürfen am 11.12. dafür lobbyieren – ohne groß Einspruch zu erwarten. Einseitiger geht’s gar nicht!

Was macht aber die SPÖ? Wird sie sich dagegen stemmen? Wird sie mit der ÖVP verhandeln? Oder umfallen?

Ich finde Protestschreiben an die Justizministerin prinzipiell richtig. Ich finde aber auch, dass genau jetzt Druck auf die SPÖ ausgeübt werden muss. Denn ohne den Koalitionspartner kann Beatrix Karl genau nichts machen.

Sonja Ablingers Aussendung gefällt mir schon mal.

Pro und Contra, Aufklärung und das fundamentalistisch-katholische Netzwerk

„Diese Broschüre manipuliert und indoktriniert und will Kinder umerziehen. Dagegen verwehren wir uns.“
Die unfassbarste Aussage des Abends kam zum Schluss, als niemand mehr etwas entgegnen konnte. Obige Sätze waren der Schlusssatz der Sendung Pro und Contra auf Puls 4 (Stream der gestrigen Sendung), bei der ich auch zu Gast war. Thema: Die Aufklärungsbroschüre „Ganz schön intim“ (PDF) des Vereins Selbstlaut. Das Unterrichtsministerium hatte die Broschüre finanziert. Und das passt Frau Gudrun Kugler-Lang, Theologin, Fundamentalistin, Abtreibungsgegnerin, frühere ÖVP-Kandidatin in Wien und ihrem Netzwerk angeblicher „besorgter Eltern“ nicht. Sie wartete bis zum Schluss um ihre und die ihrem Netzwerk rund um Weihbischof Andreas Laun übliche Ideologie kundzutun, wie sie im obigen Zitat erschütternd offenbar wird.

Zuvor zeigte sie ihre NLP-Schulung, wie es widerlicher nicht mehr geht. Immer ein bisschen Verständnis vorgaukeln, sich höflich für ein Statement bedanken, um dann wieder im Subtext kundzutun: Homosexualität soll in den Schulen ein Tabu bleiben, Randgruppe bleibt Randgruppe. Und immer wieder wurde suggeriert, wir würden von einer Broschüre für 6 bis 12-jährige Kinder reden. Dass es sich bei „Ganz schön intim“ um eine pädagogische Hilfe für Lehrer_innen geht und mitnichten um eine Broschüre für Kinder wurde kontinuierlich ausgeblendet, so oft die anderen Diskussionsteilnehmer_innen auch darauf hinwiesen.

Die angeblich besorgten Eltern in den Medien

Über die ideologischen Hintergründe des Netzwerkes der angeblich „besorgten Eltern“ haben Medien kaum recherchiert. Besorgte Eltern sind einfach eine coole Geschichte, dachte sich da wohl so mancher Redakteur und Redakteurin. Da bohrt man dann lieber nicht genau nach. Da sind Umfragen, wie sie der Kurier machte, einfach besser verkaufbar. Und man kann in der Geschichte dann auch noch das schön diffamierende Wort Machwerk verwenden, wenn man die Broschüre meint, so wie es Kurier-Redakteur Nihad Amara macht. Besorgte Eltern klingt so super nach Bürger_inneninitiative. Das verkauft sich besser.

Oder  vielleicht hat man auch gar nicht recherchiert.

Nur wenige Medien durchschauten das perfide Spiel von Gudrun Kugler-Lang und ihren christlichen Eiferern. NEWS etwa deckte die Machenschaften und sogar die von Frau Kugler-Lang selbst ausgearbeiteten Kommunikationsstrategien auf, die sie im Fall dieser Broschüre genau so anwendete. Der Humanistische Pressedienst und Christoph Baumgarten hat auch (hier) recherchiert.

Soll man den Kugler-Langs dieser Welt eine Plattform bieten?

Paul Aigner bloggt auf Querg’schrieben zur gestrigen Sendung. Und ich stimme dem ersten Teil völlig zu. Dann schreibt er:
Demokratischer Diskurs ist nicht, wenn Alle gar alles sagen dürfen, was ihnen in den Kram passt. Demokratie verlangt auch, dass systematische grobe Respektlosigkeiten gegenüber großen Gruppen von Menschen erst gar keine Plattform bekommen. Zensur wäre, Gudrun Veronika Kugler das Mikro abzudrehen. Sie erst gar nicht einzuladen, wäre ein Zeichen journalistischer Verantwortung gewesen.
Nun liegt es mir fern Journalist_innen zu sagen wen sie einladen dürfen, und wen nicht. Aber der Gedanke als Denkanstoß hat schon etwas für sich, wenn… Ja, wenn die Empörung bei ein paar fanatisierten Hetzer_innen geblieben wäre! Allerdings ist die Strategie von Frau Kugler, Kugler-Lang (oder wie immer sie jetzt heißt) ja voll aufgegangen. Ein paar Leserbriefe, ein paar Pressekontakte (Die Presse!) und schwupps: Schon hat man ÖVP, FPÖ und BZÖ instrumentalisiert. Und daher ist es sehr wohl ein politisches Thema, das man behandeln muss.

Worum’s eigentlich geht

Und genau darum ging es übrigens immer in der gesamten Diskussion (und es ging nur am Rande um die Broschüre, die diente nur als Projektion): Den Launs, Kuglers und all den anderen Hetzer_innen geht es darum Mehrheiten zu finden, die wieder das konservative Bild der katholischen Kirche hochhalten. Es geht darum, dass diese Netzwerke natürlich spüren, dass die Gesellschaft längst liberaler geworden ist, längst einen entspannteren Zugang zu Sexualität hat, längst Liebe und Sexualität nicht unbedingt als immer zusammen gehörende Sache wahrnimmt, die auch mal One Night Stands okay findet, die mit Lesben und Schwulen schlicht keine Probleme mehr hat und die Haltung der Erzkonservativen auslacht.

Allerdings ist diese Mehrheit leise geworden. Denn man kann solche Moraldiskussionen eigentlich schon nicht mehr hören. Oder wie es eine Facebook-Userin auf der Facebook-Seite der Moderatorin Corinna Milborn ausdrückte: „Eine Diskussion aus dem vorigen Jahrhundert. Sorry ohne mich!“ Das eröffnet den Kuglers dieser Welt die Möglichkeit den öffentlichen Diskurs wieder zu dominieren, obwohl sie eine kleine Splittergruppe sind. Die liberale aufgeklärte Gesellschaft ist in diesem zutiefst bedeutsamen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen einfach lahmarschig geworden. Muss man leider sagen. Denn wo sind die großen Debatten über ein modernes Partnerschaftsrecht? Ein moderneres Eherecht, weil das jetzige aus dem Jahr 1938 stammt? Darüber, ob Partnerschaft und Familie noch unbedingt mit Sexualität kombiniert gesehene werden muss (im Eherecht gibt es immer noch die Pflicht zur Treue!). Es interessiert traurigerweise kaum.

Beispiel?

Man möge nur meinen Blogbeitrag vom 21.11. lesen. Beim Antidiskriminierungsgesetz, der den rechtlichen Diskriminierungsschutz aufgrund der sexuellen Orientierung  mit dem der ethnischen Herkunft gleichstellen will, war es die Bischofskonferenz, die in einer Stellungnahme meinte, das sei unnötig und man könne das nicht vergleichen. Die ÖVP nahm diese Argumentation auf. Genau so wie sie es jetzt rund um die Aufklärungsbroschüre machte.

ÖVP unter Spindelegger – oder das erzkatholische Comeback

Dass die ÖVP gesellschaftspolitisch extrem nach rechts rutschte ist augenfällig. Es ist auch nicht mehr Josef „Perspektivengruppe“ Pröll Parteichef, sondern Michael Spindelegger, Mitglied des Ordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem. Der Spindelegger, der einst – bevor die Eingetragene Partnerschaftsgesetz eingeführt wurde – erklärte warum Lesben und Schwule am Standesamt nichts verloren hätten:
„Weil am Standesamt der Eindruck erweckt wird, es sei eine Ehe. Es ist aber keine Ehe. Und es ist ja so, dass am Standesamt zur schönen Jahreszeit besonders gerne geheiratet wird – das führt automatisch zum Kontakt zwischen heterosexuellen und homosexuellen Paaren. Ob das so gut ist, sei dahingestellt.“
Und morgen wird im Nationalrat das Personenstandsgesetz verabschiedet. In der alle Ungleichbehandlungen der Eingetragenen Partnerschaft einzementiert werden. Und die SPÖ wird mitstimmen.

Voller Sieg für Laun, Kugler und Co.

Meine Performance

Meine Performance gestern in der TV-Sendung war keine Glanzleistung. Ich hatte mir vorgenommen ruhig zu bleiben, gelassen zu blieben, mich auf Argumente zu verlassen. Doch als ich bermerkte, dass mein Einstieg, in dem ich das ultra-konservative Netzwerk aufdecken wollte, schnell wieder verpuffte und sich Frau Kugler immer noch als besorgte Mutter inszenieren konnte und niemand sonst deutlich machte, dass es sich bei diesem Netzwerk um eine perfekt organisierte katholische Fanatiker-Gruppe handelte, wurde ich unruhig. Und ich bekam interessanterweise Sodbrennen während der Sendung, was mich übrigens wirklich zusätzlich plagte.

Ich war einer fanatisierten Hetz-Truppe ausgesetzt, die auf kein Argument einging, sondern nur in der NLP-Technik so tat als ob. Ich war einer ÖVP-Politikerin ausgesetzt, die nicht beurteilen wollte ob Lesben und Schwule gute Eltern sein können, aber auch nicht erklären wollte, warum die ÖVP Adoption oder Insemination verbietet und sonst im Grunde nur Kuglers Thesen nachbetete, nur in etwas schlechterem NLP.

Ich wurde am Ende etwas aggressiv. Verständlich, meinten viele auf Twitter. Aber eigentlich wollte ich gelassen drüber stehen. Es gelang mir leider nicht. Man möge es mir verzeihen.

Das Sodbrennen war eine Stunde nach der Sendung übrigens wieder verschwunden.

Koalition aus ÖVP und Bischofskonferenz verhindert Diskriminierungsschutz

Die Grünen Nationalratsabgeordneten Judith Schwentner und Alev Korun waren heute im Gleichbehandlungsausschuss. Das wäre ja noch keinen Blogbeitrag wert. Was die beiden dort aber seitens der ÖVP zu hören bekamen ist schier unglaublich. Dazu später mehr.

Der politische Hintergrund

Seit 1997 versucht die EU (erstmals im Vertrag von Amsterdam) Antidiskriminierung auch europaweit zu forcieren. Es sollen keine Menschen aufgrund der ethnischen Herkunft, der  so genannten „Rasse“, der sexuellen Orientierung, des Alters, einer Behinderung, des Geschlechts, der Religion oder der Weltanschauung diskriminiert werden dürfen. So fortschrittlich das damals war: Schon damals war ein Problem mit geboren. Während Menschen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft sowohl im Arbeitsrecht als auch bei Dienstleistungen oder dem Erwerb von Gütern Diskriminierungsschutz bekamen, wurden Diskriminierungsgründe wie Alter oder sexuelle Orientierung nur im Arbeitsrecht berücksichtigt.

Die EU-Richtlinie war somit der kleinste damalige Nenner der Mitgliedsstaaten. Viele Staaten – mittlerweile 21 innerhalb der EU – sahen die Richtlinie daher auch als das, was es war: Die Mindestvoraussetzungen. Und sie taten das, was Mitgliedsstaaten tun dürfen: Sie erweiterten den Diskriminierungsschutz gleich für alle.

Nicht so Österreich: Die schwarz-blau/orange Regierung setzte die Richtlinie nur als Minimum um, machte auch kein eigenes Antidiskriminierungsgesetz, sondern verpackte die Richtlinie im Gleichbehandlungsgesetz. So haben wir in Österreich seit Jahren unterschiedliche rechtliche Voraussetzungen im Diskriminierungsschutz.

Der unterschiedliche Diskriminierungsschutz

Lesben, Schwulen und Transgendern, denen Dienstleistungen oder der Zugang zu Gütern verweigert wird, können sich nicht wehren. Cafés dürfen weiterhin schwule Paare rauswerfen, Juweliere sich weigern einer Transgender-Person Schmuck zu verkaufen oder ein Taxifahrer sich weigern ein lesbisches Paar zu fahren. Wenn die Caféhausbesitzerin, der Juwelier oder der Taxifahrer das bei Menschen tun würden, die aufgrund ihrer ethnischen Herkunft diskriminiert werden, können diese sich rechtlich wehren. Diese Ungleichheit beim Diskriminierungsschutz ist österreichische Realität. Besondrs brisant wird das freilich bei lebensnotwendigen Erwerb oder Dienstleistungen. Man denke etwa an einen Wohnungskauf.

Angleichung beim Diskriminierungsschutz?

Die SPÖ versucht nunmehr den Diskriminierungsschutz für alle gleich zu stellen. Dann hörte man länger nichts mehr. Bis heute, als eben Judith Schwentner und Alev Korun im Gleichbehandlungsausschuss mal nachfragten, was denn nun mit der Angleichung sei.

Die Antwort der ÖVP ließ keine Zweifel aufkommen: Sie ist gegen die Gleichstellung und beruft sich auf die Bischofskonferenz. Wir haben also in Österreich neben der großen Koalition noch eine weitere Koalition: Die der ÖVP mit der römisch-katholischen Kirche. Und die findet es offensichtlich wunderbar, dass etwa Lesben, Schwule und Transgender weiterhin diskriminiert werden dürfen.

Hier die heutige Aussendung von Alev Korun und Judith Schwentner:
Schwentner/Korun: ÖVP blockiert Diskriminierungsschutz für alle
Grüne fordern einheitlichen Diskriminierungsschutz für alle Gruppen

Die Grünen haben im heutigen Gleichbehandlungsausschuss nachgefragt, warum die bereits vor zwei Jahren geplante Gesetzesänderung für mehr Gleichbehandlung auch außerhalb der Arbeitswelt immer noch nicht auf der Tagesordnung steht. Die Antwort war klar, ÖVP und Bischofskonferenz stellen sich dem Anti-Diskriminierungsschutz in den Weg. „Das ist eigentlich ein Wahnsinn, dass eine Gruppe wie die Bischofskonferenz gemeinsam mit der ÖVP einen Gesetzesvorschlag zum Abbau von Diskriminierungen blockiert. Warum sind diese Gruppen daran interessiert, dass es in Österreich weiterhin möglich sein sollte, Menschen zum Beispiel wegen ihres Alters oder ihrer sexuellen Orientierung bei der Wohnungssuche zu diskriminieren? Mit Nächstenliebe hat das jedenfalls nichts zu tun“, meint Judith Schwentner, Frauensprecherin der Grünen.

„Wir brauchen einen einheitlichen Schutz vor Diskriminierungen. Es ist nicht erklärbar, warum Homosexuelle oder ältere Menschen weniger vor Diskriminierungen geschützt werden sollen als zum Beispiel ethnisch diskriminierte. So wie in der Arbeitswelt sollten auch beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen alle Diskriminierungsgründe, wie Alter, sexuelle Orientierung, Religion und Weltanschauung bekämpft werden“, meint Alev Korun, Menschenrechtssprecherin der Grünen. In 21 anderen EU-Staaten habe man sich hier nicht einschüchtern lassen und beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen bereits für mehr Gleichbehandlung gesorgt.

Nun hoffen die Grünen, dass die Verhandlungen auf Regierungsebene weitergehen und Anfang 2013 endlich eine Gesetzesvorlage präsentiert wird. „Für die Diskriminierung von Lesben und Schwulen, Gläubigen und AtheistInnen oder jungen und alten Menschen gibt es keine Rechtfertigung. Alle genannten Gruppen haben ein Recht auf Schutz vor Benachteiligung, wenn sie Geschäfte abschließen“, sagen Schwentner und Korun.

Von §129Ib bis §209: Wie historisches Unrecht auch 2012 noch Unrecht bleibt.

Das Urteil

Ein Urteil des Verwaltungsgerichtshof sorgt für Aufsehen:  Ein schwuler Polizist wurde 1976 aufgrund des §209 StGB verurteilt. Der bis 2002 aktive Paragraf bestimmte das „Schutzalter“ bei schwulen Partnern mit 18 Jahren, während das Mindestalter bei lesbischen oder heterosexuellen Partnern 14 war. 2002 wurde der Paragraf durch den Verfassungsgerichtshof, später nachträglich auch vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, abgeschafft. Der Polizist wurde 1976, damals 32-Jährig, in Pension geschickt. Das Ergebnis: Entgangene Aktivbezüge und eine deutlich geringere Pension. Der Polizist wehrte sich gegen das historische Unrecht. Finanz- und Innenministerium lehnten sein Ansuchen aber per Bescheid ab. Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Bescheide nunmehr aufgehoben.

Die Geschichte

Der §129Ib StGB bestraft seit 1853 Unzucht mit dem gleichen Geschlecht. Damit ist dieser Paragraf strenger als der preussische (später deutsche) §175, der „beischlafähnliche Handlungen“ bestrafte, also im Grunde Analverkehr zwischen schwulen Männern. Lesben wurden nur in Österreich bestraft.
 

Urteil 1942 aufgrund des §129Ib - Quelle: DÖW

Dieser Paragraf blieb auch 1938-1945 in Kraft, denn eine Angleichung des deutschen mit (ehem.) österreichischem Recht wurde auf die Zeit nach dem II. Weltkrieg verschoben. So gab es also in der NS-Zeit eine Kontinuität der Strafbestimmungen, im ehemaligen Österreich sogar in verschärfter Form. Neu hinzu kam aber, dass so genannte „Vorbeugemaßnahmen“ getroffen werden konnten, was nicht anderes hieß als: KZ-Haft, Terror, Folter, Kastrierungen, etc.

Nach 1945 ging es munter weiter. $129Ib blieb in Kraft. Es wurden sogar noch in den 50-er Jahren Urteile bestätigt, die während der NS-Zeit – nicht selten von den gleichen Richtern – gefällt wurden.

Erst 1971 konnte sich SP-Justizminister Christian Broda durchsetzen. Der Paragraf fiel. Die ÖVP (und wohl zu einem erheblichen Teil die SPÖ) wollte das aber nicht auf sich beruhen lassen und es traten weitere anti-homosexuelle Sondergesetze in Kraft. So gab es etwa ein Vereinsverbot, Werbeverbot, Prostitutionsverbot und ein unterschiedliches „Schutzalter“, ab dem Sex praktiziert werden durfte: Im §209 StGB wurde festgelegt, dass Männer nur über-18-jährig gleichgeschlechtlichen Sex haben dürfen, während Lesben und Heterosexuelle das ab 14 tun konnten.

Erst 2002 wurde die letzte anti-homosexuelle Sonderbestimmung abgeschafft. Der §209 wurde vom VfGH gekippt. Der VfGH kam damit einem Urteil des Menschenrechtsgerichtshof zuvor, das den §209 ebenfalls verurteilte. Treppenwitz der Geschichte: Die schwarz-blaue Regierung unter dem bekanntermaßen homophoben Kanzler Schüssel musste das letzte Echo des §129Ib abschaffen.

2005 wurden Homosexuelle dann auch endlich rechtlich im Opferfürsorgegesetz als NS-Opfer anerkannt. Ja, 2005! Als kein Überlebender mehr lebte.

Die Interpretation, dass gleichgeschlechtliche Partnerschaften zwar seit 2010 anerkannt, aber weiterhin in „Sondergesetzen“ behandelt werden (inkl. Adoptions- und In Vitro Fertilisations-Verbot) ebenfalls ein Nachhall der anti-homosexuellen Gesetzgebung ist, kann nicht ganz von der Hand gewiesen werden. Denn es wäre genauso möglich gewesen allen – hetero- und homosexuellen Paaren – die gleichen Rehctsinstitute anzubieten, etwa Ehe und Eingetragene Partnerschaft für Alle, wie zahlreiche europäische Staaten bewiesen haben.

Amnestie, Rehabilitierung & Entschädigung

2010 brachte der Grüne Justizsprecher Albert Steinhauser einen Gesetzesvorschlag ins Parlament: Das Amnestie-, Rehabilitierungs- und Entschädigungsgesetz (AREG), das die Grünen mit Helmut Graupner der NGO Rechtskomitee Lambda erarbeiteten.

Denn auch 2012 werden durch historisches Unrecht ausgesprochene Urteile in den Vorstrafenregistern geführt. Es fehlt die Rehabilitierung. Menschen, die aufgrund anti-homosexueller Sondergesetze frühpensioniert wurden und dadurch deutlich geringere Aktivbezüge und deutlich geringere Pensionen bekamen (wie eben der oben beschriebene Polizist) wurden nicht entschädigt. Menschen, die aufgrund der anti-homosexuellen Rechtsprechung sogar in Anstalten geistig abnormer Rechtsbrecher gesteckt wurden, wurden ebenfalls nie entschädigt oder rehabilitiert.

Erst wenn Österreich dies tut, kann man von einer aufgearbeiteten Geschichte erzählen. Solange dies aber nicht passiert, diskriminiert und verurteilt Österreich weiterhin homosexuelle Menschen.

Digitale Privatsphäre? Geht das überhaupt? Diskussion mit Jacob Appelbaum.

Die Europäische Union bereitet gerade eine neue Datenschutz-Richtlinie vor, die sogar eine Grundverordnung werden könnte an, Wiener Jus-Student_innen um Max Schrems verklagen Facebook, immer mehr Datenschützer_innen warnen vor zunehmenden Angriffen auf unsere Privatheit und Bürgerrechten.

Zugleich mehren sich aber auch die Stimmen, die sagen: Die User und Userinnen pfeifen doch auf den Datenschutz, man sieht es jeden Tag auf Facebook und Co. Es wird Zeit, dass wir das neue digitale Zeitalter als Teil der Lebensrealität wahrnehmen und uns einfach daran gewöhnen, dass mehr Privates öffentlich ist, als jemals zuvor. Post Privacy nennt sich eine dieser Denkrichtungen.

Privatsphäre im Digitalen Zeitalter – Geht das überhaupt noch?

Darüber diskutieren wir am Mittwoch, den 24.10. um 20 Uhr (Achtung: in Englischer Sprache). Und zwar mit:

Jacob Appelbaum
Internetaktivist aus New York, Experte für Computersicherheit und Unterstützer von WikiLeaks. Er arbeitet derzeit beim Tor-Projekt, einem Netzwerk, das anonymes Surfen im Internet ermöglicht.

Iwona Wisniewska
Journalistin bei derstandard.at in der Redaktion Web

Helge Fahrnberger
Wiener Blogger  der ersten Stunde, Entwickler zahlreicher Digital Maps. Derzeit unterrichtet er am Institut für Publizistik an der Uni Wien und betreibt mit Student_innen den Medien-Watchblog kobuk.at.

Moderation: Marco Schreuder
Netzpolitischer Sprecher und Bundesrat der Grünen

Ort

C3 – Centrum für Internationale Entwicklung
Sensengasse 3
1090 Wien

Zeit

Mittwoch, 24. Oktober 2012 um 20 Uhr

Danke

für die wunderbare Kooperation mit der Grünen Bildungswerkstatt Wien
sowie dem Elevate Festival 2012, Graz.

Warum mich der Friedensnobelpreis für die EU trotzdem bewegt.

Erinnerungen an Europa einst

Ich kann diesen Artikel nicht ohne biografische Anmerkungen beginnen: Geboren in den Niederlanden, aufgewachsen im Salzkammergut, in Wien lebend, mit einem gebürtigen Rumänen verheiratet. Ich erinnere mich, dass Familienreisen in die Niederlande immer mit Grenzübertritten verbunden waren und wir drei Währungen in der Tasche hatten. Oder dass man zu spät feststellte, den Auslands-Krankenschein abzuholen.

Ich erinnere mich noch, dass wir noch in den Neunzigern bei Reisen zu unserem Häuschen in Rumänien zwei Grenzen überwinden mussten. Grenzen, wo man oft wählen musste: Gebe ich dem Grenzbeamten eine Packung Kaffee oder einen 20-DMark-Schein oder will ich mich jetzt eine Stunde lang kontrollieren und schikanieren lassen? Und die Geschichten der Familie, in die ich hinein heiratete. Über Ceauşescu, seinem System und wie mein Mann die Revolution in einem Gefängnis in Timişoara erlebte, weil er mal illegal nach Ungarn hinüber gegangen war.

Ich erinnere mich auch an eine Wanderung zum Abschluss meiner Hauptschule in Bad Ischl, Mitte der 80-er Jahre, als wir mehrere Tage entlang der tschechisch-österreichischen Grenze im Mühlviertel wanderten. Und den Stacheldraht, die Wachtürme, die Warnschilder, die Geschichten über in den Westen Geflohene, die Leib und Leben riskierten.

Und ich erinnere mich an die Geschichten meiner Großväter. Der eine in meinem Geburtsort Putten, Gelderland (NL), der die Razzia 1944 mit Glück überlebte und nicht wie alle anderen Männern Puttens zwischen 17 und 55 ins KZ kam. Oder der andere Großvater, der das Bombardement und die Zerstörung Rotterdams durch die Deutschen erlebte. Und die Geschichten der Gefallenen, der Millionen Tote und der Opfer des totalitären Rassen-Wahnsinns.

Das ist vorbei. Geschichte. Alle Länder, zu denen ich privat einen Bezug haben, sind jetzt Inland. Europa. Nur an der rumänischen Grenze gibt es noch einen kontrollierten Übergang. Dort hängen große Tafel mit einer Hotline, wo man anrufen kann, falls ein Grenzbeamter schwarz Geld kassieren will. Weil auch Rumänien diese Grenzen einmal weg haben will, auch wenn es ein schwieriger Prozess ist.

Hat das einen Nobelpreis verdient?

Wenn noch vor über zwanzig Jahren einige Kilometer östlich von Wien eine Grenze verlief, die unüberwindbar war, wenn im Kalten Krieg atomares Wettrüsten Angst und Schrecken verbreitete, wenn nur zwei Generationen vor mir Großväter sich gegenseitig abknallten – millionenfach, und dies überwunden werden konnte: Dann sage ich laut und deutlich: Ja!

Denn die europäische Einigung ist einzigartig in der modernen Menschheitsgeschichte. Staaten, die sich jahrhundertelang in Feindschaft gegenüber standen und Kriege führten (es gibt nicht wenige, die den 30-Jährigen Krieg 1618-48 als die Urkatastrophe, quasi den eigentlichen Ersten Weltkrieg bezeichnen), und die sich entschieden haben, diese Form der Auseinandersetzung zu beenden und stattdessen in Frieden und ohne Waffen zu kooperieren: Dann sage ich laut und deutlich: Ja!

Ein Nobelpreis als Erinnerung – und als Vision

Wie immer man den Nobelpreis für die Europäische Union auch sehen mag, die Entscheidung in Oslo darf jeden Bürger und jede Bürgerin in Europa dazu veranlassen einfach einmal darüber nachzudenken, wo wir leben, und wie wir unsere Nachbarn mittlerweile begegnen, aber auch was nicht passt und wie jede und jeder einen Beitrag leisten kann.

Die Europäische Union ist alles Andere als perfekt. Wie soll es auch anders sein? Es wäre vollkommen illusorisch zu glauben, dass ein Projekt, wie es die Menschheit in der Moderne noch nie gesehen hat, das Paradies auf Erden bedeutet. So waren Verheißungen von „blühenden Landschaften“ (Helmut Kohl, 1989) wohl kontraproduktiv. Europa ist harte Arbeit und eine Kooperation in Vielfalt – mit vielen Sprachen, Kulturen, Meinungen, Weltanschauungen, Religionen usw.

Kritik an Europäische Politik ist wichtig, weil das Fundament Europas nur Demokratie und Menschenrechte sein kann. Das bedeutet auch, dass wir an Europa weiter basteln und bauen müssen, dass wir nie zufrieden sein können, immer kritisieren müssen – sei es das Aushebeln demokratischer Kontrollen in der Eurokrise, sei es die Austeritätspolitik, das unerträgliche Ausmaß an Jugendarbeitslosigkeit, die uns nicht egal sein kann, sei es die horrende Anzahl an toten Flüchtlingen, die versuchten verzweifelt nach Europa zu kommen und von Frontex abgewehrt werden, sei es die (fehlende) Bedeutung des Europäischen Parlaments, sei es die Aufgabenteilung zwischen nationalstaatlichen Kompetenzen und europäischen Kompetenzen, sei es vor allem auch die Konzentration auf eine Wirtschaftsunion und das Fehlen einer Kultur-, einer Menschenrechts-, einer Demokratie- (Ungarn!) und einer Sozialunion.

Bei all den erhitzten Diskussionen, den Streit um Positionen (Hey Leute, Streit gehört nunmal zur Demokratie dazu!), den Empörungen und den zurecht schockierenden Meldungen und Bildern aus Griechenland, Spanien oder Portugal: Wir müssen uns zwischendurch erinnern, wie unsere Großväter dieses Europa noch erlebten und uns erinnern, dass Europa noch vor kurzem ein zweigeteilter Kontinent war. Und sollte der Nobelpreis uns alle daran erinnern wollen, dann ist das gut so. Und dann kann man auch europäische Politik kritisieren und daran arbeiten, dass es besser wird. Nicht jede Kritik ist automatisch antieuropäisch, sondern sehr oft proeuropäisch.

Und wenn ich am Ende noch einen Wunsch Richtung Oslo richten darf: Ich wünsche mir 27 Bürger und Bürgerinnen aus allen 27 EU-Staaten, die sich an die Gräuel des Zweiten Weltkriegs erinnern, mögen den Preis entgegen nehmen.

PlanetRomeo: Ein stiller Internet-Gigant wird 10.

Im Oktober 2002 tüftelten ein paar schwule Jungs in Berlin rum und machten eine Dating-Plattform. Gayromeo hieß das Ergebnis. Dabei gab es damals schon einiges an Plattformen und durchaus Konkurrenz, allem voran das britische Portal Gaydar. Dass PlanetRomeo, wie das einstige GayRomeo mittlerweile heißt, zu ihrem 10. Geburtstag 1,4 Millionen User haben würden und mehr als nur eine reine Dating-Plattform sein würde, hätten sie damals bestimmt nicht erwartet. Aber auch nicht, dass die mobile Internet-Welt durchaus für neue Herausforderungen und Schwierigkeiten sorgen werden würde. 10 Jahre später gibt es auch bereits alternative Namen für Planetromeo: Die blauen Seiten und etwas ironischer:  Das schwule Einwohnermeldeamt. Der Standort ist aus rechtlichen Gründen mittlerweile Amsterdam.

Ohne Marketing zum deutschsprachigen Marktführer

Der Erfolg von PlanetRomeo ist erstaunlich. Denn PlanetRomeo hat nie großes Tamtam gemacht, keine Werbungen, keine Marketing-Strategien, sondern stellten eigentlich nur eine Website online. Der Trick und das Geheimnis des Erfolges lag anfangs wohl einfach darin, dass man unlimitiert Profile anschauen konnte und unlimitiert Messages schicken konnte. Eine Bezahl-Version gab es zwar kurz nach Gründung, die einige (etwa nicht jugendfreie) Vorteile bot, die Gratis-User aber trotzdem weiterhin eine komfortable Usability garantierte.

Politik

Politisch zeigte sich das Portal auch. User, die in Staaten leben, in denen Homosexualität nach wie vor unter Strafe steht, bekamen kostenlosen SSL-Zugang. Deutsche oder österreichische User müssen dafür etwa die Bezahl-Version in Anspruch nehmen. Aids-Aufklärung ist mittlerweile auch Bestandteil von PlanetRomeo, dafür haben sie allerdings das aktive Suchen nach unsicheren Sex nie verboten.

Mehr als Dating

Branchenbücher mit Lokalen, Shops, etc. und tausende Clubs, die von Politik bis Star Trek, von Aquaristik bis Technik, von Fußball bis sexuelle Vorlieben reichen, ließen PlanetRomeo mehr als „nur“ eine Dating-Plattform werden. Man tauscht sich mittlerweile über alles mögliche aus. Zudem bot PlanetRomeo eine einfache Möglichkeit User als Favoriten zu markieren und so ständig mit seinen Freunden in Kontakt zu bleiben, egal ob aus der eigenen Stadt oder in einem fernen Land – lange bevor es Facebook gab!

Auch als Kommunikationsplattform für öffentliche Personen wurde das Portal genutzt: Der deutsche Grüne Volker Beck bot 2005 etwa „Bürgersprechstunden“ auf PlanetRomeo an.

Die mobile Internet-Welt

Doch in den letzten Jahre drohte PlanetRomeo eine Entwicklung völlig zu verschlafen: Internet wurde zunehmend mobil genutzt und das Design der Website war auf Smartphones einfach vollkommen unbrauchbar. Lange wartete man. Fast zu lange. Zwar hatte ein österreichischer Entwickler eine iPhone-Version gebastelt, die aber von Apple rasch wieder gesperrt wurde, weil es möglich war nicht jugendfreie Darstellungen zu sehen. Doch dann kam die erste offizielle App und seit einigen Tagen eine vollkommen überarbeitete App, die allerdings von Usern heftig kritisiert wird. Man wird sehen, ob sich der bisherige Internet-Gigant hier noch gegen Mobil-Konkurrenten wie Grindr wird behaupten können.

Warum der Erfolg?

Ich glaube, dass der große Erfolg von PlanetRomeo einfach darin liegt, dass die Site nicht perfekt ist, und auch nie perfekt sein wollte. Große monetäre Giganten des Internet wie Parship mit dem Ableger Gay-Parship buttern zwar erhebliche Beträge in Werbung und Marketing, erreichen trotzdem bei weitem nicht die Zahlen von PlanetRomeo. Und wer sich bei einer Konkurrenz anmeldet, hat vermutlich trotzdem zusätzlich ein PlanetRomeo-Profil.

Es waren anfangs schwule Jungs aus der Community, die das Portal aufbauten und das immer noch so. Man hat auf PlanetRomeo nie den Eindruck, ein großer Konzern würde den User umwerben, um Profit zu machen. Und das ist wohl das wahre Geheimnis und der Kern des Erfolgs: Authentizität. Mann bleibt „unter sich“.

Und davon kann jedes Start-Up etwas lernen. Denn man kann auch ganz still und leise ein Gigant werden.

Und wie war das erste Mal? – In Schulen über Homosexualität reden.

Ich feiere diese Tage mein zehnjähriges Jubiläum als Sprecher der Grünen Andersrum Wien. Und in diesen 10 Jahren hat sich viel getan. Ein vom VfGH gekippter §209, Antidiskriminierungsgesetze und zuletzt 2010 das – allerdings immer noch ungleichbehandelnde – Eingetragene Partnerschaftsgesetz.

Und in all diesen Jahren habe ich wohl hunderte Podiumsdiskussionen, TV-Diskussionen oder andere Formen der Auseinandersetzung erlebt, in dem es vor allem um Gesetze, Paragrafen, Diskriminierungen in Beruf und Alltag, seltener auch um queere Kultur oder den Blick auf die eigene Emanzipations-Geschichte ging.

Doch immer dann, wenn ich in Schulen oder Jugendzentren eingeladen wurde, um über Homosexualität zu sprechen und zu diskutieren, ist es anders. Ganz anders!

Das erste Mal im Jugendzentrum

Das erste Mal war im Wiener Gemeinderatswahlkampf 2005. Ein Jugendzentrum lud jede Woche einen anderen Politiker bzw. eine andere Politikerin einer Partei ein. Ich war der Grüne. Vor mir war Laura Rudas eingeladen, eine Woche nach mir war Gudenus jr. angekündigt. Und schon im Vorfeld wurde mir zugeflüstert: „Marco, ich weiß nicht recht ob es so klug ist in diesem Fall das schwul-lesbische Thema anzusprechen. Es handelt sich in diesem Fall um Jugendliche mit schwierigem Background. Die haben zerrüttete Familien, sind sozial benachteiligt, viele mit Migrationshintergrund. Du wirst dir keinen Gefallen tun!“

Ich kam, stellte mich vor, sprach über Grüne Schwerpunkte und was uns wichtig ist, und zuletzt – nach all den Warnungen – erzählte ich den Jugendlichen, dass auch ich eine Migrationsgeschichte habe, noch bis April 2005 niederländischer Staatsbürger war und : „Außerdem bin ich seit diesem Jahr verheiratet. Weil es ein Mann ist, den ich heiratete, musste ich das noch als Niederländer in Amsterdam machen, weil das in Österreich nicht erlaubt ist. Ich gehe auch in die Politik, weil ich erreichen will, dass das in Österreich auch mal geht.“ Es war kurz still, die Betreuerin im Jugendzentrum blickte nervös in die Runde.

Die Jugendlichen fragten daraufhin nur kurz, warum das in Österreich denn nicht ginge, und freilich meinten auch ein paar, dass die Ehe ja auch für die Zeugung von Kinder da sei. Es war recht unaufgeregt und außerdem fanden sie Themen wie Jugendpolitik und Bildungspolitik ohnehin viel spannender. Am Ende war es eigentlich kaum Thema. Nur einer meinte dann am Schluss recht laut und deutlich: „Wenn Omas und Opas, die keine Kinder mehr bekommen können, heiraten dürfen, sollen das Schwule auch dürfen“ und nahm mir ein Argument aus dem Mund. Nur dass ich das bis dahin immer viel zu kompliziert erklärte. So einfach formuliert hatte ich das selbst noch nie gehört.

Schulen

Armin Soyka kontaktierte mich später. Der damalige Schulsprecher an einem Gymnasium im 18. Bezirk hätte mit der Schulleitung, Eltern usw. gesprochen und möchte jetzt einen Tag an der Schule gestalten, damit endlich mal über das Thema gesprochen wird. Er hatte einen persönlichen Bezug zum Thema, wie er in diesem Blogbeitrag wunderbar erzählt. Wir setzten uns zusammen, einige pädagogische Spiele und Konzepte hatte ich in meiner Bibliothek und so ging er ans Werk (und hier erzählt er darüber). Zuerst wurde der Film „Sommersturm“ gezeigt. Dann wurden so genannte Minderheitsspiele gemacht (Das sind Spiele, die zeigen, dass irgendwann jede_r zu einer Minderheit gehört – seien es Brillenträger_innen oder Fans einer Fußballmannschaft), danach konnten Schüler_innen in kleineren Gruppen mit jeweils einer Lesbe und einem Schwulen über alles reden.

Diese Aktion war so erfolgreich, dass sie dieses Jahr zum dritten Mal über die Bühne ging und ich diese Woche u.a. mit Erik Accart-Huemer, Günter Strobl (der auf seinem Blog übrigens auch einen Artikel hierüber schrieb), Ines Rieder und Nina Hechenberger in die Schule in Währing kam.

Die Diskussionen, Fragen und Auseinandersetzungen gehen wesentlich tiefer, als es bei „herkömmlichen“ politischen Debatten je werden kann. Sie sind auch persönlicher, weil es sind die Biografien und eigenen Geschichten und Anekdoten, die Schüler_innen hören wollen, um dadurch etwas zu begreifen. Und so ist es interessant zu erfahren, wie es beim „Ersten Mal“ denn so war. Oder wie man es den Eltern und den Freunden erzählte. Und wie lange das denn überhaupt gedauert hätte und wie man es entdeckt hätte, dass man so ist. Und ob es schlimm ist, wenn man in der Schule jemanden als „Schwuchtel“ beschimpft. Und warum es gerade für Jugendliche in der Coming-out Phase schwierig ist.

Am Interessantesten: Viele erkennen erst nach einem solchen Gespräch erst, dass tatsächlich die gesamte Umwelt in heterosexuellen Kategorien denkt. Die Eltern gehen davon aus, dass man als Junge irgendwann mal mit einer Freundin auftaucht, oder als Mädchen mit einem Jungen. Oder dass in Gesprächen ausschließlich in diesen Denkmustern und Erwartungshaltungen diskutiert wird. Und plötzlich verstehen viele, wie schwer es sein muss, wenn man diesen Erwartungen gar nicht entspricht. Und wie groß die Angst sein muss, Eltern, Freund_innen oder Geschwister enttäuschen zu müssen, weil man „andersrum“ ist. Und auch wenn politische Fragen wie Adoption, Regenbogenfamilien, künstliche Befruchtung oder Ehe und Partnerschaft eine Rolle spielen, so sind es vor allem tatsächliche Auswirkungen im Alltagsleben, die Jugendliche besonders interessieren.

Armin Soyka lässt am Ende eines solchen Aktionstages immer Feedback-Bögen ausfüllen. Und tatsächlich sind es vor allem die persönlichen Dinge, Erinnerungen und Erfahrungen, die am besten ankommen. Dies zeigt: Abstrakte politische Diskussionen sind okay, persönliche Lebenserfahrungen aber viel interessanter.

Weitere Erfahrungen

Ich war freilich schon öfter in Schulen eingeladen, etwa zu Podiumsdiskussionen rund um Wahlen, als Gast beim Fach „Politische Bildung“ und im Parlament selbst gibt es die Demokratiewerkstatt, zu der Schulen kommen um sich mit Politik, Demokratie und Parlamentarismus zu beschäftigen. Bei Letzterem informieren sich die Schüler_innen immer vorab über den oder die Gast-Politiker_in. Und da ich der Einzige im Hohen Haus bin, der offen zu seiner sexuellen Orientierung steht, ist es natürlich auch dort ein Thema.

Und ja freilich habe ich Kichern gesehen, oder wie Schüler_innen mit vorgehaltener Hand flüstern, sich gegenseitig belustigt anschauen, wenn es zur Sprache kommt, aber da darf man sich eben nicht beirren lassen, muss ruhig bleiben und ganz gelassen und selbstbewusst von persönlichen Erfahrungen sprechen. Und dann spürt man schnell, wie tiefer drüber nachgedacht wird.

Mehr Projekte, bitte!

Es ist erfreulich, dass etwa die HOSI Wien auch Schulprojekte anbietet oder die Rosa Lila Villa Schulgruppen ins Haus einlädt. Doch damit erreichen wir nur einen Bruchteil der Schüler_innen. Ich finde, es muss viel mehr solche Projekte geben. Es bräuchte viel mehr Armin Soykas! Ich nehme nach wie vor jede Einladung einer Schule, eines Jugendzentrums oder anderen Einrichtungen sehr gerne entgegen. Denn diese Schulgespräche sind so ziemlich das Sinnvollste meiner politischen Arbeit in den letzten zehn Jahren!

Und noch etwas lernt man daraus. Die Maxime aus den 70-ern „Das Private ist politisch“ stimmt immer noch.

Links:

Günter Strobl über das Schulprojekt
Armin Soyka über sein Konzept

Warum ich für den Nationalrat kandidiere.

Viele wussten es schon, viele ahnten es: Ich werde auf der Grünen Landesversammlung am 21. Oktober auf/ab dem 4. Platz der Wiener Liste zum Nationalrat kandidieren. Im Nationalrat hat man schlicht mehr politischen Spielraum, als dies im Bundesrat der Fall ist, so gern ich dieses Amt ausübe. Man kann Initiativen leichter starten, Anträge aller Art einbringen, gilt für Ministerien und anderen Parteien als Verhandlungspartner im Gesetzeswerdungsprozess (Zweidrittelmaterie etwa!), usw. Dies geht im Bundesrat leider kaum, denn wenn Gesetze in die Länderkammer kommen, ist längst alles verhandelt.

Die Themen, die ich derzeit betreue benötigen diesen Spielraum: Netzpolitik und Menschenrechtspolitik.

Daher bewerbe ich mich – und zwar mit diesem Text:

Liebe Grüne Freund_innen!

Die meisten von euch kennen mich schon länger. Zahlreiche Initiativen aus den Bereichen Kulturpolitik, mein Engagement zur Rettung der Jüdischen Friedhöfe, u.v.m. kann ich hier gar nicht unterbringen. Daher will ich vor allem zwei Themen ins Zentrum meiner Kandidatur rücken: Netzpolitik und Menschenrechtspolitik.

Netzpolitik

Sie arbeiten in Jobs, die es eine Generation zuvor nicht gab – oft prekär bezahlt. Sie streben Freiheit an, wollen ihre Privatsphäre geschützt wissen und sehen das Internet nicht nur als Informations- und Kommunikationsinstrument, sondern als öffentlichen Raum, der bereits zu viel seitens Behörden und Konzernen überwacht wird und dessen Freiheit verteidigt werden muss. Viele sind jung und sie wollen von der Politik gehört werden: Die so genannte und diverse „Netzgemeinde“, die das Internet gerne als 7. Kontinent bezeichnet.

Die digitale Revolution geht nicht spurlos an unserer globalisierten Gesellschaft vorüber. Die Politik hat das aber bislang viel zu sehr übersehen. Erst durch die Demonstrationen gegen  das Anti-Piraterie-Abkommen ACTA und gegen die Vorratsdatenspeicherung wurden sie sichtbar. Und es waren viele! Jetzt gilt es dran zu bleiben und als Grüne diesen vielen Menschen ein Angebot zu machen.

Netzpolitik wird in Zukunft eine immer größere Rolle spielen. Sie ist Querschnittmaterie und erfordert Teamarbeit innerhalb des Parlamentsklubs und innerhalb der Grünen, denn Netzpolitik bedeutet unter anderem:

partizipative Demokratiepolitik
Sozial- und Wirtschaftspolitik (Zugang zu Information, Breitbandoffensive, prekäre Arbeit, EPU‘s)
Umweltpolitik (zB.: weniger Pendelverkehr durch neue dezentrale Arbeitsmodelle)
Kulturpolitik (Digitale Kopien und das Urheberrecht)
Bildungspolitik (Medienkompetenz)
Korruptionsbekämpfung und Transparenz mittels Open Goverment und Open Data
Schaffung eines gläsernen Staates statt eines gläsernen Bürgers bzw. einer gläsernen Bürgerin

Ich möchte dieses Zukunftsthema innerhalb der Grünen, innerhalb des Nationalrats und allem voran gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern voranbringen.

Gleichstellung

Lesben, Schwule und Transgender leben freier als noch vor einigen Jahren. Doch leider glauben viele Menschen, dass „eh schon alles“ erreicht wäre. Das stimmt nur leider nicht!

Das Gesetz zur Eingetragenen Partnerschaft hat dazu geführt, dass gleichgeschlechtliche Paare in eigene rechtliche Schubladen gesteckt wurden, was ganz und gar keine Gleichstellung darstellt! Zahllose Unterschiede zum Eherecht blieben bestehen. Das Recht auf Familie wird Lesben, Schwulen und Transgendern – allem voran seitens der ÖVP – verwehrt, was dazu führt, dass sich Regenbogenfamilien im rechtlichen Niemandsland befinden.

Hass, Ausgrenzung und homophobe Äußerungen sind noch nicht verschwunden. Man hat sogar den Eindruck, sie werden wieder lauter.

Im Nationalrat gibt es keine Stimme der lesbisch-schwulen-transgender Community mehr, keine politische Repräsentanz. Mit eurer Hilfe, will ich diese Stimme sein. Denn immerhin geht es um nichts Geringeres als frei leben zu können.

Die Grünen

Der Frust über die politischen Zustände hierzulande ist groß. Die Grünen können wieder Hoffnung und Optimismus ausstrahlen: Eine ehrliche Politik ist möglich. Die Ausgangslage für die Nationalratswahl 2013 ist günstig. Während sich die anderen Parlamentsparteien in zahlreichen Korruptionsaffären verstricken, sind die Grünen diejenigen, die davon unbeschadet blieben.

Gerade deshalb müssen die Grünen ein Angebot für eine neue politische Kultur sein. Hören wir auf mit dem typischen Politisprech, sondern sagen wir einfach und ehrlich die Wahrheit. Zeigen wir, dass transparente, offene und zukunftsorientierte Politik möglich ist.

Ich wäre mit eurer Hilfe gerne ein Teil dieses Schrittes in eine grünere Zukunft.